Herbert Leuninger ARCHIV KIRCHE
1985

DIE HALTUNG DER KATHOLISCHEN KIRCHE ZUR ISLAMISCHEN BEVÖLKERUNG IN DER BUNDESREPUBLIK

INHALT

Einleitung

  1. Der Bewußtseinsstand der Bevölkerung
  2. Die Einstellung der Bischöfe
  3. Theologische Fragen
  4. Der Caritasverband und die Muslime

Einleitung

"Die Türken sind da!" Tausendfach gellte der Schreckensruf im Juli 1683 durch Wien. Unaufhaltsam hatte sich das Heer des türkischen Großwesirs Kara Mustafa auf die Reichs- und Residenzstadt zugewälzt. Am 12.September besiegte das Entsatzheer des polnischen Königs Sobiecki das türkische Heer. Wien war gerettet. Ganz Europa atmete auf.

Erneut hallt ein Alarmruf durch deutsche Lande. "Die Türken stehen nicht mehr vor Wien. Sie leben mitten in Berlin!" Er wird nicht nur an Biertischen oder auf rechtsextremen Versammlungen ausgestoßen. Er findet sich auch nicht mir in anonymen Briefen und fremdenfeindlichen Flugblättern. Verbreitet wird er in einer Tageszeitung von Weltrang und in dem Buch eines bis vor kurzen führenden Politikers,

Der eingängige Spruch von den Türken vor Wien und in Berlin stellt die Verbindung zwischen einem Ereignis vor 300 Jahren und einem heutigen Geschehen her, Dabei wird unterschwellig die kriegerische Ausbreitung des osmanischen Reiches mit der Anwesenheit von Menschen aus dem früheren Kernland dieses Reiches in Berlin und in der Bundesrepublik verglichen, als gäbe es eine Gemeinsamkeit zwischen den Invasionsgelüsten eines Sultans und dem Bestreben angeworbener türkischer Arbeiter, in Deutschland den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen.

Aber, was nützen bei offensichtlich tief sitzenden Ängsten rationale Argumente? Sie werden noch durch die jüngsten Entwicklungen im Islam verstärkt. Ist - diese Frage wird in dieser oder einer ähnlichen Form in kirchlichen Kreisen tatsächlich gestellt - der Islam nicht drauf und dran, das Christentum in Europa zu zerstören? Es wird sogar davon gesprochen, die türkischen Menschen in Berlin, Stuttgart und München seien die Vorboten eines aggressiven Islam, seine fünfte Kolonne. Da werden unversehens wehrlose, friedliche Menschen zu möglichen Okkupanten und Invasoren. Verstaubte Feindbilder lassen sich aufpolieren. Kreuzzugsgeist kommt auf.

Um den Versuch der Katholischen Kirche zu verstehen, ihre Haltung gegenüber der muslimisch-türkischen Bevölkerung zu definieren, muß man wissen, wie die Stimmungslage in der Bevölkerung, gerade auch in der katholischen ist.

 

1. Der Bewußtseinsstand der Bevölkerung

Die Stimmungslage hat sich vor geraumer Zeit erheblich verändert. Deutlich wird der Meinungsumschwung in dar deutschen Bevölkerung und Gesellschaft an einer Umfrage (infas), deren Erhebungszeitraum zwischen dem 7.171981 und dem 31.1.1982 lag. In diese Zeit fiel die Empfehlung der damaligen Bundesregierung (sozial-liberal) an die Länder, den Familiennachzug drastisch zu beschränken. Dies wurde allgemein als Wende in der Ausländerpolitik von der "Integration" zur "Re-Integration" verstanden und so auch von den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden kritisiert. Nach der genannten Untersuchung könnte knapp die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung als klar ausländerfeindlich eingestuft werden. Weiterhin glaubte die Studie herausgefunden zu haben, daß 58% der Bundesbürger eine Verminderung, Begrenzung oder Reduktion der Ausländerzahlen wünschten und 62% mißbilligten, daß "Gastarbeiter" ihre Familien in die Bundesrepublik nachholten. Gegenüber früheren Meinungsumfragen sind diese Ergebnisse und die anderer, ähnlicher Untersuchungen Anzeichen eines Stimmungswandels, der von Wissenschaftlern als alarmierend eingeschätzt wurde.

