Herausgegeben von

PRO ASYL

mit Unterstützung von:

Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V.
Bundesarbeitsgemeinschaft »Asyl in der Kirche «
Deutscher Caritasverband e. V., Abt. Migration
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Gesamtverband e. V.
DGB Bundesvorstand, Referat Migration
Diakonisches Werk in Hessen und Nassau, Ökumenische Diakonie
Ev. Frauenarbeit in Deutschland e. V.
Ev. Kirche von Kurhessen - Waldeck, Arbeitsstelle für den Dienst in den    Gemeinden an Ausländern, Aussiedlern, Asylsuchenden
Ev. Kirche der Pfalz, Der Ausländerbeauftragte
Ev. Kirche im Rheinland
Humanistische Union e. V.
Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau
Pax Christi, Internationale Friedensbewegung - Deutsche Sektion
terre des hommes Bundesrepublik Deutschland e. V.
Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e. V.

(Stand: 6. Mai 1998)

animierte Folien (Serie)

D urch die Grundgesetzänderung vom 26. Mai 1993 wurde das Grundrecht auf Asyl weitgehend abgeschafft. PRO ASYL und eine Reihe anderer Institutionen wie Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, UNHCR u. a. haben sich entschieden dafür eingesetzt, daß das Grundrecht auf Asyl in seiner ursprünglichen Fassung erhalten bleibt.

D ie Wiederherstellung von Art. 16 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz bleibt verfassungspolitisch geboten, da durch den neuen Artikel 16a Grundgesetz der individuelle Asylrechtsanspruch durch die Einführung des Konzepts »sicherer Drittstaaten« weitgehend abgeschafft worden ist. Doch gleich wie die Bundestagswahl ausgeht: Eine verfassungsändernde Mehrheit zur Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl ist nicht in Sicht. Trotzdem müssen die verbliebenen Möglichkeiten genutzt werden, um Flüchtlinge zu schützen. Deshalb haben für PRO ASYL die im folgenden dargestellten Forderungen Priorität.

D ie Grundgesetzänderung vom 26. Mai 1993 solle die »Singularisierung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen«, so der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU, Dr. Wolfgang Schäuble, am Tag der Grundgesetzänderung im Deutschen Bundestag. Der grundrechtliche Schutz für politisch Verfolgte müsse »an das Niveau der Schutzgewähr der internationalen Staatengemeinschaft, wie es in der Genfer Konvention seinen Ausdruck findet« angepaßt werden. (Folie:Harmonisierung 1) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil vom 14. Mai 1996 dieses Asylrecht als verfassungskonform bestätigt. Mit der Grundgesetzänderung sei »eine Grundlage geschaffen, um durch völkerrechtliche Vereinbarungen eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den beteiligten Staaten zu erreichen«. Das Gegenteil dessen, was Politik und Verfassungsgericht hier verkünden, ist wahr: Deutschland versucht sich zunehmend von den bisher anerkannten Standards des internationalen Flüchtlingsschutzes zu lösen.

N ach dem Abbau des Grundrechts auf Asyl sind die nächsten Angriff spunkte die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention. Beide kommen nur noch eingeschränkt in Deutschland zur Geltung. 1993 wurde das Asylrecht angeblich geändert, um ein europäisches Asylrecht zu schaffen. Jetzt ist die Bundesrepublik die Vo rre iterin bei der Demontage des internationalen Flüchtlingsrechtes. Bis heute hat die Bundesregierung keinen Vorschlag für ein einheitliches europäisches Asylrecht, das politisch Verfolgte wirksam schützt, auf europäischer Ebene v o rgelegt. Bisher gibt es vor allem eine europäische Asylpolitik, die auf die Abwehr von Flüchtlingen gerichtet ist. Vergleichbare Verfahrensregelungen oder gar ein gemeinsames materielles Asylrecht gibt es nicht.

