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ASYL 1986-1996 | |||
1986-1996
Asylpolitik
Texte
einer Tageszeitung unter Einbeziehung von PRO ASYL | |||
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Man kennt ihn als Anwalt von Recht- und Stimmlosen, als Europabeauftragten der Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" . Herbert Leuninger, katholischer Pfarrer, war 20 Jahre lang Ausländerreferent im Bischöflichen Ordinariat Limburg und hat 1986 die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" mitbegründet, deren Sprecher er jahrelang war. Foto: Wolfgang Borrs
INTERVIEW Der Europa-Referent von Pro Asyl , Leuninger: Die Richter haben sich der Bonner Politik gebeugt taz: Ihre langjährige Kritik am neuen Asylrecht ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur heißen Luft erklärt worden. Herbert Leuninger: Rechtspolitisch gesehen stimmt das. Was aber die Wirklichkeit von Menschenrechten angeht, stimmt es natürlich nicht. Wir beurteilen die Entscheidung als eine taktische. Die Staatsräson wurde für wichtiger erachtet als der Erhalt des Menschenrechts auf Asyl. Das zeigt sich darin, daß die RichterInnen die Abschottungspolitik, die hinter dem Asylrecht steht, bestätigt haben. In Ihren Augen sind die Bundesverfassungsrichter also Büttel der Politik und nicht die Hüter der Grundwerte der Verfassung. Bei der viertägigen Anhörung beim Gericht mußten wir damit rechnen, daß es beachtliche Korrekturen an der Drittstaatenregelung und dem Flughafenverfahren anbringen würde. Das ist aber nicht geschehen. Lediglich das Flughafenverfahren wurde mit nur fünf zu drei Stimmen aufrechterhalten. Im Hintergrund muß eine metapolitische Debatte gelaufen sein, die die Richter sehr beeindruckt hat. Eine Debatte, die letztlich die pragmatischen Hinweise von Bundesinnenminister Manfred Kanther aufgenommen hat: daß nämlich durch eine Veränderung an der einen oder anderen Stelle das ganze sorgfältig geknüpfte Konzept zerstört werden könnte. Und daß, wenn das passiert, eine neue Diskussion über das Asylrecht aufbricht, die den mühsam ausbalancierten Frieden der Bundesrepublik in Gefahr brächte. Hat die harte Kritik gegen vorangegangene Entscheidungen und die Drohung der CDU, gegebenenfalls das gesamte Asylrecht aus der Verfassung zu streichen, die Richter beeinflußt? Ja. Wie will das Gericht eigentlich eine solch konzertierte Angriffssituation auf Dauer aushalten, ohne in die totale Isolierung zu geraten? Ich meine das nicht als psychologische Entlastung, sondern ich spreche das aus unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung, die die politischen Kräfte gegenüber dem Bundesverfassungsgericht haben. Seit der Geltung des neuen Asylrechts gab es nachweisbare Fälle von Kettenabschiebungen. Wie bewerten Sie, daß das Bundesverfassungsgericht diese Fälle nicht zum Anlaß nahm, Korrekturen an der Drittstaatenregelung vorzunehmen? Hier komme ich noch mal auf den Begriff der Staatsräson zurück, der ja nicht nur ein total negativer ist. Hier offenbart sich eine Grundhaltung, die es auch in den vergangenen Jahren beim Gericht gegeben hat. Nämlich der Vertrauensvorschuß, den das Bundesverfassungsgericht anderen Staaten hinsichtlich deren Rechtsstaatlichkeit und ihrer Einbindung in internationales und europäisches Menschenrecht gibt. Was diesen Aspekt angeht, so hat das Gericht bei seiner sehr späten Entscheidung - wir haben eine solche ja bereits vor zwei Jahren erwartet - auch auf die Zeit gesetzt und darauf, daß sich in den betroffenen Ländern Mittel- und Osteuropas ein gewisser Konsolidierungseffekt zeigen wird. Zu Recht? Mittel- und längerfristig vielleicht. In Polen und der Tschechischen Republik sind noch fünf Jahre anzusetzen, bis Strukturen entwickelt sind, die vergleichbar sind mit bisher gültigen Standards in Europa. Die anderen Staaten wie die baltischen, die Ukraine, Weißrußland und so weiter werden vielleicht, wenn sie den Weg zu demokratischen Rechtsstrukturen unbehindert gehen können, in zehn Jahren auf einem Niveau sein, das mit dem, was wir unter Sicherheit verstehen, kompatibel ist. Nach diesem Urteil dürfte es für Menschenrechtsorganisationen schwer werden, für die Interessen von Flüchtlingen zu werben. Künftig wird man Ihrer Kritik immer entgegenhalten, daß das Bundesverfassungsgericht das geltende Recht und damit auch die Sicherheit von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, abgesegnet hat. Ja. Die Absegnung durch das Oberste Gericht stärkt in einer ganz ungewöhnlichen Weise - und das ist in einem Rechtsstaat durchaus auch verstehbar - die Kräfte, die den Asylkompromiß mit schlechtem Gewissen produziert haben. Sie dürfen sich jetzt entlastet fühlen. Und das waren viele nicht. Sie spürten, da stimmt etwas nicht, und es bestand lange eine sehr große Angst, auch in konservativen Kreisen, daß das Bundesverfassungsgericht eine Änderung vornehmen könnte. Was bedeutet das Urteil für die Arbeit auf europäischer Ebene? Auch hier gilt, daß diese erschwert ist. In den vergangenen zwei Jahren habe ich gelernt, daß Deutschland eine ungewöhnlich starke Rolle in der Formulierung der Abschottungspolitik in Europa hat. Andere vergleichbare Staaten wie Österreich, die Schweiz, Frankreich und Schweden orientieren sich sehr stark an der Bundesrepublik, und diese nimmt bei internationalen Konferenzen eine sehr restriktive Rolle ein, auf die sich die anderen nicht nur wohl oder übel, sondern in vielen Fällen auch gern einlassen. Der innenpolitische Sprecher der CDU, Herr Marschewski, sagte kurz nach der Urteilsverkündung, wir haben das liberalste Asylrecht der ganzen Welt. Das ist ein Mythos, der nicht stimmt. Andere Länder haben gleiche oder günstigere Standards. Wir hatten bis 1992 das großzügigste Recht. Das haben wir geopfert. Für uns ist eine solche Formulierung von einem verantwortlichen Politiker ein unverantwortlicher Zynismus.
Bundesverfassungsgericht weist Klagen gegen Asylgesetz ab. CDU- und SPD-Politiker zeigen sich zufrieden Berlin (taz) - "Mit einer sehr heißen Nadel" sei das neue Asylrecht gestrickt worden, sagte die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts noch vor einem Jahr. Gestern verkündete sie das endgültige Urteil über das neue Asylrecht: Sämtliche Regelungen sind verfassungskonform. Alle drei Säulen der Abschottungspolitik gegen politische Flüchtlinge behalten Bestand: die Drittstaatenregelung, wonach Flüchtlinge, wenn sie aus angrenzenden Ländern kommen, in diese zurückgeschoben werden können, die Regelung über die sicheren Herkunftsstaaten und die Flughafenregelung. Nur hier wurden geringfügige Verbesserungen von den höchsten RichterInnen eingefügt. Flüchtlinge müßten einen Anspruch auf rechtlichen Beistand erhalten und die Rechtsmittelfrist verlängert werden. Drei der acht Richter gaben ein Sondervotum ab. Bundeskanzler Kohl und Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) begrüßten das Urteil - auch als persönlichen Erfolg. Für "sehr ausgewogen" erachtete auch der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz den Urteilsspruch. Für die Bündnisgrünen kritisierten Kerstin Müller und Jürgen Trittin das Urteil hingegen als "faktische Aushebelung des Grundrechts auf Asyl". Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Claudia Roth, sagte: "Das Grundrecht auf Asyl ist künftig ein Gnadenrecht des Staates." Die Drittstaatenregelung, so amnesty international, ist in keinem anderen westeuropäischen Land "so restriktiv wie in Deutschland". "Nach dem massiven Druck der letzten Monate auf das höchste deutsche Gericht - bis hin zur Infragestellung seiner Kompetenzen - waren die Erwartungen bereits gedämpft", sagte der Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) Wolfgang Schwerdtfeger. Das Urteil aber habe alle Befürchtungen übertroffen. Das Gericht habe seine Rolle als Hüter von Individualrechten preisgegeben und nicht gesehen, daß die Internierung von Flüchtlingen auf den Flughäfen in die Freiheitsrechte eingreife. Auch die Vertreterin des UN-Flüchtlingshochkommissars (UNHCR) in Deutschland, Judith Kumin, bedauerte die Entscheidung. Die Jungen Liberalen "respektieren" das Urteil, äußern aber ihr "Bedauern". Ziel bleibe, "Korrekturen hin zum alten Artikel 16" zu bewirken. "Die Staatsräson hat gewonnen", urteilt die Humanistische Union. "In Deutschland gibt es nur noch wenig Schutz für Asylsuchende. Und nur wenig Menschlichkeit für sie." Der Europareferent der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl , Herbert Leuninger, sagte der taz: "Die Staatsräson wurde für wichtiger erachtet als der Erhalt des Menschenrechts auf Asyl." Gesiegt habe Bundesinnenminister Kanther mit seiner Warnung, daß jede noch so kleine Korrektur am Asylrecht die Diskussion wieder aufbrechen lasse und den inneren Frieden in Gefahr brächte.