Alle späteren Untersuchungen bestätigen den hohen Grad einer fremden-distanzierten und fremden-abweisenden Einstellung, sie registrieren unter Umständen noch höhere Prozentsätze.

Daher muß es überraschen, wenn ein Forscher-Team aus Mannheim feststellt, „daß es in der Bundesrepublik aus der Sicht der Bevölkerung keine großen Aversionen gegen Ausländer im allgemeinen gibt, es gibt aber das Türkenproblem." Dar letzte Halbsatz entspricht einer allgemeinen Auffassung, die die Festigkeit eines Dogmas hat. Entsprechende Aussagen fehlen in keiner, auch in keiner wohlmeinenden Diskussion. Das ihm zugrunde liegende Einstellungsmuster hat den Charakter eines nicht hinterfragbaren Vorurteils und läßt sich derzeit kaum erschüttern. Es reicht auch in humanitäre, gewerkschaftliche und nicht zuletzt kirchliche Organisationen hinein und blockiert eine vorurteilsfreie Behandlung der Fragen des gesellschaftlichen und religiösen Zusammenlebens, Das Mannheimer Institut nennt eine Rangfolge der Akzeptanz bzw. Ablehnung der einzelnen Nationalitäten: Die beste Beurteilung erfahren die Amerikaner, mit etwas Abstand folgen dann die Franzosen. Italiener, Griechen und Jugoslawen werden auf etwa gleichem, wiederum niedrigerem Niveau mehrheitlich ebenfalls positiv eingeschätzt. Die Gruppe, die am stärksten und mehrheitlich abgelehnt wird, sind die Türken.

Ein Kölner Institut, das die Voraussetzungen für eine Kampagne der Regierung gegen die Xenophobie prüfen sollte, kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Nach seiner Analyse wird die Andersartigkeit von Ausländern italienischer, spanischer, jugoslawischer und griechischer Nationalität weitgehend akzeptiert, weil sie häufig als anpassungswillig, fleißig, ehrgeizig und lernwillig erlebt würden. Bei Türken dagegen spielten Unverständnis von deren Verhalten, deren Andersartigkeit und das Gefühl, daß sie sich nicht anpassen wollen, eine große Rolle. Hier tauchten Begriffe wie "schmutzig" oder "unsauber" gehäuft auf. Aggressionen würden auch geweckt durch die "rabiate Kindererziehung bei Türken", die "Unterdrückung der Frau"; Alltagskontakte über die Kinder und Frauen würden unterbunden. Diese Abkapselung würde als Aggression gegenüber den Deutschen empfunden, so daß hieran dann auch Äußerungen aufgehängt würden, wie "die holen ihre Familien nur, um unser Kindergeld auszunutzen", oder "wenn die nicht wollen, sollen sie doch wieder gehen".

Es ist offensichtlich, daß gerade die türkische Bevölkerung in die Rolle des gesellschaftlichen Sündenbocks geraten ist, was mit einer entsprechenden religiös-christlichen Überhöhung bzw. Ideologisierung eine bedenkliche und für die Zukunft des islamisch-christIichen Verhältnisses belastende Entwicklung nehmen könnte. Was die Kirche hiergegen auszurichten vermag, ist schwer abzuschätzen.

Dazu wäre erforderlich, sich über die soziologischen Hintergründe klarer zu werden, wie sie vor allem in der Vorurteilsforschung analysiert werden. Danach werden in Zeiten großer wirtschaftlicher Unsicherheit Ängste geweckt, wobei folgende Bedingungen vorliegen müssen, daß es zu einer Angstverschiebung auf gesellschaftlich legitimierte Objekte kommt. Danach müssen den gesellschaftlichen Gruppen, die durchaus begründet Angst um ihren Arbeitsplatz, um ihre Zukunft und die ihrer Kinder haben, die Ursachen für ihre Frustration entweder unbekannt nein, oder aber die sie frustrierende Gruppe, gesellschaftliche Institution ist zu mächtig, bzw. aus anderen Gründen nicht erreichbar. Dies alles könnte auf weite Bevölkerungskreise in der Bundesrepublik zutreffen.