D ie Dublin- und Schengen- Abkommen haben im europäischen Bereich nur Verfahrens- und Zuständigkeitsregelungen gebracht. Sie sind jedoch nicht in den Bereich des materiellen Asylrechts vorgedrungen. Da alle EU- Staaten prinzipiell ein Asylrecht anerkennen und sich zur Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet haben, ist die Forderung, ein solches materielles europäisches Asylrecht zu schaffen, nicht so weltfremd wie manchmal dargestellt. PRO ASYL fordert von der neu zu wählenden Bundesregierung unmittelbar nach der Bundestagswahl Initiativen zur Schaffung eines verbindlichen europäischen Rechts. Hierbei sind die bislang anerkannten Standards des internationalen Flüchtlingsrechtes, die Empfehlungen des Europarates aus dem Jahre 1981 und die Auslegung dieser Standards durch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) zu berücksichtigen. Aus dem Bereich der Nichtregierungsorganisationen gibt es Vorschläge des Europäischen Flüchtlingsrates ECRE, die ebenfalls als Grundlage dienen können.

D amit dieses Vorhaben nicht auf die lange Bank geschoben wird und sich die Politik nicht mit dem Hinweis auf die angeblich so langwierigen internationalen Prozesse entlasten kann, fordern wir konkrete Schritte vom nationalen Gesetzgeber, dem Deutschen Bundestag.

O berste Priorität hat für PRO ASYL, daß die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention wieder uneingeschränkt in Deutschland Geltung erlangen. Wir erwartenvom neuen Bundestag und der neuen Bundesregierung - gleich welcher Zusammensetzung -, daß sie folgende Mindestanforderungen zum Schutz von Flüchtlingen umsetzen:

1. Rückkehr zu den internationalen Standards im Flüchtlingsrecht

a ) Das Non- Refoulement- Gebot der Genfer Flüchtlingskonvention muß auch in Deutschland wieder praktisch angewandt werden. Die Abschiebung in einen Drittstaat ist einstweilen auszusetzen, wenn die Gefahr einer Kettenabschiebung nicht ausgeschlossen ist. Dies impliziert die Einf ü h rung eines einstweiligen Rechtsschutzes.

b ) Der Schutz durch § 51 AuslG, der den Flüchtlingsbegriff der GenferFlüchtlingskonvention aufgreift, darf nicht von der Existenz einer staatlichen oder staatsähnlichen Ordnungsmacht abhängig gemacht werden.

c) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention ist als verbindlich zu akzeptieren. § 53 AuslG ist dementsprechend zu ändern. Abschiebungsschutz muß auch dann gewährt werden, wenn keine staatliche Gewalt existiert .

d ) Familienasyl im Sinne von § 26 AsylVfG wird auch denjenigen Ehegattinnen, Ehegatten und Kindern gewährt, die über einen sogenannten sicheren Drittstaat eingereist sind. Der Familiennachzug für Konventionsflüchtlinge wird, wie von UNHCR geford ert, ermöglicht.

e) Eine Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen muß entsprechendder Beschlüsse des Exekutivkomitees des UNHCR und der Beschlüsse der Frauenministerinnenkonferenz vom 25./ 26. Juni 1997 im Asylverfahren berücksichtigt werden. Eine entsprechende Klarstellung muß in § 51 AuslG erfolgen.

2. Das sogenannte Flughafenverfahren ist ersatzlos zu streichen.

3. Verbesserungen im Verfahrensrecht

Für ein schnelles, faires und zugleich rechtsstaatlich einwandfreies Asylrecht fordert PRO ASYL Verbesserungen im Verfahrensrecht .

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat eine umfassende Sachaufklärung durchzuführen. Die Einzelentscheiderinnen und -entscheider haben durch entsprechende Nachfragen Klarheit zu schaffen. Widersprüche sind den Asylsuchenden mitzuteilen und durch Nachfragen bei der Anhörung zu klären. Bezweifeln Einzelentscheiderinnen und -entscheider Angaben, muß ausdrücklich nach Beweismöglichkeiten gefragt werden.

Das Amt des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist abzuschaffen.

Der besonderen Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge istRechnung zu tragen, indem dem Asylverfahren ein »Clearingverfahren« vorgeschaltet wird.

