Herbert Leuninger ARCHIV MIGRATION
1982

Kriminalität unter den Ausländern



 

INHALT

  1. Häufigkeit
  2. Die wegen einer Straftat Verurteilten
  3. Jugendkriminalität
  4. Die statistische Rangfolge bei den Delikten
  5. Zusammenfassung

1. Häufigkeit

Um festzustellen, wie hoch die Kriminalität in einer Bevölkerung ist, wird die Statistik der Tatverdächtigen herangezogen. Tatverdächtige sind alle Personen, die von der Polizei registriert werden, weil sie einer Straftat verdächtig sind. Ob diese Personen die ihnen zur Last gelegte Straftat aber auch wirklich begangen haben, ist damit noch nicht ausgesagt. Daher unterscheiden sich die Zahlen, die in der Tatverdächtigenstatistik aufgeführt sind, erheblich von der anderen Statistik, in der alle erfaßt sind, die rechtskräftig verurteilt wurden. Das Verhältnis zwischen Verurteilten und Tatverdächtigen liegt bei etwa 1 : 2. Das heißt, nur etwa die Hälfte derer, die in den Verdacht geraten, eine Straftat begangen zu haben, werden wegen einer solchen verurteilt. So problematisch daher auch die Statistik der Tatverdächtigen ist, kann dennoch wohl nicht auf sie verzichtet werden. Allerdings gibt es unter Fachleuten die Vermutung, daß Ausländer eher verdächtigt und festgenommen und vielleicht auch härter verurteilt werden.

In der Öffentlichkeit und in der Bevölkerung besteht die Ansicht, daß die Ausländer stärker und schneller kriminell werden als Deutsche. Betrachtet man aber die Zahlen, wie sie etwa für Nordrhein-Westfalen vorliegen, so werden die gängigen Vorstellungen über die Kriminalität der Ausländer, besonders auch der Türken, nicht bestätigt (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Ausländische Arbeitnehmer in Nordrhein- Westfalen, Zahlenspiegel, Ausgabe 1981, S. 111-113). Da in Nordrhein-Westfalen mehr als ein Viertel aller Ausländer in der Bundesrepublik leben, darf man die für dieses Land geltenden Einsichten sicher auch auf die Bundesrepublik übertragen.

2. Die wegen einer Straftat Verurteilten

Beginnen wir mit der Statistik, in der es um die geht, die wegen einer Straftat verurteilt wurden.

Danach waren 10% aller Verurteilten in Nordrhein-Westfalen Ausländer. Dabei stellen sie aber nur knapp 8% der Bevölkerung in diesem Land. Daraus könnte sich nun leicht der Schluß ergeben, die Ausländer wären doch erheblich stärker als die deutsche Bevölkerung an Delikten beteiligt. Hierbei muß aber bedacht werden, daß es z.B. Vergehen gegen das Ausländergesetz gibt. Hiergegen kann naturgemäß ein Deutscher nicht verstoßen. 14% aller Straftaten, die Ausländern angelastet werden und daher auch in der Statistik auftauchen, sind gegen das Ausländergesetz gerichtet. Will man die Kriminalität der Ausländer mit der der Deutschen vergleichen, müßten diese Straftaten aus der Statistik herausgenommen werden.

Eine weitere Differenzierung wäre nötig, sobald man die Altersstruktur der deutschen und der nichtdeutschen Bevölkerung miteinander vergleicht. Insgesamt gibt es bei der nichtdeutschen Bevölkerung natürlich wesentlich mehr jüngere und wenig ältere Menschen. Da Straftaten aber eher von jüngeren Menschen begangen werden, wird sich das in der Ausländerstatistik mit vergleichsweise höheren Zahlen niederschlagen. Dem versuchen die Statistiker dadurch entgegenzukommen, daß sie ggfs. die Häufigkeit von Delikten bestimmter Altersgruppen in Vergleich setzen.

Noch entscheidender für die Beurteilung der Häufigkeit von Straftaten bei Ausländern ist aber die Tatsache, daß viele Straftaten von Ausländern begangen werden, die nicht zu der Arbeitnehmerbevölkerung aus den Anwerbeländern gehören. Es sind Ausländer, die sich nur als Touristen hier aufhalten, durch internationale Gangsterorganisationen eingeschleust werden, illegal in der Bundesrepublik leben, oder auch zu den Stationierungskräften gehören. Betrachtet man statistisch nur die Ausländer, die nicht zu der Bevölkerung aus den Anwerbeländern gehören, so zeigt sich, daß sie doppelt so oft verurteilt werden, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht.

