Alois Leuninger         

Die Nagelschmiede
von Mengerskirchen

Art und Herstellung der Nägel

Bis zu der Zelt, da die Nägel fabrikmäßig hergestellt wurden, deckte das Gewerbe der Nagelschmiede jeglichen Bedarf in den einschlägigen Erzeugnissen. Die Nagelschmiede der Grafschaft Solms stellten um die Mitte des 17. Jahrhunderts aus 120 Pfund Eisen 600 Radnägel her. Ein Radnagel wog somit 100 Gramm, abzüglich des Eisenabfalls bei der Fertigung. Die Nagelschmiede von Mengerskirchen fertigten zumal in den letzten Jahrzehnten, in denen das Gewerbe noch betrieben wurde, vorwiegend Schuhnägel. Indessen waren die Nagelschmiede mit längerer Berufserfahrung und entsprechender Geschicklichkeit auch in der Lage, andere Nägel herzustellen. Hierzu gehörten beispielsweise Hufnägel, Decknägel zur Befestigung von Dachschiefer, sogenannte Speichernägel, die bei der Anbringung von Türbeschlägen usw. verwandt wurden, und Nägel für Fahrzeuge aus Holz mit Eisenbeschlägen. Der Bremsklotznagel, der insbesondere an der Bremsvorrichtung der Bauernwagen Verwendung fand er war 6 cm lang, bei einem Durchmesser der Spitze von 5 bis 6 mm -, war eine oft hergestellte Nagelart. Bei den Schuhnägeln, die es in vielerlei Sorten gab, überwog in der Herstellung der Sohlennagel. Er war rundeckig und wurde in Gewichten zwischen 2 und 5 Pfund je Tausend gefertigt. Dazu kam der Absatznagel, auch Stoßnagel genannt. Als Absatznagel diente ebenfalls die Sattelzwecke, man bezeichnete sie auch als Dickkopf. Dem Namen nach dürfte sie ursprünglich von den Sattlern verwendet worden sein. Es handelte sich dabei um einen Nagel mit viereckigem Kopf, dessen Ecken gebrochen waren.

Der ,,Zweispitz" war ein Nagel, der wie schon der Name sagt -, zwei Spitzen hatte, von denen die eine in der Mitte und die andere etwas kürzere an der Seite des Kopfes saß. Mit ihm wurden Sohlen- und Absatzränder beschlagen. Die zweite Spitze gab dem Nagel besseren Halt im Leder. Auch die sogenannten "Hundsohren", welche der Benagelung der Gebirgsschuhe dienten, hatten mitunter zwei Spitzen. Ihre Eigenart lag in den flügelartigen Kappen auf einer Seite des Kopfes. Daneben gab es noch eine Reihe von Spezialnägeln, zum Beispiel den Stempelnagel. Er hatte seinen Namen von zwei handgestanzten Kerben im Kopf, und war mit einer langen Spitze versehen. Offensichtlich diente er dem Beschlagen von besonders kräftigem Schuhwerk, denn die zwei Einkerbungen am Kopf und die etwa 30 mm lange Spitze gaben dem Nagel einen besonders festen Halt Schuhnägel, die nicht dem Beschlagen der Sohlen dienten, wogen in der Regel 4 bis 8 Pfund je Tausend. Die Spitze der Nägel war je nach Verwendungszweck: des Nagels verschieden lang. Bei einem Dreipfünder Sohlennagel waren es 10 bis 12 mm und bei dem Stoßnagel je nach Gewicht etwa 20 mm. Am Kopfansatz hatte sie im Mittel einen Durchmesser von 2 mm.

Obwohl die Nagelschmiede keine so umfangreiche und lange Berufsausbildung hatten, wie sonst im Handwerk üblich, verfügten sie bei der Ausübung ihrer Arbeit über eine Geschicklichkeit, die sie zu erstaunlichen Leistungen befähigte. Hiermit haben sie schon den im 18. Jahrhundert lebenden englischen Nationalökonomen Adam Smith beeindruckt, der sich im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in beachtlichem Umfang mit dem Nagelschmiedegewerbe befaßt zu haben scheint. Smith führt diese Geschicklichkeit auf den sich ständig in ganz kurzer Zeit wiederholenden Arbeitsvorgang zurück. Er sagt: ,,Ein gewöhnlicher Schmied, der, wenn er auch den Hammer zu führen gewohnt ist' doch niemals Nägel zu machen pflegte, wird, wenn er es in einem besonderen Falle versuchen muß, sicherlich kaum imstande sein, über 200 oder 300 Nägel des Tags zu verfertigen, und auch diese werden schlecht genug sein."

Der Verfasser hat in seinen jungen Jahren oft selbst erlebt, daß Unkundige, auch gelernte Schmiede, weil ihnen die Arbeit so leicht erschien, sich in dem Verfertigen eines Nagels versuchten und dabei noch nicht einmal die Nagelspitze ordentlich zustande brachten, selbst nicht in einem Zeitraum, der auch nur in etwa in einem Verhältnis zu der Zeit stand, die der Nagelschmied hierzu benötigte. Dabei war zur Herstellung des Nagels nicht nur Geschicklichkeit, sondern auch Sorgfalt vonnöten. Jeder Schlag, der ausgeführt wurde, hatte seine genaue Bestimmung. Als Beispiel zur Erläuterung soll der einfachste Schuhnagel, nämlich der Dreipfünder, runde Sohlennägel dienen. Mit den ersten zwei Schlägen auf die glühende Eisenstange wurde das Eisen für das Anfertigen der Spitze zugerichtet und mit weiteren 6 bis 8 Schlägen die Spitze, die immer die gleiche Länge haben mußte und vierkant war, angefertigt. Dann folgte mit einem Schlag die Abtrennung eines kleinen Einesteils für den Nagelkopf, an dessen Ende die Spitze saß. Hierauf setzte der Nagelschmiede die Spitze in das Nageleisen und gab mit zwei Schlägen dem nun der Spitze aufsitzenden Eisenteilchen Halt und Stellung, um mit etwa neun weiteren Schlägen dem Nagelkopf die endgültige Form zu geben. Im Mittel führte der Nagelschmied bei der Anfertigung eines Nagels 24 Schläge mit dem Hammer aus. Das ergab somit bei rund 1000 Nägeln 24000 Hammerschläge und erforderte entsprechende Körperkraft Zur Anfertigung eines Zweispitzen-Nagels bedurfte es 30 Schläge.

