Herbert Leuninger ARCHIV ASYL
1985

20. März 1985
Überlegungen zu einer Aufgabe als "Asylantenpfarrer"

INHALT
Es geht darum, mit einer bestehenden christlichen Gruppe unmittelbar zusammen- zuarbeiten, vorhandene Gruppen im Rhein-Main-Gebiet theologisch und konzeptionell zu unterstützen, die Bildung neuer (christlicher und ökumenischer, offener) Gruppen zu fördern, ihre Zusammenarbeit zu verstärken und ihren Einfluß auf eine allmähliche Bewußtseinsänderung in Kirche und Gesellschaft zu erhöhen.

I Zur Situation

In Schwalbach am Taunus befindet sich die Gemeinschaftsunterkunft für ausländische Flüchtlinge des Landes Hessen. Sie hat mit ihren 500 Plätzen die Funktion einer zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber. Ausländische Flüchtlinge, die über den Flughafen Frankfurt/Main einreisen oder sich erstmals bei den Ausländerpolizei-Behörden melden, werden von dort nach Schwalbach weitergeleitet. Nach einer Vorprüfung ihres Asylantrags und einem Aufenthalt von mehreren Monaten werden sie nach einem entsprechenden Gesetz auf die Kreise und Kommunen des Landes verteilt.

Für dieses Lager besteht seit Jahren bei der Pfarrei Christ-König, Eschborn ein sehr aktiver Arbeitskreis. Ich halte seit seinem Bestehen mit ihm Verbindung. Erst kürzlich hat der Kreis sich mit einem umfangreichen Forderungskatalog an den Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars in Bonn gewandt.

Bisher sind im Main-Taunus-Kreis nur die Städte Hofheim, Hochheim, Hattersheim und Kelkheim zu ihrer Unterbringung von Asylbewerbern herangezogen worden. (Es dürfte sich um 150 bis 200 Personen handeln).

Weitere Kommunen folgen jetzt, da die Zahl der Asylbewerber zugenommen hat. (Der Kreis muß in 1985 500 Asylbewerber zusätzlich aufnehmen.) Im Rahmen einer restriktiven Asylpolitik und einer öffentlich kultivierten Fremdenangst wachsen die Widerstände in der Bevölkerung, allerdings auch die Bereitschaft, sich für die Anliegen der Flüchtlinge einzusetzen.

II Die christliche Herausforderung

Die Anwesenheit der Flüchtlinge in den Gemeinden, ihre Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, das Arbeitsverbot und ihre Isolierung stellen für sensible Menschen und Gruppen eine Herausforderung dar, die wegen der unmittelbaren Nähe und Kontaktmöglichkeit in vielen Fällen zu einer Solidarisierung führt. Es kommt durch persönliche Kontakte und die Konfrontierung mit einzelnen Fluchtschicksalen zu einer tiefen Betroffenheit, die christlich verarbeitet werden will.

Die Ansprechbarkeit für diese Not ist besonders bei Christen gegeben, die von sich aus aktiv werden können und leicht aktivierbar sind. Die Mehrheit der Pfarrmitglieder dürfte schwerlich ansprechbar sein, weil sie kaum in der Lage ist, das politische, in den Massenmedien vermittelte Bild des Flüchtlings und seine Behandlung im Rahmen eines Abschreckungskonzepts zu hinterfragen.

Bei dem ansprechbaren Teil handelt es sich nach meiner Erfahrung um Menschen und Christen, die einen festen gesellschaftlichen Status besitzen und beruflich einigermaßen gesichert sind. Von ihrer Ausbildung her sind sie in der Lage, analytisch und kritisch auf ihre Umwelt und auch auf die öffentliche Meinung zu reagieren, verfügen über zeitliche, physische und psychische Reserven, um sich auf ein kontaktintensives, aber auch konfliktorientiertes Engagement einzulassen. Sie verstehen sich auch darauf, ihre Vorstellungen in einer Gruppe und in der Öffentlichkeit zu artikulieren. Die besondere Bedeutung dieses Personenkreises, der zumeist sehr stark vom Christlichen her motiviert ist, muß für eine langfristige Veränderung des Klimas gegenüber den Flüchtlingen als hoch veranschlagt werden.

Diese Einschätzung beruht auf Erfahrungen, die ich im Raum der Bezirke Main-Taunus und Hochtaunus mit verschiedensten Gruppen und Menschen gemacht habe. Vor allem konnte ich wichtige Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit einer Pax-Christi -Gruppe in Hofheim sammeln, die sich auf eine Partnerschaft mit den in Hofheim lebenden Flüchtlingen eingelassen hat und diese in einem christlichen Gemeinschaftsgeist zu pflegen sucht.

III Zu einer neuen Aufgabe

Ich möchte mich diesem Bereich so widmen, daß er für mich als Christ der Schwerpunkt meines künftigen Lebens wird.

Meine Aufgabe würde ich vor allem darin sehen, mit einer christlichen Gruppe unmittelbar zusammenzuarbeiten, bestehende Gruppen im Rhein-Main-Gebiet theologisch und konzeptionell zu unterstützen, die Bildung neuer (christlicher und ökumenischer, offener) Gruppen zu fördern, ihre Zusammenarbeit zu verstärken und ihren Einfluß auf eine allmähliche Bewußtseinsänderung in Kirche und Gesellschaft zu erhöhen. Auch kommt es mir darauf an, das Anliegen der Flüchtlinge in den Zusammenhang der Friedensarbeit zu stellen.

Die unterschiedliche Religionszugehörigkeit der Flüchtlinge und die Respektierung ihrer religiösen Anliegen verlangen eine hohe Sensibilität. Kirchliche Solidarität auf diesem Gebiet, nicht zuletzt auch gegenüber christlichen Gläubigen, muß nachhaltig initiiert und gefördert werden.

Meine theologische und theoretische Befassung ergibt sich daraus, daß ich den ersten Entwurf der "Erklärung des Vorsitzenden der Kommission Weltkirche, Bischof Dr. Franz Hengsbach (Essen), zu bedenklichen Entwicklungen bei der Behandlung von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland" vom 17.9.1980 verfasst und auch das Grundsatzreferat von Weihbischof Wöste "Auf der Seite der Flüchtenden, Kirche, Caritas - und Asylbewerber" anläßlich der Tagung des Deutschen Caritasverbandes im September 1981 in Freiburg formuliert habe. Ich bin seit Jahren Mitglied der ad-hoc-Gruppe "Asyl", die im Auftrag der Bischofskonferenz unter der Leitung von Weihbischof Wilhelm Wöste beim Kommissariat der Deutschen Bischöfe in Bonn besteht.

Zum Caritasverband und seinen Mitarbeitern im Asylbereich bestehen sehr gute Kontakte. Sie haben u.a. dazu geführt, daß ich seit 1984 ein Einführungsreferat auf der Tagung des DCV "Lebenshilfe für Asylbewerber" über "Kirchliche Einflußnahme auf das Asylklima" gehalten habe und zu Regionalkonferenzen eingeladen werde. In Kontinuität mit meiner bisherigen Tätigkeit (als Referent für Katholiken und Mitbürger anderer Muttersprache im Bischöflichen Ordinariat Limburg) sehe ich auch hier meinen möglichen Beitrag in der kirchlich-theologischen Begründung und Motivierung.