Ausländer, die nicht aus den Anwerbestaaten stammen, stellen 18% der nichtdeutschen Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen, aber 38% der Verurteilten.

Ganz anders ist dieses Verhältnis bei der türkischen Bevölkerung, die 40% aller Ausländer in Nordrhein-Westfalen ausmacht. In der Statistik aller ausländischen Verurteilten kommt sie aber mit nur knapp 30% vor, d.h. weit unter dem Prozentsatz, der von ihrem Bevölkerungsanteil her zu vermuten wäre. Ähnliches kann für die Griechen und Spanier festgestellt werden, während Jugoslawen und Italiener in etwas stärkerem Umfang, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht, verurteilte Straftäter aufweisen.

3. Jugendkriminalität

3.1 Eine besondere Beachtung findet die Kriminalität der Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft. Die bei ihnen festgestellten Vergehen sind normalerweise in den allgemeinen Statistiken enthalten. Daher ist eine genauere Untersuchung aus mehreren Großstädten der Bundesrepublik, bei der allerdings nicht nach Nationalitäten unterschieden wird, eine wichtige Ergänzung ( Albrecht/Pfeiffer, Die Kriminalisierung junger Ausländer, Befunde und Reaktionen sozialer Kontrollinstanzen, München 1979). Danach weist die Gruppe der 14- bis 21-jährigen Menschen anderer Muttersprache eine größere Kriminalitätsbelastung als die deutsche Vergleichsgruppe auf. Nichtdeutsche dieser Altersgruppe sind also stärker an Delikten beteiligt als ihre deutschen Altersgenossen.

Nun werden die 14 - 21jährigen noch einmal unterteilt: in die 14 - 18jährigen Jugendlichen und die 18 - 21jährigen Heranwachsenden. Bei den nichtdeutschen Jugendlichen wird ein Höchstmaß an Kriminalitätsbelastung festgestellt. Sie unterscheiden sich damit von den nichtdeutschen Heranwachsenden und Erwachsenen. Besonders groß ist hier der Abstand gegenüber den deutschen Jugendlichen.

Aber auch die nichtdeutschen Heranwachsenden liegen in den meisten Deliktgruppen über der deutschen Vergleichsbevölkerung. Bei sexuellen und Rohheitsdelikten weisen sie die höchste Kriminalitätsbelastung auf. Dafür liegen sie bei Diebstählen, die unter erschwerenden Bedingungen erfolgen, bei sonstigen Straftatbeständen wie Begünstigung, Beleidigung usw. und z. T. bei Vermögens- und Fälschungsdelikten unter der Kriminalitätsbelastung der Deutschen.

3.2 Es hat sicher seine besonderen Gründe, wenn die Kriminalität bei Jugendlichen und Heranwachsenden nichtdeutscher Herkunft so hoch ist. Sie unterscheiden sich damit erheblich von den erwachsenen Menschen anderer Muttersprache. Werden nämlich die nichtdeutschen und deutschen Erwachsenen nach Altersgruppen miteinander verglichen, so stellt sich heraus, daß die Kriminalität bei den Deutschen fast durchwegs größer ist.

Mancherlei Gründe werden dafür angeführt, daß bei den jugendlichen und heranwachsenden Einwanderern die Straffälligkeit besonders hoch ist. Diese Gründe sind auch dazu angetan zu vermuten, daß es bei einer Kriminalität, die vornehmlich durch die Emigration zu erklären ist, kaum Unterschiede nach Nationalitäten geben dürfte.

Die besondere Situation der zweiten, vielleicht auch dritten Generation der eingewanderten nichtdeutschen Arbeitnehmer ist vor allem gekennzeichnet durch eine weitgehende Benachteiligung in Schule, Ausbildung und bei der Arbeitssuche. Die Jugendarbeitslosigkeit bei nichtdeutschen Jugendlichen ist extrem hoch und in etwa vergleichbar mit der Arbeitslosigkeit junger Schwarzer in den USA. Natürlich spielt auch die Wohnsituation eine gravierende Rolle, insofern viele nichtdeutsche Familien in überbelegten und schlecht eingerichteten Wohnungen leben, die sie wiederum nur in ungünstigen Wohngebieten gefunden haben.