Die einzelnen Schläge konnten nun beileibe nicht in gleicher Härte und Stellung geführt werden, sondern waren unterschiedlich. Auch der Takt der Schläge war nicht eintönig, mal ging es schneller und mal langsamer. Ein geübtes Ohr konnte erkennen, zu welchem Teil des Arbeitsvorganges die einzelnen Schläge gehörten. Sie wiederholten sich genau, sowohl in Takt und Geschwindigkeit, also auch im Abstand der einzelnen Schläge voneinander, bei der Fertigung eines jeden Nagels.

Die Nägel mußten auch in Form und Güte bestimmten Anforderungen entsprechen. Besonders bei Schuhnägeln, die nicht nur 4n der Form, sondern auch im Gewicht unterschiedlich waren, kam es gerade auf letzteres an. Tausend Nägel mußten ein bestimmtes Gewicht haben. Ein Nagel hatte so schwer zu sein wie der andere, was bei der Schnelligkeit des Arbeitsvorganges Geschick und Gefühl voraussetzte. Auge und Gefühl ersetzten Maße und Gewichte. Mit Recht sagte Adam Smith, daß das Verfertigen eines Nagels keineswegs eine der einfachsten Verrichtungen sei. Er hat Burschen unter zwanzig Jahren gesehen, die, wenn sie sich anstrengten, je über 2300 Nägel an einem Tag machten. Derartige Leistungen sind auch von Nagelschmieden in Mengerskirchen erreicht worden. Während des ersten Weltkrieges fertigte beispielsweise in einer Schmiede ein Vater mit zwei Söhnen im Alter von 16 und 17 Jahren zusammen täglich 5000 und mehr sogenannte "Hundsohren" an, obwohl diese Nägel schwerer herzustellen waren als die meisten anderen Sorten! Aber auch andere Nagelschmiede leisteten gleiches und ähnliches. Im allgemeinen lag die Leistung eines Nagelschmiedes bei 1200 bis 1500 Stück täglich, wobei Art und Gewicht von Einfluß auf die Zahl der verfertigten Nägel waren.


Es gab Zeiten, in denen in Mengerskirchen in einer normalen Winterarbeitswoche etwa 1,2 Millionen Schuhnägel hergestellt wurden. Das setzte Fleiß und Geschicklichkeit bei den Nagelschmieden voraus. In einem unaufhörlich schnellen Arbeitstempo kam Nagel zu Nagel. Adam Smith sagt in seinem Werk, in welchem er mehrere Heimgewerbe anspricht, auch auf den Nagelschmied zutreffend: ,,Die Geschwindigkeit, mit welcher einige Tätigkeiten dieser Gewerbe verrichtet werden, übertrifft alles, was derjenige, der es nie gesehen hat, der menschlichen Hand zugetraut haben würde."

Kohle und Eisen - Rohstoffe der Nagler


Die Nagelschmiede benötigten zur Ausübung ihres Gewerbes Kohle und Eisen. Die Beschaffung dieser Rohstoffe erfolgte zumindest in der neueren Zeit über den Handel. Bei den Kohlen ist es sicher zu jener Zeit anders gewesen, da die Holzkohle in der Eisenherstellung und Verarbeitung der führende Brennstoff war. In unserem Raum ist es zu Ende des 18. Jahrhunderts erstmals zur Verwendung von Steinkohle und Koks gekommen. Auch die Nagelschmiede von Mengerskirchen haben bis weit in das 19. Jahrhundert hinein bei ihrer Arbeit Holzkohle verwendet Steinkohle wird erst mit der Schiffbarmachung der Lahn um 1847 unser Gebiet erreicht haben und in der Eisenverarbeitung verwendet worden sein. Bis dahin war man auf die Holzkohle als einen hochwertigen Brennstoff angewiesen. ,,Die Meilerholzkohle ist hart, klingend und trocken, sie enthält keine Asche und bildet keine Schlacke. Sie war Jahrtausende der führende Brennstoff" (Wilfried Spahn ,,Die Holzkohle" 1946).

In dem in 1766 erschienenen Werk ,,Anleitung zum Forstwesen" sagt J. A. Cramers im Vorwort u. a.: "Unter den zur Bequemlichkeit, ja zur höchsten Bedürfnis des menschlichen Lebens erforderlichen Dingen ist keines, welches dem Holze die erste Stelle streitig machen kann. Das unentbehrlichste unter allen Metallen, das Eisen, kann zu seinem eigentümlichen Gebrauch nicht ohne Holz verfertigt werden; denn da es zwar bey Steinkohlen und Torf zu verarbeiten steht; so fällt es doch fast unmöglich, dieses Metall durch andere Feuerung, als Holzkohlen, in solcher Härte und dauerhaften Schmeidigkeit aus dem Eisensteine zu schmelzen, und ferner zu solcher Vollkommenheit zu bringen, daß daraus ein schneidendes Zeug und andere Gerätschaften zubereitet werden könne. Fällt also das Holz weg, so fällt auch alle Gerätschaft weg, die aus Holz, Eisen und Stahl müssen gemacht werden."

Cramers hat aber vor 200 Jahren nicht geahnt, daß die Holzkohle als Energieträger schon nach ganz kurzer Zeit kaum noch Bedeutung haben wird. Steinkohle und Koks treten bei der Eisenherstellung und Verarbeitung an ihre Stelle. Gewiß hat das Holz in vielen sonstigen Bereichen seinen Wert erhalten; es ist sogar einmal an die Stelle von flüssigem Motorentreibstoff getreten, als während des letzten Weltkrieges bei Kraftfahrzeugen sogenannte ,,Holzvergaser" Verwendung fanden. Aber sonst spielte es als Energieträger keine Rolle mehr.