"Rien ne va plus?" Der deutsche Beitrag zum arte-Themenabend "Asylpolitik in Europa" (20.50 Uhr) Im Hausflur blättert die Farbe von der Decke, im Zimmer stehen die Doppelbetten aus Stahl an der Wand, der Blick aus dem Fenster ist trübe wie die Gesichter der acht schwarzen Männer, die um den Tisch sitzen. Ein schäbiges Leben in schäbiger Umgebung ist das. Ruhe und Sicherheit wollte Syleiman Bouraina finden. 80 Mark Taschengeld im Monat bekommt er. Sein Name stehe auf einer Todesliste, hat er dem Entscheider gesagt. Doch der lehnte den Asylantrag ab. Die Fluchtgründe seien "unglaubwürdig. Togo, wo Syleiman Bouraina herkommt, war zu Anfang des Jahrhunderts deutsche Kolonie. Deutschland sei sein "Mutterland", das sein Leben schützen müsse. Abgelehnt. Die Kamera verabschiedet sich sacht aus seinem Gesicht und fängt Manfred Kanther, Bundesinnenminister ein, der im Juli 1993 im Bundestag den "Asylkompromiß" verteidigt: "Es geht nicht, daß für jeden ein Bleiberecht besteht." Die meisten, die auf Schleichwegen kommen, prallen ab an diesem Satz. Die Stationen ihrer Enttäuschung und Verzweiflung hält Milka Pavlicevic mit der Kamera fest. Die Sprache ihrer Bilder ist subtil. Gitterstäbe umschließen das Asylbundesamt, lautlos drucken Computer die ablehnenden Urteile aus. Der Entscheider spricht von seiner Belastung und dem "Fingerspitzengefühl" das er braucht, um herauszufinden, ob "der Antragsteller glaubwürdig ist". Der BGS-Mann sagt, er brauche "Feeling" bei einer Abschiebung. Pavlicevic montiert Meinungen gegeneinander. Ein Pilot erinnert sich an einen Mann, der sich im Flugzeug mit Händen und Füßen gegen die Verfrachtung wehrte, von BGS-Beamten geknebelt wurde und bald darauf an einem Herzinfarkt starb. "Rien ne va plus - Asyl in Deutschland" ergreift einfach Partei. Entseelte Gesetze, kalte Politiker, stammelnde Bürokraten, nackte, finstere Behausungen, auf der einen Seite. Gutmeinende auf der anderen: Ulrike Voss, die in Nürnberg Flüchtlinge betreut, der Dolmetscher, der bezeugt, daß Entscheider von Asylsuchenden verlangen, das Protokoll ihrer Anhörung blanko zu unterschreiben, Herbert Leuninger von "Pro Asyl" , Nachbarn, die sich während einer Abschiebeaktion der Polizei an "Gestapo-Praktiken" erinnert fühlen, der reuige Politiker, der seinerzeit den Asylkompromiß mittrug. Aus ihnen allen spricht pures Entsetzen über das unwirtliche Deutschland. Der politischen Realität stemmen sie Nächstenliebe und ihre Fähigkeit entgegen, sich dem Leid der Flüchtlinge anzunehmen. Etwa die engagierte Flüchtlingshelferin, die Ibrahim Doruk auf dem Weg durch die Ämter begleitet. Ihm und seiner kurdischen Familie wurde vor Jahren das Asyl verweigert. In einer frühmorgendlichen Aktion holte die Polizei Frau und Kinder aus dem Haus und brachte sie in die Türkei. Der Mann konnte entkommen, erlitt einen Herzinfarkt und trat anschließend in Hungerstreik. Als sein Zustand kritisch wurde, ließen die deutschen Behörden Frau und Kinder wieder einreisen. Nun lebt die Familie auf engstem Raum in einer Sammelunterkunft, ängstlich in der Erwartung, daß der Duldungsstempel einmal nicht mehr nach drei Monaten in die Pässe gedrückt wird. Diese Ungewißheit beschreibt Doruk als "Folter", gleich der, die er in der Türkei durchlebt hat. Er weint. Die Betreuerin mit ihm. Eine Minute lang schwenkt die Kamera tonlos von einem Gesicht zum anderen. Gewiß, solche Bilder berühren. Milka Pavlicevic will Emotionen provozieren, auch wenn sie aus der Balance gerät. Mit einem großen Gefühlsfinale läßt sie die Dokumentation enden. Die Kamera sucht einen Friedhof ab, auf dem zwei Asylsuchende begraben liegen, die den Druck deutscher Gesetze nicht aushielten. Klagender Kommentar der Autorin: "Unter der grünen Wiese im Armengrab beerdigt - Asyl in Deutschland." Dicker läßt sich Schuldgefühl nicht auftragen. Ein dürftiges Ende für eine sehenswerte Dokumentation. Annette Rogalla
Nachgefragt Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) hat Strafantrag gegen das Anti-Rassismus-Büro wegen Verleumdung und übler Nachrede gestellt. Grund: Das Anti-Rassismus-Büro hat ihm in einem Demonstrationsaufruf eine "Politik ethnischer Säuberung" vorgeworfen. Wir fragten bei einem Vertreter des Anti-Rassismus-Büros nach. taz: Was genau hat das Antirassismus-Büro erklärt? Matthias: Ich kann das zitieren aus unserem Demonstrationsaufruf zum 10. Januar. Da heißt es: "Manfred Kanther, sein Bremer Kollege Innensenator Ralf H. Borttscheller und dessen Wau-Wau, der momentan etwas glücklose Staatsrat von Bock, werden sich auf dieser CDU-Gruselparty gegenseitig auf die Schulter klopfen und den neuen "Erfolg" ihrer gemeinsamen Politik der ethnischen Säuberung Deutschlands feiern..." Was heißt ethnische Säuberung Deutschlands? Große Gruppen von Menschen, z.B. Vietnamesen, oder Bosnierinnen und Bosnier, werden abgeschoben. Bei den Bosniern ist es zudem so, daß die Leute gar nicht in ihre Dörfer zurückkönnen und keine Möglichkeit sehen, dort zu leben. Trotzdem werden zehntausende so abgeschoben. Unter ethnischer Säuberung versteht man aber eine Säuberung, deren Motive ethnischer Art sind. Unterstellt das Anti-Rassismus-Büro, daß sie deshalb abgeschoben werden, weil es Bosnier sind? Nein. Wir erleben, daß Deutschland weitestgehend flüchtlingsfrei gemacht werden soll. Der Begriff der ethnischen Säuberung ist in provokanter Weise ins Spiel gebracht worden von Herbert Leuninger, damals Sprecher von Pro Asyl . Der hat die Abschiebepolitik der Bundesregierung vor anderthalb Jahren als Vorstufe zur ethnischen Säuberung bezeichnet. Das haben wir aufgegriffen. Handelt es sich bei den Abschiebungen nicht vielmehr um den Versuch, Sozialhilfe zu sparen und den Arbeitsmarkt nicht zusätzlich zu belasten durch geduldete oder aufgenommene Flüchtlinge? Ich würde darüber nicht spekulieren wollen, was die Motive sind. Kanther hat eindeutig erklärt, daß er nicht mehr Flüchtlinge haben will, gerade auch nach Srebrenica, weil Deutschland voll sei. Der Begriff ethnischer Säuberung unterstellt aber ethnische, rassistische Motive... So eng muß man dieses Wort nicht begreifen. Das Land soll von bestimmten ethnischen Gruppierungen gesäubert werden. Zum Beispiel die Vietnamesen. Natürlich auch aus rassistischen Motiven, das wirkt irgendwie zusammen. Borttscheller hat Strafantrag gestellt, jetzt soll das Gericht die Frage klären. Mitarbeiter des Büros werden mit Strafanzeigen wegen Verleumdung und Volksverhetzung geradezu eingedeckt. Hat schon ein Verfahren stattgefunden? Im Februar gibt es den ersten Termin, weil wir in der Brechmittel-Broschüre von "rassistischer Sonderbehandlung im Fließbandverfahren" geschrieben haben. Nach Meinung des Staatsschutzes ist das Volksverhetzung. Habt ihr jetzt wegen Borttscheller einen Anwalt eingeschaltet? Nein. Diese Strafanzeige ist lächerlich. Das Wort "ethnische Säuberung" ist eine politische Wertung. Ich denke, soviel Meinungsfreiheit sollte hier noch bestehen. Ich finde es unglaublich, daß daraus ein Straftatbestand gemacht werden soll. Fragen: K.W.
Das Portrait Wenn man bei ihm anrief - und natürlich rief man ständig bei ihm an, zu allen Tages- und Nachtzeiten, wenn es wieder irgendwo "brannte" - dann wußte man nie so richtig, ob da am anderen Ende der Leitung einer geschäftsmäßig am Schreibtisch saß oder gemütlich im Wohnzimmer. Ein Gefühl, als platze man mit der Bitte um Stellungnahme mitten in die Privatsphäre eines Menschen hinein. Der Eindruck war wohl nicht falsch: Herbert Leuninger (62) hat seine Aufgabe zur Sache seiner ganzen Person gemacht - und umgekehrt. Von seiner Arbeit kennen die meisten nur den Teil, der ihn in den letzten Jahren als Anwalt von "Recht- und Stimmlosen" und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" immer wütender in die Öffentlichkeit brachte. Leuninger, katholischer Pfarrer und 20 Jahre lang Ausländerreferent im Bischöflichen Ordinariat Limburg, hat 1986 die Flüchtlingsorganisation mit gegründet. Im September dieses Jahres gab er die ehrenamtliche Sprechertätigkeit auf. Am Freitag nun wird er auf dem Internationalen Basso-Tribunal in Berlin derjenige sein, der für Deutschland über die Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber Bericht erstattet. Leuninger, der Mahner von "Pro Asyl" , sprach so eindringlich und überzeugend, daß der relativ kleine Kreis um "Pro Asyl" bald zu der bundesweiten Instanz in Sachen Asyl- und Flüchtlingspolitik wurde. Was er sagte, wurde in den letzten Jahren immer notwendiger, weil es sonst kaum noch jemand aussprach: "Wenn wir nicht lernen, mit Flüchtlingen zu leben, werden wir nicht in der Lage sein, die wirklichen Herausforderungen einer zusammenwachsenden Weltgesellschaft zu bewältigen." Flüchtlinge seien "Botschafter des weltweiten Unrechts". Wer so etwas sagt, macht sich nicht beliebt: "Als Asylantenfreund und Verräter" beschimpften ihn anonyme Feinde und bewarfen sein Haus mit Steinen. Einen "Fanatiker" zieh ihn der FDP-"Linke" Burkhard Hirsch, den Leuninger dort gepackt hatte, wo einige es nie verzeihen - am schlechten Gewissen. Auch die Kirche lag mit ihm oft über Kreuz - und er mit ihr. Daß beide Kirchen 1993 in die große Koalition für eine Asylrechtsänderung einschwenkten, muß eine der bittersten, bis tief in die eigene Person reichende Erfahrung gewesen sein. Manchmal, sagt Leuninger, fühle er sich wie ein "Narr, der an Positionen festhält, auf denen sonst niemand mehr ist". Vera Gaserow
INTERVIEW Interview mit Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger über den verfassungswidrigen Umgang deutscher Behörden mit persönlichen Daten von Flüchtlingen taz: Herr Leuninger, die deutschen Geheimdienste haben quasi ungehinderten Zugang zu den persönlichen Daten von Flüchtlingen, die in der Bundesrepublik als politisch Verfolgte anerkannt werden möchten. Jetzt soll noch vor Ende der Legislaturperiode ein "Ausländerzentralregistergesetz" (AZRG) verabschiedet werden, wonach diese Praxis legitimiert werden soll. Gilt der Datenschutz für Asylbewerber nicht? Herbert Leuninger: Juristisch gesehen steht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung allen Bürgern zu. Faktisch aber wird dieses Grundrecht bei MigrantInnen und vor allem bei Flüchtlingen ignoriert. Die ungeheure Datenkonzentration im Kölner Ausländerzentralregister, das seit Jahrzehnten ohne gesetzliche Grundlage arbeitet, ist dafür nur ein Beispiel. Aus ihm können sich alle möglichen Behörden und Stellen bedienen. Mit Flüchtlingsdaten wird umgegangen wie mit Peanuts. Welche Institutionen sind daran hauptsächlich beteiligt? Die Ausländer- und Visabehörden, die Bundesanstalt für Arbeit, der Bundesgrenzschutz, das Zirndorfer Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen, das Bundeskriminalamt, die Staatsanwaltschaften der Oberlandesgerichte, die Verfassungsschutzbehörden usw. verfügen über eigene Datensammlungen - Inpol, Afis, Asylis, Asylon, Sis, Easy -, die sie an das Ausländerzentralregister übermitteln. "Befreundete" ausländische Geheimdienste können sich aus diesen Datenbeständen über abgelehnte und zurückgewiesene, aber auch über anerkannte Asylbewerber ohne Skrupel bedienen. Hier ist überhaupt keine Grenze des Austausches. Das ist skandalös und verfassungswidrig. Welche konkreten Folgen kann diese Praxis des Datenmißbrauchs für Flüchtlinge haben? Die größte Gefahr geht letztlich von den Geheimdiensten aus. Sie benutzen die Daten weniger zur "Gefahrenabwehr", sondern eher als zusätzliches Faustpfand für Geschäfte mit Drittstaaten. Etwa in dem Sinne: Gibst du mir meinen Spion zurück, bekommst du von mir die Daten deiner politischen Gegner, die in die Bundesrepublik geflüchtet sind. Die Zusammenarbeit der Geheimdienste kann so weit gehen, daß die verfolgenden Heimatbehörden bis in die Details, bis in die Krankengeschichten, Bescheid wissen. So wird den hiesigen Generalkonsulaten - ein aktuelles Beispiel ist dabei Algerien - bei anstehenden Abschiebungen neben Personaldaten ausdrücklich der Hinweis "Asylbewerber" übermittelt. Deutsche können den Schutz persönlicher Daten gerichtlich einklagen. Warum sollte sie interessieren, was Asylbewerbern widerfahren kann? Wenn man das alles zusammennimmt, wird glasklar: Hier nähern wir uns dem Horrorsystem der absoluten Verdatung, Vernetzung und Manipulation von Menschen. Datenschutz ist ein Menschenrecht, das in Deutschland mit Füßen getreten wird, wenn Flüchtlinge die Betroffenen sind. Es ist deshalb allerhöchste Zeit, daß wir uns alle dagegen wehren. Interview: Franco Foraci
Kreis Neuss betreibt Pilotverfahren wegen unerlaubter Rechtsberatung / Pro Asyl : Versuch der Illegalisierung Düsseldorf (taz) - Die Kreisverwaltung Neuss zieht alle behördlichen Register, um einen Kritiker der örtlichen Ausländerbehörde kaltzustellen. Ins Visier der Kreisbehörde ist der Sprecher des Neusser Flüchtlingsrates, Michael Stoffels, geraten - gleich zweifach. Zunächst hatte der Neusser Oberkreisdirektor Stoffels wegen eines kritischen Leserbriefes angezeigt und vor den Kadi gezerrt. Die Behördenleitung fühlt sich von Stoffels verleumdet, weil der die Abschiebung eines mehrfach behinderten Romajungen als "die mit Abstand fremdenfeindlichste Tat im Kreis Neuss" gegeißelt hatte. Nach einem noch nicht rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichtes soll der Gesamtschullehrer für seine Kritik mit 4.000 Mark büßen (vergl. taz v. 6.8.). Zusätzlich leitete der Oberkreisdirektor gegen den Flüchtlingsratssprecher ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz ein. Dem engagierten Pädagogen wird "die geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten" vorgeworfen. "Penibel und mit großer Akribie", so Stoffels, habe die Behörde zur Begründung der Anzeige seine Hilfsdienste für Flüchtlinge aufgelistet. Stoffels wörtlich: "Diese Fälle umfassen praktisch das gesamte Spektrum an Flüchtlingshilfe. Moniert wird nicht nur die Hilfe bei gerichtlichen Verfahren, sondern auch die Vermittlung von Anwälten, das Verfassen von Petitionen, Begleitschreiben an Behörden und Bittbriefe in sozialen Belangen." Wenn die Neusser Kreisbehörde mit diesem Verfahren Erfolg hätte, stünde nach den Worten des Düsseldorfer Rechtsanwaltes Karl Heinz Bartens "die ganze ehrenamtliche Hilfe" zur Disposition. Alarmiert zeigt sich auch die Frankfurter Flüchtlingshilfe-Organisation Pro Asyl . Der Neusser Verfolgungsdrang passe ins Bild der zunehmenden "Illegalisierung" von ProFlüchtlingshilfe. - Asyl-Sprecher Herbert Leuninger: "Wir befürchten ohnehin, daß im Rahmen der Illegalisierung von Flüchtlingen die gesamte Arbeit von Flüchtlingshilfegruppen in die Zone der Illegalität gedrängt wird." Weil dem Neusser Verfahren eine Pilotfunktion zukomme, werde Pro Asyl Stoffels mit einer Prozeßkostenhilfe beistehen. Walter Jakobs
