Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1979

HESSISCHEN RUNDFUNK (HR)
1. Hörfunkprogramm
UNTERWEGS IN HESSEN

Kommunalwahlrecht für Ausländer?

Interview von Uwe Günzler (Studio) und Ulrike Holler (Ü-Wagen)
mit Herbert Leuninger am 13. Februar 1979

NHALT
Wir können uns auf Dauer keine Nebenbe- völkerung leisten mit minderen politischen Rechten leisten. Es ist eine Frage des demokratischen Selbstverständnisses, dass Menschen, die auf Dauer in einem Gemeinwesen leben, das Recht haben, über ihr eigenes Schicksal durch Wahlen mitzubestimmen.

HR: Günzler

Die Stadtverordneten von Limburg verabschiedeten mehrheitlich eine Erklärung, in der es heißt, die Landesregierung möge prüfen, ob man den Ausländern das kommunale Wahlrecht verleihen kann, allerdings nur den ausländischen Mitbürgern aus Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Dies ist eine oft diskutierte Forderung, aber zum ersten Mal hat eine Kommune diesen Antrag an die Hessische Landesregierung direkt gestellt. Wir wollen heute das pro und kontra prüfen. Bei uns im Studio begrüße ich Pfarrer Herbert Leuninger, er ist Ausländerreferent beim Bischöflichen Ordinariat in Limburg und meine Kollegin Ulrike Holler.

HR: Holler

Ein paar interessante Daten: Der Deutsche Caritasverband hat schon 1971 dies einmal gefordert. Die SPD hat das in den Kommunen auch auf Landesebene gefordert. In Limburg hat auch die CDU diesen Vorschlag unterstützt, d.h., dass es jetzt eine breitere Front ist.

Eine Frage an Herrn Leuninger: Warum eigentlich diese Forderung, welche Überlegung steckt dahinter, warum es notwendig wäre ?

H. Leuninger

Ich glaube, die Überlegung, die sehr entscheidend ist, geht davon aus, dass wir uns auf Dauer nicht eine Nebenbevölkerung leisten können mit minderen politischen Rechten, und dass es unserem Verständnis von politischer Demokratie entspricht, dass Menschen, die auf Dauer in einem Gemeinwesen leben, nicht durch andere ständig fremd bestimmt werden können, sondern dass sie das Recht haben müssen, über ihr eigenes Schicksal mitzubestimmen.

HR: Holler

Das heißt, über ihre eigene Integration, über ihre eigenen Interessen. Hat es dann eine direkte Auswirkung auf die Lebenssituation der Ausländer ?

H. Leuninger

Ich glaube schon, denn die Politiker nehmen die Ausländer zwar wahr, und sie nehmen sie immer stärker wahr aber doch nur indirekt, aus der Perspektive ihrer deutschen Wähler. Erst dann, wenn sie die Ausländer auch als ihre Wähler ansehen, wird sich diese Perspektive verändern, zugunsten der Ausländer und damit zugunsten der gesamten Gemeinwesen.

HR: Holler

Also Ausländer wären dann Wähler, auf die der Politiker Rücksicht nimmt, und von daher die Interessen dieser Wähler dann auch in seiner Politik oder in seinen Anträgen berücksichtigt. Dies alles hat auch der Hessische Sozialminister gedanklich unterstützt. Auch hier wird die Frage schon sehr lange diskutiert und man wies mich daraufhin, dass es schon Änderungen in der Hessischen Gemeindeordnung gegeben habe im Interesse der Ausländer, z.B. in Kommissionen - so war es bisher jedenfalls der Fall - durften nur Bürger mitmachen. Das hat man geändert in Einwohner, d. h. zum Beispiel der Ausländerbeirat in Wiesbaden konnte zusammentreten, weil Einwohner dort auch mitmachen dürfen.

Verfassungsrechtliche Bedenken äußert jedoch der zuständige Innenminister. Da heißt es in der Hessischen Verfassung stehe Deutsche, nur Deutsche seien stimmberechtigt. Dies stehe auch im Grundgesetz, da sei vom Deutschen Volk die Rede, also vom Deutschen Staatsvolk. Insofern sei die Forderung nur zu er füllen, wenn eine Verfassungsänderung eintreten würde, wenn das ganze Volk eine Verfassungsänderung begrüßt. Wie sehen Sie es ?

H. Leuninger

Hier vertritt das Innenministerium eine konservative Rechtsauffassung, die m.E. nicht auf der politischen Höhe etwa der Regierungserklärung von Ministerpräsident Börner ist, der ja auch die Prüfung dieser Frage als politisches Anliegen formuliert hat. Es wäre m. E, jetzt stärker Aufgabe des Innenministeriums die Möglichkeiten zu prüfen, die es gibt, diesem politischen Vorhaben zu entsprechen, als die juristische Bremse zu ziehen. Ganz abgesehen davon muss man eine solche Rechtsauffassung nicht teilen, denn die kommunale Ebene ist nicht die Ebene, wo das Volk hoheitlich Macht ausübt, sondern die kommunale Ebene ist die Ebene der Selbstverwaltung. Für mich ist interessant, dass in der Koalitionsvereinbarung von Hessen steht, die Landesregierung wird sich für die gemeindlichen Selbstverwaltung einsetzen. D.h. also im Selbstverständnis der Regierung ist die Gemeinde ein Stück Selbstverwaltung, ist nicht in dem Sinne Staatsverwaltung wie das Land oder wie der Bund. Insofern gibt es maßgebliche Rechtsexperten, die sagen, das Kommunalwahlrecht ist nicht an die Mitgliedschaft eines Volkes geknüpft, sondern kann auch verliehen werden an Einwohner, die einen bestimmten Zeitraum bereits in einem Gemeinwesen leben.

