Herbert Leuninger ARCHIV KIRCHE

Zusammenleben statt Abschieben

Unseren Frieden mit den Türken sichern

(veröffentlicht in PAX CHRISTI, 2/3 1983, S. 22)
(Bilder nachträglich eingefügt))


1683 - Die Türken vor Wien

"Ein Einsatzheer unter dem Herzog Karl von Lothringen und dem Polenkönig Johann Sobieski hat am 12. September 1683 Wien von den Türken befreit. Eine Entscheidungsschlacht, die sich 1983 zum dreihundertsten Mal jährt. Genau genommen scheint die letzte Entscheidung noch nicht gefallen zu sein, denn die Türken stehen nicht mehr vor Wien, 120.000 Türken leben allein in Berlin." Dies ist ein Zitat, das vielfach auftaucht in anonymen Briefen oder Flugblättern rechter Herkunft. In der aufgeführten Formulierung stammt es allerdings von einem der angesehensten Politiker unserer Republik, nämlich Rainer Barzel (CDU) (Unterwegs - woher und wohin ?, S. 235).


1983 - Die Türken in Berlin

Die stereotype Rede von den Türken vor Wien und in Berlin ist ziemlich weit verbreitet, sie hat sich bereits in vielen Köpfen festgesetzt. Die Geschichte wirkt fort, Ängste aus früheren Jahrhunderten werden wieder aktuell. Man ist versucht, an den Aufruf Deutscher Nation gegen die Türken aus dem Jahre 1520 zu denken: "Frischauf! In Gottes Namen, du werthe deutsche Nation!" Aufrufe ähnlicher Art gibt es bereits. Ihre Auswirkungen sind noch begrenzt. Dennoch ist eine bedrohliche Entwicklung im Gang.

Wo bleibt Pax Christi? Was tut Pax Christi zur Friedenssicherung in der Bundesrepublik? Die Delegiertenversammlung von Osnabrück betrachtet es als Gefährdung auch des innergesellschaftlichen Friedens, wenn unsere aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf dem Rücken der ausländischen Bürger ausgetragen werden. Das ist bereits wichtiger Teil einer Analyse für das, was sich im Zusammenleben zwischen Deutschen und Nichtdeutschen in der Bundesrepublik abspielt. Aber es genügt nicht. Mit Recht wird darauf verwiesen, daß Kirchen und Verbände in der Bundesrepublik in der letzten Zeit Stellung zur aktuellen Ausländersituation genommen haben. Kardinal Höffner geht davon aus, daß die Unruhe in der Gesellschaft, die sich als Fremdenangst und Fremdenabwehr äußert, vor der Kirche, ihren Pfarreien und Verbänden nicht haltmacht und stellt fest, die Kirche müsse sowohl durch ihre Erklärungen als auch durch ihr Verhalten verhindern, daß unsere Gesellschaft durch das Versagen gegenüber Minderheiten unabsehbaren Schaden nimmt. Es gäbe nur eine gemeinsame Zukunft.

Pax Christi hat auch Stellung bezogen und seinen Basisgruppen, Bistumsstellen und dem Präsidium empfohlen, Ausländerarbeit als Teil der Friedensarbeit zu verstehen.

Damit macht sich Pax Christi auf den Weg - etwas zögernd und verspätet - aber sicher nicht zu spät. Keine andere katholische Organisation in der Bundesrepublik verfügt über ein solches Know-how der Friedensarbeit und Völkerverständigung, der Analyse und Aufarbeitung von Vorurteilen, des Abbaus von Feindbildern, der Kontaktpflege von Menschen und Gruppen unterschiedlicher nationaler Herkunft. Als internationaler katholischer Organisation steht ihr nicht nur eine Fülle von internationalen Kontakten und Informationen zur Verfügung, sondern vor allem ein universal ausgerichtetes Menschen- und Weltbild, das als Fundament einer völker- und nationenverbindenden Arbeit unerläßlich ist. Pax Christi weiß wohl auch, was es heißt, Konflikte, Spannungen und Gegensätze der Geschichte aufzuarbeiten und Gemeinsames für ein besseres Zusammenleben fruchtbar zu machen.

All dies ist nun - wie höchstens 50 Jahre zuvor - für den inneren Frieden und für eine psychische Demobilisierung in der Bundesrepublik gefragt. Kurzfristige Erfolge sind hierbei nicht zu erzielen. Es bedarf eines langen Atems und eines intensiven Einsatzes um die geradezu dramatische Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den deutschen und den eingewanderten, vor allem den türkischen Minderheiten, zu verändern und zu einem positiven Klima möglichst konfliktfreien Zusammenlebens zu kommen. Dabei wird eine katholische Organisation wie Pax Christi - auch dafür liegen wohl ausreichende Erfahrungen vor - mit öffentlichem Gegendruck, vielleicht sogar mit massiven Angriffen rechnen müssen. Sie kommen vor allem von der Seite, die mit der Anwesenheit signifikanter islamischer Minderheiten in der Bundesrepublik und in Europa von Ängsten geplagt sind. Das Christentum stehe hierdurch vor einem Kollaps. Die Mythenbildung von "der Überrollung durch eine Flut aggressiven Asiatentums" gewinnt Züge eines kollektiven Wahns. Hiergegen anzugehen, setzt nicht nur eine große innere Stabilität der Organisation und der einzelnen Mitglieder voraus, sondern auch Strategien, die von der Basiserfahrung gespeist, die politische Dimension erreichen.

Pfarrer Herbert Leuninger ist Referent für Katholiken anderer Muttersprachen im Bistum Limburg. Er arbeitet seit Jahren engagiert auf allen Ebenen für ein Zusammenleben mit Ausländern in der Bundesrepublik.