SPD und Pro Asyl kritisieren erneute Waffenlieferungen an die Türkei Berlin/Bonn (taz/dpa) - Die erneuten Waffenlieferungen der Bundeswehr an die Türkei wurden gestern von den Sozialdemokraten, der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl sowie der PDS heftig kritisiert. Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl , sagte, daß "die Bundesregierung weiter auf ihren verfehlten alten Kurs der militärischen Option" gegenüber den Kurden setze. Und dies, obwohl die USA - ebenfalls Nato-Partner der Türkei - hinsichtlich der Menschenrechtslage der Kurden gegenüber Ankara zunehmend kritischer würden. SPD-Wehrexperte Walter Kolbow sagte gestern im Saarländischen Rundfunk, seine Partei habe immer darauf gedrungen, die Materialhilfe für die Türkei auszusetzen. Er unterstrich den Protest der SPD gegen diese Materialhilfe, "aber die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sehen anders aus". Die Sozialdemokraten würden "mit Argusaugen" darauf achten, daß die türkische Regierung zu ihrer Zusage stehe und die gelieferten Rüstungsgüter nicht in den Kurdengebieten einsetze. Die PDS ließ verlauten, daß die Partei stets gegen solche Waffenlieferungen gewesen sei, denn es sei zu befürchten, daß die Waffen gegen die Kurden eingesetzt würden. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte gestern, daß die türkische Armee im Rahmen der Rüstungshilfe von Deutschland unter anderem in einem fünften Materialpaket rund 1,2 Millionen Schuß Munition für 20-mm-Kanonen und leihweise einen Kampfpanzer Leopard 1A 5 und eine Haubitze FH 70 zu "Erprobungszwecken" erhalten soll. Über den genauen Zeitpunkt der Lieferung sei noch nicht entschieden. Der Sprecher der Hardthöhe wies darauf hin, daß Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 mit dem damaligen türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal im Zusammenhang mit dem Golfkrieg Rüstungslieferungen im Gesamtwert von 1,5 Milliarden Mark vereinbart hatte. Die Rüstungshilfe werde Ende dieses Jahres beendet. Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) habe Mitte Juni den Verteidigungsausschuß des Bundestages über die neuen Lieferungen informiert. Von Anfang April bis Anfang Mai war die Rüstungshilfe von Außenminister Klaus Kinkel (FDP) kurzfristig ausgesetzt worden. Menschenrechts- und Friedensgruppen hatten zuvor neue massive Beweise für den Einsatz deutscher Waffen im Kampf der türkischen Armee gegen die Kurden vorgelegt. Die Zeugenaussagen sowie Fotos von Panzern, Militärtransportern und G 3-Gewehren ließ die Bundesregierung jedoch nicht von unabhängigen Gutachtern prüfen, sondern direkt vom Verteidigungsministerium. Am Ende hieß das Fazit des Außenministeriums "mangelnde Beweiskraft". Zynisch verlangte Klaus Kinkel von den Menschenrechtsgruppen Fotos von auf frischer Tat eingesetzten Waffen und ließ keine eigenen Recherchen anstellen. Dies bezeichnete die grüne Politikerin Angelika Beer im Mai als "Täuschung der Öffentlichkeit" und "Unterstützung der Ausrottungspolitik der türkischen Regierung". kotte
Weil Algerien "Abtrünnige" ungern wieder aufnimmt, sitzen Hunderte über Monate in deutscher Abschiebehaft Eine "nicht hinnehmbare Verzweiflungstat" ist die Geiselnahme laut Herbert Leuninger. Für den Chef von Pro Asyl ist es kein Zufall, daß die Meuterer von Kassel mehrheitlich Algerier sind. Denn in Algerien seien der "gegenseitigen Barbarei" von Militärregime und islamischen Fundamentalisten in den vergangenen Jahren 4.000 Menschen zum Opfer gefallen. Seit im Dezember 1991 in Algerien die ersten freien Wahlen kurzfristig abgebrochen wurden, herrscht dort ein blutiges Gemetzel. Islamisten, die sich um den erwarteten Wahlsieg betrogen fühlten, machen seither Jagd auf Repräsentanten des Staates. Die "Sicherheitskräfte" revanchieren sich mit Massenverhaftungen, Folter und Mord. Zwischen die Fronten geraten dabei Intellektuelle, die gegen einen Gottesstaat sind, aber auch am Regime herummäkeln. Hunderte SchriftstellerInnen, JournalistInnen und MenschenrechtlerInnen wurden in den letzten Monaten ermordet. Da in dem schleichenden Bürgerkrieg auch alte Rechnungen beglichen werden, lassen sich nur selten zweifelsfrei politische Motive nachweisen. Reklamiert ein Algerier in der Bundesrepublik für sich den Status des Flüchtlings, so haben die Behörden zu prüfen, vor wem er geflohen ist. Nur wer von staatlicher Seite verfolgt wird, hat hierzulande Anspruch auf Asyl. Die Behörden berufen sich dabei auf eine enge Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention. Dies hat zur Folge, daß nur eine Minderheit von AlgerierInnen in Deutschland Schutz finden. Von 176 im Juni von AlgerierInnenn gestellten Erstanträgen auf Asyl wurden nur elf positiv beschieden. Die besten Chancen haben prominente Islamisten. AlgerierInnen, die ihren Namen auf den Abschußlisten islamistischer Todesschwadrone wähnen, landen dagegen häufig in Abschiebehaft. Die algerischen Behörden sind nicht darauf erpicht, die "Abtrünnigen" wieder aufzunehmen. Wer im Ausland Asyl beantragt hat, gilt kaum als loyaler Bürger. Obwohl die deutschen Behörden den algerischen Stellen vor Abschiebungen die Personaldaten und Angaben zu Familie und Bekannten übermitteln, akzeptiert Algerien pro Tag maximal fünf Personen. Hunderte AlgerierInnen sitzen daher, wie die Meuterer von Kassel, über Monate in Abschiebehaft. Bereits Ende April revoltierten in Leverkusen und Büren algerische Abschiebehäftlinge. Flüchtlingsinitiativen verlangten damals von deutschen Behörden, ihre Entscheidungskriterien der algerischen Realität anzupassen und Flüchtlingen Schutz zu bieten, egal von wem sie verfolgt werden. Thomas Dreger
Pro Asyl fordert Gesetzesänderungen Frankfurt (AP) - Die Hilfsorganisation Pro Asyl hat das seit einem Jahr geltende neue Asylrecht scharf kritisiert und Gesetzesänderungen gefordert. Die neue Regelung habe Flüchtlinge weitgehend rechtlos gemacht, sagte der Sprecher der Organisation, Herbert Leuninger, am Dienstag in Frankfurt. Die Zahl der "legalen" Flüchtlinge sei zwar zurückgegangen, die der "illegalen" aber gestiegen. Gleichzeitig hätten sich Fluchtursachen und -bewegungen nicht verändert. Damit "Illegalität" nicht der Flüchtlingsstatus der Zukunft werde, müßten die Gesetze geändert werden, ohne das Grundgesetz anzutasten, verlangte Leuninger. Der Rechtsschutz wird nach den Worten Leuningers durch kaum einzuhaltende Fristen für Anwälte und Gerichte ausgehebelt, mit der Folge einer übereilten Abschiebung, der Abschiebehaft oder des Untertauchens des Bewerbers. In einzelnen Ländern werde sogar gegen das neue Recht verstoßen, indem mit Zustellung des Abschiebungsbescheids die Abschiebung vollzogen und damit die vorgeschriebene Frist zwischen beiden bewußt nicht eingehalten werde. Pro Asyl verlangt unter anderem ersatzlose Streichung des sogenannten Flughafenverfahrens sowie die Abschaffung der Drittstaatenregelung, wenn begründete Zweifel daran bestehen, daß der Flüchtling in dem Land Zugang zu einem Asylverfahren hat oder wenn sich ein Mitglied seiner Kernfamilie bereits legal in Deutschland aufhält. Die Anhörung der Antragsteller soll nach der Forderung der Organisation frühestens nach sieben Tagen und nicht schon wie heute üblich bereits am ersten Tag erfolgen. Dabei soll er ein Merkblatt in seiner Sprache erhalten und auf die Bedeutung der Anhörung hingewiesen werden. Die Ausreisefrist müßte nach der Forderung der Hilfsorganisation mindestens einen Monat betragen und darf nicht mit der Frist zusammenfallen, die für die Einlegung von Rechtsmitteln besteht. (Agentur)
Ein Jahr nach der Asylrechtsänderung - Eine Bilanz Bonn (taz) - Als "Politik der Abschottung, Abschiebung und Abschreckung" oder kurzum als konzertiertes "AB", bezeichnete gestern Pro-Asyl -Sprecher Heribert Leuninger die neue Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Diese war heute vor einem Jahr mit der Artikel-16-Grundgesetzänderung eingeleitet worden. Ein Anlaß für VertreterInnen zahlreicher Menschenrechtsorganisationen, in der Bonner Friedrich-Ebert-Stiftung Bilanz zu ziehen. Leuninger betonte, daß die eigentliche Abschottung der Bundesrepublik nicht erst an der eigentlichen Staatsgrenze stattfinde, sondern de facto schon wesentlich früher betrieben werde: Der erste "legale und unüberwindliche Wall" stelle nach Meinung Leuningers eine seit Jahren "äußerst restriktive Praxis der Visaerteilung" dar. Dies geschehe vor allem in den Staaten, "aus denen möglicherweise Flüchtlinge kommen könnten", so Leuninger. Als "rassistische Komponente der neuen Asylpolitik" wertete er das Verhalten der Bundesrepublik, zwar einerseits "die Menschenhatz auf Afrikaner zu verurteilen, andererseits jedoch die Aufnahme von Staatsbürgern aus Ruanda kategorisch abzulehnen". Kritik an der Asylrechtsänderung übten auch der Vertreter von amnesty international, Wolfgang Grenz, sowie die UNHCR-Abgesandte Judith Kumin. Beide befürchten eine Kettenabschiebung politisch Verfolgter zurück ins Ursprungsland, wenn in angeblich "sicheren Drittstaaten" ein faires Asylverfahren nicht gewährleistet sei. Statt formeller Ausschlußgründe müsse der Schutz des Flüchtlings absolut im Vordergrund stehen. Hasso Suliak
Bundesamt für Flüchtlinge legt iranischen Asylbewerbern ein Konsulatsformular über Fluchtgründe und Fluchtweg vor / Vizepräsident stellt Vorgehen seiner Behörde in Frage Aus Berlin Dorothee Winden Wenn Iraner einen Asylantrag stellen, legt ihnen das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ein Formular der iranischen Botschaft in Bonn vor. Darin sollen sie unter anderem beantworten, wann und warum sie den Iran verlassen haben, welche Grenze sie zum Verlassen des Landes benutzt haben und warum sie einen Asylantrag stellen. Wie der Vizepräsident des Bundesamtes, Wolfgang Weickhardt, gegenüber der taz bestätigte, wird bundesweit "routinemäßig" so verfahren. Das Formular der iranischen Botschaft werde zusammen mit einem deutschen Formular vorgelegt, in dem zur Beschaffung eines Paßersatzes Personalien abgefragt würden. Die iranische Botschaft verlange "darüber hinausgehende Daten", deshalb lege das Bundesamt seit März auch das iranische Formular vor. Weickhardt zufolge ist dieses Vorgehen durch das Asylverfahrensgesetz gedeckt, das eine Paßbeschaffung "zum frühest möglichen Zeitpunkt" vorsieht. Indirekt gab er jedoch zu, daß seine Behörde über das Ziel hinausschießt. Weickardt räumte ein, daß sich der fragliche Paragraph 43 b nur auf Flüchtlinge bezieht, die verpflichtet sind, in einem Heim zu wohnen, und deren Asylantrag als "offensichtlich unbegründet" eingestuft wird. Dies läßt sich aber zu dem Zeitpunkt, zu dem der Flüchtling den Antrag stellt, noch gar nicht feststellen. Zudem gibt es Weickhardt zufolge derzeit kaum "offensichtlich unbegründete" Asylanträge von Iranern. Es handle sich um eine "rein vorsorgliche Maßnahme". Deshalb müsse man sich "überlegen, ob es Sinn macht, die Formulare bei der Antragstellung vorzulegen", räumte er ein. Weickhardt betonte, daß die Unterlagen nur dann an Bundesgrenzschutz und Botschaft weitergegeben werden, wenn es sich um "offensichtlich unbegründete" Fälle handle. Das Ausfüllen des iranischen Formulars sei zudem "freiwillig". Er sei "fest überzeugt", daß Flüchtlinge bei einer Ablehnung und Rückkehr in den Iran deswegen keine Nachteile zu befürchten hätten. Iranische Oppositionelle erklärten dagegen, daß abgelehnte AsylbewerberInnen bei ihrer Rückkehr in jedem Fall mit einem Verhör rechnen müssen. Ihnen drohe auch eine zumindest vorübergehende Festnahme. "Die geringste Strafe ist ein Reiseverbot", erklärte Dr. Mehdi Haeri. Ein Stempel in iranischen Pässen untersage es dem Paßinhaber, im Ausland etwas zu tun, das sich gegen die Islamische Republik Iran richte. Darunter falle auch ein Asylantrag. Nach Angaben von Haeri wird in dem fraglichen Formular auch nach den Namen der Eltern und Geschwister sowie nach der Adresse der Familie im Iran gefragt. Es sei zu befürchten, daß auch Druck auf die Familie ausgeübt werde. Wie Javad Dabiran vom Nationalen Widerstandsrat Iran in Deutschland berichtete, kommt es vor, daß abgelehnte Asylbewerber bei ihrer Rückkehr unter Druck gesetzt werden, künftig mit den iranischen Behörden zusammenzuarbeiten. Herbert Leuninger von Pro Asyl bezeichnete das Vorgehen des Bundesamtes "als höchst bedenklich". Er kritisierte, daß die Behörde die mit der Vorlage des Formulars verbundene Gefährdung der Flüchtlinge herunterspiele. Ohnehin sei der Iran "gründlichst über Asylverfahren informiert". "Wir gehen von einem intensiven Informationsaustausch aus", so Leuninger. Stefan Telöken, Pressesprecher des Bonner UNHCR-Vertreters, erklärte: "Wir sind darüber nicht glücklich, denn für den Betroffenen entsteht eine schwierige psychologische Lage. Aber solange dem Flüchtling kein Nachteil erwächst, ist das rechtlich unangreifbar."
