Herbert Leuninger ARCHIV MIGRATION 1978

Kurzreferat
für das Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart
gehalten am 6.3.1978 im Amerika-Haus, Stuttgart
anlässlich der Auswertung einer USA - Reise zum Studium ethnischer Minderheiten im November 1977.
(Redigierte Phono-Abschrift)

Ethnische Minderheiten und die soziale Frage in den USA

Erkenntnisse und Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland

Trotz aller Unterschiedlichkeiten, die wir in Amerika feststellten, gibt es viele Gemeinsamkeiten, die uns zeigen konnten, wie es u. U. in einigen Jahren bei uns aussieht.


Meine Damen und Herren,

zuerst eine Vorbemerkung: Es war sehr interessant in ein Land zu kommen, für das Deutschland nur eines von unzählig vielen anderen ist, und dann die sehr verkürzte Perspektive eines Amerikaners kennenzulernen, der von Deutschland im wesentlichen für uns nur die Fragestellungen parat hatte: Wie war es mit dem zweiten Weltkrieg? Wie ist es mit dem Terrorismus und wie ist es mit den Nazis?

Überrascht waren unsere amerikanischen Gastgeber immer dann, wenn sie von uns hörten, wir hätten in der Bundesrepublik Probleme mit Minderheiten. Wir mußten dann relativ weit ausholen, um ihnen zu erklären, daß wir aufgrund unserer wirtschaftlichen Entwicklung mittlerweile 4 Millionen Ausländer, überwiegend ausländische Arbeitnehmer und ihre Angehörigen in der Bundesrepublik haben; daß es ferner Städte wie Stuttgart, München und auch Frankfurt gibt, die über einen hohen Ausländeranteil verfügen. Wenn ich in den USA erzählte, ich käme aus der Nähe Frankfurts, einer Stadt mit einem Ausländeranteil von 18,4 %, dann weckte dies ungläubiges Erstaunen.

Trotz aller Unterschiedlichkeiten, die wir in Amerika feststellten, gibt es viele Gemeinsamkeiten, die uns zeigen konnten, wie es u. U. in einigen Jahren bei uns aussieht.

Eine geradezu verblüffende Übereinstimmung konnte ich am vergangenen Samstag beim Blick in die Zeitung feststellen. Dort wurde die Arbeitslosenstatistik von Frankfurt aufgeführt. Danach sind 36% der unter 18-jährigen ausländischen Jugendlichen in Frankfurt arbeitslos.

Dieser Prozentsatz entspricht exakt der Zahl, die wir aus den USA von den schwarzen Jugendlichen kennen. Dort wurde für den letzten Sommer eine Arbeitslosenquote von 34,8 % festgestellt. Bei allen Unterschieden - vor allem was die Größenordnung angeht, ist die Parallele offensichtlich. Bedenken Sie aber, was dies für Frankfurt eine im Vergleich zu den großen amerikanischen Städten kleine Stadt bedeutet, wenn dort allein etwa 800 türkische Jugendliche unter 18 Jahren arbeitslos sind. Es kommen dann noch Italiener und Jugoslawen dazu. 80% dieser arbeitslosen ausländischen Jugendlichen sind oder waren Hilfsarbeiter oder angelernte Arbeiter. In diesen Zahlen sind natürlich nicht diejenigen Jugendlichen enthalten, die das Arbeitsamt deswegen nicht erheben kann, weil die Betreffenden entweder nicht gemeldet sind oder überhaupt noch nie im Erwerbsleben gestanden haben. Hier haben wir es also mit einer frappanten und bedrückenden Übereinstimmung zwischen einer Minderheit in den USA, nämlich den schwarzen Jugendlichen, und den ausländischen Jugendlichen hier zu tun. Dies macht eine Studienreise, wie wir sie durchgeführt haben, und den entsprechenden Informationsaustausch nicht nur im Augenblick, sondern auch in Zukunft interessant.

