Herbert Leuninger ARCHIV KIRCHE
1974

Eröffnung von
Begegnungsstätten für Ausländer

INHALT

 


BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Referent für kirchliche Ausländerarbeit

ITALIENISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE BRAUBACH
Eröffnung 19.1.1974

Was würden italienische Jugendliche machen, wenn sie über eine große Geldsumme verfügten, die sie nicht zum Leben bräuchten? Nach einer Umfrage in der Schweiz würden sie sich an erster Stelle ein Haus in Italien bauen.

Das eigene Haus ist ein äußeres Zeichen des Erfolgs. Es verhilft zur Selbstbestätigung und auch zur Unabhängigkeit. Das Haus in der Heimat ist der Beweis dafür, daß man vor andern nicht zurückzustehen braucht und Achtung verdient. Um das zu erreichen - und nicht nur um den Lebensunterhalt zu verdienen -, hat man die Belastungen und Demütigungen einer Auswanderung auf sich genommen.

Vielleicht kann diese Begegnungsstätte hier dem Rechnung tragen, was hinter dem Wunsch nach dem eigenen Haus im Heimatort steht. Der Einzelne, der sich nach Feierabend oder am Wochenende hier einfindet, trifft auf seine Landsleute. Er kann sich nach Herzenslust in seiner Muttersprache oder auch sogar im heimischen Dialekt unterhalten. Den ganzen Tag über ist er sonst gezwungen, sich recht und schlecht in einer fremden und zudem schwierigen Sprache zu verständigen. Eine gestörte Kommunikation beeinträchtigt das Selbstvertrauen erheblich. Dazu kommt der Anpassungsdruck an andere Lebensverhältnisse. Die eigene Kultur und die besondere Mentalität gelten im Ausland wenig. Die Gruppe der Landsleute ist eine große Stütze, um sich nicht selbst aufgeben zu müssen. Die Familie allein genügt nicht. Wenn eine Begegnungsstätte wie diese auch noch Anstöße vermittelt, sich selbst bildungsmäßig weiterzubringen, erfüllt sie eine weitere wichtige Aufgabe.

Aber können diese Räume mit dem eigenen Haus verglichen werden? Sicher, insofern, sie der italienischen Gruppe von Braubach in eigene Regie übergeben werden. Das ist sicher ein Stück der erforderlichen Unabhängigkeit. Es kommt hinzu, daß das Geld, welches der Caritas-Verband und das Arbeitsamt zur Vertilgung gestellt haben, nicht als Geschenk aufgefaßt zu werden braucht. Es sind Mittel, die die Italiener durch ihre Arbeit aufgebracht haben. Kirchliche und staatliche Stellen sind im Grunde nur die Verteiler.

So sollte die Italienische Gruppe von Braubach, deren Vertreter sich sehr für dieses kleine Zentrum eingesetzt haben, es als ihr Haus betrachten, das mit dem Haus in Heimat sehr vieles gemeinsam hat.


BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Referent für kirchliche Ausländerarbeit

PORTUGIESISCHEs ZENTRUM WIESBADEN
Eröffnung 20.1.1974

Als Ausländerreferent des Bistums Limburg freue ich mich sehr, daß nach einigen vergeblichen Bemühungen heute diese portugiesische Begegnungsstätte eröffnet werden kann. Meine Freude ist allerdings nicht ungetrübt. Wir erleben es derzeit, daß die wohl schon immer vorhandene Abneigung gegenüber Fremden in den letzten Wochen stärker hervorgetreten ist. Wo sind in der ungeklärten wirtschaftlichen Situation die Freunde der ausländischen Arbeiter und ihrer Angehörigen?

Die Bundesregierung läßt strenge Maßstäbe anlegen, wenn es um die Verlängerung der Arbeitserlaubnis geht. Wirtschaftspolitische Interessen rangieren wieder vor humanitären Zielen. Die Gewerkschaftsführung - selbst in einer schwierigen Lage - schweigt.