Nach bestimmten Theorien der Vorurteilsforschung wird nun das Ersatzobjekt nicht von den Betroffenen ausgesucht, die "Wahl'' des Ersatzobjektes wird vielmehr als Instrument demagogischer Herrschaftspraxis angesehen. Dabei muß der Schein der Glaubwürdigkeit, ja sogar der Humanität gewahrt werden. Gleichzeitig muß das Ersatzobjekt über bestimmte Eigenschaften verfügen, durch die es sich als solches gleichsam anbietet. Danach muß es greifbar genug sein. Diese Voraussetzung würde gerade die türkische Bevölkerung als die mittlerweile größte nichtdeutsche Bevölkerungsgruppe mit ihrer Signifikanz in Öffentlichkeit und Medien erfüllen.. Das Ersatzobjekt darf aber wiederum nicht zu greifbar sein. Auch dies ist in besonderer Weise bei der türkischen Bevölkerung durch sprachliche, kulturelle, religiöse, schichtenspezifische und wohnungsmäßige Distanzen erfüllt. Nicht zuletzt muß die Auswahl des Erzatzobjektes historisch fundiert sein und als unbestreitbares Element der Tradition erscheinen. Dies wird mit dem Verweis auf die Türken vor Wien und in Berlin als hinreichend gegeben betrachtet. Weiter muß das Ersatzobjekt in starren und wohlbekannten Stereotypien definiert sein: Dazu zählen die gängigen Aussagen von den türkischen Menschen, die von vorneherein integrationsunwillig und nicht assimilierbar seien, und einer anderen Rasse angehörten.

2. Die Einstellung der Bischöfe

2.1 Die Kirche als Anwalt aller Migranten

Die Kirche hat mit dem Beginn der Arbeitswanderung in der-, Bundesrepublik für die Arbeitsmigranten und später für ihre Familien eine besondere Rolle, nämlich die des Anwalts übernommen. Das bezieht sich auf die gesamte Lebenssituation der Migrantenfamilien. Seit Jahren versucht die Kirche dazu beizutragen, daß den eingewanderten Minderheiten ein Höchstmaß an Rechtsicherheit gewährt wird. Dabei macht sie prinzipiell keinen Unterschied zwischen Christen und Angehörigen einer anderen Religion, macht sie auch keinen Unterschied zwischen Nationalitäten. Ausdrücklich heißt es in einer Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Höffner (1982), daß sich die Kirche von ihrem Auftrag her vor allem der Fremden und Bedrängten annehmen wird und als Anwalt und Verteidiger ihrer Rechte auftritt. Dabei umfasse die Diakonie der Kirche alle Fremden und Bedrängten ohne Ausnahme und Unterschied von Herkunft und Religion, auch die türkische Bevölkerung. Wegen einer immer restriktiveren Ausländerpolitik erhebt der Kardinal in der gleichen Erklärung namens der deutschen Bischöfe in Einheit mit dem Papst, der gesamten Kirche und den Europäischen Bischofskonferenzen für alle Migrantenfamilien die Forderung nach dem uneingeschränkten Recht der Ehegatten, Eltern und Kinder auf Zusammenleben. Dabei stellt der Kardinal einen Stimmungswandel gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familien fast, der sich in Fremdenangst und sogar in Fremdenhaß äußern. In Politik lind Verwaltung hätten sich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in einschränkenden und abwehrenden Mainahnen den Ausländern gegenüber niedergeschlagen. Verständliche Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft und tiefsitzende Ängste um die eigene und nationale Identität würden - wie in der, Geschichte so oft - auf die "Fremden" übertragen. Der Bischof gesteht ein, da8 die Unruhe in der Gesellschaft, die sich als Fremdenangst und Fremdenabwehr äußert, auch vor der Kirche nicht Halt mache, so daß auch ein Wort in die Kirche hinein angezeigt ist, die er verpflichtet, an der Überwindung vorhandener Ängste mitzuwirken.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat im November 1982 eine Stellungnahme zur Ausländerfrage veröffentlicht, in der sie bei ausdrücklicher Anerkennung berechtigter nationaler Interessen die Rechte der ausländischen Familien auf Eigenverantwortung und auf Zusammenleben betont. Dabei sorgt sich die Deutsche Bischofskonferenz nicht nur um die rund zwei Millionen Katholiken unter den Ausländern. Sie weiß sich kraft ihres Öffentlichkeitsauftrages mitverantwortlich für alle Ausländer, die hier wohnen. Dabei ist sie sich bewußt, daß die Anwesenheit von über eineinhalb Millionen Moslems nicht nur den Staat, sondern auch die Kirche vor schwierige Aufgaben stellt. Zuvor hatte der Text alle aufgefordert von der Möglichkeit gegenseitiger kultureller Bereicherung Gebrauch zu machen, die die Anwesenheit von Familien aus anderen Völkern und Kulturen bietet. Mit Bezug auf die heftigen und bisweilen polemischen Diskussionen der letzten Zeit dürften diese nicht den Blick dafür verstellen, daß die Ausländer und ihre Familien der Nächstenliebe eines jeden Christen und der Solidarität eines jeden Staatsbürgers bedürften.