Wir sind natürlich, wie Herr Kaiser eben bereits bemerkte, nur an der Oberfläche des Informiertwerdens geblieben. Wir haben nur einen sehr kleinen Einblick in die Situation der Minderheiten gewinnen können, da unser Gesprächspartner, vor allem unsere Gastgeber nicht den entsprechenden Schichten angehörten. Sie standen der Problematik so fern wie der Durchschnittsbürger der Bundesrepublik den Fragen der ausländischen Arbeitnehmer gegenübersteht.

Gemeinsamkeiten

Wie in der Bundesrepublik so trifft auch in den USA eine Wirtschaftskrise vornehmlich die sozial schwachen Gruppen. Besonders charakteristisch dabei ist die Arbeitslosigkeit. Das zweite Phänomen ist das Abgedrängtwerden oder das Abgedrängtbleiben durch scheinbar selbstgewählte bzw. nachträglich bejahte und gewollte Ghettos wie bei den Reservaten der Indianer. Für uns deprimierend war, was wir in Reservaten von Arizona gesehen haben, wo die Hälfte der jetzt noch in den USA lebenden Indianer wohnt. Sie sind dort in Halbwüsten abgedrängt, verfertigen Handarbeiten oder ähnliches, der Alkoholismus ist weit verbreitet, Arbeitslosigkeit und Selbstmordrate sind hoch, ein sehr großer Prozentsatz lebt von der Sozialhilfe.

Nun sind die Indianer aufgrund ihrer geringen Zahl und der Tatsache daß sie prinzipiell von der amerikanischen Bevölkerung getrennt leben, für uns nicht besonders kennzeichnend. Viel leichter konnten wir eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Minoritäten in den USA und der Bundesrepublik studieren, nämlich die Bildungsdefizite, die bei der schwarzen Bevölkerung vorliegen und uns kaum aufholbar erschienen. Dies hängt mit der Segregation und der auf die umgebende Gesellschaft hin undurchlässigen Gettos zusammen.

Eine Minderheitengruppe kommt der Mentalität, dem Bewusstsein und der Lage unserer "Gastarbeiter" am nächsten. Es handelt sich dabei nicht um die Schwarzen, auch nicht um die Mexikaner, sondern um die Puertoricaner. Sie wandern mit der Vorstellung ein, nach einer gewissen Zeit wieder in die Heimat zurückzukehren. Sie sind Staatsbürger der USA, haben praktisch die gleichen Rechte, kommen aber aus wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten. Die USA sind für sie wie wir es auch von den ausländischen Arbeitnehmern her kennen, das Gelobte Land, in dem sie in einigen Jahren so viel verdienen wollen, daß sie nach Hause gehen können, um dort durch einen kleinen Betrieb oder eine andere Investition den Lebensunterhalt zu sichern. Faktisch bleiben aber die Puertoricaner genauso wie die ausländischen Arbeitnehmer zum großen Teil in dem Aufnahmeland. Diese parallelen Prozesse müßten wissenschaftlich noch stärker untersucht werden, weil hieraus für uns mehr abzulesen ist, als aus der Gettosituation der Indianer oder auch der Schwarz-Amerikaner. Interessant sind übrigens - das leitet zum Nächsten über - neueste Informationen aus Amerika, wonach die Ghettos in New York nicht kleiner, sondern größer wurden.

Unterschiede

Nun einige wichtige Unterschiede zwischen der Einwanderung in die USA und der Einwanderung in die Bundesrepublik. Die Vereinigten Staaten von Amerika verstehen sich als Einwanderungsland und betreiben deswegen auch seit Generationen bis auf den heutigen Tag - wenn auch jetzt restriktiv - eine Einwanderungspolitik. Hiermit sind alle Möglichkeiten für den Einwanderer gegeben, bis bin zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und der vollen Teilnahme an der Gesellschaft. Das sage ich unabhängig von der tatsächlichen Gettosituation vieler Minderheiten.

Eine solche Einwanderungspolitik ist völlig verschieden von der Ausländerpolitik in der Bundesrepublik, die sich bis auf den heutigen Tag offiziell nicht als Einwanderungsland versteht. Daher wird auch keine Einwanderungspolitik betrieben. Der Widerspruch zu den politischen Vorstellungen liegt aber nun darin, daß ein Großteil der nach hier gekommenen ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien faktisch ansässig geworden ist. Von der Wirklichkeit her - und das ist durch Zahlen zu belegen - sind wir aber, wenigstens für die Arbeitsmigration, ein Einwanderungsland geworden.

