Herbert Leuninger ARCHIV KIRCHE
2004

Die Arbeit mit Arbeitnehmern anderer Muttersprache



 

INHALT

Eine neue Aufgabenstellung

Die Gemeinsame Synode

Seelsorge

Sozialarbeit

Politik

Das Bistum Limburg

Ausgangslage

Sozialarbeit

Seelsorge

Kooperation und Partnerschaft

Entwicklungen

Politik

Eine neue Aufgabenstellung

Zehn Jahre nach Kriegsende hatte die boomende deutsche Wirtschaft&xnbsp; einen enormen Bedarf an Arbeitskräften.&xnbsp; Sie bediente sich des unerschöpflichen Reservoirs von unterbeschäftigten oder arbeitslosen Menschen an den Rändern Europas bis hin nach Nordafrika und in die Türkei. Krankenschwestern wurden sogar aus Asien geholt. Ein erster zwischenstaatlicher Anwerbevertrag wurde 1955 mit Italien geschlossen. Es folgten eine ganze Reihe ähnlicher Verträge mit anderen Ländern. Hunderttausende, vorwiegend jüngere Menschen, wurden in den Herkunftsländern&xnbsp; von Anwerbekommissionen sorgsam für den bundesdeutschen Arbeitsmarkt ausgesucht, um nicht zu sagen selektiert.

Ein Großteil der angeworbenen Frauen und Männer war katholisch. Damit stellte sich für Kirche und Caritas eine unerwartete&xnbsp; Aufgabe. Sie suchte sie zu bewältigen, indem sie für die einzelnen Nationalitäten Beratungsstellen schuf und sogenannte Ausländer-Missionen errichtete.&xnbsp; Das waren Sprachengemeinden, in denen Priester des jeweiligen Herkunftslandes&xnbsp; für ihre Landsleute tätig wurden.&xnbsp; Welche Konzepte gab es für diese karitativen und pastoralen Dienste? Für eine lange Zeit erst einmal: Betreuung!

Die Gemeinsame Synode

Es dauerte fast zwei Jahrzehnte, bis sich die deutsche Kirche mit weiter reichenden Überlegungen auf die neue Herausforderung einstellte. Dafür gab es keine bessere Plattform als die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. hierzu: Die ausländischen Arbeitnehmer ‑ eine Frage an die Kirche und die Gesellschaft, in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg, 1976, S. 375 ff). Sie fand von 1971 bis 1975 in Würzburg statt.&xnbsp; 1973 kam es zu einem bemerkenswerten Synodenbeschluss mit&xnbsp; dem Titel: „Der ausländische Arbeitnehmer – eine Frage an die Kirche und die Gesellschaft“. Bemerkenswert vor allem wegen der&xnbsp; Rolle, die die Kirche auf dem Gebiet der Arbeitsmigration gegenüber Gesellschaft und Staat einzunehmen gedachte.

Seelsorge

Im Bereich der Seelsorge wollte die Gemeinsame Synode einerseits die bisherige Ausländerseelsorge ausgebaut sehen. Sie ordnete organisatorische Voraussetzungen und eine finanzielle Ausstattung der Missionen an, die unter vergleichbaren Verhältnissen den deutschen Gemeinden zugestanden würden; das war eine sehr weit reichende Forderung auf Gleichbehandlung mit den Pfarreien.&xnbsp; Andererseits ist aber auch von der Eingliederung der Ausländer in die örtliche Gemeinde und ihrer Repräsentanz in den kirchlichen Gremien die Rede. Damit ist ein Spannungsverhältnis aufgezeigt. Besteht doch eine Doppelzuständigkeit für den katholischen Ausländer. Er ist gleichzeitig Mitglied seiner Wohnpfarrei aber auch der Sprachengemeinde.&xnbsp; Wie dies miteinander verbunden werden soll, hat die Synode nicht näher erläutert. Der Wille, solche Verbindungen zu finden, lässt sich aber daraus erschließen, dass die Synode es als Aufgabe der Kirche betrachtet, selbst Modelle der Kooperation, Partnerschaft und Eingliederung zu entwickeln. Damit will die Kirche einen besonderen Beitrag für das harmonische und partnerschaftliche Zusammenleben verschiedener Nationalitäten in Deutschland leisten.