Der besonderen Situation von Folteropfernund aus geschlechtsspezifischen Gründen verfolgten Frauen muß Rechnung getragen werden, indem ein sogenanntes »nachträgliches Vorbringen« nicht mehr als »gesteigertes« und somit unglaubwürdiges Vorbringen gewertet wird . Stellungnahmen unabhängiger Sachverständiger (Fachärztinnen und -ärzte, Psychologinnen und Psychologen, Sozialpädagoginnen und pädagogen insbesondere der Psychosozialen Behandlungszentren für Flüchtlinge und Folteropfer) sind zu berücksichtigen.

Eine unabhängige Verfahrensberatungmuß gesetzlich verankert und in erreichbarer Nähe zu allen Außenstellen des Bundesamtes installiert werden.

Die wissenschaftlich unseriösen »Sprachanalysen« in Fällen, in denen das Herkunftsland angeblich zweifelhaft ist, sind als unzuverlässig e inzustellen. Bisher entscheidet das Bundesamt oft ohne ausreichende Sachaufklärung in fahrlässiger Eile. Die Folge ist ein Verfahrensstau vor den Gerichten. Unsere Vorschläge werden dazu führen, daß Asylverfahren sowohl sorgfältiger als auch insgesamt schneller als bisher durchgeführt werden.

4 . Ein effektiver Rechtsschutz

im gerichtlichen Verfahrenmuß wieder hergestellt werden. Im Eilverfahren muß ein Antrag auf Zulassung der Beschwerde eingeführt werden.

5. »Altfallregelung«

Die Justiz wird durch eine »Altfallregelung« entlastet. Ausländerinnen und Ausländern, deren Verfahren seit dem 14. Mai 1996 (Datum des Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts) anhängig sind und deren Verfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Änderung noch gerichtlich anhängig sind, wird eine Aufenthaltsbefugnis erteilt.

Überdieswird aus humanitären Gründen eine Altfallregelung für Flüchtlinge (auch solche ohne Status), die länger als 5 Jahre in Deutschland sind (z. B. Flüchtlinge aus Bosnien- Herzegowina, Restjugoslawien), erlassen. Ihnen ist eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.

6. Härtefallregelung im Ausländergesetz

In § 55 Abs. 4 AuslG müssen Spielräume für humanitäre Entscheidungen in Einzelfällen geschaffen werden. Eine Härtefallklausel ist einzufügen. In einem solchen gesetzlichen Rahmen können Härtefallkommissionen gebildet werden.

7. Abschiebungshaft

Die monatelange, bis zu 1 1/2 Jahren dauernde Abschiebungshaft ist abzuschaffen. Für einen demokratischen Rechtsstaat ist es völlig ausreichend, Abzuschiebende kurzfristig und vorübergehend festzuhalten, wenn die Abschiebung anders nicht gesichert werden kann.

8. Soziale Situation von Flüchtlingen

Das Asylbewerberleistungsgesetz ist ersatzlos abzuschaffen. Die sozialrechtliche Sonderbehandlung von Flüchtlingen ist zu beenden. Weder die Unterbringung in Lagern, noch Arbeitsverbote, noch die Sonderbehandlung durch das Asylbewerberleistungsgesetz sind mit Menschenrechtsstandards zu vereinbaren. Asylbewerbern ist - wie anderen auch - prinzipiell eine Erwerbstätigkeit zu gestatten und die Führung eines eigenverantwortlichen Lebens zu ermöglichen. Ist der Betreffende hierzu nicht imstande und bedarf er öffentlicher Mittel, hat er diese - wie andere auch - als Sozialhilfe zu erhalten. Durch eine Streichung von § 53 Asylverfahrensgesetzwird die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften als Regelform der Unterbringung abgeschafft; durch eine Änderung von § 47 Asylverfahrensgesetz wird die Möglichkeit eröffnet, auch außerhalb einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dürfen nicht in Lagern, sondern allenfalls in Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht werden. Konventionsflüchtlinge (Anerkennung nach § 51 AuslG) müssen in sozialrechtlicher Hinsicht mit Asylberechtigten nach Art .16a GG gleichgestellt werden. Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen sind diesbezüglich zu ändern .