Ein weiterer großer Unterschied: Die Europäer dürfen als die bestintegrierten eingewanderten Bevölkerungsteile in den USA angesehen werden, zumal gerade sie die gesellschaftlichen Schichten stellen, die von diesem Land Besitz ergriffen haben. Mit der zweiten und dritten Generation ist die Amerikanisierung erfolgt. Die kulturelle und sprachliche Verbindung mit dem Herkunftsland wird höchstens noch über Vereine und ähnliche Einrichtungen gepflegt.

Auch ein gravierender Unterschied: In den USA gibt es zahlreiche und umfangreiche Programme zur Überwindung von Diskriminierungen bei verschiedenen Minoritäten. Ich kann nicht darüber urteilen, wie effektiv sie sind. Entscheidend ist für mich der politische Wille, der in den Programmen zum Ausdruck kommt, die erhebliche finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen. Der politische Wille, Diskriminierungen auf allen Ebenen und in allen Bereichen und in jeglicher Form zu überwinden, zeigt sich u.a. auch darin, daß in allen größeren Städten Kommissionen gebildet werden, an die sich jeder wenden kann, der sich aufgrund der Religion, der Rasse, des Geschlechtes oder der Herkunft benachteiligt fühlt. Allerdings gibt es eine Form der Diskriminierung, die nicht eingeklagt werden kann und doch sehr entscheidend ist für Amerika, die Form der Diskriminierung nämlich, daß man arm ist und dadurch nicht oder nur unzulänglich an der Gesellschaft. teilhaben kann.

Bei den Programmen handelt es sich u.a. um die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, die Überwindung der Arbeitslosigkeit und des Bildungsdefizits. Dabei ist mir aufgefallen, wie zentralistisch und rigoros die Bundesregierung der Vereinigten Staaten in die Belange der verschiedenen Bundesstaaten eingreifen kann, um ihre Programme durchzusetzen.

Bei den Versuchen zur Überwindung des Bildungsdefizits bei den Schwarzen geht es vor allem um eine Mischung dieser Bevölkerung mit den Weißen im schulischen Bereich. Ganz offensichtlich ist das Schulsystem für die Schwarzen schlechter als das für die Weißen. Eine Verbesserung der Schulsituation der schwarzen Schüler kann nur erreicht werden, wenn sie mit den weißen zusammen die Bildungsgänge durchlaufen. Dies wiederum ist nur möglich, wenn die verschiedenen Bevölkerungsteile systematisch gezwungen werden, daß sie sich - wenigstens schon einmal in der Schule - mischen.

Wenigstens am Rande konnten wir in Charlotte das Funktionieren des sogenannten busing, d.h. des Transports von weißen Schülern in schwarze Gebiete und von schwarzen Schülern in weiße Gebiete sehen. Eine ganze Armada kleiner Schulbusse ist von Schulbeginn bis Schulschluss unterwegs. In Charlotte, wo dieses System seinerzeit juristisch durchgesetzt wurde, konnten wir mit einem der schwarzen Rechtsanwälte, die sich dafür eingesetzt hatten, ein Gespräch führen. Während unserer Anwesenheit in Charlotte wurde das busing-System in den Zeitungen lebhaft diskutiert. Generalstabsmäßig ausgearbeitete
Pläne waren abgedruckt, aus denen hervorging, wie viel Prozent Schwarze in einem bestimmten Schulbezirk wohnen und wie viel Weiße und welche Vorstellungen die Schulverwaltung für das beginnende Schuljahr hat, um die unterschiedlichen Prozentsätze anzugleichen. Es wurde auch in aller Offenheit diskutiert, daß dieses busing-System die schwarzen Jugendlichen weiterhin benachteilige, weil ihnen die weitesten Wege zugemutet würden.

Ein Unterschied, der sich aus der Geschichte ergibt:
Die Vereinigten Staaten haben ihre dunkle Geschichte der Rassentrennung, die wir in dieser Form nie kennengelernt haben. Oft hat es eine Politik der Unterdrückung von Minderheiten - vor allem den Indianern gegenüber - gegeben. Auch wenn diese Phase der Geschichte vorbei ist, geht die Auseinandersetzung hierüber und vor allem über die Konsequenzen weiter, ähnlich wie bei uns hinsichtlich der Juden. Die Rassentrennung ist zwar politisch kein Programm mehr, sitzt aber bei weiten Teilen der Bevölkerung noch tief.
(Der bedenklichste Vorschlag zur Lösung der Probleme der schwarzen Bevölkerung kam allerdings nicht von einem Amerikaner, sondern von einem deutschen Wirtschaftler in Charlotte, der sich für die Kastration der Schwarzen einsetzte).


Zwei Unterschiede möchte ich noch benennen: Einmal ist es das sehr viel stärkere Auseinanderklaffen von Arm und Reich in den USA und dann, die für uns nicht vorstellbare quantitative Größenordnung der Probleme. Millionen Menschen sind von Diskriminierungen betroffen, Hunderttausende, und wenn ich an die illegalen Einwanderer denke, Millionen kommen jährlich hinzu.

Dann als negatives Moment: Die Gettos, die sich stabilisiert haben; m.E. ist es kaum möglich, ein einmal über Jahrzehnte bestehendes Getto aufzulösen. Man kann Einzelne aus ihm herausholen, aber das Getto als solches umzufunktionieren ist wahrscheinlich unmöglich, oder es setzt eine noch größere Inhumanität voraus, als die, die zugelassen hat, daß das Getto entstehen konnte.

Erkenntnisse und Konsequenzen

Wenn ich zum Abschluß meiner Ausführungen etwas sagen darf zu unseren Erkenntnissen, zu dem, was in unsere Strategien eingehen sollte, so kann ich sagen, daß ich als noch konsequenterer "Integrations-Politiker" aus den USA zurückgekehrt bin. Politisch werde ich mich noch sehr viel stärker dafür einsetzen, daß das Angebot der Integration gemacht wird, daß man, ohne das Wort zu gebrauchen, davon ausgeht, daß die Bundesrepublik faktisch für weite Teile der hierher gekommenen ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Angehörigen ein Einwanderungsland geworden ist, und daß man daraus die Konsequenzen zieht.

Das zweite, daß man nicht zulässt: - leider sind Ansätze dazu bereits vorhanden und es gibt eine negative Geschichte, die u. U. politisch noch fortgeschrieben werden könnte, - daß man es also nicht zulässt, daß deutsche und nichtdeutsche Kinder, deutsche und nichtdeutsche Jugendliche getrennt voreinander im Kindergarten, in der Schule oder bei der Ausbildung aufwachsen. Tendenzen hierzu sind sehr stark vorhanden, auf dem Hintergrund der politischen Vorstellungen und Versuche, die Rückkehrfähigkeit auch der zweiten und dritten Generation nicht nur zu erhalten, sondern noch zu fördern.

Unsere Politiker werden hier von den Amerikanern - bei aller Unterschiedlichkeit der Problematik - einiges lernen können. Teilweise wurde es bereits zugelassen und in Programmen verwirklicht, daß ausländische Kinder getrennt von den deutschen Kindern groß werden. Das sollte auch dann nicht zugelassen werden, wenn ein analoges und gleich gutes Schul- bzw. Ausbildungssystem angeboten wird.

Erstens gibt es das nicht, es kann es auch nicht geben, denn die sozial schwächere Gruppe erhält niemals ein gleichwertiges oder vielleicht sogar ein besseres Ausbildungssystem. Zum anderen aber das Getrenntvoneinanderaufwachsen, selbst wenn ich voraussetze, dass gleiche Bildungsabschlüsse garantiert sind, bedeutet ein Nebeneinanderherleben und damit vor allem auch eine Fixierung vorhandener oder sich immer wieder ausprägender Vorurteile.