Nach den römischen Richtlinien zur Ausländerseelsorge haben die speziellen pastoralen Einrichtungen für die Zuwanderer aus anderen Ländern, die „Missionen“,&xnbsp; einen ergänzenden Charakter, der die eigentliche Zuständigkeit der Ortskirche nicht aufhebt, ja nicht einmal berührt. So wird eine doppelte Zuständigkeit für Mission und Pfarrei geschaffen. Dabei verbleibt die Hauptzuständigkeit bei der Ortspfarrei.

Dennoch hat die Doppelzuständigkeit dazu geführt, dass sich die Pfarreien von der Verantwortung gegenüber ihren anderssprachigen Gemeindegliedern entlastet fühlten und die Missionen als Alibi verstanden. Diese Alibifunktion hat die Missionen in ihrer Existenz stabilisiert, ohne ihnen allerdings Partnerschaft und Gleichberechtigung einzubringen.

Sozialarbeit

Die Synode befasste sich auf dem sozial- und gesellschaftspolitischen Sektor mit allen für die Arbeitsmigranten wichtigen Bereichen wie dem Ausländerrecht, dem Wohnungsproblem, dem Kindergarten-, dem Schul- und Bildungswesen und vor allem auch mit der Gestaltung der Arbeitswelt. Wichtige Empfehlungen gibt sie aber auch für die spezifische sozial-karitative Arbeit, so u.a., dass für 2000-3000 ausländische Arbeiter je ein Sozialberater mit einem entsprechend ausgestatteten Büro zur Verfügung stehen sollte.

Für den Sozialdienst wurde als Fernziel seiner Arbeit formuliert: „Die Befähigung der Ausländer zur Bildung eigener Organisationen mit eigenen Strukturen, damit die Ausländer als integrierte Minderheit gleichberechtigte Partner in der Gesellschaft werden.“

Die Synode versucht den Weg anzugeben, der zu diesem Ziel führt, indem sie nicht nur auf die Notwendigkeit von Einzelfallhilfe, sondern auch auf die der Gruppen- und Gemeinwesenarbeit hinweist.

Wichtig war auch der Hinweis, dass den ausländischen Mitbürgern alle Einrichtungen und Beratungsdienste der Caritas in gleicher Weise wie der deutschen Bevölkerung zur Verfügung stehen sollten. Um den Ausländern aber in ihrer besonderen Situation besser gerecht zu werden, unterhalte der Caritasverband darüber hinaus die eigenen Sozialberatungsstellen. Über die Zuordnung des Spezialdienstes zum Gesamtdienst heißt es: „Der Sozialdienst des Caritasverbandes für ausländische Mitbürger ist integriert in den Gesamtdienst des Caritasverbandes.“

 

Ein zentraler Begriff in der Ausländerpolitik war von Anfang an der der Integration oder Eingliederung. Die Synode hat auch versucht, Integration zu umschreiben, und zwar eher allgemein. Sie bedeute nicht ein Aufgesogenwerden der Minderheit oder ein Verzicht auf die eigene kulturelle Substanz, sondern&xnbsp; ein gegenseitiger Kommunikationsprozess, der für beide Seiten ein Geben und eine gegenseitige Bereicherung bedeute. Diese Vorstellung hätte sowohl innerkirchliche wie auch gesellschaftliche Konsequenzen haben müssen.

Politik

Die Synode bezeichnet die Funktion der Kirche gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern&xnbsp; als die eines Anwalts, der die Rechte der Ausländer zu verteidigen und ihre Chancengleichheit zu vertreten hat. Das heißt, sie sieht die Kirche in ihrer besonderen Verantwortung gerade den Menschen gegenüber, deren Rechte und Freiheiten durch gesellschaftliche Verhältnisse in ungerechter Weise eingeengt oder beschnitten werden. Anwalt muss die Kirche solange sein, wie die ausländischen Arbeiter noch nicht gleichberechtigte Partner in der Gesellschaft sind und ihnen die Möglichkeit fehlt, ihre Anliegen selbst mit Erfolg zu vertreten und durchzusetzen.