Die Holzkohle ist untrennbar mit der Metallgewinnung, deren Beginn in das Altertum reimt, verbunden. In unserem engeren Bereich geht die Eisenerzeugung bis weit in das vergangene Jahrtausend zurück.

Um 780 wurde in Weilmünster in größerem Umfang Eisen erzeugt. Es folgte später die Löhnberger Hütte und auch in Dillhausen gab es vor dem Dreißigjährigen Krieg eine Eisenverhüttung. In den Jahrhunderten danach stieg die Eisenerzeugung m großem Umfang. Da dies zunächst unter Verwendung von Holzkohle geschah, war der Bedarf hieran entsprechend groß. Er führte zeitweilig zu einem empfindlichen Holzmangel und zu einem Raubbau am Wald. Das gilt auch für das Westerwaldgebiet mit einem übermäßigen Holzabtrieb im 16. und 17. Jahrhundert. Das Holz wurde durch Verkauf dem Hüttenbetrieb an Dill und Sayn zur Verkohlung zugeführt. Die Behörden sahen sich zu Maßnahmen veranlaßt, die der Erhaltung eines ausreichenden Waldbestandes dienen sollten. Im 18. Jahrhundert wurde der Holzmangel derart stark, daß einzelne Hüttenbetriebe wegen der hohen Holzpreise stillgelegt werden mußte.

Die Nagelschmiede von Mengerskirchen haben unter diesen Schwierigkeiten wohl weniger zu leiden gehabt. Ihr Bedarf an Holzkohle zur Ausübung des Gewerbes war wesentlich geringer als der der Eisenhütten und konnte durch den Wald in der großen Gemarkung sicherlich gedeckt werden. Über die Holzverkohlung im Wald von Mengerskirchen gibt es, soweit ersichtlich, keine literarischen oder ähnliche Unterlagen. Mit Sicherheit kann aber gesagt werden, daß Meilerholzkohle erzeugt wurde. Noch heute trägt ein Distrikt im Gemeindewald von Mengerskirchen die Bezeichnung "Kohlhag". Dort an alten Holzabfuhrwegen gibt es Stellen mit Erde, die mit unzähligen größeren und kleineren Holzkohlenteilchen vermischt ist und daher schwarz erscheint. Berücksichtigt man noch, daß diese Holzkohlenteilchen bis tief im Erdreich zu finden sind, dann darf auf den Standort von Holzkohlenmeilern geschlossen werden, die die Nagelschmiede von Mengerskirchen mit Holzkohle versorgten. Ob das Gewerbe auch auf die Westerwälder Braunkohle zurückgegriffen hat, ist wegen der geringen Qualität derselben sehr fraglich. Sie dürfte für die Eisenverarbeitung überhaupt unbrauchbar gewesen sein. Wie auch andere eisenverarbeitende Gewerbe gingen die Nagelschmiede, als ihnen der Bezug von Steinkohle aus den Kohlenrevieren möglich war, von der Holz- zur Steinkohle über. Obwohl diese durch die Transportkosten die Kohle mußte mit Fuhrwerken von den Endladestellen der neuzeitlichen Transportwege nach Mengerskirchen gebracht werden für sie noch verhältnismäßig teuer war, dürfte sie doch wesentlich billiger als die Holzkohle gewesen sein. Um die Jahrhundertwende wurden von den Nagelschmieden in Mengerskirchen in einer Winterwoche bis zu 4000 Kilo Steinkohle verbraucht. Die Versorgung erfolgte durch einen Händler, der gleichzeitig auch einen Fuhrbetrieb mit zwei Pferden hatte. Hundert Kilo Steinkohlen kosteten damals 2,80 Mark.

Erz zur Herstellung von Eisen war zu allen Zeiten genügend vorhanden im Gegensatz zum Holz für die Bereitung der Holzkohle. Es ist nicht bekannt, daß in der Gemarkung von Mengerskirchen je Eisen erzeugt wurde. Dem stehen auch nicht die Waldschmieden im Calenberg um die Wende des 15. Jahrhunderts entgegen Zwischen diesen und der Dillhäuser Eisenhütte, die einen hochwertigen Eisenstein in unmittelbarer Nähe hatte und den Erzvorkommen in Obershausen und Niedershausen mag allenfalls eine Verbindung bestanden haben. Das ist insoweit von Interesse, als die Löhnberger Hütte von dort mit Erz beliefert wurde, das sie zu Stabeisen verarbeitete, wie es die Nagelschmiede benötigten. So könnte die Löhnberger Hütte das erste Eisen für die Nagler von Mengerskirchen geliefert haben. Die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, insbesondere durch die Eisenbahn und der Ausbau der Hüttenbetriebe im Siegerland und im Dillgebiet führte dann zu einer Versorgung mit Eisen über den Handel aus den dortigen Produktionsgebieten. Als Großhändler fungierte u. a. eine seit 160 Jahren und heute noch bestehende Eisen- und Eisenwarengroßhandlung in Siegen Sie belieferte die Händler in Mengerskirchen, die ihrerseits die Nagelschmiede mit Eisen versorgten. Es handelte sich dabei um runden oder vierkantigen Walzdraht in etwa 5 bis 7 mm Stärke. In der Regel wurde der runde Draht für die rundeckigen Sohlennägel verwendet, während der Vierkantdraht der Herstellung von Stoßnägeln und ähnlichen Sorten diente. Der genannte Eisengroßhändler war auch Abnehmer von Nägeln, die über die Händler angeliefert wurden. Das Eisen (Draht) gab es in Rollen von etwa 50 Kilo oder im Gebund von 25 Kilo. Die Nagelschmiede sprachen von Ring- bzw. Bürdeneisen. Das Kilo kostete um 1914 herum 20 Pfennig. Der Transport des Eisens von dem Auslieferungslager des Großhändlers wird in erster Linie durch Mengerskirchener Pferdefuhrwerke erfolgt sein. Es gab um die Jahrhundertwende dort drei Fuhrbetriebe mit je einem Gespann von zwei Pferden. Ihre Namen waren Halm, Horn und Schäfer. Sie hatten recht beachtliche Lasten bei schlechten Landstraßen auf weite Strecken zu transportieren. Immerhin verbrauchten die Nagler von Mengerskirchen in einer Winterarbeitswoche neben den vier Tonnen Kohlen noch drei Tonnen Eisen. Auch ein Teil der 2,5 Tonnen hergestellter Nägel wurde von ihnen an die Großabnehmer gebracht. Die Eisenpreise waren im großen und ganzen stabil. In anderen Gegenden wie zum Beispiel im Raum Hermeskeil im Hunsrück kostete die Bürde Eisen (-25 Kilo) beim Händler, der sie für ungefähr 3,50 Mark einkaufte, nicht unter 5 Mark, aber manchmal auch 6 Mark und in einem Schneewinter 7 Mark. Aber auch die Händler in Mengerskirchen dürften nicht mit einer wesentlich anderen Handelsspanne gearbeitet haben. Eine Händlerin dort soll in einem Winter einmal an 1000 Bürden Eisen 1000 Taler (= 3000 Mark) verdient haben. Das war damals der Gegenwert von etwa 15 Milchkühen und ungefähr das Sechs- bis Siebenfache, was ein Nagelschmied mit durchschnittlicher Leistung in einem ganzen Jahr verdiente. Bis zum Ende der dreißiger Jahre lieferte übrigens auch ein Weilburger Eisenhändler Eisen an die Nagelschmiede von Mengerskirchen bei einem Preis von 25 Mark für 100 Kilo.

