Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL
2001

26. August 2001
Foto-Serie - Frankfurter Rundschau

Zur Verabschiedung von Flüchtlingspfarrer Gerhard Mey(*) in den Ruhestand

(*) Seelsorger in der Hessischen Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge Schwalbach Ts.

Als ich in einer Wachphase heute Nacht überlegte, was ich zur Verabschiedung von Pfr. Mey sagen sollte, strömten viele Gedanken auf mich ein. Ich dachte dann, mich auf den ökumenischen Aspekt seines Dienstes zu beschränken.

Dabei erinnere ich mich, daß ich 1991 hoch erfreut darüber war, daß die Hessen-Nassauische Landeskirche die Seelsorgerstelle in der HGU geschaffen hat. Dies war ein wichtiger Beitrag, um die Kontinuität und Stabilität einer Arbeit zu gewährleisten, die vor allem durch den Eschborner Asylarbeitskreis unter Leitung von Patricio Aravena eine große Verantwortung für das Hessische Aufnahmelager übernommen hatte. Es gehört zu den guten Erfahrungen, die ich als Sprecher von PRO ASYL gemacht habe und immer noch mache, wenn ich zu Vorträgen durch’s Land toure, daß die Evangelische Kirche mit hauptamtlichen Stellen das Rückgrat der Solidartitätsbewegung für Flüchtlinge gebildet hat. Die starke Vernetzung dieser Bewegung in den Bundesländern und auf Bundesebene wäre ohne diesen Beitrag kaum möglich gewesen. (Dazu kamen selbstverständlich auch noch die Stellen der kirchlichen und sonstigen Wohlfahrtseinrichtungen).

Die Evangelische Kirche hat in der Flüchtlingsarbeit ihren besonderen Rang. Das zeigt sich auch, wie es eine Studie kürzlich unterstrichen hat in der Gewährung von Kirchenasyl. Es sind wesentlich mehr evangelische als katholische Gemeinden daran beteiligt. Warum? Die Verfasserin der Studie meint, es läge an der katholischen Hierarchie, was ich allerdings bezweifle. Ich sehe den Grund vielmehr darin, daß die Katholiken stärker als die Protestanten zur CDU und CSU und deren Asylpolitik neigen.

1991 habe ich es dann sehr begrüßt, daß Gerhard Mey als ein gestandener sozialer Theologe das neu geschaffene Amt übernahm. Und ich möchte vor allem heute seine ökumenische Haltung rühmen, die ihn befähigte, das ökumenische Umfeld, das um das Schwalbacher Flüchtlingslager entstanden war, ganz ernst zu nehmen, die dort bereits vorhandenen Initiativen aufzugreifen, zu fördern und eigenständig zu beeinflussen. Das bezieht sich nicht nur, aber vor allem auch auf die ökumenischen Gottesdienste, die in der Wahrnehmung des christlichen Verantwortung eine herausragende, und wie es mir scheint, in der Bundesrepublik einmalige Rolle gespielt haben. Dabei war es nicht leicht, immer die ökumenische Paarung zustande zu bringen. Priestermangel und Gottesdienstordnungen der katholischen Seite haben dies sehr erschwert.

Die ökumenischen Gottesdienste im Lager gehören zu meinen wichtigsten Erfahrungen. Hier habe ich immer gespürt, wofür Kirche da ist, wie sehr sie eine weltumspannende Einrichtung sein kann, und wie gerade hier der Platz für Christen ist. Dabei habe ich die Erkenntnis gewonnen, daß Konfessionalität mit ihrer eigenen Geschichte und Tradition kein Hindernis für die Ökumene ist, sondern im Gegenteil, eine große Bereicherung. Die unterschiedlichen biblischen Auslegungen und Gottesdienstformen, die jeweils eigenen Akzente haben hier geradezu ökumenische Funken geschlagen.

Und dazwischen Gerhard Mey, entweder selbst als mitwirkender Pfarrer oder als guter Geist im Hintergrund, polyglott, bibel- und religionskundig und immer auf dem neuesten Stand, was Herkunft und Hintergrund der gerade im Lager lebenden Flüchtlinge betraf. Dies alles in einer großen Ruhe und mit der Fähigkeit, auf die einzelnen Menschen und ihre Nöte einzugehen. Durch ihn konnten die Flüchtlinge aus allen Teilen der Welt erleben, daß der Gott der Christen offensichtlich ein menschenfreundlicher und den Nöten der Menschen naher Gott ist. Immer wieder ist aus diesem Ansatz auch die politische Intervention erwachsen, die die Kirche zum Anwalt der Menschen macht, die sich in einer Gesellschaft wie der unsrigen kein Gehör verschaffen können. Diese Verbindung von ökumenischem Geist und politischem Handeln ist in diesem Lager und mit Pfr, Mey eine Grundkonstante gewesen.

Was ich an meinem Kollegen besonders bewundert habe, ist die Tatsache, daß er es 10 Jahre lang in diesem Zentrum menschlicher Not und politischer Eiseskälte ausgehalten hat. Täglich hierher zu kommen und zu wissen, daß Gesetz und Recht gegen die Flüchtlinge gerichtet sind, daß wirkliche Hilfe nur selten möglich ist, daß der wichtigste Dienst eines Christen hier vielleicht nur die liebenswürdige Zuwendung sein kann, das muß durchgestanden werden. Ich weiß nicht um seine Kraftquellen, habe aber den Eindruck, daß seine liebe Frau Claire eine wichtige Partnerin war, die ihn in seinem Engagement gestützt hat. Dies leite ich nicht zuletzt von der Tatsache ab, daß sie ihn immer wieder nach Schwalbach begleitet hat, um an den Gottesdiensten teilzunehmen.

Nach der Pensionierung erst einmal für eine begrenzte Zeit in ein Zisterzienserkloster zu gehen, auf eine solche Idee muß man erst einmal kommen, als evangelischer Pfarrer. Aber etwas Meditatives hatte Gerhard Mey ja an sich, wenn er sorgsam an seiner Pfeife sog. Karl Barth hat den pfeiferauchenden Theologen sehr von dem unterschieden, der Zigarren oder gar Zigaretten raucht. Der Theologe mit der Pfeife, das ist für ihn der kreativ nachdenkliche Mensch. Und wenn ich Karl Barth erwähne, dann auch sein Vorwort zur Doktorarbeit von Hans Küng. Wenn Küng damit Recht habe, daß die Rechtfertigungslehre Luthers und die des Konzils von Trient nicht kirchentrennend sei, dann müsse er nach Trient gehen und bekennen: patres peccavi, meine Konzilsväter, ich habe gesündigt.

Ich selbst habe Küng an dieser Stelle seit 45 Jahren ganz ernst genommen und habe ihn in der ökumenischen Asylarbeit mehr als bestätigt gesehen, nicht zuletzt durch meinen Freund und Zisterzienserfan Gerhard Mey.