In scharfer Kritik heißt es in dem Synodendokument, dass die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik bislang zu sehr unter wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten betrachtet worden sei. Dagegen wird die Grundforderung erhoben: „Der Mensch muss wirklich als Mensch und darf nicht als bloße Arbeitskraft behandelt werden. Das bedeutet, dass die Wirtschaft im Dienst des Menschen stehen muss, und nicht der Mensch im Dienst der Wirtschaft. Die Ausländer sind keine Ware, die man nur nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage handeln kann.“

Die Synode sagt ausdrücklich, dass die Verpflichtung der Kirche, Anwalt der ausländischen Arbeiter zu sein, „eine Aufgabe von gesellschaftspolitischer Bedeutung“ sei. Dies entspreche „dem Wort und Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils und den Sozialenzykliken der Päpste“.

Das Bistum Limburg

Ausgangslage

1973, der endgültige Synodenbeschluss liegt noch nicht vor, zieht&xnbsp; Bischof Wilhelm Kempf von Limburg eine erste Bilanz der bisherigen&xnbsp; sozialen und kirchlichen Ausländerarbeit. Den Synodenbeschluss vorwegnehmend hatte er im Jahr zuvor die Stelle eines Referenten für die kirchliche Ausländerarbeit&xnbsp; im Bischöflichen Ordinariat geschaffen und mit einem seiner Priester besetzt. Am Tag der Caritas gibt er auf einer Pressekonferenz einen Überblick über die Situation im Bistum (Der Bischof von Limburg, Pressekonferenz zum TAG DER CARITAS [13. September 1973], Text i. Archiv. d. Verf. und http://www.leuninger-herbert.de/archiv/caritastag_kempf.htm).

Bischof Kempf sieht seine Diözese, die&xnbsp; das Rhein‑Main‑Gebiet mit Frankfurt und Wiesbaden, aber auch Wetzlar mit seiner Großindustrie umfasst, im Zentrum der Ausländerproblematik.

Unter den Ausländern, die im Bereich des Bistums Limburg&xnbsp; wohnen, gibt es wenigstens 120.000 katholische Christen.. Sie stellen damit etwa 5.3% der Katholiken im Bistum. An der Spitze stehen die Italiener mit 46.000. Ihnen folgen die Spanier mi, 29.000, die katholischen Jugoslawen aus Kroatien. und Slowenien mit 28.000. Die Zahl der Portugiesen, damals noch ständig anwachsend, beläuft sich mittlerweile auf 6.300.

Zu den ausländischen Kirchenmitgliedern zählen aber auch Studenten und Krankenschwestern aus der Dritten Welt. Verantwortlich ist das Bistum aber auch für die Christen aus Osteuropa, die aus politischen oder religiösen Gründen ihre Heimat verlassen haben. Nicht zuletzt zählen für den Bischof auch die vielen Angestellten, Wirtschaftsleute und Wissenschaftler, die aus den verschiedensten Industrienationen nach Deutschland gekommen sind.

Für 13 Nationalitäten bzw. Sprachengruppen&xnbsp; standen eigene, ausländische&xnbsp; Priester zu Verfügung, insgesamt 35.

Mit den ausländischen Schwestern, den Kindergärtnerinnen und den Verwaltungsangestellten stehen 88 Personen unmittelbar in der Ausländerarbeit. 25 Sozialberaterinnen und – berater gibt es für 6 Nationalitäten. Mit den ausländischen Schwestern, Kindergärtnerinnen und Verwaltungspersonal stehen 88 Personen in der unmittelbaren Ausländerarbeit.

