VORSTELLUNG:
Die 3 Bundestagsabgeordneten
des hiesigen Wahlkreises:
Dr.
Heinz Riesenhuber (CDU)
Karsten D. Voigt (SPD)
Wolfgang Mischnick (FDP)
Vertreter der ausländischen
Gemeinden:
Stefano
Di Caro;
für die Italienische Gemeinde Frankfurt-Höchst,
Vorsitzender des Gemeinderates,
Beruf: Lehrer
Ivica
Sponar;
Vertreter der Kroatischen Gemeinde Frankfurt,
Carlos
Calvo;
für die Spanische Gemeinde,
Mitglied des Gemeinderates und stellvertretender
Vorsitzender des Ausländerrates
im Bistum Limburg,
Moderation:
Herbert
Leuninger;
Ausländerreferent des Bischöflichen
Ordinariates Limburg.
EINFÜHRUNG
H.
Leuninger:
Die Tatsache, daß sich
drei Bundestagsabgeordnete von hohem politischem
Rang auf diese Podiumsdiskussion mit dem
Thema "Mitbürger oder nur Gastarbeiter
?" eingelassen haben, ist von großer
Bedeutung.
Ausländer sind keine
bzw. noch keine Wähler, das Ausländerthema
ist für einen Parlamentarier nicht
- noch nicht - wählerwirksam.
Dennoch hat dieses Thema
zusehends an politischem Gewicht gewonnen.
Der Umgang mit diesem politisch unmündigen
Bevölkerungsteil hat für die
Bundesrepublik mit ihrem sozialstaatlichen
und demokratischen Anspruchsniveau exemplarischen
Charakter.
Etwa in dem Sinne, wie es
Egon Bahr im Blick auf Südafrika formuliert
hat: "Sage mir wie Du mit Deinen Minderheiten
umgehst, und ich sage Dir, was Du für
ein Staat bist."
Die Ausländerpolitik
in der Bundesrepublik ist bis auf den heutigen
Tag eine Ausländerbeschäftigungspolitik.
Sie beinhaltet im Rahmen des Arbeitsmarktes
die Steuerung und Steuerbarkeit eines Teils
- und zwar des schwächsten - der Arbeitnehmerschaft.
Sie wird als Restgröße kalkuliert
und manipuliert. Dies hatte u.a. zur Folge,
daß in einem Verdrängungsprozess
ohnegleichen mehr als 600.000 ausländische
Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren
haben.
Dennoch hat es sich nach
mehr als zwei Jahrzehnten Ausländerbeschäftigung
ergeben, daß ein beachtlicher Teil
dieser Arbeitnehmer mit ihren Angehörigen
in der Bundesrepublik sesshaft geworden
ist.
Ca. 1 Million ausländische
Kinder sind hier geboren worden, bzw. aufgewachsen.
1,3 Millionen sind 6 bis über 15 Jahre
hier. 50% der Ausländer, die 1964
in der Bundesrepublik waren, sind 1974
noch hier. Ohne die ausländischen
Arbeitnehmer und ihre Familien wäre
unsere Wirtschaft, wären unsere Großstädte
funktionsunfähig (Beispiel Frankfurt).
Die ausländischen Arbeitnehmer
und ihre Angehörigen sind in der Bundesrepublik
Deutschland zu einer Nebenbevölkerung
geworden, d.h. zu einer Bevölkerung
minderen rechtlichen Ranges, minderer sozialer
und politischer Einschätzung, minderer
Chancen. Vergleiche mit Bevölkerungsteilen
in Indien, Südafrika und in den USA
drängen sich unwillkürlich auf.
BEFRAGUNG:
Die
1. Frage:
(an die drei Bundestagsabgeordneten:
Kann sich die Bundesrepublik auf Dauer
eine Nebenbevölkerung leisten?
H.Leuninger:
In der Bundesrepublik werden augenblicklich
zwei Konzepte einer Ausländerpolitik
gehandelt. Das eine ist das der Konferenz
der Sozial- und Arbeitsminister, verabschiedet
am 25.4. d. J., das andere ist die Kritik
an diesem Konzept, die vom Deutschen Städtetag
stammt. Hinter das letzte Konzept haben
sich die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände
gestellt. Das erste Konzept ist das arbeitsmarktpolitisch
geprägte, während das zweite
ausländerpolitisch im weiteren Sinne
des Wortes ist und stärker auf die
vorhandenen Realitäten im Sinne der
Integration eingeht. Dabei gehen die ausländerpolitischen
Fronten quer durch die Parteien.
