HR:
Herr Leuninger, die Ausländer werden
nicht selten als Konkurrenten am Arbeitsplatz
und bei der Wohnungssuche angesehen. Sind
die Deutschen davon überzeugt, daß
dies der Fall ist und was kann man dagegen
tun, um die deutsche Bevölkerung entsprechend
zu belehren?
Leuninger:
Man sollte die deutsche Bevölkerung
davon überzeugen, daß die Engpässe,
die auf dem Wohnungsmarkt bestehen; und
die hohe Arbeitslosigkeit nichts mit der
Anwesenheit nichtdeutscher Menschen zu
tun haben. Wenn wir seinerzeit nicht Menschen
aus den verschiedenen Ländern angeworben
hätten, wenn dafür deutsche Arbeiter
zur Verfügung gestanden hätten,
wären die gleichen Probleme da. Diese
jetzt auf die Ausländer übertragen
wollen, ist unmoralisch und von der Sache
her nicht gerechtfertigt. Ein politisches
Problem ist, daß damit die Möglichkeit
gegeben wird, die entstandenen Probleme
nicht zu beseitigen, sondern sie mit der
Anwesenheit von Menschen in Verbindung
zu bringen und ihnen fälschlicherweise
eine Schuld zuzuschieben, die sie einfach
nicht haben.
HR:
Herr Leuninger, Sie schreiben in einem Papier, "wir brauchen die Ausländer", das ist eigentlich genauso schlimm, wie wenn man sagt: Wir brauchen sie nicht mehr.
Leuninger:
Dieses gut gemeinte Argument, das heute
von vielen Seite gebraucht wird, von Politikern,
vielleicht sogar auch von Vertretern der
Kirche, ist ein ausgesprochen doppeldeutiges
Argument. Denn wer überhaupt davon
spricht, daß wir Menschen brauchen,
ist dann auch bereit zu akzeptieren, daß
wir Menschen nicht brauchen, und daß
wir dann, wen wir sie nicht brauchen, sie
irgendwie in ihren Lebensrechten beeinträchtigen
- sprich: die Fremden möglichst dahinbringen,
daß sie dieses Land verlassen.
HR:
Das gilt nicht nur für die Fremden, sondern auch für die deutschen Arbeiter, die man eines Tages nicht mehr braucht.
Leuninger:
Meine Argumentation ging genau in diese Richtung. Wenn eine Gesellschaft überhaupt so denkt - leider haben wir so gedacht - ist sie auch bereit, den Gebrauchswert Mensch auf alle anderen Gruppen zu übertragen.
HR:
Kann man die deutsche Bevölkerung aufklären über die Beschäftigungsprobleme der Ausländer ?
Leuninger:
Nicht mehr so leicht; denn es sind alle Argumente durchaus gebracht die für die Anwesenheit und die Gleichberechtigung von Menschen nichtdeutscher Nationalität in der BRD sprechen. Aber diese Argumente fruchten im Augenblick nicht. Wenn die Angst zu groß ist, und diese auch politisch nicht abgebaut, sondern eher noch aufgebaut wird, dann kann man mit Argumenten nicht mehr viel erreichen. Deswegen ist der Ansatzpunkt unseres Aufrufs zu dieser Woche "Ängste überwinden" eigentlich ein ganz anderer. Nicht so sehr der aufklärerische, also der, der mit Argumenten und mit Beweisen kommt, sondern der erfahrbar macht, daß Menschen Menschen sind und als Menschen zusammengehören, solidarisch sein sollen als Nachbarn, um dann miteinander zu spüren: Wir haben die gleichen Ängste, wir machen uns nicht gegenseitig angst, sondern es sind andere Faktoren, die für diese
Ängste verantwortlich sind, so daß Solidarität wächst, mit Solidarität die Angst voreinander abgebaut wird, und die wirklichen Ursachen für das, was Angst macht, erkannt werden.
HR:
Die restriktiven Maßnahmen der Bundesregierung erschweren die Lage der Ausländer offensichtlich. Sind diese Maßnahmen , Herr Leuninger, für die Ängste der Ausländer mitverantwortlich?