Sozialarbeit

Es gibt in der Diözese 16 Beratungsstellen mit 20 Außenstellen, in denen auch Sprechstunden abgehalten werden. Einige der Beratungsstellen sind mit den neun vorhandenen Ausländerzentren verbunden, in denen sich neben den Büros der Pfarrer Räume zur Schulung und Freizeitgestaltung befinden. Im Laufe von zwei Jahren sollen sieben weitere Zentren bzw. Begegnungsstätten eröffnet werden. Die Zentren und Begegnungsstätten sind ein wichtiger Ansatzpunkt für die notwendige Selbstorganisation.

Die Beanspruchung der Sozialberater ist so umfangreich und vielseitig, dass der Einsatz weiterer Beratungskräfte unerlässlich wird. Die Synodenvorlage geht davon aus, dass für 2.000 bis 3.000 Ausländer je ein Sozialberater zur Verfügung stehen müsste. Immer notwendiger wird es auch, die Sozialberater für ihre Tätigkeit noch besser zu qualifizieren.

An der Spitze der Sozialberatung stehen Familien‑ und Jugendprobleme. Damit fallen die arbeitsrechtlichen Fragen auf den zweiten Platz zurück. An dritter Stelle liegt die immer noch zeitraubende Übersetzungstätigkeit und die Erledigung der Korrespondenz.&xnbsp; Weitere Themen sind Wohnung, Aufenthaltsrecht und&xnbsp; Schule.

Neben den Hilfen im Einzelfall gewinnen Gruppenarbeit und Veranstaltungen immer mehr an Bedeutung. Letztere werden in vielen Fällen mit den ausländischen Pfarrern zusammen durchgeführt. In den vergangenen 12 Monaten fanden immerhin 514 kulturelle Veranstaltungen und Maßnahmen statt. 320 ausländische Arbeitnehmer besuchten die angebotenen 19 Deutschkurse.

Die Arbeit mit Gruppen soll in der Sozialarbeit künftig noch stärker betont werden.

Zum 1. Januar 1973 besuchten 1.100 ausländische Kinder Kindergärten in katholischer Trägerschaft.&xnbsp; ( Das waren 5,6 %. Nimmt man den Anteil ausländischer Katholiken im Bistum mit 13% an, dann fehlten ca. 1.500 Plätze für die nichtdeutschen Kinder. ) Das eigentliche dahinter stehende Ziel musste es damals sein, jedes dieser Kinder so zu fördern, dass es mit ausreichenden Sprachkenntnissen eingestuft werden konnte.

In diesem&xnbsp; Zusammenhang ist ein Versuch zu sehen, der Anfang 1974 an drei Stellen in Frankfurt gestartet werden soll. Hier geht es darum, ausländische und deutsche Kinder, für die bislang kein Kindergartenplatz zur Verfügung stand, in eigene Spielgruppen zusammen&xnbsp; zu fassen, bei denen besonderer Wert auf Sprachförderung gelegt wird.

Aus der Sicht des Bischofs sollte schließlich auch die vom Land Hessen geförderte Hausaufgabenhilfe verstärkt werden. Im Bistum gab es 1972 132 Helferinnen und Helfer, die knapp 1.000 Schüler bei den Hausaufgaben unterstützten.

Seelsorge

Kooperation und Partnerschaft

Einen Versuch der Kooperation und Partnerschaft, wie die Gemeinsame Synode es gefordert hatte, hat das Bistum Limburg im Rahmen seiner synodalen Struktur mit der Synode von 1977 gemacht (Vgl. Bistum Limburg, Synodalordnung, Limburg 1978, S. 168). Damals wurde eine endgültige Verfassung für alle synodalen Gremien vom Diözesansynodalrat bis zum Pfarrgemeinderat erarbeitet und vom Bischof in Kraft gesetzt.&xnbsp; Auf Grund von Anträgen, die von italienischen und kroatischen Mitgliedern der Synode kamen und eine heftige Diskussion auslösten, wurde beschlossen, das Wort »Ausländer« für den kirchlichen Sprachgebrauch im Bistum zu eliminieren und durch die Bezeichnung »Katholiken bzw. Mitbürger anderer Muttersprache« zu ersetzen. Die an sich umständliche Sprachregelung (vom damaligen Dezernenten Ernst Leuninger in besonderer Weise unterstützt) entspricht dem kirchenamtlichen Ausdruck »fideles diversi sermonis« und unterstreicht die theologische Vorstellung, dass Nationalität und Pass in der Kirche keine unterscheidenden Merkmale sind, geschweige denn unterschiedliche Rechte begründen. Mit einer weiteren Sprachregelung wurde der Ausdruck »Missionen« durch die Bezeichnung »Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache« ersetzt. Mit veränderter Sprache sollte auch Bewusstsein verändert werden.