HR: Günzler

Würde nach dieser Rechtsverfassung auch jede Gemeinde einzeln entscheiden können oder müsste dies dann doch wieder über das Land gehen ?

H. Leuninger

Das müsste natürlich über das Land gehen, ggfs. über den Bund, oder die Perspektive, die mir am zukunftsträchtigsten erscheint, das müsste über die europäische Ebene gehen.

HR: Holler

Welche Vorteile hätte es, wenn es über die europäische Ebene geht ?

H. Leuninger

Es hätte die Vorteile, dass der politische Druck ein stärkerer wäre. Es gibt doch noch starke Kräfte in der Bundesrepublik, die sich vor der Verleihung des Kommunalwahlrechtes an Ausländer geradezu fürchten. Wenn sich aber auf der europäischen Ebene im Sinne auch der ganzen Entwicklung - denken Sie an die Direktwahl zum Europa-Parlament usw. - dieser Gedanke durchsetzt, dass bei dieser Vermischung von Nationalitäten auf Dauer die Selbstbestimmung, die nur auf die Volkszugehörigkeit gegründet ist, nicht mehr ausreicht, dann ist zu erwarten, dass auch die Sensibilisierung der deutschen Öffentlichkeit dorthin gehen wird,

HR: Günzler

Jetzt müssen wir aber - wenn wir gerade über Europa reden - noch einen Punkt sofort ansprechen. Die Limburger Stadtverordneten haben zwei Klassen von Ausländern geschaffen. Sie haben gesagt: Kommunalwahlrecht fordern wir für Ausländer, aber nur für solche aus Staaten der Europäischen Gemeinschaft. Kann man überhaupt solche Trennungen vornehmen ?

H. Leuninger

Ich glaube, dass wenn es politisch möglich ist, eine solche Trennung in verschiedene Klassen nicht durchgeführt werden sollte (HR: Holler: ...und auch nicht darf.) Es ist aber eine andere Frage, auf welcher politischen Schiene man überhaupt das Kommunalwahlrecht für Ausländer durchsetzt. Ich könnte mir vorstellen, ohne dass ich das jetzt unbedingt befürworten wollte, dass dann, wenn die Europäische Gemeinschaft das für ihre Mitgliedsstaaten einführt, dass dann auch überall bewusst wird, dass es dabei nicht bleiben kann, sondern dass man alles daran setzen muss, um allen Ausländern, die in einem Gastland sind, das Wahlrecht zu geben.

HR: Holler

Dem ersten Schritt wird auf jeden Fall der zweite folgen. Wir sollten noch rasch diskutieren, warum treten Sie überhaupt für das Wahlrecht ein, bzw. dafür, dass Ausländer das kommunale Wahlrecht erhalten sollten? Gibt es da Vorteile, die Sie sehen, oder grundsätzlich Entwicklungen, die Sie durch das kommunale Wahlrecht für Ausländer stoppen möchten?

H. Leuninger

Einiges Grundsätzliche habe ich eingangs gesagt, aber ich glaube, es hat auch sehr konkrete Gründe, vor allem wenn ich daran denke, dass etwa in Frankfurt der Bevölkerungsanteil der Deutschen immer älter wird und sich daher immer stärker auf den Status quo einrichten möchte. Ein jüngerer Bevölkerungsteil - und die ausländischen Einwohner sind es - könnte für alle Parteien einen Beitrag leisten, um stärker die Interessen der Jugendlichen und der Jüngeren zu respektieren. Ebenso hätten sie die Fähigkeit, Neuheiten und Veränderungen durchzusetzen, als wenn nur auf den älteres Teil der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen ist.

HR: Günzler

Das heißt, es würde für die deutsche Bevölkerung auch vorteilhafter sein, wenn Ausländer mitmachen, um mal dieses Vorurteil - hier wird ja alles schlimmer und fremdbestimmt - abzubauen.

H. Leuninger

Ja, ich würde sagen, dass die Beteiligung der Ausländer an einer Kommunalwahl etwa in Frankfurt oder in Wiesbaden oder in Stuttgart nicht nur Vorteile für die Ausländer bringt, sondern Vorteile für die gesamten Gemeinwesen, gerade für Großstädte mit hohem Ausländeranteil.

HR: Günzler

Ein Punkt wollen wir noch kurz ansprechen: Weil es ein Vorurteil ist, dass man sagt, es kommen ausländische Studenten, die hier zwei Semester studieren, und wollen unsere Politik mitbestimmen, das ist eine Frage der Kriterien, und daran ist wahrscheinlich auch nicht gedacht.

H. Leuninger

Nein. Die Vorstellungen gehen meistens dahin, dass ein Ausländer, der das Kommunalwahlrecht bekommt, etwa 5 Jahre hier leben sollte. Das entspricht auch den Voraussetzungen, nach denen er die unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommt.