Die
die "Ausländer"-Szene am prägnantesten
beleuchtende Nachricht der letzten Wochen
ist eine Mitteilung des Hessischen Kultusministers
Krollmann, nach der nur 48% der berufsschulpflichtigen
"Gastarbeiterkinder" die Berufsschule besuchen
und 75% von ihnen keinen Hauptschulabschluß
besitzen. Der entsprechenden Zeitungsnotiz
zu ergänzen wäre noch das Faktum,
daß 75% auch ohne Ausbildungsplatz
sind. Dazu paßt eine dpa-Meldung
vom 1. September. Die Arbeitslosigkeit
in USA unter schwarzen Jugendlichen sei
in diesem Sommer mit 34,8% auf einen Höchststand
geklettert. Bei weißen Jugendlichen
betrage sie nur 12,6%. Die allgemeine Arbeitslosigkeit
in den USA belaufe sich derzeit auf 6,9%.
Was ist zu tun?
Niemand
weiß eine Antwort, vor allem nicht
in einer "Wirtschaftskrise", die die gesellschaftlich
Schwachen am härtesten trifft. Ich
gehe davon aus, daß die berufliche
Desintegration "ausländischer" Jugendlicher
nicht mehr aufgearbeitet werden kann. Eine
verschwindende Minderheit kann und soll
noch nachträglich qualifiziert werden.
Die nachteiligen Folgen und absehbaren
Dauerschäden für die meisten
jungen Menschen und für unsere Gesellschaft
können mit einem immensen personellen
und finanziellen Aufwand im außerschulischen,
sozial- und individualtherapeutischen Bereich
höchstens noch gemildert werden. Trotz
des Hinweises auf die alarmierende Nachricht
aus den Vereinigten Staaten wehre ich mich
entschieden dagegen, in diesem Zusammenhang
"amerikanische Verhältnisse" zu beschwören.
Dies deswegen, weil dabei die kriminologische
Komponente ungebührlich herausgestellt
und das Verursacherprinzip auf den Kopf
gestellt wird. Wenn wir nach zwei Jahrzehnten
Ausländerbeschäftigung ein gravierendes
"Ausländer"problem haben, dann haben
wir uns das nicht nur selbst eingehandelt,
sondern es auch durch eine unzulängliche
- ich drücke es gelinde aus - Ausländerpolitik
unnötig verschärft.
Was
hat dies nun mit dem von mir gewählten
Thema zu tun? Ich möchte dartun, wie
auf Dauer - also nicht kurzfristig - eine
optimale Integration der "Ausländer"
betrieben werden kann. Sie muß vorrangig
auf zwei Aktionsebenen ansetzen und zwar
auf der politischen und der sozialpolitischen
Ebene. Auf der politischen Ebene geht es
um eine andere und bessere "Ausländer"politik,
auf der sozialpolitischen oder besser der
erziehungspolitischen Ebene sollten die
Möglichkeiten der Kindergartenarbeit
ausgeschöpft werden. Damit klammere
ich die Schule nicht aus, sondern sehe
sie als zweite Stufe eines erfolgreichen
Integrationsansatzes an.
An dieser Stelle muß ich zwei Begriffserläuterungen vornehmen. Sie beziehen sich auf die Worte "Integration" und "Ausländer". "Integration" ist für mich ein Prozeß, bei dem einer gesellschaftlichen Gruppe die Chancen geboten werden, in effektiver Form und auf allen Sektoren gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren. Bei dieser Definition wird die Hauptaufgabe der Integration der Gesellschaft selbst und nicht der auf irgendeine Weise benachteiligten Bevölkerungsschicht zugewiesen. Außerdem gilt dieser Integrationsbegriff nicht nur für "Ausländer", sondern läßt deren Eingliederung nur als eine der vielen Integrationsaufgaben erscheinen. "Ausländer"integration ist demnach nur ein exemplarischer Fall von Integration überhaupt.
Den Begriff "Ausländer"
setze ich fast ständig in Anführungszeichen,
weil ich damit ausdrücken möchte,
daß ich ihn für die Bevölkerungsgruppe,
die er bezeichnen soll, weitgehend nicht
mehr für zutreffend halte. Mit "Ausländer"
verbinde ich die Vorstellung eines Menschen,
der aus einem anderen Land kommt, sich
nur vorübergehend in meinem Land aufhält
und eigentlich wieder in das andere Land
gehört. Diese Vorstellung ist kaum
noch anwendbar auf Männer und Frauen,
die in der Bundesrepublik ansässig
geworden sind. Bestimmt läßt
er sich aber nicht mehr anwenden auf die
2. und 3.Generation der Immigranten, für
die die Heimat ihrer Eltern bzw. Großeltern
"Ausland" ist.
Damit komme ich zur Aktionsebene der Ausländerpolitik.
Die
Ausländerpolitik, auf die sich Bund
und Länder mühsam geeinigt haben
- ein Konsens, der bereits wieder fraglich
geworden ist -, ist in erster Linie eine
Ausländerbeschäftigungspolitik,
die in der Federführung des Bundesarbeitsministers
liegt. Sicher war die Ausländerpolitik
am Anfang eine Arbeitsmarktpolitik. Sie
kann es aber vor der Tatsache, dass es
mittlerweile zu einer faktischen Einwanderung
gekommen ist, nicht mehr sein.
Daher vertritt der Deutsche
Städtetag, und in diesem vornehmlich
die besonders betroffenen Großstädte,
eine konsequente Integrationspolitik, die
davon ausgeht, daß ein sehr großer
Teil der nichtdeutschen Bevölkerung
in der Bundesrepublik ansässig geworden
ist.
Diese Auffassung vertritt
inzwischen auch das Land
Baden-Württemberg, in dem es
40% der Ausländer als ansässig
bezeichnet. Ein großer Teil davon
hat die Wohnung in der Heimat aufgegeben
und alle engeren Familienangehörigen
nach Deutschland geholt. Eine Ausländer-Studie
der Stadt Köln geht sogar von 60-70%
ausländischer Arbeiterbevölkerung
aus, die auf Dauer in der Bundesrepublik
bleiben wird, trotzdem sie dies eigentlich
nicht vorhat.
Obwohl in Hessen von 1973 bis 1976 ein Rückgang der Ausländerbeschäftigung von 20,6% zu verzeichnen ist, beläuft sich der Abwanderungssaldo für die nichtdeutsche Wohnbevölkerung im gleichen Zeitraum auf 0,2%. 51,8% der anderssprachigen Einwohner Hessens halten sich mit Stichtag 30.9.1976 sechs und mehr Jahre im Bundesgebiet auf. Im Bundesgebiet selbst ist von September 1975 bis September 1976 die Zahl der Menschen nichtdeutscher Nationalität um 141.000 oder 3,5% angestiegen, während ihre Beschäftigungszahl um 2,4% abgenommen hat.
Angesichts
dieser Fakten allein ist ein Abgehen von
der halbherzigen Integrationspolitik dringend
erforderlich. Bei dem wachsenden Anteil
der nichtdeutschen Bevölkerung im
Vorschul-, Schul- und Jugendalter bedeutet
nämlich eine unzulängliche gesellschaftliche
Eingliederung nicht nur ein Lebensdefizit
der betroffenen Menschen, sondern auch
ein Retardieren bzw. einen Rückschritt
der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung,
vor allem eine Desintegration der großstädtischen
Räume.
Die sozialpolitische Aktionsebene:
Ministerpräsident
Holger Börner hat im vergangenen
Dezember den Kindergarten einer katholischen
Gemeinde in Frankfurt besucht, die über
einen Anteil von 62% nichtdeutscher Kinder
verfügt. Dabei hat der Ministerpräsident
zum Ausdruck gebracht, daß die Zukunft
eines ausländischen Kindes entscheidend
davon abhänge, einen guten Kindergarten
besuchen zu können. Die Start- und
Chancengleichheit aller Kinder sei bereits
im Zugang zum Schulwesen zu gewährleisten.
Bei den ausländischen Kindern gehe
es darum, sie aus ihrer sozialen und sprachlichen
Randstellung durch eine gezielte pädagogische
Arbeit herauszuholen. In diesem Zusammenhang
sprach Börner von einer "sozialpolitischen
Aufgabe erster Ordnung" und zwar in quantitativer
und qualitativer Hinsicht.
Die Politiker sehen die Bedeutung
dieses Bereichs immer deutlicher. Im Konzept
von Bund und Ländern zur Ausländerbeschäftigungs-politik
heißt es: "Wie für deutsche
soll gleichermaßen für ausländische
Kinder der sozialpädagogische und
familienpädagogische Erziehungs- und
Bildungsauftrag des Kindergartens verwirklicht
werden." Das Anfang August vorgestellte
"Konzept der
CDU zur Ausländerpolitik" formuliert
das gleiche Ziel, damit "bereits beim Schuleintritt
eine soziale Integration angebahnt ist".
Unter dem Leitthema "Ausländerkinder
- ihre Zukunft in unseren Städten"
hat sich der Deutsche
Städtetag im Mai u.a. mit dem
Kindergartenbereich befaßt und auf
die besondere Bedeutung des Kindergartens
für die ausländischen Kinder
hingewiesen. Der Städtetag sieht sogar
die Chance, den meisten ausländischen
Kindern in absehbarer Zeit einen Kindergartenplatz
zur Verfügung zu stellen. Er begründet
dies mit dem sehr starken Ausbau der Kindergärten
in allen Bundesländern und den sinkenden
Geburtenzahlen bei der deutschen Bevölkerung.
Nach
jüngsten Angaben des Statistischen
Bundesamtes Wiesbaden. ist das Angebot
an Kindergartenplätzen zwischen den
Jahren 1963 und 1975 von 890.000 auf fast
1,5 Mio. angestiegen, während im gleichen
Zeitraum die Anzahl der 3- bis 5jährigen
Kinder um 17% abgenommen hat (Wirtschaft
und Statistik 8/77). Derzeit stehen für
je 1.000 Kinder dieses Alters 655 Kindergartenplätze
zur Verfügung.
Der Landesjugendwohlfahrtsausschuß
Hessen hat im Mai 1976 erklären
können: "Der zu beobachtende Geburtenrückgang
hat in zahlreichen Städten und Gemeinden
zu der erfreulichen Begleiterscheinung
geführt, daß die Bevölkerung
ausreichend mit Kindergartenplätzen
versorgt ist." In einigen Fällen zeichne
sich bereits ein Überangebot an Plätzen
ab. Das dürfe aber nicht zu einem
unreflektierten Abbau von räumlichen
und personellen Kapazitäten führen.
Mittlerweile geht aber in vielen einschlägigen
Einrichtungen die Sorge um, Gruppen aufgeben
und Personal entlassen zu müssen,
weil die finanzielle Belastung nicht mehr
getragen werden kann.
Nach stichprobenartigen Erhebungen
des Deutschen
Caritasverbandes liegt der Versorgungsgrad
deutscher Kinder mit Kindergartenplätzen
bei 65%, der der ausländischen Kinder
aber nur bei 30%. Das bedeutet eine erhebliche
Unterversorgung letzterer. Diese Zahlen
werden für Bayern
von dessen Statistischem
Landesamt bestätigt. Danach
besitzen von 100 drei- bis fünfjährigen
Deutschen 67 einen Kindergartenplatz, von
100 gleichaltrigen Ausländern dagegen
nur 29. Eine Statistik der Konferenz
der Caritasverbände in Hessen weist
für die Kindergärten des Caritasverbandes
in den großen hessischen Städten
einen Anteil von 18,1% aus, während
der Anteil der Nichtdeutschen an den Geburtsjahrgängen
1972-1974 31,4% beträgt. Das Platzangebot
für nichtdeutsche Kinder müßte
doppelt so hoch sein wie bisher, um den
gleichen Versorgungsstand wie bei den Deutschen
zu erreichen. Das ist die Aufgabe quantitativ
gesehen.
Der
Qualität nach geht es aber auch um
ein angemessenes pädagogisches Programm.
Um hier noch einmal der Hessischen Ministerpräsidenten
zu zitieren: "Die Einführung in die
Gesellschaft und der Übergang in die
Schule sind aber gerade für das ausländische
Kind mit größten Schwierigkeiten
verbunden." Es spreche eine andere Sprache,
wachse in einer von Deutschen sehr verschiedenen
Mentalität auf und gehöre als
Kind von ausländischen Arbeitnehmern
einer durchweg in der Gesellschaft unterprivilegierten
Gruppe an.
Am 16.5.1977 hat die Konferenz
der Caritasverbände in Hessen
ein Programm zur Integration ausländischer
Kinder im Kindergarten beschlossen. Es
sieht vor allem organisatorische und pädagogische
Verbesserungen in den Kindertagesstätten
mit einem hohen Anteil von Ausländerkindern
vor: Herabsetzung der Gruppenstärke,
vermehrtes Angebot an Tagesplätzen,
einen angemessenen Personalschlüssel
bei verlängerten Öffnungszeiten
und Fortbildungsangebote für die pädagogischen
Mitarbeiter. Außerdem sollen in ausgewählten
Kindertagesstätten Versuche gemacht
werden, um die Zweisprachigkeit der Kinder
zu fördern, weil dies an sich für
die Identität der Kinder unerläßlich
sei.
Entscheidend
ist aber, daß die nichtdeutschen
Kinder mit den deutschen zusammen aufwachsen
und kein pädagogisches Ghetto gefördert
wird. Abkapselungsversuche der einen oder
anderen Nationalität sind angesichts
massiver Verdrängungsbemühungen
durchaus verständlich, aber keinesfalls
förderungswürdig. Es geht nämlich
um eine gemeinsame Zukunft der nachwachsenden
Generation, die ethnisch plural, sprachlich
aber deutsch sein wird. Wer diese deutsche
Sprache nicht oder nur unzulänglich
beherrscht, bleibt von der vollen Partizipation
an dieser Gesellschaft in der Bundesrepublik
zwangsläufig ausgeschlossen. Ich schließe
mit einem Wort von Staatssekretär
Reimut Jochimsen
aus dem Bundesministerium
für Bildung und Wissenschaft:
Alle Maßnahmen (in Kindergarten,
Schule, Berufsschule und Betrieb) sollten
sich von dem Ziel leiten lassen, "deutsche
wie ausländische Schüler zu Trägern
und Teilhabern derselben Gesellschaft zu
erziehen."
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