Sachsens Rätselraten um Folterungen einer abgeschobenen kurdischen Familie Dresden (taz) - Die Aussagen zum Schicksal der am 6. April aus Sachsen abgeschobenen kurdischen Familie Cetin bleiben weiterhin widersprüchlich. Dem Bonner Auswärtigen Amt zufolge ist Ramazan Cetin nicht, wie in der Presse berichtet, durch die türkischen Behörden gefoltert worden. Bei einer aktuellen Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag berief sich Innenminister Heinz Eggert (CDU) auf Recherchen der deutschen Botschaft in Istanbul. Danach soll die Familie gleich nach ihrer Ankunft in der Türkei vier Stunden lang "befragt" und dann auf freien Fuß gesetzt worden sein. Angeblich habe Cetin seine Aussagen, er sei gefoltert und mehrere Tage inhaftiert worden, gegenüber der Botschaft widerrufen. Eggert und der Ausländerbeauftragte Heiner Sandig (CDU) wollen die Umstände der Abschiebung weiter prüfen. Unstrittig ist, daß auch schwere Versäumnisse des Rechtsanwaltes zu der Abschiebeaktion der Zentralen Ausländerbehörde Chemnitz geführt haben. So ging der Einspruch gegen den Abschiebebescheid erst eine Minute vor Abflug der Maschine beim Verwaltungsgericht ein. " Pro-Asyl " -Sprecher Herbert Leuninger forderte Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) auf, die siebenköpfige kurdische Familie nach Deutschland zurückzuholen. Leuninger erklärt Cetins Widerruf der Folteraussage mit massiver Bedrohung durch den türkischen Geheimdienst. Wenn die deutsche Botschaft solche Informationen verbreite, sei das "entweder ein Zeichen politischer Naivität oder aber der Ausdruck eines abgekarteten Spieles". Das Ehepaar Cetin hatte dem Flüchtlingsrat von den Folterungen telefonisch berichtet. In der Aktuellen Stunde des sächsischen Landtages verstieg sich der stellvertretende CDU- Landesvorsitzende Volker Schimpff zu der Behauptung, in der Türkei gebe es überhaupt keine Folter. Die vom "sogenannten Flüchtlingsrat" und anderer "interessierter Seite" aufgestellten "Standardverleumdungen" gehörten ins Repertoire von "kommunistischen und nationalsozialistischen Mordhetzern und ihrer grünalternativen Feigenblätter". Als Ingrid Stetter (SPD) über die Verfolgung und Ermordung von KurdInnen und JournalistInnen in der Türkei sprach, blökte ein CDU-Hinterbänkler: "Terroristen bleiben eben Terroristen!" dek
KroatInnen Frankfurt/M. (epd) - Deutsche Wirtschaftshilfe für nach Kroatien zurückkehrende Flüchtlinge hat "Pro Asyl" gefordert. Die Rückführung Zehntausender dieser Menschen aus Deutschland sei ohne ein ökonomisches Rahmenprogramm "nicht zu verantworten", erklärte der Sprecher der Flüchtlingshilfeorganisation, Herbert Leuninger, am Dienstag in Frankfurt am Main. Erforderlich seien unter anderem die Schaffung von Wohnraum sowie die Sicherstellung eines "wirtschaftlichen Auskommens" der Rückkehrer. (Agentur)
Abgeschobener Kurde zieht Aussage zurück / Türkische Drohung vermutet Dresden (AFP) - Die Vorwürfe wogen schwer: Nach seiner Abschiebung aus Sachsen sei er mit elektrischen Schlagstöcken gefoltert, getreten und geschlagen worden, berichtete der kurdische Familienvater Ramazan C. telefonisch Freunden, Bürgerrechtlern und Journalisten in Deutschland. Um ihn und seine Frau nach der Ablehnung ihres Asylantrages in Deutschland als Sympathisanten der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK zu entlarven, hätten die türkischen Sicherheitsbehörden das Paar aus Pirna und seine fünf Kinder nach der Ankunft in Istanbul am 7. April festgenommen und drei Tage lang im Gefängnis festgehalten. Doch Ramazan C. widerrief jetzt. Unter dem Druck türkischer Drohungen, vermuten Menschenrechtler wie Lothar Hermes, der Vorsitzende des Sächsischen Flüchtlingsrates. In einem Gespräch in der deutschen Botschaft in Ankara soll C. nur noch von "Schikanen" gesprochen haben, denen er und seine Familie bei der Vernehmung ausgesetzt gewesen seien. Gewalt sei "zur Erzwingung von Aussagen nicht angewendet worden", zitiert das Auswärtige Amt den 34jährigen. Überdies hätten Nachforschungen eines Menschenrechtsvereins in Istanbul keine Hinweise für eine Folterung ergeben, erklärt das Außenministerium. Ramazan C. und seine Familie hätten nach einer viereinhalbstündigen Routineüberprüfung noch am Tage ihrer Ankunft weiterreisen dürfen. In einem Telefonat mit der Sächsischen Zeitung hatte Ramazan C. noch am 15. April berichtet, die Sicherheitskräfte hätten gedroht, ihn totzuschlagen, wenn er von Folter und Verhör erzähle. Es handele sich um einen "grundsätzlichen Fall, von dem die ganze Rückführungspolitik der Bundesrepublik" abhänge, sagt der Sprecher der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl , Herbert Leuninger. Seine Organisation fordert wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen einen generellen Abschiebestopp in die gesamte Türkei. (Agentur)
Bonn informiert Verfolgerstaaten Berlin (taz) - Die Bundesregierung stellt seit Jahren Verfolgerstaaten Daten über Flüchtlinge und Oppositionelle zur Verfügung. Auf diese Praxis haben die bundesweite Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" und die "Deutsche Vereinigung für Datenschutz" (DVD) hingewiesen. Von dem Datenaustausch, der für Flüchtlinge gravierende Folgen wie Todesstrafe oder Folter zur Folge haben kann, sind zur Zeit vor allem die Kurden bedroht, die die Bundesregierung in die Türkei abschieben möchte. Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger verweist in diesem Zusammenhang auf eine 1979 eingeführte "Tabu-Liste" zur Bekämpfung des Terrorismus. Die Bundesregierung und die Türkei haben sich verpflichtet, über die in dieser Liste aufgeführten Personen und Gruppen Informationen auszutauschen. Darunter fällt auch die kurdische Arbeiterpartei PKK, die unlängst in der Bundesrepublik verboten wurde. Daß der Nato-Partner Türkei darüber hinaus mit Informationen über in der Bundesrepublik lebende Oppositionelle versorgt wird, hat Leuninger zufolge das niedersächsische Innenministerium schon 1984 bestätigt. Dies geschehe im Rahmen eines Zusatzabkommens für das Nato- Truppenstatut. Die systematische Weitergabe von Daten läßt sich auch anhand eines Erlasses der Grenzschutzdirektion Koblenz vom 28. Oktober 1993 nachzeichnen. Im Fall algerischer Flüchtlinge gibt die Direktion Personendaten zur Ausstellung von Paßersatzdokumenten an das algerische Generalkonsulat weiter. Die Papiere tragen den Zusatz "Asylbewerber", womit der Vertretung kenntlich gemacht wird, daß es sich um Oppositionelle handelt. Steht eine Abschiebung an, gibt die Behörde sogar die Flugdaten weiter. Wie diese Informationen verwertet werden, ist den Grenzschützern bekannt. Im Erlaß heißt es: "Das Generalkonsulat übermittelt die Flugdaten auch nach Algerien, um sicherzustellen, daß der algerische Staatsbürger den algerischen Sicherheitsbehörden zugeführt wird." Informationen über Flüchtlinge werden auch indirekt übermittelt. Erkenntnisse etwa der Verfassungsschutzbehörden werden regelmäßig unter den "befreundeten Diensten" ausgetauscht. Offiziell fällt der türkische Geheimdienst "MIT" zwar nicht darunter - über den Umweg Paris, London oder Washington gelangen die Daten dann dennoch nach Ankara. Im Rahmen der Schengener Verträge soll nun auch europaweit ein "Schengener Informationssystem" eingeführt werden. Damit werde erstmals "eine internationale Personen-Datenbank" für ausländerrechtliche und polizeiliche Zwecke geschaffen, kritisiert die "Deutsche Vereinigung für Datenschutz". In ihr werden "Drittausländer" gespeichert, die als "Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" gesehen werden. Weil diese Daten an "Stellen außerhalb des Hoheitsgebietes der Vertragsparteien" übermittelt werden dürfen, sei dieses System auch "eine potentielle Datenbasis für die Polizei, das Militär und die Geheimdienste der Verfolgerstaaten". Zur Übermittlung der Daten genügt bereits, wenn der Empfänger "besondere Vorkehrungen für die Datensicherung" zusichert. Wolfgang Gast
Kurde schwebt nach Selbstverbrennung in Lebensgefahr / Kohl fordert Härte gegen "Gewalttäter" Bonn/Berlin (AP/dpa/taz) - Ein 35jähriger kurdischer Demonstrant, der sich am Dienstag auf der Autobahn mit Benzin übergossen und angezündet hatte, schwebte gestern noch in Lebensgefahr. Ein weiterer Demonstrant, der sich ebenfalls selbst angezündet hatte, erlitt weniger schwere Verbrennungen. Beide versuchte Selbstverbrennungen waren die dramatische Zuspitzung bei Autobahnblockaden in verschiedenen Bundesländern, die Kurden aus Protest gegen den Krieg in der Türkei und die Unterstützung der türkischen Regierung durch die Bundesregierung durchführten. Eine Kurdin, die sich in Mannheim bereits am Montag angezündet hatte, starb gestern. Während das Kurdistan-Informationsbüro erklärte, die Frau habe einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem sie gegen die kurdenfeindliche deutsche Politik protestiert, behauptete die Polizei, für die Selbstverbrennung hätte es keinerlei politische Motive gegeben. In Reaktion auf die Autobahnblockaden haben Bundeskanzler Helmut Kohl und andere führende deutsche Politiker mit harten Konsequenzen für die Beteiligten gedroht. Mit den Ausschreitungen der vergangenen Tage habe der "Terror eine neue Dimension erreicht", sagte Kohl. "Das ist ein unerträglicher Mißbrauch des Gastrechts, den wir nicht hinnehmen werden." Das Ausländerrecht sei möglicherweise zu ändern. Er erwarte nach Ostern einen Bericht der Bundesregierung. Am späten Nachmittag trafen sich die Innenstaatssekretäre von Bund und Ländern, um das rechtliche Problem zu erörtern. Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) und mehrere Landespolitiker sprachen sich für eine schnelle Abschiebung kurdischer Straftäter aus. Es gehe nicht an, "daß die innertürkischen Probleme gewaltsam auf deutschem Boden auch noch zu Lasten deutscher Staatsbürger ausgetragen werden", sagte Bohl. Die SPD zeigte sich unentschlossen: Ob sie eine schnelle Abschiebung der Kurden unterstützen werde, prüfe die SPD derzeit, sagte der Sozialdemokrat Hans-Gottfried Bernrath, Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses. Auf jeden Fall sei es schwer, "die einzelnen Täter zu ermitteln" und sie abzuschieben. Unmöglich sei es, wenn ihnen in der Türkei die Todesstrafe drohe. Statt dessen forderte Bernrath ein Waffenembargo gegen die Türkei: "Nato hin, Nato her, wenn Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden, müssen die Waffenlieferungen eingestellt werden." Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl verlangte indes einen Abschiebestopp für Kurden. "Abgeschobenen Flüchtlingen droht Gefahr für Leib und Leben", so Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger in Frankfurt am Main. In einer Erklärung unterstützte Pro Asyl den gewaltfreien Kampf gegen die Unterdrückung des kurdischen Volkes. Gewalttätige Demonstrationen könnten aber "die Spirale des Terrors in der Heimat nicht beenden und die Solidarität nicht fördern". Gegen Kurden, die sich an Blockaden beteiligt hatten, beantragten verschiedene Staatsanwaltschaften am Mittwoch Haftbefehle. In Kiel wird einem Kurden die versuchte Tötung eines Polizisten vorgeworfen. Nach Angaben der Stuttgarter Polizei wurden sechs Kurden dem Haftrichter vorgeführt, in Gießen waren noch zwölf Männer in Polizeigewahrsam. In Nordrhein-Westfalen wird gegen 250 Blockierer ermittelt, in Berlin gab es keine Haftbefehle.