Es gibt aber darüberhinaus schwere Störungen bei der Identitätsfindung und Sozialisation von Kindern, die in unzähligen Fällen zwischen dem Herkunftsland ihrer Eltern und dem Aufnahmeland hin und hergeschickt werden und sich nirgends zurechtfinden können. Aber auch bei den Kindern und Jugendlichen, die hier in der Bundesrepublik geboren sind bzw. dort groß wurden, sind Störungen der Sozialisation anzunehmen, die als Kulturkonflikt bezeichnet werden. Einwanderer der zweiten Generation sind von der Familie und Herkunft her noch stark an die Tradition und die Vorstellungswelt der Herkunftsländer gebunden, andererseits fügen sie sich sehr viel leichter als ihre Eltern in die Vorstellungswelt der Aufnahmegesellschaft ein. Ist dann die Erziehungsstruktur der Familie noch sehr autoritär, wird dieser vorhandene Konflikt bisweilen ins. Unerträgliche verschärft. Nur auf den ersten Blick überraschend ist die Feststellung, daß gerade junge Menschen anderer Muttersprache gerade dann mit dem Gesetz in Konflikt geraten, wenn sie als besonders integriert gelten. Sie haben die ähnlichen Wünsche und Erwartungen an die Gesellschaft wie die einheimische Jugend, haben aber über die Schwierigkeiten, die die junge Generation in unserer Gesellschaft überhaupt hat, hinaus durchwegs geringere Chancen ihre Vorstellungen zu verwirklichen (vgl. Hamburger/Seus/Wolter, Zur Delinquenz ausländischer Jugendlicher, Bedingungen der Entstehung und Prozesse der Verfestigung, Sonderband der BKA-Forschungsreihe, Wiesbaden 1981). Die Kluft zwischen Erwartung und Erfüllung ist also in dieser Bevölkerungsgruppe besonders hoch.

Die Unsicherheit der nichtdeutschen Familien, die sich aus dem besonders hohen Arbeitsplatzrisiko, aus der einschränkenden Ausländergesetzgebung und nicht zuletzt aus der Fremdenfeindlichkeit ergibt, verstärkt naturgemäß bei jüngeren Menschen, deren Ich-Stärke beeinträchtigt ist, Gefühle der Ohnmacht und der Aggression. Hier liegt vielleicht auch eine Erklärung für das Übergewicht an Sexual- und Rohheitsdelikten, die auf gestörte Kontaktfähigkeit schließen lassen. Experten gehen davon aus, daß die jetzt feststellbare besonders hohe Kriminalität bei nichtdeutschen Jugendlichen sich im Laufe der Jahre auch stärker bei der Gruppe der Heranwachsenden bemerkbar machen wird.

Insgesamt muß man davon ausgehen, daß gerade die über dem Durchschnitt liegende Kriminalität jugendlicher Nichtdeutscher mit den Folgen einer sozialpolitisch nicht aufgefangenen Einwanderung zusammenhängt, und somit im wesentlichen von der Gesellschaft zu verantworten ist. Diese Einsicht wird aber in einer solchen Gesellschaft wie der unsrigen verdrängt und mit einem erhöhten Druck auf die betroffene Bevölkerungsminderheit abgeleitet. Der Sündenbockmechanismus, der vor allem in wirtschaftlichen Krisenzeiten den Fremden gegenüber abläuft, wirkt sich hierbei besonders belastend auf die Bevölkerung türkischer Herkunft aus. Daraus könnte sich eine noch weitergehende Isolierung mit entsprechenden Langzeitfolgen ergeben.

4. Die statistische Rangfolge bei den Delikten

4.1 Die Rangfolge bei Ausländern insgesamt

Weit an der Spitze stehen Ladendiebstähle. Sie machen ein Sechstel (16%) der Delikte aus, die die Statistik der Tatverdächtigen aufführt. Bereits an dritter Stelle stehen die Verstöße gegen das Ausländergesetz (14%). Beide Deliktgruppen zusammengenommen machen etwa ein Drittel der Straftaten aus, die Ausländern zur Last gelegt werden.

An zweiter Stelle stehen allerdings Körperverletzungen. Mit großen Abstand folgen Betrugsdelikte und Sachbeschädigungen. An achter Stelle stehen Sexualdelikte und zwar gleichauf mit verbotenem Glücksspiel.