2.2. Das Verhältnis zu den Moslems

Die Anwesenheit der türkischen Bevölkerung ist für die Kirche immer stärker auch die Anwesenheit von Moslems und damit Anhängern einer anderen Weltreligion. Hierzu sucht die Kirche in Deutschland über ihre Rolle als Anwalt hinaus ein spezifisches Verhältnis, das seinerseits in einem sehr problematischen politischen Kontext steht. Die politischen Bemühungen einer zahlenmäßigen Verminderung gerade der türkischen Bevölkerung werden der Kirche nicht zuletzt dadurch akzeptabel zu machen versucht, daß auf die Konkurrenzsituation Christentum - Islam aufmerksam gemacht wird, also auf eine Situation, in der doch auch die Kirche ein Interesse daran haben müßte, daß die Zahl der hier ansässig gewordenen muslimischen Einwanderer möglichst niedrig gehalten wird. Unsicherheiten über die eigene christliche Identität in einer säkularen Gesellschaft und der offensichtliche Rückgangs der Kirchlichkeit unter den eigenen Mitgliedern lassen solche Ideen nicht ganz ohne Resonanz in der Kirche, sie dürften auch einer der Gründe dafür gewesen sein, daß die Kirche ihre klare ausländerpoIitische Haltung zwar nicht aufgegeben hat, aber doch der Versuchung zu erliegen drohte, sie nicht mehr hinlänglich aktiv in der Öffentlichkeit zu vertreten.

Hinsichtlich des Verhältnisses der Kirche in der Bundesrepublik zu den Moslems gibt es noch keine allseits abgeklärte und akzeptierte Linie. Dies hängt zusammen mit den politischen und öffentlichen Klima gegenüber der türkischen Bevölkerung und den schwer einzuschätzenden Entwicklungen im Weltislam.

Bei der Vorstellung der ArbeitshiIfe stellt der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz fest, es sei unschwer abzusehen, daß muslimische Bevölkerungsgruppen auf Dauer zum gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Erscheinungsbild in der Bundesrepublik Deutschland gehörten. Aus dieser Tatsache ergäben sich nicht nur für Gesellschaft und Staat Probleme spezifischer Art, auch die Kirche sähe sich in ihrer Sorge einer großen Herausforderung gegenübergestellt. Dabei müsse die Kirche mit dafür sorgen, daß sich ein Klima der Fremdenfeindlichkeit nicht ausbreiten könne. Auf der Grundlage ihres christlichen Menschenbildes trete sie dafür ein, daß kulturelle Minderheiten jenen Freiraum erhalten, der eine menschenwürdige Entfaltung in Freiheit gewährleistet.