amnesty international fordert klaren Status für bosnische Flüchtlingsfrauen Berlin (taz) - Schon am kommenden Donnerstag werden vermutlich die ersten Flüchtlinge aus Serbien, einschließlich Kosovo und Montenegro, abgeschoben. Ein Flugzeug soll die Opfer der jüngsten Entscheidung des Bundesinnenministeriums von Düsseldorf aus ins rumänische Temesvar ausfliegen. Von dort werden sie per Bus an die Grenze Serbiens gebracht. Im Abstand von jeweils einer Woche sollen drei weitere Flüge gechartert werden. Das Düsseldorfer Innenministerium bat die Ausländerbehörden, für eine "möglichst gute Auslastung" der Flugzeuge zu sorgen. Kostenminimierung allenthalben. Als einziger Landesinnenminister hatte sich Herbert Schnoor im letzten Herbst noch für die Duldung wenigstens der Kosovo-AlbanerInnen stark gemacht. Selbst in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes ist immer wieder von Mißhandlungen und Folterungen in der einst autonomen, vor fünf Jahren gleichgeschalteten und faktisch nun von Armee und Polizei besetzten Provinz im Süden Serbiens die Rede. Doch das Bundesinnenministerium hatte sich einer Verlängerung der Duldung widersetzt. Nun sind 230.000 Flüchtlinge aus Serbien und Montenegro von Abschiebung bedroht - nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in allen Bundesländern. Herbert Leuninger, Sprecher der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl , forderte einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Rest-Jugoslawien. AlbanerInnen drohe politische Verfolgung. Die Opfer des Krieges würden den Häschern in die Arme getrieben, denn wehrfähige Serben liefen Gefahr, zwangsrekrutiert zu werden. "Das UN-Embargo", so Leuninger, "muß auch als Rekrutierungsembargo respektiert werden." Nur Flüchtlinge aus Bosnien- Herzegowina will die Bundesrepublik vorerst weiter dulden. Doch viele von ihnen haben heute einen ungeklärten Status. So liegen seit neun Monaten nach einer Pressemitteilung von amnesty international zum Internationalen Frauentag die Asylanträge bosnischer Frauen auf Eis. "Die deutschen Behörden hatten bosnische AsylbewerberInnen Anfang 1993 als Bürgerkriegsflüchtlinge eingestuft, denen kein Asyl zustehe", schreibt ai weiter, "ohne ihnen deshalb einen Status als Bürgerkriegsflüchtlinge nach dem AusländerInnenrecht zu gewähren." Die Massenvergewaltigungen hatten vor anderthalb Jahren die Weltöffentlichkeit aufgerüttelt. Doch heute haben die bosnischen Frauen nicht einmal den sicheren Status, der ihnen als Opfer "ethnischer Säuberungen" aufgrund der auch von Deutschland unterzeichneten Genfer Flüchtlingskonvention zusteht. thos
Vera Gaserow Innenminister beschließen zeitliche Staffelung der Abschiebungen nach Kroatien / Aufschub für Flüchtlinge aus besetzten Gebieten / Mitte 1995 sollen alle die BRD verlassen haben Von Vera Gaserow Die Innenminister von Bund und Ländern haben ihren Beschluß, zum 30. April rund 100.000 Kriegsflüchtlinge nach Kroatien auszuwiesen, in wichtigen Teilen korrigiert. Nach fünfstündigen, "zähen" Verhandlungen einigten sie sich am Mittwoch abend auf einer Sonderkonferenz in Bonn, die Abschiebungen "zeitlich gestreckt" vorzunehmen. Dabei sollen Flüchtlinge aus serbisch besetzten oder zerstörten Gebieten Kroatiens den längsten Aufschub bekommen. Sie müssen spätestens im Juni 1995 die Bundesrepublik verlassen haben. Mit der Abschiebung der anderen Flüchtlinge, von den Innenministern "Rückführung" genannt, soll ab 1. Mai 94 "unverzüglich" begonnen werden. Als erste sollen unverheiratete kinderlose Erwachsene und Erwachsene, deren Ehegatten oder Kinder in Kroatien leben, Deutschland verlassen. Danach sollen in zeitlicher Reihenfolge kinderlose Ehepaare folgen, dann Eltern und Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern. An letzter Stelle kommen Minderjährige und Kinder, deren familiäre Betreuung in Kroatien sichergestellt sein muß. Mit Ausnahme der Flüchtlinge aus besetzten oder zerstörten Gebieten sollen die Abschiebungen bis Ende Oktober abgeschlossen sein. Auf andere Kriterien, die zuvor Menschenrechtsorganisationen, aber auch einige Innenminister selber gefordert hatten, konnte sich die Bonner Politikerrunde nicht verständigen: so sind Kriegsdienstverweigerer und Deserteure nicht von Abschiebungen ausgenommen. Hierzu heißt es nur windelweich: "Die Bundesregierung wird gebeten, bei ihren Gesprächen mit der kroatischen Regierung darauf hinzuwirken, daß kroatische Deserteure Straffreiheit genießen und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung beachtet wird." Auch ein Abschiebeschutz für Flüchtlinge in gemischt-nationalen Ehen ist nicht vorgesehen. Sie sollen jeweils nach der für sie günstigsten Regelung behandelt werden. Nicht einigen konnten sich Bund und Länder auch über ein Rückführungsprogramm. Die Innenminister fordern zwar weiterhin, daß der Bund sich zu 50 Prozent an dessen Kosten beteiligt. Bundesinnenminister Kanther lehnt das jedoch ab. Menschenrechtsorganisationen und die Ausländerbeauftragte des Bundes begrüßten gestern, daß die Innenminister ihre Entscheidung zur generellen Abschiebung nach Kroatien noch einmal korrigiert haben. "Als Erfolg, daß der damalige Beschluß von der Qualität einer Laienspielschar durch eine qualifizierte öffentliche Diskussion korrigiert worden ist", wertete Herbert Leuninger von Pro Asyl den IMK-Beschluß. "Ein Zeichen, daß man durch Druck etwas bewegen kann", sieht amnesty international (ai). Doch nicht nur der innenpolitische Druck in Deutschland, vor allem der wirtschaftliche Druck Kroatiens dürfte die Innenminister etwas zur Besinnung gebracht haben. Man wolle, so heißt es denn auch in ihrer Erklärung, "dem kroatischen Staat einen angemessenen Zeitraum einräumen", die Versorgung der Rückkehrer sicherzustellen. Die Kriterien für die Staffelung der Abschiebung, so kritisiert ai, richteten sich denn auch weniger nach der Gefährdungslage der Flüchtlinge als nach den technisch-organisatorischen Aufnahmeproblemen Kroatiens. Künftig sollen Bürgerkriegsflüchtlinge wie Asylbewerber nach einem festgelegten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt werden. Auf dieser Regelung haben vor allem Berlin, Baden-Württemberg und Bayern bestanden, wo die meisten Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien Zuflucht gesucht haben. Bis Mai sollen Vorschläge für das Verteilverfahren auf dem Tisch liegen. Bis dahin will man auch - analog zum Asylbewerberleistungsgsetz - drastische Sozialhilfekürzungen für Bürgerkriegsflüchtlinge prüfen.
Somalia Frankfurt/M. (epd) - Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl hat gegen die geplante Ausweisung einer somalischen Familie nach Äthiopien protestiert. Die Abschiebung des Vaters und der beiden kleinen Kinder sei für den heutigen Dienstag vorgesehen, obwohl die schwangere Mutter der Kinder derzeit in einer deutschen Klinik behandelt werde und nicht reisefähig sei, erklärte Pro-Asyl - Sprecher Herbert Leuninger gestern. Die Flüchtlingsorganisation befürchtet ein "Hin- und Herschieben" der Familie, da Äthiopien die Somalier nicht wieder einreisen lassen will. (Agentur)
Angola Frankfurt am Main (epd) - Mehrere Flüchtlingsorganisationen in Deutschland haben sich gestern gegen Abschiebungen in das Bürgerkriegsland Angola gewandt. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Diepgen, wurde in einem gestern veröffentlichten Schreiben von "Pro Asyl" aufgefordert, 15 rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber aus dem afrikanischen Land nicht abzuschieben. In ihrer Heimat drohe ihnen Gefahr für Leib und Leben, sagte Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger. Allein im vergangenen Jahr seien durch den Bürgerkrieg in Angola eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen. (Agentur)
Kommentar Herbert Leuninger (Pro Asyl) Psychischer Druck und mangelnde Information Der ausländische Diskussionsteilnehmer nennt in der letzten Woche C 183 auf Rhein-Main ein "Konzentrationslager". Ganz abwegig ist es wohl nicht, wenn Menschen, die Flüchtlinge in dem hermetisch abgeschlossenen Raum kennengelernt haben, das C über der Eingangstür als concentration und als camp lesen. Die Akademische Amerikanische Enzyklopädie definiert concentration camps als "Gewahrsam für Zivilisten, die politisch als Feinde angesehen werden". Rechtsanwälte, die Mandanten in C 183 betreuen, sprechen von einem Gefängnis. C 183 wirkt sich ähnlich wie eine der hochmodernen Folterkammern aus, in denen Menschen ohne physische Gewalt Höllenqualen erleiden. Tag und Nacht peinigt sie die Angst, in ihre Heimat zurückgeschoben zu werden. Sie werden gewalttätig gegen die eigene Person, rennen sich ein Messer in den Bauch oder treten in einen Hungerstreik. Lieber, so sagen sie, wollten sie hier Hungers sterben, als in den Gefängnissen ihrer Heimat umkommen. In der Presseerklärung der Innenministerkonferenz vom 26. November wird darauf hingewiesen, daß zur Zeit ausschließlich auf dem Flughafen Frankfurt am Main ein Bedarf von etwa sechzig "Gewahrsamsplätzen" bestehe. Da hätten wir die präzise amtliche Benennung, die mit der amerikanischen Definition von concentration camp als place of detention übereinstimmt. Die lex "Severin", wie Artikel 18a des neugefaßten Asylverfahrensgesetzes von Insidern nach dem Frankfurter BGS-Chef benannt wird, läßt sich über die Form der Unterbringung im Transitbereich nicht näher aus. Der Gesetzgeber glaubt den Erfordernissen des Rechtsstaates und denen des Asylbewerbers ausreichend Rechnung zu tragen, wenn für die Anhörung des Bundesamtes zwei, für die Einreichung einer Klage drei und für die Entscheidung des Gerichtes vierzehn Tage angesetzt werden. Was die extreme Situation für ein rechtsstaatliches Verfahren und für die Rechtsfähigkeit des einzelnen bedeuten könnte, bleibt außer Betracht. In der Anhörung des Innenausschusses des Bundestages wußte der Leiter des Bundesgrenzschutzes auf Rhein-Main die Abgeordneten mit den Hinweisen zu beeindrucken, daß die Bundesrepublik für Schleuser- und Bandenorganisationen "im Rahmen des Verschubs von Menschen" ein "Ruhe- oder Durchgangslanger" sei. Hier habe der Schleuser eine sichere Heimstatt für den Menschen, der sich dann Asylbewerber nenne. Hierbei handele es sich vielfach um Menschen, die eigentlich nach Kanada, Schweden oder die USA wollten. Severin verwies auch auf eine Gruppe von Menschen, die in Deutschland nur Geschäfte machen wollten und, weil sie kein Touristenvisum bekommen hätten, Asyl beantragten. Das ist die Optik, wie sie sich aus dem Sehschlitz eines Bunkers bietet. In dieser Perspektive sind die bundesdeutschen Flughäfen die letzten Einfallstore für Flüchtlinge, die zugeschlagen werden müssen. Die Flughafenregelung des Paragraphen 18a ist neben der Einführung der sicheren Drittstaaten und der sicheren Herkunftsländer ein Kernstück des neuen Asylrechts. Es setzt dem Bundesgrenzschutz, dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, den Anwälten und Richtern kurze Fristen für die Verfahren von Asylbewerbern. Um Stunden geht es, wenn die "Zurückschiebung" eines Asylbewerbers in ein "sicheres" Durchreiseland verhindert werden soll. Eine Datenleitung versorgt das Bundesamt mit aktuellen Informationen aus der Nürnberger Zentrale. Kuriere rasen zwischen Frankfurt und Wiesbaden hin und her, um Archivmaterial beizubringen, Anwaltskanzleien arbeiten bis tief in die Nacht, Richter setzen Urteile handschriftlich ab, um sie anschließend an den diensthabenden Leiter des BGS zu faxen, Bundesverfassungsrichter greifen zum Telefon, um in letzter Minute zu verhindern, daß ein Flüchtling mit dem nächsten Flugzeug abgeschoben wird. Auf dem Flughafen Rhein-Main bündeln sich die Probleme der neuen Asylpolitik wie in einem Brennglas. Unter der Oberfläche hektischen Funktionierens stehen entscheidende Fragen der Rechtsstaatlichkeit an. Zu befinden ist u.a. darüber, ob das neue Asylrecht mit der Einführung sogenannter sicherer Drittstaaten verfassungsgemäß ist, ob Gerichte entgegen dem Wortlaut des Begleitgesetzes die "Zurückschiebung" in ein Durchreiseland verhindern können, ob der allseitige Termindruck mit Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit in Einklang zu bringen ist. Dabei ist vor allem auch zu klären: Ist der internierte, psychisch derangierte und desinformierte Flüchtling im Transitbereich das für die Wahrnehmung seiner Interessen rechtsfähige Subjekt? Es bleiben die Fragen nach der rechtsstaatlich bedenklichen Gestaltung des Gewahrsams, nach der beschränkten Zugangsmöglichkeit rechtskundiger Personen, nach der allzu schnellen Abqualifizierung eines Asylantrags als "offensichtlich unbegründet" und der damit verbundenen Verkürzung des Rechtswegs, nach der beschränkten richterlichen Kontrolle von Behördenentscheidungen und nach dem generellen Ausschluß einer mündlichen Verhandlung im Eilverfahren. Viele Fragen, zu viele für einen wirklichen Rechtsstaat! Der BGS erwarte um den 24. Dezember herum die Ankunft einer hochschwangeren Frau aus dem Vorderen Orient. Sie käme über einen sicheren Drittstaat. Die interne Dienstanweisung laute: "vorübergehend reinlassen!" Je zwei Grenzschützerinnen müßten rund um die Uhr bereitstehen, falls die Frau wegen drohender Niederkunft in die Uni-Klinik gebracht würde. Die Beamtinnen sollten im oder doch wenigstens vor dem Kreißsaal Posten beziehen; sei doch die Gefahr nicht auszuschließen, daß das Neugeborene versuchen könnte, illegal in die Bundesrepublik einzureisen. Im übrigen stehe es bereits auf der Fahndungsliste eines befreundeten Geheimdienstes. Herbert Leuninger