Frage
an Herrn Dr. Riesenhuber:
(Ministerpräsident) Filbinger (CDU)
auf der einen Seite, der in Sachen Ausländerpolitik
als Scharfmacher gilt und in der Bund-Länder-Kommission
die härteren Positionen einnehmen
ließ; auf der anderen Seite der ehemalige
Innenminister von Rheinland-Pfalz, Schwarz
(CDU), der sich für eine sehr liberale
und integrative Ausländerpolitik einsetzt.
Nehmen wir hinzu die Tatsache, daß
die Stellungnahme der Diözesanversammlung
des Bistums Limburg zur künftigen
Ausländerpolitik - eine sehr ausländerfreundliche
Stellungnahme -verfasst ist von dem ehemaligen
Staatssekretär von Bundeswirtschaftsminister
Erhard, Herrn Dr. Langer.
Frage:
Wohin entwickelt sich
die Ausländerpolitik der CDU? Welche
Ausländerpolitik wird die CDU in Frankfurt
verfolgen?
Frage
an Herrn Voigt:
Die bedeutsamste und engagierteste politische
Stellungnahme für die Integration
der ausländischen Wohnbevölkerung
stammt von dem bisherigen Präsidenten
des Deutschen Städtetages, Herrn Bürgermeister
Koschnick - gleichzeitig stellvertretender
Parteivorsitzender der SPD - . Er ist bei
seinem kürzlichen Vortrag in Hamburg
noch weiter gegangen als der Deutsche Städtetag
und hat u.a. gesagt: "Die These vom Nicht-Einwanderungsland
ist Fiktion". Er steht damit im Gegensatz
zum Bundesarbeitsministerium und vielleicht
auch zur Bundesregierung.
Frage:
Welche Kräfte werden
sich in der SPD in diesem Bereich durchsetzen?
Frage
an Herrn Dr. Mischnick:
Die FDP hat lange hinter dem Berg gehalten
mit ausländerpolitischen Vorstellungen,
hat sich dann aber im vergangenen Jahr
sehr engagiert gegen Behinderungen in der
Familienzusammenführung eingesetzt.
Der Hessische Wirtschaftsminister und stellvertretende
Ministerpräsident Herbert Karry (FDP)
hat in einem Schreiben vom 9.5. an die
Diözesanversammlung des Bistums Limburg
u.a. geschrieben, die Bundesrepublik Deutschland
könne kein Einwanderungsland sein,
und er hielte es für unerläßlich
alles zu tun, eine Rückwanderung der
Ausländer zu fördern und ein
weiteres Hereinströmen zu verhindern.
Frage
1:
Wie sieht das Kräfteverhältnis
in Sachen Ausländerpolitik bei der
FDP aus?
Frage
2:
Was wird aus der Enquete
Kommission, die die FDP wohl dem Bundeskanzler
für seine Regierungserklärung
abgerungen hat, gegen die aber die Arbeitsministerkonferenz
und auch der DGB sind?
3. Mai 1977 FRANKFURTER RUNDSCHAU (Lokal-Rundschau)
"Es wird nur in Kosten gesprochen"
"Mitbürger oder nur .Gastarbeiter?" Voigt mit weitgehenden Forderungen
ESCHBORN. "Wir geben uns Mühe, das tun Sie leider nicht." Die ehrliche und mit leisem Ingrimm vorgetragene Schelte eines ausländischen Mitbürgers galt den drei Bundestagsabgeordneten des hiesigen Wahlkreises gleichermaßen, „Sie sollten mit uns sprechen und nicht allein…" Dieses Resümee eines Teilnehmers aus dem Saal nach rund zweistündiger Diskussion „Mitbürger oder nur Gastarbeiter?" der katholischen Christkönigsgemeinde drückt wohl am ehesten aus, warum sich die Politiker mit den Problemen der Ausländer in der Bundesrepublik so schwer tun und warum gut gemeinte Vorschläge zur Integration Thesen auf dem Papier bleiben. Genauso, wie der ausländische Mitbürger oft in der Anonymität der ‚Wohngettos rnit seinen Problemen allein bleibt, spricht man auch in der Politik allenthalben über ihn - wer bezieht seine Ansichten schon in den Dialog mit ein?