Die Kirche will, wo es hilfreich ist, all ihre sozialen Dienste und Einrichtungen den Moslems öffnen. Hierzu zählen insbesondere die Krankenhäuser, die Einrichtungen der Jugendhilfe, der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. Dahinter steht die Verpflichtung des christlichen Glaubens, allen Menschen - ohne Unterschied ihrer Herkunft und ihres Glaubens - die erforderlichen Hilfen und den notwendigen Beistand zu gewähren. Eine besondere Problematik sieht die katholische Kirche allerdings dann gegeben, wenn es um die kirchlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen wie Schulen und Kindergärten geht, die aus einem katholischen Erziehungs- und Bildungsauftrag heraus wirken. Diese sollen auch für muslimische Kinder und Jugendliche dann offenstehen, wenn der katholische Erziehungsauftrag gewährleistet bleibt und die Eltern mit der christlichen Erziehungseinrichtung einverstanden sind. Besondere Schwierigkeiten sieht die Kirche naturgemäß auch bei Ehen zwischen Christen und Moslems, vor allen wegen des unterschiedlichen Eherechts. Ehe Arbeitshilfe formuliert erhebliche Vorbehalte gegen eine Ehe zwischen Christen und Moslems. Es heißt: "Die glaubensmäßigen und weltanschaulich-kulturellen Unterschiede sind zu stark, daß grundsätzlich vor dem Eingehen einer religionsverschiedenen Ehe zwischen Christen und Moslems klar gewarnt worden muß" .

Die Arbeitshilfe widmet sich schließlich auch einer Frage, die in der Bundesrepublik eine immer größere Bedeutung erhält, inwieweit nämlich ein islamischer Religionsunterricht in der Schule einzuführen wäre. Diese Frage berührt die Kirche vor allem deswegen, weil sie selbst Wert darauf legt, daß es nach wie vor in den Schulen einen konfessionellen Religionsunterricht gibt. Ein islamischer Religionsunterricht in den Schulen würde diesen Anspruch unterstreichen, aber auch die faktische Privilegierung der christlichen Kirchen in diesem Bereich relativieren. Die Arbeitshilfe setzt sich weder für noch gegen einen islamischen Religionsunterricht ein und erörtert nur die Gesichtspunkte und Kriterien, die für den Staat bei seiner Entscheidung maßgeblich sein mü8ten; d.h. die Kirche kann sich nicht durchringen, die Einführung des Religionsunterrichtes zu fordern.

3. Theologische Fragen

Von der Theologie, vor allem der Pastoraltheologie ist zu zagen, daß sie das Thema eigentlich verschlafen hat, eine Feststellung, die auch für die Migration im Ganzen gilt.

Natürlich gibt es Ansätze und wichtige Gedanken, wie sie sich etwa in der Dokumentation einer Akademietagung mit dem Titel "Muslime unter uns" niederschlagen. Verschiedene Disziplinen der Theologie waren dort in einigen wichtigen Vertretern zusammengeführt. Die Tagung sollte einen Impuls für die weitere wissenschaftliche Arbeit geben und Entscheidungsträgern und Mitarbeitern in kirchlichen Einrichtungen halfen, die eigene Position zu klären und zur Grundlegung einer christlichen Praxis gegenüber Moslems zu gelangen.

Dabei fragt der Pastoraltheologe Rolf Zerfaß, Würzburg, kritisch danach, was das denn wohl sei, die Identität eines katholischen Kindergartens. Für ihn gibt es keine christliche Schule und kein christliches Krankenhaus, sondern im Glücksfall eine Schule und ein Krankenhaus, in dem Christen miteinander leben und arbeiten; und ein christlicher Kindergarten ist ein Kindergarten, in dem Christen ein Klima aufbauen, das den Geist Jesu verpflichtet ist. Die Erfüllung des katholischen Erziehungsauftrages des Kindergartens bedeutet daher nicht die Anpassung an ein bestimmtes kirchliches Milieu, sondern Erziehung zur Liebesfähigkeit. Darum darf ein türkisches Kind für den katholischen Kindergarten so wenig ein "Problem" sein wie ein behindertes Kind. Für Zerfaß können muslimische Kinder an sich nicht eine Gefährdung der Identität des katholischen Kindergartens sein, sondern vielmehr ein Katalysator, der den Kindergarten zwingt, sich zuallererst auf seine Identität bzw. sein Profil zu besinnen. Was in den muslimischen Kindern auf die. Pfarreien zukommt, ist also nicht ein "Problem" sondern die Herausforderung, allen Provinzialismus abzutun und Weltkirche vor Ort zu werden. Es geht also um mehr als um die Identität des Kindergartens, die Identität der Kirche selbst ist gefragt, die seit dem II. Vatikanum die Berufung von Christen und Moslems darin sieht, sich zu respektieren, in einen Dialog einzutreten, um sich zu verstehen, die Vergangenheit zu vergessen und sich die Hände zu reichen, um Anstöße zugunsten einer Gesellschaft zu fördern, in der Friede und Gerechtigkeit herrschen. Die Arbeitshilfe der Bischöfe enthält die wichtigen kirchlichen Lehraussagen, die wie eben dargestellt zusammengefa8t werden können.

