Einführung zur Tagung
In der Bundesrepublik Deutschland leben etwa 4 Mio Ausländer, 60%
von ihnen seit mehr als 6 Jahren. In Frankfurt am Main, der Stadt mit dem größten Ausländeranteil
in Deutschland, ist jeder fünfte Bewohner Ausländer, die Kinder nichtdeutscher Eltern machen ein
Viertel der 5-10- Jährigen aus, bei jüngeren Kindern stellen sie fast die Hälfte .
Aufbesserung der Altersstruktur, die Rettung der Deutschen vor
dem Aussterben durch eine Erhöhung der Geburtenrate sind willkommene Gastgeschenke der Ausländer
für uns . Weniger willkommen sind uns die Probleme, die sich mit ihrer Integration in unsere Gesellschaft
ergeben . Hierbei gilt es vor allem, folgende prinzipiellen Entscheidungen zu treffen : Sollen
aus Italienern, Griechen, Türken Deutsche gemacht werden? Oder soll den verschiedenen Nationalitäten
in zugeteilten Stadtvierteln ein Gettodasein beschieden werden? Oder gibt es vielleicht einen
dritten Weg, der beide Extreme, Germanisierung und Gettoisierung, vermeidet? Diese Probleme zu
lösen ist für unsere Gesellschaft lebenswichtig, denn die Zukunft der nachwachsenden Ausländer
und der jungen Deutschen läßt sich nicht trennen.
Zum Ablauf der Veranstaltung :
Der Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, ein Vertreter der Hessischen Landesregierung sowie
Repräsentanten der Kirchen werden zur Germanisierung und Gettoisierung in Thesenform Stellung
nehmen . Im Anschluß daran wird jeweils eine Expertengruppe, die zum größten Teil aus ausländischen
Mitbürgern besteht, die Redner zu ihren Thesen befragen. Zum Abschluß wird auch das Plenum - nach
einer Absprache in Kleingruppen - in die Diskussion einbezogen . Wir möchten Sie alle, vor allem
auch unsere ausländischen Mitbürger, zu dieser Veranstaltung herzlich einladen .
Dr. Georg Gebhardt
Akademiedirektor
Herbert Leuninger
Bischöfliches Ordinariat Limburg
HESSISCHER RUNDFUNK
2. Hörfunkprogramm
14.11.1979
Ausländerpolitik
EINE JUNGE GENERATION ZWISCHEN GERMANISIERUNG UND GETTOISIERUNG
Interview von Ulrike Holler mit Herbert Leuninger(HL)
HR (Moderator)
"Ausländerpolitik - Eine junge Generation zwischen Germanisierung und Ghettoisierung " so
lautete das Thema einer Wochenendtagung der Rabanus-Maurus Akademie in Frankfurt.
im Frankfurter Dominikanerkloster diskutierten die Vertreter der Kirchen, sowie
der Frankfurter Oberbürgermeister, Walter Wallmann, und der Chef der Hessischen Staatskanzlei,
H. Reinhart Bartholomäi, über Ergebnisse und Verlauf der Tagung.
Es sprach Ulrike Holler mit Herbert Leuninger, dem Ausländerreferenten
der Diözese Limburg.
HR (Ulrike Holler):
Wir stehen vor einer neuen Phase. Das ist, Herr Leuninger, das fast überschwengliche Resümee,
das Sie am Ende dieser Tagung ziehen. Heißt das, daß alle Probleme mit den Ausländern
demnächst behoben sind?
HL:
Bestimmt nicht! Wir rechnen damit, daß wir auf Jahrzehnte noch Integrationsprobleme haben,
alte und immer wieder neue. Aber die Rahmenbedingungen haben sich wohl geändert.
HR:
Wodurch haben sich Rahmenbedingungen geändert?
HL:
Das Kühn-Memorandum, das der Bundesbeauftragte für die ausländischen Arbeitnehmer
vorgelegt hat, hat die bisherige politische Orientierung verändert.
HR:
Inwiefern konnte die bisherige politische Orientierung durch ein solches Memorandum verändert
werden ?
