Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1977

Konferenz der Caritasverbände in Hessen
625 Limburg a. d. Lahn - Postfach 108

30.6.1977
Landespressekonferenz
im Roncalli-Haus , Wiesbaden
Integration der ausländischen Kinder
Erziehung im Vorschulalter


INHALT

Einführung

Wir möchten Ihnen heute unser Konzept zur Integration nichtdeutscher Kinder im Vorschulalter vorlegen, das die KONFERENZ DER CARITASVERBÄNDE IN HESSEN auf ihrer letzten Sitzung verabschiedet hat. Wir tun diesen Schritt in der Öffentlichkeit, obwohl die finanziellen und personellen Konsequenzen unseres Programms noch nicht abgesichert sind. Dennoch wollen wir uns mit unseren Vorstellungen selbst binden und zu einer möglichen breiten Diskussion dieses Aufgabenfeldes beitragen.

Dabei teilen wir voll und ganz die Auffassung von Ministerpräsident Börner, die dieser anlässlich eines Besuchs des Katholischen Kindergartens Maria-Hilf in Frankfurt mit einem Anteil von 60% nichtdeutscher Kinder Ende des vergangenen Jahres geäußert hat. Im Hinblick auf die pädagogische Förderung der ausländischen Kinder sprach er von einer sozialpolitischen Aufgabe erster Ordnung.

Nicht zuletzt auch durch eine Studie, die in Anwesenheit von Staatssekretär Reimut Jochimsen vom Bundesbildungsministerium in der letzten Woche der Presse vorgestellt wurde, sehen wir uns in der Einschätzung der Lage bestätigt. In dieser Studie wird die Unterversorgung der ausländischen Kinder mit Kindergartenplätzen herausgestellt und auf die bedenklichen Spätfolgen einer halbherzigen Integration hingewiesen. Die Studie fordert - und dazu möchte der Caritasverband beitragen - flächendeckende Konzepte zur Integration vom Kindergarten bis zum Abitur.

Konzept

Integration der ausländischen Kinder
Erziehung im Vorschulalter

1.

Aufgabenstellung und Situation

1.1

Aufgabenstellung  

1.1.1

Die Bundesrepublik ist ein Land geworden, in dem auf Dauer ein hoher Anteil ethnischer Minderheiten leben wird. Dies gilt vor allem für die nach Hunderttausenden zählenden Kinder nichtdeutscher Eltern, die hier geboren wurden und künftig noch geboren werden. Ihnen steht, um ein Leben, "das der Würde des Menschen entspricht", führen zu können, "volle Gleichheit und Chancen" zu.

(Vgl. Synodenbeschluß: Die ausländischen Arbeitnehmer - eine Frage an die Kirche und die Gesellschaft, B, II, 2)

1.1.2

Die Zukunft eines ausländischen Kindes hängt entscheidend davon ab, daß es die Möglichkeit hat, mit deutschen Kindern zusammen einen Kindergarten zu besuchen. Die Wahrnehmung unwiederholbarer Lernchancen vor dem Schuleintritt eröffnet, gerade Kindern nichtdeutscher Eltern, einen guten Start für Schule, Berufsausbildung und die Eingliederung in unsere Gesellschaft.

1.1.3

Der Kirche fällt in diesem Bereich eine besondere gesellschaftspolitische Rolle zu, da sie sich als Anwalt dieser Bevölkerungsgruppe versteht und gleichzeitig über einen hohen Anteil von Kindergärten verfügt.

1.1.4

Als besondere pädagogische Aufgabe stellt sich die zweisprachige Förderung der ausländischen Kinder, wobei die Erlernung und Beherrschung der deutschen Sprache von der künftigen Umwelt des Kindes her Vorrang besitzt.

1.2

Situation  

1.2.1

Der absolute Rückgang der Geburten und der besonders starke Rückgang der Geburten deutscher Kinder haben in den Kindergärten Platzkapazitäten frei werden lassen, die für diese Aufgabe genutzt werden können.

1.2.2

Der Grad der Versorgung mit Kindergartenplätzen liegt für deutsche Kinder bei ca. 65 %, bei ausländischen Kindern bei ca. 30 %. Der Anteil der Ausländergeburten in Hessen betrug 1975 18,5 %, für Frankfurt 42,2 %. In diesen Zahlen sind die Kinder nicht mehr enthalten, bei denen ein Elternteil deutsch ist. Mit dem Stand vom 30.9.1975 leben in Hessen 29.600 ausländische Kinder unter 5 Jahren.

1.2.3

Bei einer angemessenen und situationsgerechten Förderung der ausländischen Kinder im Kindergarten sind Mehraufwendungen unvermeidlich, die von der Kirche und den Kommunen aufgefangen werden müssen.

2.

Pädagogische und organisatorische Probleme im Kindertagesstättenbereich
 

Die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertagesstätten haben in den letzten Jahren aufgrund der sich ständig wandelnden Situationen Erfahrungen und Erkenntnisse im Umgang mit den ausländischen

Kindern erworben. Diese führen dazu, Konsequenzen für eine Verbesserung der organisatorischen und pädagogischen Gegebenheiten in den Kindertagesstätten zu fordern, und zwar im Interesse aller Kinder in den Einrichtungen.