Während und nach dem ersten Weltkrieg war das Eisen zeitweilig knapp. Es kam daher ein Material zur Verarbeitung, das für das Schmieden von Nägeln meist recht ungeeignet war. Nur widerwillig wurde beispielsweise Eisendraht verwandt, der von den schweren Kabeln abgebauter Drahtseilbahnen stammte.

Absatz und Handel im Nagelschmiedegewerbe


Mehr als andere Handwerker waren die Nagelschmiede bei dem Absatz ihrer Erzeugnisse auf den Handel angewiesen. Während nämlich das Handwerk allgemein auf Bestellung unmittelbar für die Verbraucher arbeitete, produzierten die Nagler überwiegend für den Markt, was Zwangsläufig zu einer Einschaltung des Handels führte. Diese Tatsache hatte zwar Vorteile für die Nagelschmiede, aber auch Schattenseiten. Indessen hätte das Gewerbe nie den Umfang erreichen können, den es insbesondere im 19. Jahrhundert hatte, wenn nicht der Handel für einen weiträumigen Absatz gesorgt hätte.

Schon im 14. Jahrhundert brachte der Handel die vielfältigen Erzeugnisse des Schmalkaldener eisenverarbeitenden Gewerbes nach Frankfurt. Neben Waffen waren es u. a. Kleineisengeräte für Feld, Garten, Haushalt und Gewerbe. Die Nägel spielten damals dabei noch keine große Rolle.

In unserem Raum wird in den Anfängen des Naglergewerbes allerdings der Absatz der Nägel noch stärker durch den Nagelschmied selbst erfolgt sein, und zwar im Rahmen des Hausierhandels und durch die Erledigung von kleinen Aufträgen der Schuhmacher. Abnehmer waren vor allem auch die Bauern, die in jener Zeit ihre Schuhe teilweise im Hause herstellen ließen und sie auch selbst zu benageln pflegten. Diese Kunden hatten überdies auch Bedarf an Beschlagnägeln und ähnlichen für ihre landwirtschaftlichen Geräte. Aus dieser Absatzart entwickelte sich im Laufe der Zeit ein ausgedehnter Handel. Der Bedarf, insbesondere an Schuhnägeln, wuchs durch die Entwicklung im 19. Jahrhundert stark an und demzufolge wandten sich viele Erwerbstätige dem Naglergewerbe zu. Die Produktion nahm in einzelnen Gebieten einen fast unvorstellbaren Umfang an. Es wird berichtet, daß 1861 in der Hochwaldgegend des Landkreises Trier und des Kreises Merzig etwa 800 Personen Schuhnägel fertigten und bei gutem Betrieb jährlich mindestens 300 Millionen Nägel lieferten. Dem Absatz dieser Produktion war selbst der Handel nicht mehr gewachsen, so daß ernsthafte Absatzkrisen entstanden und die Nagler ohne Arbeit und Verdienst waren.

Überhaupt ist das Naglergewerbe schon frühzeitig, und zwar nicht zuletzt durch die Häufung von Betrieben in einzelnen Orten und Gegenden fast überall in Krisen geraten, die ein Eingreifen des Staates und der Öffentlichkeit verursachten. Im Raum Schmitten im Taunus stellte die Nassauische Regierung 1849 leihweise 3000 Gulden zur Errichtung von Rohstoffmagazinen zur Verfügung und im Jahre 1857 noch einmal 4000 Gulden für die Errichtung eines Nagelmagazins. Letzteres diente dazu, die Nagelschmiede in absatzschwachen Zeiten vor Not zu schützen, indem die Nägel durch das Magazin auf Lager genommen wurden. Mit den Einrichtungen versuchte man auch, eine Ausnutzung der Nagler durch einen rücksichtslosen Handel zu unterbinden. In dem schon genannten Hochwaldgebiet bildeten Nagelschmiede mit Unterstützung weltlicher und geistlicher Behörden Genossenschaften, deren Aufgabe es war, die Nagler zu günstigen Bedingungen mit Rohstoffen zu versorgen und durch Förderung des Absatzes die Arbeitsverdienste zu sichern. Auch in anderen Gegenden waren ähnliche Bestrebungen vorhanden. Nach 1870 spielte dabei der Absatz von Schuhnägeln an die Militärverwaltung eine große Rolle.