HL: Bislang gingen Bund und Länder von dem Konsens aus, daß die Bundesrepublik
Deutschland kein Einwanderungsland ist; wohingegen Kühn diese These umkehrt und sagt, wir
sind faktisch ein Einwanderungsland geworden, und sollten deswegen auch Abschied nehmen von diesem
seltsamen Begriff „Integration auf Zeit". Wir sollten uns einstellen auf die Integration
auf Dauer. Aufgrund der Tatsache, daß einen Tag zuvor sowohl die katholische Kirche wie
die evangelische Kirche Stellung genommen hatten zu dem Kühn-Memorandum, war das natürlich
für die Tagung hochaktuell und keiner der Referenten ist dieser Frage ausgewichen. Alle Referenten
haben sie positiv beurteilt.
Nun ist natürlich die wichtigste Aufgabe, daß dieses Memorandum, das ja noch kein
Beschluss der Bundesregierung ist, Beschluss wird. Kühn hat in seinem Memorandum Zahlen genannt.
Er sprach von Tausenden von zusätzlichen Pädagogen. Das sind Größenordnungen,
bei denen die Politiker zuerst einen Schrecken bekommen. Wenn sie es vernünftig durchrechnen,
müssten sie es eigentlich akzeptieren.
HR:
Integrationspolitik heißt, daß insbesondere auch die Kinder ausländischer
Arbeitnehmer demnächst stärker an das deutsche Schulwesen angegliedert werden, zu mindestens
stärker gefördert werden müssen. Integrationspolitik heißt auch, daß
Ausländer wie Deutsche behandelt werden müssen.
HL:
Diese Forderung der Gleichberechtigung auf allen Ebenen ist eine zentrale Forderung des Kühn-Memorandums
und war auch eine zentrale Forderung aller bei dieser Tagung aufgetretenen Referenten.
HR:
Ein weiterer Punkt - seit Jahren gefordert - aber immer sehr zögernd beantwortet Kommunalwahlrecht.
Auch damit hat sich die Tagung auseinandergesetzt. Was war das Ergebnis?
HL:
Hier zeichnet sich auch eine Einstimmigkeit aller wichtigen politischen Kräfte ab. Wir
haben es mit großer Genugtuung registriert, daß auch der Oberbürgermeister von
Frankfurt Wallmann sich persönlich für das Kommunalwahlrecht eingesetzt hat.
HR:
Erleichterung der Einbürgerung! Alle möglichen Organisationen, Vertreter der ausländischen
Arbeitnehmer fordern immer wieder, daß die Einbürgerung etwas besser, etwas schneller,
etwas weniger bürokratisch ablaufen soll. Wie war da das Votum der Mehrheit ?
HL:
Die Teilnehmer bei dieser Tagung haben darauf hingewiesen und in der Diskussion immer wieder
betont, daß die Erleichterung der Einbürgerung sicher ein wichtiges Phänomen ist.
Allerdings nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für die erste Generation, um
zu verhindern, daß hier die zwei Generationen noch stärker voneinander getrennt werden,
als sie es jetzt durch die Einwanderungssituation ohnehin sind. Aber es wurde auf dieser Tagung
gleichermaßen deutlich, daß die Einbürgerung nicht die Lösung der Integrationsfrage
ist, vor allem deswegen nicht, weil ein großer Teil - vielleicht sogar der größte
Teil derer - die hier auf Dauer in der Bundesrepublik sein werden, nicht unter Aufgabe ihrer bisherigen
Staatsangehörigkeit Deutsche werden wollen. Dieses Junktim wird von den meisten Ausländern
abgelehnt und muß auch im Sinne einer europäischen Dimension der Integration nicht
notwendig gefordert werden.
HR:
Herr Leuninger, ich kann verstehen, daß sich während einer solchen Tagung Politiker
oder Referenten auf die gleichen Grundsätze einigten. Aber ich habe meine Befürchtung,
daß das, was auf dieser Tagung diskutiert wurde, im Land bei den Bürgern durchaus anders
empfunden und diskutiert wird. Wie sehen Sie es?
HL:
Darüber waren sich die Politiker und auch die Vertreter der Kirchen durchaus einig. Es war
auch hier ein Unisono bei den Referenten, daß die Bemühung, die Öffentlichkeit
und die Bevölkerung, d.h. die deutsche Bevölkerung und nicht nur die deutsche Bevölkerung
über die neue Situation aufzuklären, wesentlich verstärkt werden müsse. Hier
haben auch die Kirchen ihre Bereitschaft erklärt, dies nach innen und nach außen hin
stärker zu betreiben, als sie das vielleicht bisher getan haben.
|