Die pädagogische Situation wird gekennzeichnet durch

  • vermehrte Sprachschwierigkeiten im Umgang mit den Kindern, aus den verschiedenen Nationen, insbesondere aber in den Gesprächen mit den Eltern;
  • die unterschiedliche Prägung der Kinder aufgrund voneinander abweichenden Erziehungsvorstellungen und Richtungen im Elternhaus. Diese sind bedingt durch den sozio-kulturellen und religiösen Hintergrund der Eltern der jeweiligen Nationen;
  • die Ungewissheit über die weitere schulische Zukunft der Kinder:
    • ob volle Einbeziehung in die deutsche Schule im Rahmen der gesetzlichen Schulpflicht oder Vorbereitung auf die Rückkehr in das entsprechende Heimatland;
  • unterschiedliche Erwartungen und Anforderungen der Eltern gegenüber den Kindertagesstätten im Bezug auf soziale Dienste und pädagogische Konzeptionen.
    z.B. Erziehungsstil, Aufnahmealter, Betreuungszeit, Mittagsverpflegung u.a.

3.

Vorschläge zur Realisierung

3.1

Organisatorische und pädagogische Verbesserungen in den Kindertagesstätten mit einem hohen Anteil von Ausländerkindern

3.1.1

Gruppenstärke in Kindertagesstätten (wünschenswert)
Bei einem Anteil über:

 

20 % Ausländerkinder:

20 Kinder pro Gruppe:

 

30 % Ausländerkinder:

18 Kinder pro Gruppe

 

50 % Ausländerkinder:

15 Kinder pro Gruppe

3.1.2

Vermehrtes Angebot an Tagesplätzen

3.1.3

Angemessener Personalschlüssel, Berücksichtigung der verlängerten Öffnungszeiten

3.1.4

Fortbildungsangebote für pädagogische Mitarbeiter

  • Berufsbegleitendes Seminar an 10 Nachmittagen

Thema:
"Ausländerkinder in den Kindertagesstätten - welche Hilfen können angeboten werden ?"

Veranstalter:
Fachreferat des Caritasverbandes für die Stadt Frankfurt in Verbindung mit den Referenten für Ausländerarbeit.

  • Sprachkurse zur Vermittlung eines fachbezogenen Basiswortschatzes für die Arbeit mit den ausländischen Kindern und ihren Eltern

    Dauer:
    Grundkurs: 15 Doppelstunden
    Aufbaukurs: 15 Doppelstunden

    Sprachen:
    italienisch, spanisch, jugoslawisch

    Veranstalter:
    Es muß geklärt werden, ob eine solche Veranstaltung in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden bzw. mit der Volkshochschule erfolgen kann.

Finanzierung:
Eine Finanzierung der Sprachkurse müßte über das Bischöfliche Ordinariat erfolgen.

 

3.2

Versuche in ausgewählten Kindertagesstätten in den drei hessischen Diözesen - Förderung der Zweisprachigkeit

3.2.1

Freistellung einer zusätzlichen Kraft in einer Einrichtung

Voraussetzung:
Beherrschung einer relevanten Fremdsprache bzw. ausländische Erzieherin mit ausreichenden deutschen Sprachkenntnissen

Aufgabenstellung und Zielsetzung:

  • Zweisprachigkeit in der Erziehung als Angebot für ausländische und deutsche Kinder
  • Vermittlung der nationalen Kultur und Tradition
  • Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Eltern der Ausländerkinder

Zusätzlicher Finanzbedarf:
ca. DM 35.000,-- pro Jahr

Kostenträger:
Bischöfliches Ordinariat

Anstellungsträger:
Kirchengemeinde

3.2.2

Freistellung einer sozialpädagogischen Fachkraft für die Arbeit in einer Einrichtung und die Beratung von Kindertagestätten im Einzugsbereich mit einem hohen Anteil von Ausländerkindern.

Voraussetzung:
Beherrschung einer relevanten Fremdsprache bzw. ausländische Erzieherin mit ausreichenden deutschen Sprachkenntnissen

Aufgabenstellung und Zielsetzung:
Arbeit in der Standorteinrichtung
(anteilige Arbeitszeit 50%)

  • Vermittlung der Muttersprache, Kultur und Tradition durch Förderangebote
  • Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Eltern der ausländischen Kinder

Mitarbeit in den Kindertagesstätten im Einzugsbereich (anteilige Arbeitszeit 50%)

Beratung bei:

  • Verständigungsschwierigkeiten bei Eltern und Kindern,
  • Aufnahmegesprächen,
  • Eingliederung der Kinder
  • besonderen pädagogischen Problemen und
  • der Elternarbeit

Zusätzlicher Finanzierungsbedarf:
ca. DM 35.000,-- pro Jahr

Kostenträger:
Bischöfliches Ordinariat

Anstellungsträger:
Stadtcaritasverband

4.

Konsequenzen
 

Die organisatorischen und pädagogischen Verbesserungen in den Kindertagesstätten, mit einem hohen Anteil an Ausländerkindern, sind umgehend in die Wege zu leiten. Entsprechende Verhandlungen mit den Bischöflichen Ordinariaten durch die Caritasverbände sind erforderlich.

Die Erprobung der Versuche in besonderen Einrichtungen kann zunächst auf zwei Jahre beschränkt werden. Eine Begleitung der Versuche durch ein Fachteam (Fachreferentin am Stadtcaritasverband, ausländische Sozialarbeiter, Beauftragte der Ausländerarbeit) muß gewährleistet sein. Die zusätzliche Finanzierung muß bei den Bischöflichen Ordinariaten beantragt werden.


(Entwurf. H. Leuninger)