Leuninger:
In starkem Maße; denn die Ausländer
müssen ja den Eindruck gewinnen, daß
sie tatsächlich von der Politik in
ihren Rechten beeinträchtigt werden,
daß eigentlich der öffentliche
Druck durch die politischen Maßnahmen
noch verstärkt wird, damit möglichst
viele von ihnen die BRD verlassen. Und
dies verstärkt in einer ungeheuren
und kirchlicherseits nicht vertretbaren
Weise die Ängste dieser Mitbürger.
HR:
Es gibt Stimmen, die behaupten, daß die bundesdeutschen Politiker durch ihre Äußerungen die Diskussion über Ausländerfragen zusätzlich noch emotionalisieren. Stimmen sie dem zu ?
Leuninger:
Ja. Wer von der Zahl der Ausländer spricht, die zu hoch sei, spricht in einer Weise über Menschen, wie eigentlich nicht von Menschen gesprochen werden dürfte. Viele Aussagen, die manchmal m.E. unbedacht gemacht werden, tragen dazu bei, daß in der deutschen Bevölkerung geglaubt wird, die Ausländer als Sündenböcke betrachten zu dürfen. Viele Ausländer fühlen sich dadurch verunsichert und in ihrer Existenz geradezu bedroht.
HR:
Leisten die zahlreichen Ausländerkongresse Aufklärungsarbeit, und tragen sie dazu bei, das Selbstbewußtsein zu erlangen und zwar in dem Sinne, daß kleine Schritte sichere Schritte sind, weil nach meiner Meinung bis jetzt die Ausländerpolitik seitens der Ausländer selbst sehr wenig gebracht hat ?
Leuninger:
Wir haben durch die Situation bedingt in den vergangenen Jahren durchaus die Ausländerfrage als eine gesonderte Frage behandelt. Das hatte eine gewisse Berechtigung. Ich denke, daß das vorbei ist. Wer jetzt die Ausländerfrage losgelöst von den anderen Problemen betrachtet, tut den Ausländern und der eigenen Sache keinen guten Dienst. Das ist eigentlich mein Anliegen, wobei ich davon ausgehe, daß immer mehr Kreise, immer mehr Kräfte in der Kirche und der Gesellschaft diese Gedanken aufgreifen und weitertragen.
Es sollte sich die Nationalität nicht mehr als etwas herausstellen, was Menschen trennt, sondern was höchstens die Verschiedenartigkeit des gemeinsamen Anliegens unterstreicht.
HR:
Was bedeutet Xenophobie ?
Leuninger:
Das griechische Wort hat eine Doppeldeutigkeit,
die in dem Wort Gast nicht direkt erkannt
wird. Xenos ist der Gast und auch der Fremde
und sogar der Feind.
Wer also in der Übersetzung das Wort
Gast mit diesem Hintergrund verwendet, mit
diesen langen und uralten Traditionen,
wird den Gast durchaus in guten Zeiten
gerne aufnehmen, so wie das auch den Gastarbeitern
gegenüber geschehen ist.
Aber in dem Wort Gast steckt dann auch
die Kehrseite der Medaille, daß man
durchaus den Gast in kritischen Zeiten
aus seinem eigenen Bereich herausdrängen
möchte. Insofern ist das Wort Gastarbeiter
ohnehin von Anfang an ein Ausdruck gewesen,
der dieses Provisorisch unterstreichen
sollte.
HR:
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Gewerkschaften aus?
Leuninger:
Wir haben in dieser Frage ein hohe Gemeinsamkeit erreicht und konnten dies durch einen gemeinsamen Kongreß unterstreichen; ein Ergebnis ist auch das Faltblatt gegen die Fremdenfeindlichkeit, das von den Kirchen und den Gewerkschaften zusammen herausgegeben worden ist. Der Gedanke der Solidarität kommt aus dem kirchlichen u. gewerkschaftlichen Hintergrund und paßt in dieser Krisenzeit so gut zusammen wie nie zuvor.