Daß die Podiumsdiskussion
nicht als Tribüne politischer Selbstdarstellungen
und zum Forum für wohlgeformte: Sonntagsreden
wurde, verdankt das Gespräch in erster
Linie der Moderation von Herbert
Leuninger, dem Ausländerreferenten
im Bistum Limburg, der den Parteienvertretern
unerbittlich auf den Zahn fühlte und
sie herausforderte, die Gretchenfrage deutlich
zu beantworten, wie sie es denn mit den
ausländischen Mitbürgern halten,
denn gerade bei einem solchen Themenkomplex,
wo karitative Gefühlsregungen mobilisiert
werden, ist der Wortlaut schöner Äußerungen
(wer ist eigentlich nicht. für Integration
ausländischer Mitbürger) von
den aktiven Taten dann sehr weit entfernt..
Ein Zuhörer aus dem
Saal hatte die Tendenzen der politischen
Zielrichtung richtig zusammengefaßt:
Karsten D. Voigt
(SPD), so urteilte er, habe die
deutlichste Sprache gesprochen, dem CDU-Mann
Dr. Heinz Riesenhuber
unterstellte er, mehr das "Rotationsprinzip"
als das der Integration in den Vordergrund
gestellt zu haben, und FDP-Fraktionschef
Wolfgang Mischnick habe sich wohl
deswegen Zurückhaltung auferlegt,
weil er von allen drei die größte
politische Verantwortung habe.
Tatsächlich waren die
Forderungen von Karsten
Voigt am weitgehendsten: Ausweitung
des Wahlrechts auf Kommunal- und Landtagswahlen
für ausländische Mitbürger,
Möglichkeit der Mitgliedschaft in
einer Partei, Bildungsurlaub, der von den
"Anwerbern" bezahlt wird, zum Erlernen
der deutschen Sprache. Dr.
Riesenhuber hielt sich mehr an Gemeinplätzen:
Endlich vernünftige Voraussetzungen
für gesellschaftliche Integration
schaffen, forderte er, freilich ohne konkrete
Punkte zu nennen und versprach, wenn Alfred
Dregger erst Ministerpräsident
sei, werde der sich persönlich um
Ausländer kümmern. Riesenhuber
hält viel von Beratung, und wenig
davon, die Betriebe für die sprachliche
Schulung der Ausländer zur Kasse zu
bitten: "Dann werden die Chancen des
Arbeitsplatzes nur geringer." Restriktive
Einwanderungspolitik, darauf setzt Wolfgang
Mischnick. Er meint damit, keine
zusätzliche Einreise zu ermöglichen,
die Rückreise im Auge behalten und
diejenigen, die sich hier einbürgern
wollen, zu integrieren.
Über die Abwägungen der Politiker zeigten sich viele Teilnehmer im Saal erbost: In Wirklichkeit habe die ganze Zeit in Deutschland dle vierte Partei, die Ökonomie regiert, hieß es in Wortbeiträgen, Ausländer. seien seinerzeit mit Versprechungen in die Bundesrepublik gelockt worden und hätten ihre Arbeitskraft
verkauft: "Es wird immer nur in Kosten gesprochen." Das veranlaßte auch die Podiumsredner zu einigen aufschlußreichen Bemerkungen.
Dr.
Riesenhuber erwähnte eine demoskopische
Umfrage, der zufolge 50 Prozent aller Bundesdeutschen
der Auffassung sind, Arbeitslosigkeit
käme durch die Beschäftigung
von Ausländern zustande und engagierte
sich dahingehend, daß ein Politiker
keine Wahl gewinnen könne, wenn er
sich bei seiner Politik nur an demoskopischen
Erkundungen orientiere.
Auch Karsten
D. Voigt ist in Sachen Ausländerpolitik
zunehmend pessimistisch geworden, seit
sich die Arbeitslosenfrage verschärft
hat und die Konkurrenz eine wachsende Ausländerfeindlichkeit
bedingte, „Wir erleben, daß wenn
man keine Wertorientierung mit hineinbringt
in die Politik, jeder nur an sich selber
denkt." Auch was das Ausländerwahlrecht
anbetrifft, machte Voigt eine denkwürdige
Bemerkung. Wenn es die Allgemeinheit als
Beschneidung ihrer eigenen Rechte ansieht,
Wahlrecht für Ausländer einzuführen,
„dann ist im Punkt auf die demokratische
Gesinnung hierzulande etwas nicht in Ordnung.
GÜNTER
HOLLENSTEIN
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