In Wiesbaden haben die Ausländer gute Freunde, die auch in kritischen Zeiten zu ihnen stehen. Von den vielen, die in den verschiedensten Gremien arbeiten, erlaube ich mir zwei ausdrücklich zu nennen: Caritasdirektor Jaspers und den Geschäftsführer des Ausländerbeirates, Herrn Vollmer. Herr Jaspers hat auch einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, daß die Synode der katholischen Kirche in der Bundesrepublik zu dem in Frage stehenden Problem eindeutig Stellung bezogen hat, wenn sie sagt: „Wer im Vertrauen auf die von der Bundesrepublik Deutschland bis heute propagierten Integrationspolitik gekommen ist, darf nicht zum Verlassen der Bundesrepublik gezwungen werden." Herr Vollmer hat sich in den letzten Wochen rückhaltlos und klar für die Gleichbehandlung aller ausländischen Arbeiter eingesetzt. Seine Mitarbeit an einer entsprechenden Resolution des Ausländerbeirates ist unverkennbar.

Als weitere Freunde erwähne ich Prälat Seidenather, den Vorsitzenden des Diözesancaritasverbandes und dessen Direktor, Herrn Frank. Sie haben sich in einem gemeinsamen Schreiben an den Bundesarbeitsminister gewandt und ihn dringend gebeten die eben genannte Maßnahme wieder rückgängig zu machen. Eine ähnliche Initiative ist übrigens auch von dem Diakonischen Werk in Hessen und Nassau ausgegangen. Beide Bemühungen haben dazu geführt, daß der Deutsche Caritasverband und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland ebenfalls an Bundesminister Arendt geschrieben und ernste Bedenken angemeldet haben.

Es wird in naher Zukunft darum gehen, alle Diskriminierungen ausländischer Arbeiter aufzuheben. Dafür müssen wir uns gemeinsam einsetzen, gemeinsam mit den ausländischen Arbeitern. Ich wünsche allen Portugiesen von Wiesbaden, daß dieses kleine Zentrum hierfür günstige Voraussetzungen schafft.


BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Referent für kirchliche Ausländerarbeit

ITALIENISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE IDSTEIN
Eröffnung am 26.1.1974

Am 5.April des vergangenen Jahres hat der Pfarrgemeinderat von Idstein beschlossen, einen größeren Raum des nicht allzu umfangreichen Gemeindehauses als Treffpunkt und Begegnungsstätte vorwiegend für die Italiener zur Verfügung zu stellen. Dank der aufgeschlossenen Haltung von Herrn Dekan Usinger sahen sich bereits die Italiener, Spanier und Kroaten immer wieder als Gäste in diesem Hause willkommen. Bereits diese Tatsache verdient gewürdigt zu werden. Jetzt ist man einen wichtigen Schritt weiter gegangen und hat die gastliche Aufnahme vertraglich geregelt.

Worin liegt das Besondere? So, wie die deutsche Gesellschaft die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Angehörigen als Randgruppe leben lässt, tun es auch weithin die deutschen Pfarreien. Eine wirkliche Offenheit auf die Ausländer hin gibt es nur selten. Gelegentliche Kontakte werden zwar begrüßt, im übrigen geht aber das Leben der Pfarrei weiter, als gäbe es keine Ausländer in ihr. So bleiben auch die Pfarrheime - bis auf gelegentliche Ausnahmen - für die Ausländer praktisch verschlossen.

Ein Gemeindehaus, das sich für Ausländer öffnet, widersetzt sich der Isolierung, in der die Menschen fremder Zunge hineingeraten sind. Weil sie sich hier nach ihren eigenen Vorstellungen treffen können, wird ihnen die Isolierung ein wenig erträglicher.

Das ist aber nur der erste Schritt. Die Ausländer dürfen auf Dauer nicht allein leben! Auch nicht als Gruppe! Es muß ihnen die Möglichkeit geboten werden mit Deutschen, vor allem auch mit deutschen Gruppierungen in Verbindung zu treten. Hier liegt der unbestreitbare Vorteil der Begegnungsstätte von Idstein gegenüber den sonstigen Zentren, die die Abkapselung der Ausländer - rein vom Räumlichen her – unterstreichen. Der Treffpunkt von Ausländern ist auch gleichzeitig der Treffpunkt für Deutsche. Das ist eine gute Voraussetzung für ein besseres Miteinander, ohne das die Anwesenheit so vieler ausländischer Menschen unmenschliche Züge an sich trägt.