In Charlotte wurden keine Hymnen angestimmt über die Erfolge der De-Segregation, aber es wurde uns gesagt, daß durch die schulische De-Segregierung das Zusammenleben der schwarzen und weißen Kindern, das Zusammenleben der schwarzen und weißen Lehrer und das Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsteile überhaupt stark gefördert werden konnte. Es führe schließlich dazu, daß man - was sonst in Amerika als unmöglich erscheint - auch miteinander im gleichen Gebiet wohnen kann.

Hinzugelernt haben wir, daß man alles tun sollte, um sich anbahnende Gettos bereits im Ansatz zu verhindern. Dies kann nicht einfach nur durch die Erklärung des guten Willens geschehen; hier wird Herr Kaiser sehr viel mehr aus der Perspektive Stuttgarts sagen können, das die Flucht der deutsche Bevölkerung mittlerer und gehobener Einkommen aus den städtischen Zentren kennt, und den sich daraufhin bildenden Sog für die sozial und wirtschaftlich schwächeren Gruppen, d.h. für ältere Menschen, für Ausländer und für Familien mit mehreren Kindern in die frei werdenden Wohngebiete zu ziehen. Ich kann auch von Frankfurt statistisch belegen, daß die Form der Segregierung bereits im Gange ist. Dieser Tage habe ich in einem Gespräch mit Mitgliedern der CDU-Fraktion von Frankfurt gesagt, wenn diese Form der Bevölkerungsentmischung, die wirtschaftliche und sonstige Gründe hat, so weitergeht, dann wird das Zentrum von Frankfurt in einigen Jahren ein internationales Ghetto sein, vielleicht noch einmal unterteilt wie in New York in China-Town, Little Italy und Harlem; eine solche Unterteilung in Frankfurt allerdings in kleinerer und kompakterer Bauart.

Wir müssen uns auf die Zukunft hin um die Europäisierung unserer Mentalität bemühen und können uns in der Bundesrepublik nicht mehr einfach als eine undurchlässige, abgeschlossene Nation betrachten. Wir sind Teil eines europäischen Gefüges, nicht nur im Wirtschaftlichen, sondern auch im Menschlichen und Kulturellen.

Von mir kann ich sagen, daß der Amerika-Aufenthalt vieles, was ich vielleicht theoretisch bereits wußte, anschaulich vor Augen geführt hat; manches in meinen Auffassungen war zu korrigieren, manches aber - vor allem meine Integrationsvorstellung - wurde entscheidend bestärkt.

Daher betrachte ich auch die Äußerungen, wie sie der Hessische Ministerpräsident Holger Börner am vergangenen Samstag vor der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gemacht hat, als zukunftsweisend. Hierbei ist zu bemerken, daß der Hessische Ministerpräsident sehr oft in den USA geweilt hat und die dortige Situation recht gut kennt. Von diesen politischen und menschlichen Erkenntnissen und Einsichten her möchte er wohl verhindern, daß im Lande Hessen ein Ballungsgebiet entsteht, das sich mit dem vergleichen ließe, was wir an einigen Stellen in Amerika gesehen haben.

Börner setzte sich dafür ein, daß die heranwachsende zweite Generation der Ausländer besonders gefördert wird und daß der Bevölkerung deutlich zu machen ist, wir seien auf dem Wege zu einer multikulturellen und multirassischen Gesellschaft. Der Ministerpräsident nannte Zahlen, z.B., daß 14,7 % der neugeborenen Kinder in der Bundesrepublik aus Ausländerehen stammten, in Frankfurt seien es im vergangenen Jahr sogar 39 % gewesen. Die Heimatsprache der ausländischen Kinder und Jugendlichen solle erhalten bleiben und ihnen keine totale Germanisierung abverlangt werden. Andererseits gehe es aber um eine echte Integration, wobei Börner sich gegen nationale Schulen und ähnlich Einrichtungen aussprach, weil er der Auffassung ist, daß auf diese Weise Analphabeten in zwei Sprachen erzogen würden. Wer es mit dem Aufbau Europas ernst meine, müsse hier bei uns beginnen. Einen entscheidenden Satz dieser Rede stelle ich an den, Schluß meiner Ausführungen. Er lautete, daß viele ausländische Mitbürger für immer in der Bundesrepublik bleiben werden. Für sie sei unser Land faktisch zum Einwanderungsland geworden.