Pro Asyl Frankfurt/M. (epd) - Der Bundesgrenzschutz hat nach Angaben der Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl mit Drohungen die Flucht eines Togolesen über Moskau in die Bundesrepublik verhindert. Die Münchner Beamten hätten der russischen Fluggesellschaft Aeroflot mitgeteilt, sie müsse für die Transportkosten aufkommen, falls der Flüchtling von Moskau nach Deutschland fliegen könne, erklärte Pro-Asyl -Sprecher Leuninger gestern. Dies sei eine deutliche Ausweitung der "Abschottungspraxis". Der von Sicherheitsbehörden verfolgte oppositionelle Togolese sei aufgrund der Intervention in Moskau festgenommen und abgeschoben worden. (Agentur)
Das "Asylbewerberleistungsgesetz" diskriminiert Flüchtlinge und kommt Gemeinden teuer zu stehen Von Frank Thewes Saarbrücken (taz) - Ab heute erhalten Asylbewerber grundsätzlich keine Sozialhilfe mehr. Statt dessen gilt für sie künftig ein spezielles "Asylbewerberleistungsgesetz". Nach den Vorschriften dieser Ausgeburt des Bonner Asylkompromisses sollen bundesweit nur noch Sachleistungen sowie ein monatliches Taschengeld von 40 Mark für Kinder und 80 Mark für Erwachsene gewährt werden. Damit, so Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger, "wird der Asylbewerber als Mensch zweiter Klasse definiert, der hauptsächlich des Geldes wegen in die Bundesrepublik kommt, den Sozialstaat ausnimmt und die Bundesrepublik wirtschaftlich überfordert". Nur unter "besonderen Umständen" sieht das Gesetz statt Sachleistungen, Wertgutscheinen "oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen" auch die Auszahlung von Geld vor. Die entsprechenden Sätze liegen bis zu einem Drittel unter der bereits kargen Sozialhilfe. So gibt es für den "Haushaltsvorstand" statt bisher 509 nur noch 360 Mark. Die Leistungen für Flüchtlinge sinken damit nach Meinung von Verfassungsrechtlern "unter die in der Bundesrepublik geltende Armutsgrenze". Pro Asyl sieht weitere Grundrechte verletzt. So gefährde die im Gesetz vorgesehene medizinische Minimalversorgung das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Außerdem, so Sprecher Leuninger, werde die bisher bereits restriktive Lagerunterbringung noch "durch Arbeitszwang ergänzt": Für eine "Aufwandsentschädigung von 2 Deutsche Mark je Stunde" (Gesetzeswortlaut) sollen "arbeitsfähige Leistungsberechtigte" zu Arbeiten verpflichtet werden. Hilfsorganisationen befürchten vor allem durch das nun flächendeckend vorgeschriebene Sachleistungsprinzip fatale Folgen für die Flüchtlinge. Auf eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung müßten die Betroffenen verzichten. Da Wertgutscheine in der Regel für bestimmte Läden gelten, ist ein preisvergleichender Einkauf nicht möglich. Dieses vielerorts bereits praktizierte Gutschein-System schürt nach Einschätzung von Herbert Leuninger die Fremdenfeindlichkeit, "wenn dann die umständliche Einlösung an der Kasse den Unmut der Kassiererinnen und der wartenden Kunden weckt". Falls in Ausnahmefällen doch Geld an Asylbewerber ausgezahlt wird, soll dies laut Gesetz nur persönlich und in bar erfolgen. Damit ist aber selbst der offiziell angeführte Einspar- und Abschreckungseffekt fraglich, wie entsprechende Erfahrungen im Saarland zeigen. Dort hat die Landesregierung bereits zu Jahresbeginn die Städte und Gemeinden angewiesen, Sozialhilfe an Asylbewerber einmal pro Woche bar auszuzahlen, um so den angeblich massenhaften Mißbrauch einzudämmen. Doch statt der erhofften Einsparungen durch die "Enttarnung von Sozialbetrügern" stieg der Verwaltungsaufwand der Kommunen. "Ein Schuß in den Ofen", bilanziert der Saarbrücker Sozialdezernent Dieter Schwan (SPD), "es macht nur Arbeit und bringt nichts." Für das aufwendigere Verfahren braucht die Stadt nach einer Schätzung von Schwan drei bis vier Leute zusätzlich. "Ein realitätsfernes System, das, was mich besonders nervt, eine ganze Gruppe pauschal in Verruf bringen soll." Auch beim nun geltenden Asylbewerberleistungsgesetz haben Spötter den Grundsatz ausgemacht: "Hier wird abgeschreckt und eingespart, koste es, was es wolle." So nimmt die im Gesetz vorgeschriebene Gemeinschaftsverpflegung in der Regel keine Rücksicht auf besondere Eßgewohnheiten. Die "zentrale Fremdversorgung" ist nach Einschätzung von Pro Asyl wegen des höheren Verwaltungsaufwandes aber auch wesentlich teurer als "dezentrale Unterbringung mit Selbstversorgung". Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz hat die Bundesrepublik erstmals eine Gruppe von Menschen aus dem allgemeinen Sozialhilfe-Recht herausgenommen. Das Gesetz, warnt Pro-Asyl - Sprecher Herbert Leuninger, "hat die Möglichkeit eröffnet, weitere Gruppen der Bevölkerung aus der einheitlichen Grundsicherung menschlicher Existenz auszuschließen". (Agentur)
Afghanen trotz Gerichtsurteils nach Tschechien zurückgeschoben Berlin (taz) -Ist die Tschechische Republik ein "sicherer Drittstaat" für eine afghanische Familie? Das Verwaltungsgericht Regensburg meinte nein und wies das Grenzschutzamt Schwandorf am 2. September an, eine heimlich über die Grenze gelangte Frau mit ihren drei minderjährigen Söhnen bis zu einer unanfechtbaren Asylentscheidung in das zuständige Aufnahmelager weiterzuleiten. Stattdessen wurde die Frau mit ihren Söhnen, wie die Flüchtlinghilfsorganisation Pro Asyl gestern kritisierte, noch am gleichen Tag nach Tschechien zurückgeschoben - auf Anweisung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Ein neueres Urteil des Verwaltungsgerichts bezeichnet diesen Vorgang als "außerhalb des Erwartungshorizonts des Gerichts" (AZ: RN 7 E 9331781) - ein vornehmer Ausdruck dafür, daß die Gerichtsentscheidung einfach mißachtet wurde. Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger verfügt nach seinen Angaben über Informationen, wonach das Bundesinnenministerium dem Vorgehen des formell nicht weisungsgebundenen Bundesamtes Rückendeckung gibt: "Offensichtich herrscht im BMI die panische Angst, daß das Kernstück des neuen Asylrechts, die Festlegung sogenannter sicherer Drittstaten, in Frage gestellt wird." Der Anwalt der Familie will die Wiedereinreise durchsetzen.
Doch die Zahl der tatsächlich eingereisten Flüchtlinge läßt sich nicht feststellen Bonn (taz) - Die "Abschottungspolitik" des neuen Asylrechts zeitigt bereits zwei Monate nach dessen Inkrafttreten beste Erfolge. Nur noch 14.521 Asylbewerber, so teilte das Bundesinnenministerium gestern in Bonn mit, wurden im August dieses Jahres registriert. Das sind etwa 15.000 weniger als im Mai und Juni und immerhin noch 6.110 weniger als im Juli. Prozentual sind damit im August die Zahlen um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Allerdings, so mahnte das Bundesinnenministerium, seien die Zahlen noch immer "zu hoch". Mit dem eklatanten Rückgang "war angesichts der Abschottungspolitik der Bundesrepublik zu rechnen", sagt der Sprecher von Pro Asyl , Herbert Leuninger. Und auch der Pressesprecher des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in Bonn, Stefan ten Löken, hält diese Zahlen "für nicht überraschend". "Wir haben damit gerechnet, daß die neuen Gesetze relativ schnell Wirkung zeigen würden." Sowohl der Hohe Flüchtlingskommissar in Bonn als auch Pro Asyl halten es allerdings für zu früh, um eine eingehende Analyse machen zu können, und auch das Bundesinnenministerium ist der Auffassung, daß die neuen Vorschriften noch nicht bewertet werden können. Woran liegt das? Die genannten offiziellen Zahlen sagen nichts aus über die tatsächliche Flüchtlingssituation in der Bundesrepublik. Vollkommene Unklarheit herrscht über die nichtoffiziellen Zahlen. Wie viele Menschen es trotz der verschärften Grenzkontrollen schaffen, das Gebiet der Bundesrepublik zu betreten, ohne sich hier zu melden und ohne einen Asylantrag zu stellen, ist ungewiß. Und auch die Zahlen derjenigen, die an den Grenzen aufgegriffen werden und sofort zurückgeschoben werden, ist für die gesamte Bundesrepublik nicht bekannt. Im Bundesland Bayern, so der bayerische Innenminister Beckstein, sei die Zahl der an der Grenze Zurückgewiesenen um 30 Prozent gestiegen: "Das neue Asylrecht zeigt deutliche und gute Auswirkungen." Bei den Asylantragstellern - vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien - handelt es sich überwiegend um Personen, die entweder bereits vor Inkrafttreten der neuen Gesetze am 1. Juli eingereist sind und erst später einen Antrag gestellt haben, oder um solche, die illegal über die Grenze gekommen sind und sich später bei einer Aufnahmestelle gemeldet haben. Die Chance, einen Asylantrag zu stellen, wird ihnen allerdings nur dann gewährt, wenn sie ihre Fluchtroute verschweigen. Anderenfalls werden sie sofort wieder in das sogenannte "sichere Drittland" abgeschoben. Julia Albrecht
Asylbewerber werden zwischen Frankfurt und Paris hin- und hergeflogen Bonn (AFP) - Zwischen Deutschland und Frankreich ist es zu einem Streit um die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gekommen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, man habe Kontakt mit den französischen Behörden aufgenommen, "um eine gemeinsame Regelung zu finden". Zuvor hatte ein Sprecher des Bundesgrenzschutzes (BGS) am Flughafen Frankfurt am Main erklärt, beide Länder müßten zu einer eindeutigen Rechtsauffassung über die Einreise von Asylsuchenden kommen. Auslöser war der Fall zweier Liberianer, die vorige Woche mehrmals zwischen Frankfurt und Paris hin- und hergeschickt wurden. Die Organisation Pro Asyl forderte, das "Pingpongspiel" mit Menschen müsse aufhören. Die beiden Männer im Alter von 32 und 26 Jahren waren am Donnerstag aus Paris kommend in Frankfurt gelandet und vom BGS zurückgeschickt worden, weil Frankreich nach dem neuen Asylgesetz als sogenannter sicherer Drittstaat gilt. In Paris war den Liberianern die Einreise verweigert und ihr Rückflug nach Frankfurt veranlaßt worden. Am Montag wiederholte sich die Prozedur: Paris verweigerte die Aufnahme mit der Begründung, es gebe "keine eindeutigen Beweise für einen Aufenthalt in Frankreich". Der Sprecher von Pro Asyl , Herbert Leuninger, nannte weitere Fälle in den vergangenen Tagen: Zwei Iraner und eine Irakerin seien am Freitag über Griechenland in Frankfurt am Main gelandet und sofort nach Athen zurückgeschickt worden. Das gleiche sei mit einem Mann aus Togo geschehen, der über Brüssel in München angekommen sei. Der Togoer sei inzwischen von Brüssel aus in seine Heimat zurückgeflogen worden.