DER SONNTAG
Kirchenzeitung für das Bistum Limburg
10. Februar 1974

EIN STÜCK HEIMAT IN DER FREMDE
Die 20. Begegnungsstätte für Ausländer eröffnet

Am vergangenen Sonntag wurde in Idstein am Taunus die 20. Begegnungsstätte für Ausländer im Bistum Limburg eröffnet. Das war innerhalb von drei Tagen die dritte Eröffnung einer derartigen Einrichtung. Eine Woche zuvor konnten zwei kleinere Zentren in Braubach und Wiesbaden den dort lebenden Italienern bzw. Portugiesen zur Nutzung übergeben werden. Damit verfügen im Bistum 8 Nationalitäten über eigene Räumlichkeiten. Manchmal handelt es sich dabei nur um einen größeren Raum. In einigen Fällen sind es aber regelrechte Zentren, die neben mehreren Versammlungsräumen Büros für Pfarrer und Sozialberater, vielleicht sogar einen Kindergarten umfassen.

Ein Einheimischer kann kaum nachfühlen, welche Bedeutung solche Begegnungsstätten für Menschen fremder Zunge haben. Hier trifft der Einzelne, vor allem nach Feierabend oder am Wochenende, auf seine Landsleute. Er kann sich nach Herzenslust in seiner Muttersprache oder auch im heimischen Dialekt unterhalten. Sonst ist er den ganzen Tag über gezwungen, sich recht und schlecht in einer anderen und zudem schwierigen Sprache zu verständigen. Dazu kommt der ständige Anpassungsdruck an ungewohnte Lebensverhältnisse. Die eigene Kultur und Mentalität gelten im Ausland wenig. Daher ist für den Ausländer die Gruppe seiner Landsleute eine große Stütze, um sich nicht selbst aufgeben zu müssen. Wenn eine Begegnungsstätte darüber hinaus auch noch Anstöße vermittelt, sich fortzubilden und zu aktivieren, erfüllt sie eine weitere wesentliche Aufgabe°

Isolierung unterstrichen

Normalerweise sind die vorhandenen Ausländerzentren von deutschen Einrichtungen fein säuberlich getrennt. Die italienische Begegnungsstätte in Idstein ist eine rühmliche Ausnahme, insofern die Pfarrei den Italienern einen größeren Raum ihres nicht allzu umfangreichen Gemeindehauses zur Verfügung gestellt hat. Worin liegt das Besondere? Genauso, wie die deutsche Gesellschaft die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Angehörigen als Randgruppe leben lässt, tun es auch weithin die deutschen Pfarreien. Eine wirkliche Offenheit auf die Ausländer hin gibt es nicht all zu häufig. Gelegentliche Kontakte werden zwar begrüßt und gefördert, im übrigen geht aber das Leben der Pfarrei weiter, als gäbe es in ihrem Bereich keine ausländischen Gemeindeglieder mit ihren speziellen Bedürfnissen. So bleiben auch die Pfarrheime - bis auf Einzelfälle - für regelmäßige Treffen der Ausländer praktisch verschlossen.

Eine neue Möglichkeit

Ein Gemeindehaus, das wie in Idstein sich den Ausländern öffnet, widersetzt sich der Isolierung, in die gerade die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien hineingeraten sind. Denn es handelt sich hier um ein Haus, das gleichermaßen Treffpunkt für Ausländer wie für Deutsche ist. Damit ist die Möglichkeit gegeben, daß beide Gruppen auch untereinander Verbindung aufnehmen. Das ist ein unbestreitbarer Vorteil gegenüber den sonstigen Zentren, die die Abkapselung der Ausländer bereits vom Räumlichen her unterstreichen.

Deutsche finden sich dort in größerer Anzahl nur bei Einweihungsfeierlichkeiten ein; und dann handelt es sich naturgemäß um Vertreter von Verbänden, Kirchen und Behörden Sie sind von Amts wegen da.

Ob es in Idstein zu einem wirklichen Miteinander von Deutschen und Ausländern bei Wahrung der gegenseitigen Selbständigkeit - kommt, ist nicht nur eine Frage des räumlichen Beisammenseins.

H.L (Herbert Leuninger)


HESSISCHER RUNDFUNK
Hörfunk
20. Februar 1974

INTERVIEW
von Werner Bohnenberger

HR:
Es folgt ein Interview mit Pfarrer Herbert Leuninger, dem Ausländerreferenten im Bischöflichen Ordinariat, Limburg über neue Tendenzen kirchlicher Ausländerarbeit. Anlass war die Errichtung der 20. Ausländerbegegnungsstätte in Idstein. Dazu zunächst Pfarrer Leuninger:

LEUNINGER:
Idstein ist ein Ausnahmefall, insofern eine solche Begegnungsstätte in dem Gemeindehaus einer Pfarrei eingerichtet wurde. Somit besteht zumindest die Chance, daß die Italiener in diesem Falle als Gruppe mit deutschen. Gruppierungen in Verbindung kommen. Darin liegt ein erheblicher Unterschied zu den sonstigen ausländischen Begegnungszentren, die vorn Ansatz und von der räumlichen Trennung her. die Isolierung der Ausländer unterstreichen.