Die geschilderten Absatzschwierigkeiten scheinen in Mengerskirchen nicht so groß gewesen zu sein. Zwar kam es in den 70er Jahren zur Bildung einer Vereinigung, die durch Absatzförderung auf die Preise Einfluß zu nehmen suchte, von der man aber nur weiß, daß sie kein langes Leben hatte. Die in Mengerskirchen geschmiedeten Nägel sind auf vielfältige Weise an den Mann gebracht worden. Es scheint, daß der Handel schon recht frühzeitig an dem Absatz beteiligt war. Allerdings lag das Geschäft nicht in den Händen einiger größerer Händler, sondern an dem Vertrieb beteiligten sich auch kleinere Händler wie auch Hausierer. In der Blütezeit des Naglergewerbes, wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann, versorgten vier größere Händler vorwiegend den Großhandel, wozu u. a. ein Siegener Unternehmen gehörte, das die Nägel wohl in erster Linie in die westdeutschen Industrie- und Bergbaugebiete lieferte. Etwa zehn kleinere Händler belieferten Schuhmacher, Schuhmacherbedarfsgeschäfte und auch Private, insbesondere aber Bauern.


Während bei den größeren Händlern Pferdefuhrwerke den Transport der Ware an die Abnehmer besorgten, mußten die kleineren Händler die Nägel selbst austragen. Dabei schleppten sie schwere Lasten oft kilometerweit. Vereinzelt griffen sie auch zu Hilfsmitteln, die ihrer Situation gemäß waren. Der Großvater des Verfassers lieferte mit einem Hundefuhrwerk Nägel an der Aar, und zwar in die in der Nähe der Michelbacher Hütte liegenden Ortschaften. Der Weg dorthin betrug etwa 30 Kilometer. Schon in der Nacht mußte er sich mit seinem Hundegefährt in Marsch setzen, um in der darauffolgenden Nacht wieder zurück zu sein. Der Bedarf an Schuhnägeln in den genannten Orten mag mit durch die in der Michelbacher Hütte beschäftigten Arbeiter bedingt gewesen sein. Ein Händler namens Reifert versorgte seine Kunden im Raum Braunfels mit Hilfe eines Hundedoppelgespanns. Dort dürfte der Bedarf mit dem Erzbergbau in diesem Gebiet zusammenhängen. Die Handelsspanne dieser kleinen Händler war gering und lag zwischen 20 und 30 Pfennig bei 1000 Schuhnägeln.

In einigen Rheinorten boten die Nagelschmiede ihre Erzeugnisse auf Tischen vor ihren Häusern in Säckchen den Passanten an und hielten als Lockmittel noch Wecken (Milchbrote) und irdene Tabakpfeifen feil. Übrigens war wirtschaftlich gesehen für die Nagler am Rhein die Fertigung von Schiffsnägeln von großer Bedeutung.

Wie schon gesagt, hatte der Absatz der Nägel durch den Handel für die Nagelschmiede auch große Nachteile. Sie gerieten, zumal in Zeiten des Absatzmangels, vielfach in Abhängigkeit zu den Händlern. Das führte dann zu großen Mißständen. Aus dem Raum Schmitten wurde berichtet, daß ein Händler neben dem Nagelhandel auch noch einen Schnapsverkauf betrieb und Wert auf entsprechende Abnahme seiner Getränke durch die Nagler legte. Daneben lieferten manche Händler auch noch die Rohstoffe und andere Waren. In einem Bericht aus dem Hochwald in den neunziger Jahren wird errechnet, daß ein Händler an 60 Naglern durch Lieferung des Eisens und Abnahme der Nägel 150 Mark in der Woche verdiente, wobei nur ein Gewinn von zehn Pfennig pro 1000 Nägel zugrunde gelegt ist. Vielfach bekamen die Nagler kaum Bargeld in die Hand. Wörtlich wird berichtet: ,,Die Nagler kannten keine harten Taler mehr; dafür hatten wir in unseren Häusern ganze Lager an Kaffee, Reis usw. und Kleidungsstoffe aller Art. Die Frauen trugen großartige Mäntel, hatten aber freilich kein ganzes Unterkleid.' Wenngleich derart grobe Mißstände von den Mengerskirchener Nagelschmieden nicht berichtet sind, mögen doch auch hier bisweilen ähnliche Abhängigkeitsverhältnisse zwischen einzelnen Händlern und Naglern bestanden haben. Folgender Vorfall aus der Zeit des Dreiklassenwahlrechts mag die Situation erhellen: Ein Nagelschmied mit zehnköpfiger Familie nahm ebenso regen wie aktiven Anteil an kommunalpolitischen Streitfragen. Wie wohl alle Nagelschmiede gehörte er zu den "Drittklässlern", indes sein Händler zur zweiten, wenn nicht gar zur ersten Klasse zählte. Zwischen beiden kam es in einer gemeindlichen Frage zu einer Meinungsverschiedenheit, in deren Verlauf der Händler den Nagler unter Druck zu setzen versuchte, um ihn zur Aufgabe seines Standpunktes zu bewegen. Als dieser nicht einlenken wollte, nahm ihm der Händler kurzerhand keine Nägel mehr ab. Der Nagler mußte sich nach einem anderen Händler umsehen, der zugleich mit Rohstoffen und sonstigen Waren handelte. Dies wiederum nötigte den Nagler zum Warentausch, mithin zu weitgehendem Verzicht auf Bargeld. Er klagte bald darauf, daß er kein Geld mehr für das Schuhwerk seiner Familie aufbringen könne. Die Gewinnspannen, mit denen die größeren Händler in Mengerskirchen damals arbeiteten, sind heute nicht mehr zu ermitteln. Man wird aber davon ausgehen dürfen, daß sie mindestens so hoch waren wie bei den kleineren Händlern, die unter schwierigsten Umständen ihre Abnehmer belieferten. Das rechtfertigt die Auffassung, daß die größeren Händler aus ihrem Gewerbe, gemessen an dem, was die Nagelschmiede verdienten, ein beachtliches Einkommen hatten. Das ermöglichte ihnen auch, ihre Kinder gehobenen Berufen zuzuführen. Andererseits hatte die sicher vorhandene Kapitalkraft der Händler insofern einen Vorteil, als sie dadurch in der Lage waren, auch Nägel in absatzarmen Zeiten und bei großem Angebot vor allem in den Wintermonaten aufzukaufen und zu lagern. Es hat, soweit ersichtlich, ernsthafte Absatzkrisen im Nagelschmiedegewerbe in Mengerskirchen nicht gegeben. Das erhellt schon aus der Tatsache, daß beispielsweise vor 1914 ein kleinerer Händler seinen Bedarf in Mengerskirchen nicht decken konnte und Nägel aus dem Raum Hermeskeil bezog.