Flughafen/Asyl Frankfurt/M. (dpa) - Die Flüchtlinge am Frankfurter Flughafen setzen ihren Hungerstreik weiter fort. Mittlerweile verweigern 45 Menschen aus Protest über den erzwungenen Aufenthalt am Airport die Nahrung. Pro Asyl und die Grünen im hessischen Landtag fordern die Unterbringung der Flüchtlinge außerhalb des Flughafens. Die Menschen lebten in einem unvorstellbaren Psychostreß mit der ständigen Angst, abgeschoben zu werden, sagte Pro-Asyl - Sprecher Herbert Leuninger nach einem Besuch der Hungerstreikenden. Die hermetische Abriegelung des Gebäudes, die Hektik des Verfahrens und "die mehr als unfreundliche Behandlung" belaste sie in unerträglicher Weise. Ein rechtsstaatlich faires Verfahren sei auf dem Flughafen nicht mehr gewährleistet.
Kommentar herbert leuninger Das Verfassungsrecht auf politisches Asyl tritt außer Kraft Mit dem 1. Juli hat in Europa die Phase einer nationalen Asylpolitik ihr Ende erreicht. Schon längst wurde mit Schengen, Dublin und Maastricht eine Abschottung gegenüber Flüchtlingen betrieben, bei der die Bundesrepublik eine führende Rolle gespielt hat. "Harmonisierung", nannte man diese Kakophonie, die zum Zusammenbruch des internationalen Schutzes für Flüchtlinge führen könnte. Die Bürgerrechtsbewegung für Flüchtlinge - sie ist viel breiter als das Spektrum, das "Pro Asyl" abdeckt - muß jetzt den längst überfälligen Schritt nach Europa vollziehen. Wir haben in der Bundesrepublik einen verzweifelten Kampf gegen den Abbau des Asylrechts geführt, wissend, daß die wichtigsten Entscheidungen bei mehr oder weniger geheimen Konferenzen zuletzt in London gefallen waren. Europa bedeutet dann nicht nur die Europäische Gemeinschaft, sondern auch das Europa der "sicheren Drittstaaten". Es wird darum gehen, auf der Basis der Genfer Flüchtlingskonvention und mit maßgeblicher Unterstützung des Hochkommissariats für Flüchtlinge einen neuen Ansatz für eine Harmonisierung nach oben zu machen, das heißt einheitliche Verfahren nach einheitlichen Kriterien mit einem einheitlichen Rechtsschutz. Vor allem muß einheitlich geregelt werden, daß Flüchtlinge noch eine Zugangschance nach Europa haben und während ihres Verfahrens im Aufnahmeland bleiben können. Eine besondere Aufgabe sieht "Pro Asyl" darin, Initiativen zu ermutigen, die rechtlos gestellten Flüchtlingen, die bei einer Ausweisung Gefahr für Leib und Leben oder schwere Menschenrechtsverletzungen befürchten müssen, durch das Kirchenasyl oder andere Formen persönlicher Asylgewährung doch noch zu ihrem Recht zu verhelfen suchen. Dies bezieht sich u.a. auf Kurden aus der Türkei und auf Roma, die als Minderheit in Südosteuropa durch wachsenden Nationalismus und Rassismus bedroht sind. Ihnen muß auf nationaler Ebene ein Bleiberecht eingeräumt werden. In Europa sind für das Volk der Roma auf der Grundlage internationaler Abkommen spezifische Minderheitenrechte, unter anderem das Recht auf Freizügigkeit durchzusetzen. Das Aufgabenprofil für die Flüchtlingssolidarität hat sich verändert, die Anforderungen sind noch härter als bisher! Herbert Leuninger Sprecher der Flüchtlingshilfsorganisation "Pro Asyl"
Die Solinger Demonstration gegen Gewalt und Ausländerhaß geriet zum Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichsten Gruppierungen Der Weg zum Sammelpunkt der Autonomen führt über die Schützenstraße. Das Geschäftshaus Nr. 60 sticht sofort ins Auge. Nur hier sind die großen Schaufensterscheiben noch nicht mit Pappe oder Holz verkleidet. Statt dessen hängen im Fenster der Harley-Davidson-Vertretung zwei handbemalte Plakate. "Watch Out! This shop is protected by Smith & Wessen & Colt". Und daneben verkünden die Revolverhelden des Motoradladens dies: "Scheiben einschlagen verboten! Zuwiderhandlungen werden nicht unter 9 mm geahndet." Weiter unten, auf der Werwolfstraße, hat der Besitzer eines Sport-Shops die Pappverschläge als Ankündigungsfläche für seine Öffnungszeiten genutzt. Für Samstag steht da zu lesen: "Von 10 Uhr bis Tumultbeginn". Der Mann kann seinen Laden durchgehend geöffnet halten. Der Tumult findet nicht statt - jedenfalls nicht auf dieser Straße, nicht entlang der Route der Autonomendemo. Kein Zufall. Autonome der Region, so erzählt Roland Appel, Landtagsabgeordnete der Grünen in Düsseldorf, seien an der Vorbereitung, am "runden Tisch" der Initiatoren, beteiligt gewesen und hätten ein entsprechendes Verhalten von ihrer Seite zugesichert. "Wir lassen uns weder von der Polizei noch von faschistischen Gruppen provozieren, aber wir werden unsere Demo auch so durchführen, wie wir uns das vorstellen", tönt es aus dem Lautsprecherwagen, kurz bevor sich der Zug in Bewegung setzt. Mehrere tausend Menschen, darunter viele Türken aus linken Gruppen, ziehen gemeinsam mit den überwiegend unvermummten Autonomen zum Weyersbergerplatz, dem Ort der Abschlußkundgebung. Wie bei den Autonomen, so fordern auch in den anderen vier Demozügen zahlreiche Transparente zum "Kampf gegen die Brandstifter in Bonn auf". Der Zug, der vom äußersten Westen Solingens ins Stadtzentrum zieht, ist lang und bunt. Mehrere tausend Menschen sind es auch hier. Aber wo sind die Alten? Wo sind die, die in den 20er, den 30er oder 40er Jahren geboren wurden? Ganze Generationen fehlen in Solingen. Und dann sieht man sie doch. Sie stehen in ihren Vorgärten oder hinter den Fenstern, schauen zu, filmen das Ereignis vor ihrer Haustür. Nur bei den Ausländern sind alle Altersgruppen vertreten. Allerdings, auch viele nichtdeutsche Solinger Bürger sind zu Hause geblieben, verfolgen die Demo aus den Fenstern. Hält sie die Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen zurück? Während die örtlichen Gewerkschaften und die Hauptvorstände von IG Medien und HBV den Solinger Appell "Dies ist auch unser Land" und die Demo unterstützten, hatte der DGB- Bundesvorstand am letzten Mittwoch in einem internen Schreiben an alle Mitgliedgewerkschaften vor einer Beteiligung gewarnt: "Wir raten dazu, zu der Veranstaltung auf keinen Fall aufzurufen." Auf dem Kundgebungsplatz angelangt, die Organisatoren basteln noch an der Stromversorgung, kommt es vor der Bühne schon zu den ersten Rangeleien zwischen verfeindeten türkischen Gruppen. Flaschen und Dosen fliegen. Für kurze Zeit droht die Situation zu eskalieren. Letztlich sorgen die Demonstranten, darunter Autonome, selbst dafür, daß sich die Lage beruhigt. Die rechtsradikalen, nationalistischen Türken hat die Polizei zu diesem Zeitpunkt längst abgedrängt und in einer Nebenstraße eingekesselt. Ulle Huth, Solinger Künsterin, bittet alle Demonstrationsteilnehmer, "diese Demo friedlich verlaufen zu lassen". Solingen stehe "nun für Mord, für Rassismus und für das Umfeld, auf dem diese Verbrechen gedeihen können". Es gehe jetzt darum, "ein anderes, menschenwürdiges Klima zu schaffen". Ulle Huth spricht von der "systematischen Hetzkampagne" im Zusammenhang mit der Asyldebatte und davon, daß "die politischen Brandstifter in Bonn sitzen". Es "hat aber auch keiner von uns Anlaß zur Überheblichkeit", denn niemand könne sich "von unterschwelligem Rassismus freisprechen". Hoffnung für einen "Neuanfang", für das Entstehen eines toleranten Klimas, bietet der Kundgebungsverlauf nach dieser Rede indes nicht. Für kurze Zeit flammen die unterdrückten Auseinandersetzungen auf dem Platz so heftig wieder auf, daß einer der Organisatoren, Jan Boomers aus Solingen, nur noch resigniert feststellen kann, "er sehe keine Möglichkeit, die Veranstaltung so wie geplant durchzuführen". Bitter muß Boomers zur Kenntnis nehmen, daß die "als Signal gegen die Gewalt" geplante Demonstration selbst neue Gewaltsignale setzt. Kurz nach dem eindringlichen Appell von Taner Aday - "laßt uns zusammen in Deutschland eine neue Zeit beginnen, die ein anderes Zusammenleben miteinander ermöglicht, in familiären, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Bereichen" - geht es wieder los. Vor allem die schon 1983 vom Bundesinnenministerium verbotene türkische Organisation Dev Sol, die in ganz NRW nur über 150 Mitglieder verfügt, liefert sich mit maoistischen Konkurrenzorganisationen kurzzeitig eine brutale Schlacht mit Knüppeln, Colaflaschen und Steinen. Als die Polizei dazwischen zu gehen versucht, wird auch sie angegriffen, jetzt auch von Autonomen. Die Bilanz: 36 zumeist leicht verletzte Polizisten, 35 verletzte Demonstranten. Damit ist die Kundgebung faktisch gesprengt. Von den nach Polizeiangaben 12.000 Teilnehmern - die Veranstalter sprachen von 20.000 - verlassen immer mehr den Platz. Als Herbert Leuninger, Sprecher von "Pro Asyl" an den Bundespräsidenten appelliert, als deutliches Zeichen der Umkehr die neuen Asylgesetze "nicht zu unterschreiben", hören ihn nur noch wenige zu. Auch die von Fatima Hartmann verlesene Grußadresse der im KZ Dachau ausharrenden Roma, in der die Unterstützer aufgefordert werden, mit dem "Jammern" aufzuhören und statt dessen "selber Flüchtlinge vor der Abschiebung zu verstecken", kommt nur noch bei wenigen an. Die ganze Nacht zum Sonntag über hält die Polizei rund 200 türkische nationalistische, rechtsradikale Demonstranten, die sie schon während des nachmittags erfolgreich von der Kundgebung abgedrängt hat, fest. Fast acht Stunden lang werden die vorwiegend jungen Türken in einem Kessel festgehalten, ehe die Polizei sie zur Feststellung ihrer Personalien auf Polizeiwachen in Solingen und Wuppertal verteilt. Nach eigenen Angaben hat die Polizei bei den später wieder freigelassenen jungen Männern Schreckschußpistolen mit durchbohrtem Lauf, zahlreiche Messer, selbstgebastelte Speere und verschiedene Schlagstöcke gefunden. Am Sonntag warfen die Organisatoren der Solinger Demonstration der Polizei einen "völlig ungerechtfertigten" Einsatz vor, der wesentlich zur Eskalation beigetragen habe. Nach den brutalen Schlägereien, bei denen völlig Unbeteiligte, wie etwa ein britischer Kameraassistent, durch Knüppelschläge schwer verletzt wurden, war ein Polizeieinsatz allerdings unumgänglich geworden. Daß damit neue Gewaltausbrüche verbunden waren, kann man schlecht einer Polizei vorwerfen, die nicht zuletzt von zahlreichen unbeteiligten, friedlichen Türken herbeigesehnt worden war. J. Albrecht/W. Jakobs, Solingen