Georg Evers vom Missionswissenschaftlichen Institut in Aachen analysiert die Dialogsituation in der Bundesrepublik, wobei er die Auffassung vertritt, daß diese entgegen landläufiger Meinung eher, als ein Verhältnis von Macht (Christentum) und Ohnmacht (Islam) bezeichnet werden kann. Dialog wird definiert als „eine Begegnung in gegenseitiger Achtung der Andersheit des Andern, die auf der Basis einer grundsätzlichen Gleichberechtigung stattfindet". Damit hebt er den Dialog deutlich ab von der missionarischen Verkündigung, bei der es um "kerygmatisches Sprechen mit dem Ziel, den Adressaten der Botschaft von der Wahrheit zu überzeugen und ihn zur Annahme der eigenen Überzeugung zu bringen", handelt. Ein solches Sprechen sei aber nur dann legitim, wann der andere zu verstehen gegeben hat, daß er sich unterweisen lassen möchte, weil er in seiner eigenen Auffassung unsicher geworden ist. Von daher dürfte eine echte Missionssituation im Hinblick auf einen Moslems in der Bundesrepublik höchst selten gegeben sein. Diese fundamentale Unterscheidung entspricht offenbar einer zeitgemäßen Missionstheologie, die für die Weltebene gilt und jetzt für die Bundesrepublik an Bedeutung gewinnen könnte. Von der Weltkirche her sollte die Kirche in Deutschland ihre Maßstäbe finden, damit nicht zuletzt das, was wir für die Kirche in den Missionsländern fordern, den Moslems in Deutschland nicht verweigert wird.

Moraltheologisch gesehen müsse nach Volker Eid, Bamberg, der Islam in der Bundesrepublik als eine Religion betrachtet werden, die nicht mehr eine bloße "Gastreligion" sei, sondern eine Religion, welche neben den christlichen Kirchen ein eigenes Entfaltungsrecht besitzt. Die umfassende Diakonie der Kirche bedeute daher immer und ausnahmslos, jedem hilfebedürftigen Menschen dazu zu verhelfen zu seiner Lebensfülle zu gelangen. Dies schließe ein, Menschen in ihrer islamischen Identität zu stärken. Wenn dies in christlicher Toleranz geschähe, die auf jede ideologisch-aggressive Abgrenzung verzichtet, gefährde sie nicht die Identität der Christen.

Bei einem Vergleich der Arbeitshilfe der Bischöfe mit den Gedanken der Wissenschaftler wird deutlich, daß beide Seiten sicher von der gemeinsamen kirchlichen Lehre ausgehen, die Theologen aber, wenigstens in den Vertretern, die sich mit dem Thema ausdrücklich befassen, Konsequenzen gezogen und Perspektiven aufgezeigt werden, die weder in der gesamten Bischofskonferenz noch in der Theologie, geschweige denn bei der Mehrheit der Gläubigen akzeptiert sein dürften. Hierfür ist einfach noch zu wenig im geistigen und pastoralen Raum geschahen, sind in allen Schichten der Kirche noch zu starke. Vorurteile oder doch wenigstens Vorbehalte vorhanden. Hier steht der Kirche noch ein langwieriger Prozeß bevor.