In den Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache sind in Angleichung an die Pfarreien Gemeinderäte zu bilden. Der Katholik anderer Muttersprache besitzt demnach ein aktives und passives Doppelwahlrecht.

Auf Bistumsebene bilden diese Gemeinderäte den Rat von Katholiken anderer Muttersprache. Ihm gehören je zwei Vertreter jeder anderssprachigen Gemeinde an. Der Rat vertritt die im Bistum lebenden Katholiken anderer ethnischer Herkunft. Vor allem entsendet er zwei Vertreter in das oberste synodale Gremium des Bistums, in den Diözesansynodalrat. Eine ähnliche Regelung ist auch für die Synodalräte auf der regionalen Ebene vorgesehen. Hierbei hat der Rat der Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache ein Vorschlagsrecht.

In den Pfarreien mit großem Anteil anderssprachiger Gemeindemitglieder ist einer von ihnen, falls ein solcher nicht bereits gewählt wurde, zu den Sitzungen des Pfarrgemeinderates einzuladen. Außerdem ist der von der Gemeinsamen Synode angeordnete Ausschuss für Ausländerfragen zu bilden, in dem die Betroffenen angemessen vertreten sein sollen.

Die Anwesenheit ethnischer Minderheiten erfordert einen besonderen Minderheitenschutz, der ihnen besondere Rechte gegenüber gesellschaftlicher Übermacht, die ja auch immer durch Mehrheiten begründet wird, garantiert. Die Regelungen sind eine Art Minderheitenrecht. Sie schaffen oder respektieren Nebenstrukturen. Diese sollen aber so angelegt sein, dass ein völliges Nebeneinander oder auch eine Deklassierung gegenüber den Hauptstrukturen verhindert wird, und zwar vor allem dadurch, dass die Nebenstrukturen mit den Hauptstrukturen verknüpft sind. Damit ist Minderheiten nicht nur das Recht auf die eigenständige Gestaltung und Ausformung der Gruppenidentität ermöglicht, sondern auch eine wirksame Form kollektiver Selbstvertretung. Wenn die Kirche sich im Unterschied etwa zu den Gewerkschaften entschieden hat, solche Neben-Strukturen zuzulassen und sogar zu fördern, kommt sie an spezifischen Formen der Zusammenarbeit und des Austauschs zwischen Mehrheit und Minderheiten nicht vorbei.

Nach mehr als zehn Jahren ließ sich feststellen, dass über die strukturelle »Vernetzung« ein bestimmtes Maß an Gemeinsamkeit erreicht wurde und die Anwesenheit der Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen stärker bewusst geworden war. Deutlich wurde aber auch die unterschiedliche Interessenlage in gesellschaftspolitischen Fragen, die die Rechtslage der Ausländer in der Bundesrepublik betrafen. Den Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache fiel es ihrerseits&xnbsp; schwer, für all die vorgesehenen Gremien geeignete Vertreter zu stellen. Dies war sicher eine Überforderung.