Die wirtschaftliche und soziale Lage der Nagler


Die Nagelschmiede von Mengerskirchen waren arme Leute. Indessen stellte für die meisten von ihnen das Handwerk nicht den einzigen Broterwerb dar. Viele betrieben noch eine kleine Landwirtschaft, so daß sie das Existenzminimum für sich und ihre Familie sichern konnten. Der eigene Grund und Boden reichte allerdings nur selten für einen solchen Betrieb aus. Vielmehr war man auf Pachtland angewiesen, das aus den Ländereien der Domäne und Pfarrei stammte. Für die Verpachtung der Domänengrundstücke gab es eine ungeschriebene Regelung, nach der die Pächter in bezug auf die unterschiedliche Grundstücksqualität anteilig berücksichtigt wurden. Interessant ist auch in diesem Zusammenhang, daß bei der Landumlegung vor 1914 das gute Domänenland In verhältnismäßig kleine Parzellen aufgemessen wurde, um möglichst viele Kleinbauern bei der Verpachtung berücksichtigen zu können.

Diejenigen Nagler, die keine eigene Landwirtschaft besaßen, hielten sich wenigstens 1 oder 2 Ziegen und bebauten einen Kartoffelacker. Wie groß der Kreis dieser Nagler war, ergibt sich aus der Tatsache, daß vor der Jahrhundertwende zu der Viehherde von etwa 300 Kühen und Rindern, die in der wärmeren Jahreszeit auf das Knotengelände getrieben wurde, auch etwa 70 Ziegen zählten. Der Kuhhirt war übrigens, wenn das Vieh nicht ausgetrieben wurde, auch Nagelschmied, denn die 20 Pfund Gerste als Hütelohn für ein Stück Rindvieh in einer Hütesaison reichte nicht zum Lebensunterhalt.

Trotz der harten Lebensbedingungen der Nagler ist aber auf Mengerskirchen nicht zutreffend, was ein Schriftsteller, der in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts den Westerwald kennenlernte, unter dem Kapitel ,,Das Land der armen Leute" schreibt, nämlich, daß im Westerwald in dem langen Winter das Schneeschaufeln der einzige Broterwerb gewesen sei; ein starker Schneesturm habe ihnen, den Westerwäldern, im Gemeinde- oder Staatswald Verdienst gebracht. Um einen Schneesturm sei gebetet worden. Gewiß brachte der größtenteils karge Boden nur geringe landwirtschaftliche Erträge und auch die dürftige Grasnarbe auf dem Knotengelände gab der verhältnismäßig großen Viehherde in den Sommermonaten meist unzulänglich Futter. Aber diese Nahrungsquellen waren eine gute Zugabe zum Erwerb der Nagler. Anderwärts fehlte eine solche vielfach. So bei den Naglern Isenburgs im Sayntal, die bis zu 80 Prozent ganz und gar auf die Einkünfte aus ihrem Gewerbe angewiesen waren. Immerhin war das Nagelschmiedehandwerk neben dem, was Grund und Boden hergaben, für die Nagler von Mengerskirchen von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Aber es war doch ein ,,saures" Brot, das durch das Gewerbe verdient wurde, denn die durch die Abnehmer gezahlten Preise für die Nägel lagen gar zu niedrig.

Die Preise für die einzelnen Nagelsorten waren verschieden; sie richteten sich vor allem nach Gewicht und Art der Nägel. Vor dem ersten Weltkrieg zahlte der Händler beispielsweise für tausend Zweipfünder runde Sohlennägel 1,20 Mark. Fünfpfünder kosteten 2,00 Mark und für tausend Siebenpfünder wurden 3,20 Mark gezahlt. Nun handelte es sich bei diesen Preisen nicht um Nettoverdienste, sondern davon waren vor allem noch die Ausgaben für Eisen und Kohle abzuziehen. So benötigte man für tausend Dreipfünder 1,5 kg. Eisen zuzüglich 0,5 kg Verlust, der bei der Anfertigung der Nägel eintrat. Insgesamt betrugen die Abzüge rund 45 Pfennig, so daß ein Reinverdienst von 85 Pfennig verblieb. Bei einer Tagesleistung von 1500 Stück waren das kaum 1,30 Mark. Tausend Siebenpfünder brachten 2,20 Mark und bei 1500 Tagesleistung etwas mehr als 3,00 Mark. Die Leistungen der einzelnen Nagelschmiede waren verschieden. Nicht die Länge der Arbeitszeit, die in der Regel 12 Stunden täglich betrug, gab den Ausschlag dabei, sondern die Fertigkeit und die Intensität, mit der die Arbeit ausgeübt wurde. Mithin waren auch die Einkommen unterschiedlich. Aber kein Nagelschmied hat es durch sein Handwerk zu Wohlstand gebracht. Vielmehr herrschte in den zumeist großen Familien mitunter bittere Not. Es ist erzählt worden, daß einmal ein Nagler kein Eisen mehr erwerben konnte und er in seiner üblen Lage das Eisen einer Zange zu Nägeln verarbeitete.