4. Der Caritasverband und die Muslime

Eine wichtige Aufgabe in Verhältnis Kirche und Muslime fällt naturgemäß den katholischen Wohlfahrtsverband, der Caritas zu. Hierüber heißt es in der Arbeitshilfe: "Die Kirche und mit ihr der Deutsche Caritasverband in seiner Wohlfahrtsarbeit ist von ihrem christlichen Auftrag her in die Pflicht genommen, im Rahmen das Möglichen zuständig zu sein für jeden Hilfesuchenden, der sich in einen Anliegen an ihre Sozialdienste wendet, unabhängig von Rasse, Religion, politischer Einstellung oder nationaler Herkunft." Nun hat der Caritasverband im Rahmen seiner Sozialdienste für die, Migranten seine Schwerpunkte für die Arbeitnehmer und ihre Familien aus Italien, Jugoslawien, Portugal und Spanien. Dennoch sind die Dienste der Caritas grundsätzlich allen offen, die sie benötigen, d.h. damit auch Menschen muslimischer Religionszugehörigkeit. In vielfacher Weise werden diese Dienste in Anspruch genommen.

So treffen die Mitglieder der Kath. Krankenhaushilfe in zunehmendem Maße auch auf türkische Patienten! Die Helferinnen und Helfer bemühen sich, diesen Patienten ihre Dienste anzubieten, besonders auch dann, wenn sich die Familienangehörigen nicht selbst um ihre Kranken bemühen können, oder wenn keine Familien vorhanden sind. Die Zahl der muslimischen Frauen, die sich bei einer unerwünschten Schwangerschaft um Rat und Hilfe an eine katholische Beratungsstelle wenden, hat in den letzten Jahren ständig zugenommen. Auch die Einsatzstellen für Familienpflege haben immer häufiger Einsätze in türkisch-muslimischen Familien, sei es, weil die Mutter sich in Krankenhaus befindet, im Wochenbett liegt oder krank zuhause ist. Kranke Menschen muslimischen Glaubens worden in den katholischen Krankenhäusern unterschiedslos wie alle anderen Patienten aufgenommen.

Einen besonderer Ort, wo Kirche und Caritas in Kontakt zur muslimischen Bevölkerung kommen, ist der Kindergarten, bei dem die Kirchen in der Bundesrepublik eine führende Rolle spielen. Weithin wird als ein Dilemma empfunden, dass so umschrieben werden kann: Der katholische Träger eines Kindergartens wird auf eine ausdrückliche religiöse Bildung und Glaubenserziehung nicht verzichten können, der sozial-caritative Auftrag des Kindergartens gebietet es aber, auch muslimische Kinder aufzunehmen.

So wird immer wieder die Befürchtung geäußert, daß durch die Anwesenheit muslimischer Kinder der religiöse Erziehungsauftrag an den katholischen Kindern gefährdet sei. Dieser Befürchtung - und darauf hat der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Georg Hüßler, eigens hingewiesen, widersprächen zunächst die konkreten Erfahrungen engagierter Erzieherinnen. Hier liegt eine Fülle von Erfahrungsberichten vor, die eine erstaunliche Souveränität im Umgang mit religiösen Fragen bekunden. Es ist offenkundig, daß die Anwesenheit einer fremden Religion durchaus eine positive Chance enthält, daß nämlich Erzieher ihres eigenen Glaubens bewußter werden, indem sie ihn erklären, begründen und vorleben müssen. Das heißt, die Praxis ist der Theorie voraus und zeigt zumindest exemplarisch, daß die Aufnahme muslimischer Kinder absolut nicht den katholischen Erziehungsauftrag beeinträchtigen muß.

Ohnehin wird die aufgezeigte Problematik erheblich dadurch relativiert, daß 1981 in den 8.220 katholischen Kindergärten nur 3,3% muslimische Kinder waren; in absoluten Zahlen 16.600 unter 506.000 anderen Kindern. Die Anzahl von Kindergärten, in denen mehr als 25% muslimische Kinder sind, gilt als verschwindend gering. Nur 16% der in Frage kommenden türkischen Kinder befinden sich überhaupt in katholischen Kindergärten, so daß sich die Identitätsfrage dieser Einrichtungen eher im Sinne eines Zurückbleibens hinter der christlichen Verantwortung gegenüber diesen Kindern stellt,