HR:
Herr Pfarrer Leuninger, Sie sind Ausländerreferent im Bischöflichen Ordinariat, Limburg und haben dieses Amt seit etwa einem Jahr inne. Kann man da schon. ein Zwischenfazit ziehen?

LEUNINGER:
Meine Tätigkeit fällt in eine Phase der Entwicklung, die neue Ideen an die Oberfläche bringt; einmal etwa im karitativen Bereich, wo man doch mit Entschiedenheit von dem Betreuungsdenken wegkommt zu einer Assistenz, die die Selbständigkeit der Ausländer zu fördern versucht. Mehr im gemeindlich-kirchlichen Bereich ist feststellbar, daß hier die Tendenz besteht, den Ausländern eine eigene Möglichkeit zu geben, ihre Angelegenheiten durch. Gemeinderäte, vielleicht sogar bis hin zu einem Ausländerrat im Bistum, zu gestalten und zu entscheiden. Ein weiterer Punkt; meine Tätigkeit fiel in die Zeit, in der die Synode (Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland) in Würzburg ein Papier verabschiedet hat über die ausländischen Arbeitnehmer. Dieses Papier verhilft vor allem dazu, die gesellschaftspolitische Ausrichtung der kirchlichen Arbeit zu fördern.

HR:
Sie haben eben den Ausländerrat angesprochen; soll er zu einer strukturellen Stärkung der Situation der ausländischen Arbeitnehmer und zu einer stärkeren Integration in die deutschen Gemeinden führen?

LEUNINGER:
Fürs erste sieht es natürlich so aus, daß die Ghettosituation der Ausländer betont wird, wenn man ihnen nahelegt, eigene Gemeinderäte in den Missionen zu bilden. Aber das sehe ich auch nur als einen wichtigen Anfang dafür an, daß dann die Ausländer sich als Gruppe emanzipieren und als Gruppe in der Lage sind, ihren Einfluß in die deutsche Kirche hinein geltend zu machen.

HR:
Welche Schwierigkeiten sind bei der Bildung von. Ausländerräten zu erwarten?

LEUNINGER:
Es wurden bereits von den ausländischen Pfarrern voraussichtliche Schwierigkeiten angemeldet; einmal, daß italienische -Priester sagen, "Wir laufen Gefahr, daß bei der Bildung von Gemeinderäten die Mafia ihre Hände ins Spiel bringt" oder, daß etwa jugoslawische Pfarrer sagen, es sei zu befürchten, daß in jedem Gremium, das gebildet wird, Spione sitzen, die alles, was gesagt wird, in die Heimat melden, Dahinter taucht ein Problem auf, das mir in den letzten Wochen ziemliche Sorgen bereitet hat, nämlich, daß von außen her versucht wird, Einfluß auf die kirchliche und soziale Tätigkeit der ausländischen Pfarrer und Sozialberater in. Deutschland zu nehmen. Ich sehe die Aufgabe der deutschen Kirche darin, mit dazu beizutragen - und zwar mit Entschiedenheit- , daß der nötige Freiheitsraum in der kirchlichen Arbeit - und nicht nur in ihr - gewahrt bleibt.

HR:
Herr Pfarrer Leuninger, inwieweit. engagiert sich die Caritas im gesellschaftspolitischen Feld für ausländische Arbeitnehmer, die in der BRD ja noch weitgehend von den politischen Rechten ausgeschlossen sind ?

LEUNINGER:
Die Synode gibt der der gesamten Kirche und damit auch dem Sektor der karitativen Arbeit die Aufgabe, als Anwalt dar ausländischen Arbeitnehmer zu fungieren, und zwar auf eine volle Gleichberechtigung hin. Auf dem Hintergrund dieses Appells sehe ich auch im Augenblick unser Bemühen zusammen mit der evangelischen Kirche und dem "Initiativausschuss ausländischer Mitbürger in. Hessen" dafür Sorge zu tragen, daß in einer Wirtschaftskrise sich das nicht bewahrheitet, was immer wieder kritisch angemerkt wird, nämlich, daß ausländische Arbeitnehmer als Ware gelten, bzw. als Konjunkturpuffer eingesetzt werden