Die Preise für die Nägel sind seit Menschengedenken, wenn man von der Entwicklung, die während des ersten Weltkrieges einsetzte, absieht, immer gleich geblieben. Allenfalls hat es hin und wieder kleine Schwankungen gegeben, die aber kaum mehr als 5 Pfennig für das Tausend Nägel betrugen. Die Einkommensentwicklung der Nagler stand so im Gegensatz zu der allgemeinen Einkommensentwicklung bis zum ersten Weltkrieg, die eine stetige Steigerung zu verzeichnen hatte.

Schlimmer als die geringen Einkommen wirkte sich bei den Nagelschmieden das Fehlen jeder Vorsorge gegen die Wechselfälle des Lebens aus. Krankheit oder Tod in den Familien brachten bitterste Not. Wehe der Familie, die ihren Ernährer verlor. Die öffentliche Fürsorge war in solchen Fällen unzureichend. So erhielt, wie dem Verfasser bekannt ist, eine Witwe mit 4 Kleinkindern von der Gemeinde eine monatliche Unterstützung von 4 Mark. Schwerste Arbeit dieser Frau, die Mildtätigkeit der Mitmenschen und auch manchmal ein harter Bettelgang der Kinder ermöglichte der Familie überhaupt eine Existenz. In einem anderen Falle erhielt der durch eine Nervenkrankheit arbeitsunfähige Bruder eines Nagelschmiedes eine jährliche Unterstützung von 10,00 Mark aus der Gemeindekasse, worüber die Gemeindevertretung jeweils einen Beschluß herbeiführte.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zu Ende des 19. Jahrhunderts trat eine wesentliche Änderung in der Situation vieler Nagelschmiede ein. Diese gingen nämlich in der wärmeren Jahreszeit als Bauarbeiter vorwiegend in das westdeutsche Industriegebiet, um dort Geld zu verdienen. Aber auch dieser Umstand führte zu keinem Wohlstand, aber doch zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Nagelschmiede und ihrer Familie, Fleiß und Sparsamkeit in der Fremde, meistens mit einem kargen Dasein verbunden, ermöglichte es den Bauarbeitern, von ihrem Lohn für die damalige Zeit nicht unerhebliche Beträge für ihre Angehörigen in der Heimat zu erübrigen. Im Winter brachte das Nagelschmiedegewerbe dann soviel ein, daß man sich damit über Wasser halten konnte. Bauarbeiter anderer Westerwälder Orte, die im Winter keine Verdienstmöglichkeiten hatten, machten dann Schulden, die sie im darauffolgenden Sommer wieder abtragen mußten. Das blieb den Nagelschmieden von Mengerskirchen erspart.

Das auslaufende Gewerbe


Das Gewerbe der Nagelschmiede erlag wie so manches andere Handwerk der Technik. Schon um das Jahr 1800 tauchten in Amerika und England die ersten Maschinen zur Herstellung von Nägeln auf. Es steht fest, daß auch in Deutschland bereits 1856 Drahtstifte auf maschinellem Wege gefertigt wurden. In einem Betrieb am Mittelrhein wurde um 1900 eine Nagelfabrik errichtet, die bis zum Ende des ersten Weltkrieges vor allem Schuhnägel für das Militär herstellte.

In diesen Zeitraum fällt der entscheidende Rückgang des Nagelschmiedegewerbes. In Mengerskirchen hat es sich wohl am längsten behauptet. Die Ursachen hierfür liegen in der besonderen wirtschaftlichen Situation der dortigen Bevölkerung in jener Zeit und vor allem in dem Mangel an geeigneten sonstigen Verdienstmöglichkeiten. Hingewiesen sei auch auf den Umstand, daß verschiedene Verbraucher und insbesondere die Schuhmacher dem handgeschmiedeten Nagel den Vorzug vor dem maschinell gefertigten Nagel gaben. Indessen gaben verschiedene Ereignisse, die nicht auf gewerblichem Gebiet liegen, nach der Jahrhundertwende dem Gewerbe zeitweilig noch einmal Auftrieb.


Der allgemeine Warenmangel während des ersten Weltkrieges machte sich auch bei Schuhnägeln bemerkbar. Dieser Umstand war nicht ohne Einfluß auf die Preise. Besondere Bedeutung hatte dabei der Bedarf an Nägeln für die Schuhbekleidung der Gebirgstruppe. Ein Großhändler aus Limburg trat mit einem Mengerskircher Nagelschmied in Verbindung, von dem er dann auch diese Nägel, die sogenannten "Hundsohren", bezog. Das Geschäft in dieser Nagels orte weitete sich sehr bald aus und führte auch zu höheren Preisen für die anderen Nägel. Unmittelbar nach Kriegsende setzte dann durch die zurückkehrenden Kriegsteilnehmer eine große Produktion von Schuhnägeln ein, die zu einem Überangebot führte. Das veranlaßte die Händler, die während des Krieges gestiegenen Preise wieder herunterzusetzen.


Dem suchten sich die Nagelschmiede durch die Bildung eines Nagelschmiedevereins zu widersetzen. Vorsitzender dieses Vereins wurde der vormalige Küster und Nagelschmied Josef Hilpisch; zum Kassierer wählte man den Nagelschmied und späteren Gemeinderechner Weinand Leuninger. Der Verein suchte eine eigene Absatzorganisation zu schaffen, um die Nagelschmiede gegenüber den Händlern unabhängig zu machen und auf die Preise Einfluß zu gewinnen. Jedoch blieb diesen Bemühungen ein ins Gewicht fallender Erfolg versagt. Der Nagelsschmied Johannes Bär, der als Vertreter des Vereins Kundschaft zu gewinnen suchte, mußte diese Tätigkeit nach etwa einem halben Jahr wegen nicht ausreichenden Erfolges wieder aufgeben. Inzwischen hatte auch die Begeisterung für die Sache nachgelassen und die Nagelschmiede suchten teilweise wieder stärkere Verbindung zu den alten Händlern. Außerdem schalteten sich einige jüngere Händler ein, die den Absatz belebten. Diese Tatsache, so scheint es, war für den weiteren Bestand des Nagelschmiedegewerbes in Mengerskirchen von Bedeutung.