Entwicklungen

Vom September 1985 bis Februar 1986 finden &xnbsp;Visitationen der 19 Gemeinden, die den Status einer missio cum cura animarum erhalten hatten, statt (vgl. hierzu: Herbert Leuninger, Eine Nebenkirche oder die Einheit in der Vielfalt, in: Klaus Barwig u. Dietmar Mieth Hrsg., Migration und Menschenwürde, Mainz, 1987, S.158-177) . Das geschieht zum zweiten Mal. Im Bistum gibt es mittlerweile19 Missionen und weitere Seelsorgestellen, die nach der Ursache für die Migration in drei Kategorien eingeteilt werden:

 

 

Die wichtigsten Ergebnisse der Visitation lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Die Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache werden sich immer mehr auf den wirtschaftlichen Ballungsraum Rhein‑Main konzentrieren und dort eine dauerhafte Einrichtung sein. Gemeinden an der Peripherie verlieren fortlaufend Gemeindemitglieder durch Wegzug oder durch Assimilierung infolge der Zerstreuung. Nationen der EG und der Wirtschaftsmigration werden auf Dauer Immigrationsgemeinden bilden, die es immer wieder auch mit Einwanderern der ersten Generation zu tun haben. Auch Gemeinden, die keinen nennenswerten Zugang mehr haben, behalten die Aufgabe einer kirchlich kulturellen Identitätssicherung für vermutlich mehrere Generationen, selbst dann, wenn es zu einer weitgehenden Integration der Gemeindemitglieder kommt. Die kirchlichen Anliegen kleiner Minderheiten verlangen nach wie vor eine angemessene Berücksichtigung.
  • Die Gemeindearbeit hat sich allenthalben gefestigt und ist aus dem Stadium des Provisorischen herausgetreten. Den Priestern fehlt eine weiterreichende Perspektive über ihre spezifische Rolle in der Ortskirche.
  • Sehr unterschiedlich ist die Entwicklung der messbaren Kirchlichkeit, soweit sie am Gottesdienstbesuch und an den Initiationssakramenten abgelesen wird. Ein starker Rückgang dieser pastoralen Grundkontakte ist für die Taufen wegen des Geburtenrückgangs allgemein feststellbar. Hinsichtlich des Besuchs der Sonntagsgottesdienste ist dieser Rückgang besonders gravierend bei italienischen Gemeinden. Dabei war und ist der Sonntagsgottesdienst in diesen Gemeinden ohnehin kein Schwerpunkt der pastoralen Kontakte.

Die größten Schwierigkeiten ergeben sich für die Angehörigen der zweiten Generation. Sie sehen weder die&xnbsp;&xnbsp; Sprachengemeinde noch die Pfarrei als besonders wichtige Instanz für ihr Leben an.

  • Die pastorale Arbeit von Pfarrei und Sprachengemeinde sind bis auf Ausnahmen nicht aufeinander abgestimmt oder miteinander verbunden. Sie wären strukturell und personell aufeinander zu beziehen: z. B. durch die gleichzeitige Übernahme der Leitung einer Pfarrei und Sprachengemeinde, durch den Einsatz deutscher pastoraler Mitarbeiter in Sprachengemeinden und Mitarbeiter anderer Muttersprachen in Pfarreien, durch Partnerschaften mit gemeinsamem pastoralen Konzept.
  • Auch wenn&xnbsp; im Rahmen von Integration und Assimilierung Pfarreien stärker in Kontakt mit Katholiken anderer Muttersprache kommen, bleiben die Sprachengemeinden nach wie vor eine entscheidende kirchliche Einrichtung. Trotz aller Schwierigkeiten und Defizite sind sie ein unersetzlicher Teil der Ortskirche. Ihre spezifischen Funktionen können von den Pfarreien nicht übernommen werden.

Politik

Ein markantes Beispiel für die kirchliche Wahrnehmung der Anwaltsfunktion war sicher der „Initiativausschuss Ausländische Mitbürger in Hessen“. Es handelt sich dabei um eine vergleichsweise neuartige Organisation. Sie kann als Antwort auf die besonderen gesellschaftlichen Erfordernisse einer bereits langjährigen Arbeitswanderung angesehen werden. In ihrer Struktur und Zielsetzung stellt sie ein unkonventionelles Instrument&xnbsp; öffentlicher Intervention von Kirchen und Verbänden, von deutschen und nichtdeutschen Organisationen dar.