Es scheint, daß dem Caritasverband für das Zusammenleben von Christen und Moslems der Part eines opinon leader in der Kirche zufällt; zumindest wären die Voraussetzungen hierfür in besonderer Weise durch seine Dienste und Einrichtungen, die von muslimischen Menschen in Anspruch genommen werden, durch die daraus gewonnenen Erfahrungen1 Einsichten und Reflexionen und nicht zuletzt durch die bereits oben geschilderte Grundeinstellung gegeben. Daß er die Aufgabe eines Meinungsführers in der Kirche, ja sogar in der Gesellschaft spielen kann, hat er nicht zuletzt durch seine politischen und innerkirchlichen Aktionen zum Ausdruck gebracht, bei denen er den Anliegen der Arbeitsmigranten Geltung verschaffte,,

In der Angelegenheit Christen - Muslime ist der Verband selbst noch auf dem Weg, muß er in den eigenen Reihen noch Widerstände und Vorbehalte überwinden, die eher von der allgemeinen Ablehnung der türkischen Einwanderer als vom Geist des II.Vatikanum geprägt sind.

Umso wichtiger ist die jüngste Erklärung des Zentralvorstandes das Deutschen Caritasverbandes, eines dar leitenden Gremien, zum Zusammenleben von Christen und Moslems. Zuvor hatte der Vorstand eine Arbeitsgruppe aus seinem Kreis beauftragt, die Situation der muslimischen Bevölkerungsgruppe, überwiegend Türken, in Berlin zu analysieren. Es sollte ein Überblick gewonnen werden über ihr Zusammenleben mit den Deutschen, vor allem auch in den christlichen Gemeinden; dabei sollte auch geprüft werden, welche Aufgabe Kirche und Caritas in der Begegnung mit dieser Bevölkerungsgruppe wahrnehmen soll und kann. Schließlich ging es auch darum, die Überlegungen der Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz für den Bereich des Caritasverbandes fortzuführen. Die Ergebnisse der durch Experten erweiterten Arbeitsgruppe wurden vom Zentralvorstand intensiv beraten und führten zu der Erklärung, die nachfolgend wiedergegeben wird und gleichzeitig den Abchlu8 des Referates bilden soll, weil sie sowohl eine Perspektive aufzeigt als auch verdeutlicht, welchen Weg Kirche und Caritas in Deutschland noch vor sich haben, um den diaIogischen Anspruch des Konzils und der Weltkirche einzulösen.

Die Erklärung trifft folgende Feststellungen

  1. Die Nachbarschaft von Christen und Moslems schafft neue Möglichkeiten der Begegnung, das Umgangs und des Gespräches miteinander, wie dies seit dem II.Vatikanum in der Katholischen Kirche intensiv angestrebt wird.
  2. Die Caritas hat in der Öffentlichkeit wie im innerkirchlichen Bereich zur Gestaltung einer Kultur der Liebe und der Solidarität zwischen der einheimischen Bevölkerung und der muslimischen Minderheit beizutragen, indem sie das gegenseitige KennenIernen und Verstehen durch Begegnung ermöglicht, zur Behebung von Vorurteilen beiträgt, das Gespräch miteinander anbahnt und durch Information und Hilfen Brücken zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen schafft.
  3. Der Deutsche Caritasverband vermittelt als Wohlfahrtsverband der Katholischen Kirche seine Hilfen allen Menschen, welche sich in Not um Hilfe an ihn wenden, ohne nach Religion, Rasse, nationaler Herkunft oder politischer Einstellung zu fragen. Dem Verkündigungsauftrag der Kirche verpflichtet, bietet die Caritas ihre Dienste und Einrichtungen unterschiedslos auch allen Fremden in dieser Gesellschaft an.
  4. Die Caritas tritt dafür ein, die kulturelle und religiöse Eigenart der muslimischen Bevölkerungsgruppe zu respektieren und ihr den für ihre Entfaltung notwendigen Raum zu gaben.
  5. Die Bemühungen muslimischer Bevölkerungsgruppen zum Aufbau und zur Stärkung der Selbsthilfe sind zu unterstützen. Auf diesem Wege kann die Integration des Einzelnen in das gesamtgesellschaftliche Leben erleichtert werden.