Die jungen Händler vertrieben alle Sorten Schuhnägel. Der Absatz erfolgte vorwiegend an die Schuhmacherbedarfsgeschäfte, an die Schuhmacher direkt und auch an Großhändler. Zu ihrem Absatzgebiet gehörte in erster Linie die Lahngegend von Limburg bis Gießen, der Westerwald mit den Städten Herborn, Dillenburg und Haiger. Vereinzelt erfolgten auch Lieferungen bis nach Waldbröl und in den Raum von Hagen. Ein Haigerer Großhändler setzte die Nägel im Ruhrgebiet ab.


Das Nagelschmiedegewerbe ging aber immer mehr zurück, obwohl die Preise für Schuhnägel in die Höhe gegangen waren. Nach der Währungsreform im November 1923 zahlte der Händler beispielsweise für tausend Dreipfünder 2,20 Mark. Andere Sorten hatten entsprechend höhere Preise. Die Handelsspanne lag damals bei etwa 40 Pfennig für tausend Nägel. Nach 1933 entstand infolge der militärischen Aufrüstung noch einmal ein größerer Bedarf an Nägeln für das Schuhwerk der Gebirgstruppe. Der Nagelschmied erhielt 8,50 Mark für 1000 Stück dieser Spezialnägel.

Während bis 1930 noch etwa 40 Personen mit der Herstellung von Schuhnägeln beschäftigt waren, von denen einige das Gewerbe ganzjährig ausübten, wurden es nach dieser Zeit immer weniger, und um 1937/38 verstummte das eifrige Hämmern der Nagelschmiede in Mengerskirchen ganz. Zwar hofften manche, die politische Umwälzung von 1933 bringe auch das Nagelschmiedegewerbe wieder zur Blüte. Auf einer Messe in Wetzlar, Mitte der dreißiger Jahre, hatte der Nagelschmied Josef Schlicht aus Mengerskirchen eine Werkstatt aufgeschlagen, an der ein Transparent prangte mit den Worten: "Ein fast vergessenes Handwerk blüht wieder auf." Die Entwicklung ging jedoch entgegengesetzt. Aber damals glaubten viele Leute, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können. Allerdings erstand das Gewerbe in Mengerskirchen noch einmal, und zwar als Folge der Politik nach 1933, kurz zu neuem Leben. Der völlige Zusammenbruch 1945 führte zu den sonderbarsten Vorgängen. Der starke Warenmangel brachte Gewerbe zur Blüte, die längst untergegangen zu sein schienen. So war es auch mit dem Naglergewerbe. Die Bevölkerung litt hinsichtlich der Fußbekleidung große Not und insbesondere derjenige Teil, der auf schweres Schuhwerk angewiesen war. Nägel als Sohlenschutz gab es nicht. Da besannen sich die Nagler ihres alten Berufes und machten noch einmal Nägel. Aber nicht für Geld das früher so rar bei ihnen war und nun so wenig bedeutete. Die Nagler "gingen mit der Zeit" und machten "Kompensationsgeschäfte" mit ihren Nägeln. Lebensmittel, und insbesondere Fett, waren beliebte Tauschgegenstände. Für 1000 Schuhnägel gab es zum Beispiel 2 Pfund Speck. Selbst Ferkel wurden auf diese Weise erworben.

Eine große Rolle spielten bei diesen Geschäften auch Baustoffe und vor allem Zement Vielen Betrieben fiel es damals schwer, Arbeitskräfte zu bekommen. Durch Schuhe und Bekleidung war es eher möglich. Wertvoll dabei waren mit Nägeln beschlagene Schuhe. Ein Nagler von Mengerskirchen lieferte an ein Unternehmen, das an der Krombachtalsperre Arbeiten ausführte, Nägel für die Schuhe der Arbeiter. Lieferbedingungen: Zwei Zentner Zement für tausend Nägel. Unter ähnlichen Umständen lieferte ein Nagelschmied von ihm verfertigte Eisenstifte an einen Betrieb der Eisenverhüttung. In dieser Zeit hausierte auch ein Händler aus Mengerskirchen mit Notkettengliedern bei den Bauern, die von Nagelschmieden hergestellt waren.

Die mit der Währungsreform 1948 eintretende Normalisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse brachte das Naglergewerbe schnell völlig zum Erliegen. Die Werkstätten wurden abgebaut und ein Gewerbe hörte zu bestehen auf, das in Mengerskirchen vielen Menschen über Generationen hinaus zwar keine Reichtümer beschert, ihnen aber ein Existenzminimum ermöglicht hatte.

Quellenhinweise:


Hörpel, Mengerskirchener Chronik, Sonderdruck aus "Land und Leute im Oberlahnkreis", Verlag H. Hirschhäuser.
Jakobi, Nassauisches Heimatbuch, Wiesbaden 1913.
Heyn, Der Westerwald und seine Bewohner von den ältesten Zeiten bis heute, 1893, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 1. Band 1883, 3. Band 1899; Verlag Dunker und Humbolt, Leipzig.
Lohse, 600 Jahre Schmalkaldener Eisengewinnung und Verarbeitung, Meiningen, 1965.
Schmitt, Die Nagelschmiede des Ostrachtales, Verlag Oldenbourg, München, 1957.
Schubert, Vom Ursprung und Werden der Buderus'schen Eisenwerke Wetzlar, Teil 1, Verlag Bruckmann, München, 1938.
Heimatblatt und Geschichtschronik, Beilage zur "Neuwieder Zeitung", 8. Jahrgang, Nr. 3.
Smith,1776, Untersuchungen über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes, ins Deutsche übertragen v. Stöpel, Verlag Prager, Berlin, 1905.