Herbert Leuninger ARCHIV BIOGRAFIE
1992

Der Tagesspiegel
Sonntag, 20.September 1992

Porträtiert

Anwalt der Machtlosen


Im örtlichen Telefonbuch sucht man vergeblich nach seiner Rufnummer, die Telefonauskunft hilft auch nicht weiter. Aber natürlich hat Herbert Leuninger (60), Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl", Telefon. Schon deshalb, weil das für seine Arbeit unabdingbar ist. Als "Pro Asyl"-Sprecher nämlich formuliert Leuninger für die Öffentlichkeit Positionen, Forderungen und Proteste der Arbeitsgemeinschaft.

Was Leuninger zu sagen hat, ist nicht unbedingt geeignet, sich überall Freunde zu machen. Er wendet sich beispielsweise gegen jede Einschränkung des Asylrechts, ruft zur Aufnahme von Flüchtlingen auf und erklärt: "Flucht ist niemals illegal, sondern ihre Verhinderung durch Grenzbehörden." Da fehlt es dann nicht an Kritikern, die ihn einen "krankhaften Asylantenfreund" oder auch schlicht einen "Verräter" nennen. Leuninger hat so seine Erfahrungen machen müssen mit Beschimpfungen, mit tätlichen Angriffen. Eben deshalb ist seine Telefonnummer nicht so leicht in Erfahrung zu bringen, deshalb auch fehlt an der Haustür das Namensschild. Wer teilt oder doch respektiert, was Leuninger vertritt, sieht in ihm eine "Stimme der Machtlosen", einen "Anwalt der Flüchtlinge". Das Land Hessen verlieh dem Sprecher der in Frankfurt ansässigen „Pro Asyl"- Arbeitsgemeinschaft im vorigen Jahr die höchste Auszeichnung, die es zu vergeben hat: die Wilhelm-Leuschner-Medaille, die an den gleichnamigen sozialdemokratischen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus erinnert. Leuninger, so sagte bei der Ehrung der hessische Ministerpräsident Hans Eichel (SPD), habe Zivilcourage gezeigt, sich schützend vor Ausländer und Flüchtlinge gestellt.

Wenn Leuninger für "Pro Asyl" spricht, dann tut er das nach eigenem Bekunden für einen Zusammenschluß "von Experten und Mitarbeitern von Flüchtlingsräten, Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrts- und Menschenrechtsorganisationen", der "in enger Verbindung mit dem Vertreter des 'Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in der Bundesrepublik' arbeitet". Leuninger ist Priester, Ausländerreferent auch des Bistums Limburg. Aber: "Was ich für 'Pro Asyl' mache, mache ich ehrenamtlich und in eigener Verantwortung, nicht im Auftrag des Bistums".

Er weiß jedoch, daß "ohne den Limburger Bischof Franz Kamphaus und seine Einstellung meine Arbeit in den letzten Jahren nicht möglich gewesen wäre". Die Grundlagen für ihre Aktivitäten sieht die Arbeitsgemeinschaft in der Genfer Flüchtlingskonvention und im Artikel 16 des Grundgesetzes, der bestimmt: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Und an dieser Bestimmung will "Pro Asyl" nicht rütteln lassen. Sprecher Leuninger glaubt, daß sich bei den Bundesbürgern angesichts der vor Krieg und Terror auf dem Balkan fliehenden Menschen einiges verändert hat, was die Bereitschaft angeht, Flüchtlinge aufzunehmen. Die politische Grundstimmung sei in einer wichtigen Weise berührt. Vor dem Hintergrund solch "positiver Irritation und Öffnung" wolle „Pro Asyl" versuchen dazu beizutragen, "daß wir unseren Flüchtlingsbegriff nicht noch weiter einengen, sondern daß wir ihn erweitern".

Der "Pro Asyl"-Sprecher - die Arbeitsgemeinschaft wurde 1986 von ihm mit gegründet - ist davon überzeugt, daß jeder Mensch dorthin nicht nur gehen darf, sondern gehen muß, "wo er glaubt, für sich und seine Familie eine ausreichende Existenzgrundlage zu haben". Mit Begriffen wie Rasse oder Nation vermag Leuninger nichts oder fast nichts anzufangen. Er kennt keine Rassen, sondern nur "unterschiedliche Pigmente, die aber mit der Substanz dessen, was einen Menschen ausmacht, so gut wie nichts zu tun haben". Und was das Wort Nation angeht, so läßt Leuninger es als „Kulturbegriff" gelten, will aber nichts wissen von Nation im Sinne eines "politisch-wirtschaftlich und von der Zusammensetzung her autarken Raums". Für Leuninger steht fest: "Wenn wir nicht lernen, mit Flüchtlingen zu leben, werden wir nicht in der Lage sein, die wirklichen Herausforderungen einer zusammenwachsenden Weltgesellschaft zu bewältigen." Und: "Die Ethnisierung unserer Probleme, wie wir sie auf dem Balkan erleben, ist der Tod, der Ruin Europas, ist der Ruin der Weltgesellschaft".

PETER DE GROOT (KNA)