HR:
In Baden-Württemberg sollen ausländische Arbeitskräfte kurzfristig für das
Hotel- und Gaststättengewerbe angeworben werden können. Dieser Maßnahme – vorgestellt
von Ministerpräsident Späth - muss die Bundesregierung jedoch noch zustimmen. Man denkt
daran, analog Schweizer Modell, etwa 1.000 Saison-Arbeiter für 6 bis höchstens 8 Monate
zu beschäftigen. Danach müssen die Ausländer wieder in ihre Heimat zurück,
oder sie werden abgeschoben. Späth, der ansonsten mit aller Entschiedenheit am Anwerbestopp
festhalten will, begründet diesen Plan mit der existentiellen Bedrohung vieler mittelständischer
Betriebe im Hotel- und Gaststättenbereich.
Gegen diese Idee hat sich der Ausländerreferent der Katholischen Kirche,
Pfr. Herbert Leuninger, ausgesprochen. Ulrike Holler unterhält sich mit ihm:
HR (Ulrike Holler):
Warum, Herr Leuninger, regen Sie sich über diesen Vorschlag auf? Immerhin bringt er doch
einigen Ausländern kurzfristig Verdienstmöglichkeiten in der Bundesrepublik.
HL (Herbert Leuninger):
Das ist richtig, und er entlastet auch den Arbeitsmarkt, auch das stimmt, aber unter welchen Bedingungen
und mit welchen Folgen? Im Grunde werden auf eine eingeschränkte Weise alle Vorstellungen
wieder lebendig, die wir glaubten, sie seien begraben; nämlich die Vorstellung der Rotation:
Dass Menschen zur Arbeit hierher geholt werden, die aufgrund der Tatsache, dass sie nur eine kurze
Zeit hier bleiben können und trotz aller Vorbereitungen, die man ihnen vielleicht zuteil
werden lässt, nur auf eine sehr reduzierte Weise Mensch sein können. Das ist aus sozialen
und humanen Gründen einfach nicht vertretbar.
HR:
Man muss natürlich dabei auch die andere Seite sehen. Ministerpräsident Späth hat
gesagt, in dieser kurzen Zeit – also in diesen 6 oder 8 Monaten, in denen die ausländischen
Arbeitskräfte bei uns beschäftigt werden können, würde für uns, für
die Bundesrepublik keine Integrations- oder Familieprobleme entstehen, eben weil die Arbeitnehmer
ohne Familien kommen. Auch dies kann ja für die Idee sprechen.
HL:
Ja aber nur, wenn ich daran- denke, dass das von diesen ausländischen Arbeitnehmern, die
zeitweise hier tätig sind, bezahlt wird, menschlich, seelisch, familiär. Sie müssen
es tragen, dass sie nicht in allen Bereichen – weder sozialrechtlich, noch von der Kommunikation
her, noch lebensmäßig - wirklich Mensch sein können.
HR:
Immerhin - ich beginne nochmals mit dem ersten Argument - sie verdienen in dieser Zeit etwas.
HL:
Deswegen werden sie sich auch für eine solche Arbeit interessieren. Sie können vermutlich
nicht abschätzen, welche Störungen des Familienlebens und auch ihrer eigenen persönlichen
Existenz sie sich damit einhandeln. Das allerdings weiß man aus Untersuchungen in der Schweiz.
HR:
In der Schweiz soll dieses Modell ja sehr positiv verlaufen. Es soll sich bewährt haben.
HL:
Das kann ich mir nicht vorstellen, denn die Kirchen sind ja seit Jahren sehr energisch gegen diesen
Status des Saisoniers vorgegangen und versuchen, die dortigen Regelungen zu ändern. Sie drängen
auf eine Abschaffung dieser Regelung. Und zwar auf dem Hintergrund, dass sie sozial und humanitär
einfach nicht zu vertreten ist, wenn man bestimmte rechtsstaatliche Vorstellungen in einem Land
verwirklichen will. Ich glaube, das gilt gleichermaßen auch für uns.
HR:
Gehen wir davon aus, im Hotel- und Gaststättengewerbe gibt es einen Engpass an Arbeitskräften.
Dieser Engpass muss gefüllt werden. Was sind ihre Vorstellungen, wenn Sie sich gegen die
Saisonarbeiter wehren?
HL:
Wenn ich einfach aus dem Ärmel Vorschläge schütteln könnte, dann wäre
- der erste, erst einmal alle Restriktionen aufzuheben, die es in der Bundesrepublik gegenüber
der Arbeitsaufnahme von ausländischen Arbeitnehmern gibt.
- Das zweite ist – hier stütze ich mich im Grunde auf alte Forderungen der Gewerkschaften
– die Humanisierung dieser Arbeitsplätze in den Bereichen, in denen man keine deutschen
und ihnen gleichgestellte ausländische Arbeitnehmer bekommt.
HR:
Sie meinen, wenn diese Arbeitsplätze humanisiert würden, wäre auch nicht ein solcher
Engpass da ?
HL:
Ich bin sicher.
HR:
Sie sprachen von Aufhebung der Restriktionen, heißt das, dass Sie davon ausgehen, dass es
in der Bundesrepublik genügend ausländische Arbeitnehmer gibt, z.B. auch Asylbewerber,
die froh wären, eine Arbeit zu bekommen und sie einfach nicht bekommen, weil sie noch in
der Illegalität leben bzw. keine Arbeit aufnehmen können ?
HL:
Ja, Sie bringen mich hiermit auf einen weiteren Gedanken, wie man das Problem der Friktionen in
bestimmten Bereichen des Arbeitsmarktes bewältigen könnte. Das sind nämlich die
Illegalen, die – aus welchen Gründen auch immer – vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden. Wenn
man diese Gruppe, die mindestens 10% der legal tätigen ausländischen Arbeitnehmer ausmacht,
legalisieren würde, hätte man bereits eine sehr große Lücke gefüllt.
Man würde sich auch auf eine ganz andere Weise auf die ausländischen Arbeitnehmer einstellen,
die bereit sind, unter bestimmten Voraussetzungen – die sich allerdings noch verbessern müssten
– Arbeiten anzunehmen.
HR:
Nicht nur Sie von der Katholischen Kirche, sondern auch Dr. Jürgen Micksch, der zuständige
Referent der Evangelischen Kirche hat die Pläne Baden-Württembergs als untragbar und
unüberlegt bezeichnet. Auch die Evangelische Kirche wehrt sich gegen den Vorschlag, Arbeitnehmer
aus dem Ausland für kurze Zeit hierher zu holen und sie dann nach Ablauf der 6 oder 8-Monatsfrist
wieder ins Ausland abzuschieben. |