Sein Entstehen verdankt der Initiativausschuss dem „Tag des ausländischen Mitbürgers", der als kirchliche Initiative 1970 erstmals, allerdings noch regional, durchgeführt wurde (vgl. hierzu: Herbert Leuninger, Ausländerfeindlichkeit – Die Krise der Interventionsstrategie im Kontext der Ausländerpolitik, in Hartmut M. Griese, Hrsg., Der gläserne Fremde, Opladen, 1984, S. 149-162 und René Leudesdorff und Horst Zilleßen Hrsg.,&xnbsp; Gastarbeiter – Mitbürger, Gelnhausen, 1971, S. 288‑299). Der Ausschuss ist die Fortsetzung eines Vorbereitungskomitees, in dem die hessischen katholischen Bistümer Fulda, Limburg und Mainz neben ihren Caritasverbänden, die Diakonischen Werke der Evangelischen Kirche von Hessen‑Nassau und Kurhessen‑Waldeck, die Arbeiterwohlfahrt, das Jugendsozialwerk und die katholische Organisation „action 365" vertreten waren.

Eine wichtige Lernerfahrung machte das Komitee mit der sog. Holzmann‑Affäre . Die Hauptverwaltung der Philipp Holzmann AG in Frankfurt/Main&xnbsp; hatte den&xnbsp; kirchlichen Vertretern, unter ihnen Stadtpfarrer Walter Adlhoch, und dem sizilianischen Sozialreformer Danilo Dolci die Besichtigung eines Wohnlagers für nichtdeutsche Arbeitnehmer verweigert, worauf diese ein „Go‑in“ veranstalteten. Dies war ein Eklat, der eine bundesweite Resonanz der Medien hervorrief und dem Tag eine überregionale Bedeutung verlieh.

Die&xnbsp; Überleitung des Komitees in den eigentlichen Initiativausschuss „Ausländische Mitbürger in Hessen"&xnbsp; ergab sich sachlich aus seinem eigenen Aufruf zum Tag des ausländischen Mitbürgers, wonach Einzelhilfe allein, so notwendig sie ist und bleibt, das Problem der gesellschaftlichen Diskriminierung nicht löst. „Wir müssen Partei ergreifen für die ,Neger Europas` (Dolci) . . . Wir müssen die wirtschaftlichen und politischen Hintergrunde beim Namen nennen. Wir wollen Bewusstseinsbildung. Das Gastarbeiterproblem ist ein Teil des Weltproblems der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit".

Für die spätere Zusammensetzung des lnitiativausschusses – gerade auch für die kirchliche Mitwirkung - ist der Teil des Aufrufes maßgebend, wo alle Kräfte angegangen werden sollen, „ohne Gruppenegoismus, der infolge ideologischer Scheuklappen das Verbandsinteresse über die Bedürfnisse der ausländischen Mitbürger stellt, an dieser Bewusstseinsbildung zusammen mit unseren ausländischen Freunden mitzuwirken."

Als Geschäftsführer wird Pfr. Detlef Lüderwaldt gewonnen, der über Erfahrungen als Entwicklungshelfer in Marokko verfügt. Methodisch lässt sich der Initiativausschuss von dem Prinzip leiten, die Interessen der nichtdeutschen Arbeiter und ihrer Familien im Hinblick auf ihre gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben der Bundesrepublik zu unterstützen. Er tritt für die Selbstvertretung der nichtdeutschen Arbeiter und ihrer Familien ein und fördert die öffentliche Anerkennung der demokratischen ausländischen Organisationen, und ihre finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand. Er bemüht sich, die von den nichtdeutschen Organisationen und Gruppen selbst formulierten Probleme und Forderungen zu übernehmen und mit Nachdruck an die Öffentlichkeit zu geben. Die (deutschen) Verbände und Organisationen wirken gewissermaßen als Verstärker für die Forderungen der nichtdeutschen Organisationen und Gruppen.


Artikel in: Ernst Leuninger (Hg.), Arbeit und Solidarität - 100 Jahre Katholische Arbeitnehmer-Bewegung im Bistum Limburg, Limburg 2004