Überraschenderweise und entgegen einer gängigen Einschätzung spielen Rauschgiftdelikte eine untergeordnete Rolle. Sie stehen an 11. Stelle und machen 2% aller Straftaten aus. Dies ist selbstverständlich keine Wertung ihrer ungemein sozialschädlichen Wirkung.

Was die Rauschgiftdelikte angeht, gibt es aber offensichtlich regionale Unterschiede. Dies gilt vor allem für Hessen und hier besonders für den Frankfurter Raum. Frankfurt ist ein Hauptumschlagplatz für Rauschgift. Große und kleine Dealer suchen hier ihr Geschäft zu machen. Bislang spielten neben Arabern kurdische Türken im Drogenhandel eine große Rolle. Mittlerweile drängen Israelis nach vorn.

8,3% der Straftaten, die 1980 Ausländern in Hessen angelastet wurden, waren Rauschgiftdelikte; also ein Prozentsatz, der viermal so hoch lag wie in Nordrhein-Westfalen und doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik (Landeskriminalamt Hessen, Kurzbericht für das Jahr 1980 ).

4.2 Rangfolge der Straftaten bei Türken, Italienern (Obwohl die Italiener keine Moslems sind, werden sie hier zum Vergleich miteinbezogen) und Jugoslawen ( Ungefähr 20% der Jugoslawen bekennen sich zum Islam)

4.2.1 Bei Türken: Die Reihenfolge der Straftaten nach ihrer Häufigkeit sieht bei Türken folgendermaßen aus:

  1. Körperverletzungen
  2. Verstöße gegen das Ausländergesetz
  3. Ladendiebstähle
  4. Betrugsdelikte.

Ein Fünftel der den Türken angelasteten Straftaten sind Körperverletzungen.

4.2.2 Bei Italienern: Hier rangieren Ladendiebstähle ganz oben. Danach kommen Körperverletzungen, Betrug und Sachbeschädigungen. Da die Italiener der Europäischen Gemeinschaft angehören, machen Verstöße gegen das Ausländergesetz nur einen sehr geringen Anteil ihrer Straftaten aus.

4.2.3 Bei Jugoslawen: Auch bei den Jugoslawen nehmen die Ladendiebstähle den ersten Platz ein, dann kommen Körperverletzungen, Verstöße gegen das Ausländergesetz und Betrug

4.3 Ein Vergleich der Delikthäufigkeit bei verschiedenen Nationalitäten

Vorab zeigt die Statistik der Strafverdächtigen, daß Italiener, Jugoslawen und Türken nicht häufiger als mögliche Straftäter ermittelt werden, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Gewisse Unterschiede gibt es in den einzelnen Deliktgruppen. überrepräsentiert sind die türkischen Tatverdächtigen bei Verstößen gegen das Ausländergesetz, bei verbotenem Glücksspiel, bei Automatendiebstählen, Körperverletzungen und Urkundenfälschungen Auch bei den 200 Ausländern insgesamt angelasteten Straftaten gegen das Leben stellen sie einen höheren Prozentsatz, als es ihrem Bevölkerungsanteil zukäme.

Spürbar unter dem Bevölkerungsanteil wurden bei den Türken Raub/überfall, Ladendiebstähle, Betrugsdelikte, Unterschlagungen, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, Sachbeschädigungen und nicht zuletzt Rauschgiftdelikte ermittelt.

Ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend werden bei ihnen Sexualdelikte ermittelt.

Zusammenfassung

Das vorliegende statistische Material kann nur ein Anhaltspunkt sein, um sich ein Bild von der Kriminalität einer Bevölkerung oder eines Bevölkerungsteils zu machen.

Jedoch reichen die Unterlagen aus, um festzustellen, daß die eingewanderte Bevölkerung sich nicht wesentlich anders verhält als die einheimische. Eine Ausnahme bilden aus einsehbaren Gründen die Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft.

Es gibt Unterschiede in der Kriminalität einzelner Nationalitäten, die aber nicht als Beweis für große kulturelle oder religiöse Differenzen herhalten können.

Als besonders wichtig erweisen sich die statistischen Angaben um Vorurteile gegenüber der türkischen Bevölkerung abzubauen.

veröffentlicht in:
Werner Wanzura (Hrsg.), Moslems im Strafvollzug, Alternberge 1982, S, 5-11