Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1974

13. Januar 1974
DER SONNTAG
Kirchenzeitung für das Bistum Limburg
Leserbrief
Stellungnahme zu dem Artikel von Josef Stingl
„Gastarbeiter - Verantwortung tragen alle"

INHALT
Eine erzwungene Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer bei schlechter Konjunkturlage ist menschliches Unrecht.


In dem Artikel, den der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, zum Problem der Ausländerbeschäftigung verfaßt hat, sind besonders interessant die dort gestellten Fragen; auf die gesamten Ausführungen verteilt, sind es im ganzen neun, und zwar sehr bezeichnende. Dreimal wird gefragt, ob die (wachsende) Beschäftigung der ausländischen Arbeitnehmer gesellschaftlich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Zweimal wird die Frage nach dem Nutzen der Ausländerbeschäftigung gestellt. Einen ähnlichen Tenor haben die restlichen Fragen. Läßt man die Fragen in ihrer Massierung auf sich wirken, so erwecken sie den Eindruck, als stellte Präsident Stingl die Ausländerbeschäftigung - wie sie sich in der Bundesrepublik entwickelt hat - überhaupt in Frage.

Nachdem die Bundesanstalt für Arbeit seit Jahren als treue Gehilfin von Regierung und Wirtschaft Millionen Ausländer angeworben und in unser Land geholt hat, erhebt sich das Problem, warum diese Fragen nicht früher gestellt wurden. Wenn sie nämlich gerade jetzt erhoben werden, wo unsere Wirtschaft in Schwierigkeiten gerät, sieht es so aus, als sollten sie die Verringerung der ausländischen Arbeitnehmer verständlicher machen. Solange daran gedacht ist, diese Verminderung dadurch zu erreichen, daß - wie bisher - ausländische Arbeiter aus freien Stücken in ihre Heimat zurückkehren, ist kaum etwas dagegen einzuwenden. Man muß aber wissen, daß gerade bei den Arbeitsämtern die administrativen Maßnahmen vorbereitet sind, bei einer Verschlechterung der Arbeitsmarktlage, die Ausländer zuerst daran glauben zu lassen.

Hier beginnt das menschliche Unrecht an den Ausländern, gegen das die Synode (1) sich eindeutig gewandt hat, wenn sie sagt: „Eine Festschreibung oder Verringerung der Zahl der ausländischen Arbeitnehmer darf nur durch Beschränkung der Neuanwerbung erfolgen und keinesfalls durch eine erzwungene Rückkehr der bereits hier ansässigen Ausländer. Wer im Vertrauen auf das, was man in der Bundesrepublik Deutschland bisher unter Integrationspolitik verstanden hat, gekommen ist, darf nicht zum Verlassen der Bundesrepublik gezwungen werden."

Herbert Leuninger
Ausländerreferent


 

 

 

 

 

(1) Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland verabschiedete in ihrer 4. Sitzungsperiode vom 21.- 25. 1. 1973 den Synodenbeschluß "Der ausländische Arbeitnehmer - eine Frage an die Kirche und Gesellschaft". Das Zitat stammt aus der Grundsatzüberlegung II,5. Josef Stingl war Mitglied der Synode.