Migrantenverbände sprechen von Mitschuld der Politiker / Die zeigen sich betroffen und entsetzt Nach dem tödlichen Brandanschlag in Solingen haben Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP), der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD) und der türkische Botschafter Onur Öymen gemeinsam an die Türken in der Bundesrepublik appelliert, nicht Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Deutschland werde alles tun, um die "Fürsorge für die türkischen Landsleute" sicherzustellen, erklärte Kinkel gestern in Bonn. Botschafter Öymen unterstrich, die über 1,6 Millionen Türken in Deutschland müßten wissen, daß die große Mehrheit der Deutschen ihren türkischen Nachbarn freundschaftlich gegenüberstehe. Der Botschafter setzte sich für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ein, mit der die türkische Bevölkerung besser integriert werden könnte. Über die baldige Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für in Deutschland lebende Türken sollen Verhandlungen am Donnerstag zwischen türkischen Ministern und deutschen Regierungsvertretern am Donnerstag anläßlich der Trauerfeier für die fünf getöteten Türkinnen verhandelt werden. Die Trauerfeier wird, einem Wunsch der Familie folgend, in Solingen stattfinden. Ebenfalls am Donnerstag ist in einer Kölner Moschee eine Gedenkveranstaltung geplant. Mit "Empörung und tiefer Trauer auf die feigen Morde" hat der Zentralrat der Juden in Deutschland reagiert. Sein Vorsitzender Ignatz Bubis erklärte gestern, mit diesen nur 24 Stunden nach der Änderung des Grundgesetzes verübten Gewalttaten sei "eindeutig bewiesen", daß Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhaß unabhängig von der Asylfrage seien. Auf "tragische Weise" sehe er sich in seiner Auffassung bestätigt, daß die Änderung des Asylrechts gar nichts bewirkt habe. Die Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" und das Kinderhilfswerk "terre des hommes" haben eine "radikale Umkehr" in der Ausländer- und Asylpolitik gefordert. "Kein Buhlen um rechts! Das führt in die Katastrophe", erklärten ihre Sprecher, Herbert Leuninger und Heiko Kauffmann. "Die Flammen von Solingen beleuchten gespenstisch eine gescheiterte Ausländer- und Asylpolitik." Äußerst besorgt hat sich auch der Europäische Verband Türkischer Akademiker über das künftige Leben der Türken in Deutschland gezeigt. Scharfe Kritik richtet der Verband gegen die verantwortlichen PolitikerInnen in Bonn, "die diese Entwicklungen zum Teil selber mitverursacht" hätten. Sprecher der verschiedenen Immigrantenvereinigungen, wie etwa der "Bund der EinwanderInnen aus der Türkei" in Berlin-Brandenburg, forderten eine konsequente Verfolgung der Straftaten. Als "heuchlerisch" bezeichneten die Organisationen die Reaktionen der Bonner Politiker. So konstatierte die "Föderation der Immigrantenvereine aus der Türkei" (GDF): "Wieder werden die Politiker, die den ,Asylkompromiß` verabschiedet haben, um den ,inneren Frieden nicht zu gefährden`, vor laufenden Kameras ihr Mitleid und Bedauern kundtun. Es reicht!" Der "Verband bi-nationaler Familien und Partnerschaften" (IAF) warf den PolitikerInnen vor, "durch rassistische Wortwahl und die Verabschiedung des sogenannten ,Asylkompromiß` mit dazu beigetragen zu haben, daß das Unrechtsbewußtsein gegenüber Anschlägen auf MigrantInnen und Flüchtlinge gesunken ist". Auch die internationale Bewegung "Jugend gegen Rassismus in Europa" (JRE) erklärte, es sei kein Zufall, "daß ausgerechnet in der Woche, in der das individuelle Recht auf Asyl abgeschafft worden ist, ein solcher Mordanschlag passiert". Für den Trägerkreis "Aktion Asylrecht" hat sich nach dem Solinger Anschlag "der abgegriffene Satz von Biedermännern und Brandstiftern auf furchtbare Weise real bestätigt". Unmittelbar nach dem Anschlag hatten am Samstag Politiker aller Parteien mit Entsetzen und Abscheu auf die Morde reagiert. "Entsetzen und Scham" äußerte Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Kanzler Kohl sah in Beileidstelegrammen an den türkischen Staatspräsidenten Demirel und den amtierenden Ministerpräsidenten Inönü "die weit überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes... fassungslos angesichts der verabscheuungswürdigen Tat". Für die Liberalen forderte deren innenpolitischer Sprecher Burkhard Hirsch, daß nun Gesetze mit großzügigen Angeboten zur Einbürgerung - auch unter Hinnahme der Doppelstaatsangehörigkeit - "nicht verzögert werden". Er habe für die nächste Sitzung des Innenausschusses beantragt, daß die Bundesregierung über Ausländerfeindlichkeit berichtet und konkrete Pläne zur Bekämpfung vorträgt. Der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/ Die Grünen, Konrad Weiß, forderte unterdessen den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf, sich mit der Situation in Deutschland zu befassen. (AFP/dpa/taz)
Nach der Einschränkung des Asylrechts durch den Bundestag werden kaum weniger Flüchtlinge eintreffen Bonn/Berlin (AP/dpa/epd/taz) Die vom Bundestag verabschiedete Asylrechtsänderung wird nach Einschätzung von Experten die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland nicht stoppen. Der deutsche Vertreter beim UN-Flüchtlingskommissariat, Walter Koisser, erklärte gestern, Deutschland sei durch die neue Regelung nicht "abgeschottet". Der Zugang werde aber erheblich schwieriger. Der hessische Verwaltungsrichter Günter Renner sagte voraus, das neue Asylrecht werde die Einreise von Flüchtlingen nicht entscheidend drosseln. Er äußerte Zweifel an der Wirksamkeit der Änderung, weil Flüchtlingen "in den meisten Fällen" eine Einreise über Drittstaaten nicht nachzuweisen sei. De facto würden die Flüchtlinge in Deutschland bleiben, nun allerdings ohne gesicherten Rechtsstatus. Der Bundestag hatte am späten Mittwoch abend mit 521 Stimmen der Einschränkung des Artikels 16a im Grundgesetz zugestimmt. 132 votierten dagegen, ein Abgeordneter enthielt sich. Der neue Verfassungsartikel und die Begleitgesetze legen vor allem fest, daß Flüchtlinge kein Anrecht auf ein Asylverfahren haben, wenn sie aus einem EG-Land oder aus einem der als sichere Drittländer angesehenen Nachbarstaaten Deutschlands kommen. Sie können sofort abgeschoben werden. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker aufgefordert, die vom Bundestag mit Zweidrittelmehrheit beschlossene Grundgesetzänderung zum Asylrecht nicht zu unterschreiben. Ihr Sprecher Herbert Leuninger kündigte gestern ein Rechtsgutachten dazu an, wie Flüchtlinge stärker als bisher über Artikel 1 (Würde des Menschen) und Artikel 2 (Entfaltung der Persönlichkeit) geschützt werden könnten. Amnesty international kritisierte, daß politisch Verfolgte durch die Neuregelung weitgehend schutzlos würden. Das polnische Parlament hat unterdessen den am 7. Mai unterzeichneten deutsch-polnischen Asylvertrag gerügt. Bei einer Abstimmung am Mittwoch abend waren 162 Abgeordnete mit dem Regierungsbericht zum Vertrag nicht einverstanden. 120 Abgeordnete billigten den Bericht, 77 enthielten sich der Stimme. Das Abstimmungsergebnis hat keinen praktischen Einfluß auf die Verwirklichung des Asylvertrages. Es zeugt jedoch von einer kritischen Einschätzung der Verhandlungsergebnisse mit Bonn. Das tschechische Außenministerium hat gestern mit Verständnis auf den vom Bundestag verabschiedeten Asylkompromiß reagiert. Doch dürfe die Bundesrepublik die Probleme ihrer inneren Sicherheit nicht auf Kosten der Tschechischen Republik lösen. Das Schweizer Bundesamt für Flüchtlinge rechnet mit einem Anstieg der Asylsuchenden. Es sei zu erwarten, daß die Zahl der Flüchtlinge, die einen Antrag auf Asyl stellen werden, zwischen den 18.000 des letzten Jahres und den über 41.000 im Rekordjahr 1991 liegen werde.
Trotz der Stimmungsmache einiger CDU-Politiker gegen die morgige Bundestags-blockade anläßlich der Asylentscheidung sehen die Organisatoren der Aktion sowie die Polizei dem Spektakel mit Gelassenheit entgegen. Aus Bonn Bernd Neubacher Autonome Krawallfahrer veranstalten innerhalb der Bonner Bannmeile eine große Bambule und hindern die Abgeordneten am Zugang zum Parlament, 5.000 Polizisten knüppeln den Volksvertretern durch ein Spalier fanatisierter Haßkappen den Weg zum Parlament frei - so das Szenario christdemokratischer Politiker für die morgige Bundestagsblockade in Bonn. Tatsächlich liegen am Tag vor der Asyldebatte keinerlei Anzeichen für Ausschreitungen vor, einzig bei der Asylkoalition liegen die Nerven blank. Demo-Organisator Manfred Stenner, heißt es im Bonner Polizeipräsidium, gelte als "Garant für den friedlichen Verlauf von Demonstrationen". Seit Anfang der achtziger Jahre bringt das 39jährige Mitglied im Bonner Kreispolizeibeirat die Großdemos der Friedensbewegung in Bonn problemlos über die Bühne. Auch von autonomer Seite verlautete am Wochenende, man wolle am Mittwoch "einen politischen Verlauf" des Protestes. Die Polizei stellt sich zwar auf ein Verkehrschaos durch verschiedene Blockaden ein, Angriffe auf Personen aber schließt man aus. Wie Manfred Stenner vom "Trägerkreis Asylrecht" mitteilt, will die Polizei wegen des befürchteten Verkehrschaos den Abgeordneten durch Begleitschutz zu Wasser, zu Land und in der Luft den Zugang zum Parlament sichern. Auf diese Weise sollen Konfrontationen an Sitzblockaden und Straßensperren vermieden werden. Während sich der Protest im Vorfeld berechenbar wie selten darstellt, ist das Chaos ganz auf seiten der Parteien. Die Verfassungsänderung ist zur Hängepartie geworden. "Die SPD muß sich ja jetzt erst mal neu formieren", formulierte ein Polizeisprecher kurz nach dem Rücktritt von Kanzlerkandidat Engholm nicht einmal zynisch seine momentanen Probleme im Rahmen der Vorbereitungen für den Tag der zweiten und dritten Lesung der Asylgesetze. In den letzten Wochen wurde das Datum der Debatte Gegenstand eines munteren Hin und Hers, dreimal mußte sich die Öffentlichkeit auf neue Termine einstellen. Wenn schon die Verfassungsänderung zum Eiertanz wird, soll wenigstens das Drumherum stimmen. Unverhältnismäßig allergisch reagiert die Asylkoalition auf die geplanten Protestaktionen. "Gotteslästerung" nannte CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble den Gottesdienst, den die "Christen Pro Asyl" morgen in der Bannmeile feiern wollen. Der gut 70jährige Dominikanerpater und Münsteraner Sozialphilosoph Paulus Engelhardt soll dort predigen. Auch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth legt sich gegen die Proteste ins Zeug. Nachdem sie bereits vor Wochen im Abgeordnetenhaus den Telefonanschluß des fraktionslosen Parlamentariers Ulrich Briefs hatte sperren lassen, der seinen Apparat als Informationsstelle für zivilen Ungehorsam in der Bannmeile angegeben hatte, wandte sie sich letzte Woche per Rundschreiben an die Mitglieder des Bundestages: "Massive Versuche" seien angekündigt worden, "den Bundestag zu blockieren und die Plenarsitzung zu stören", entnahmen die Parlamentarier dem Brief. "Im Interesse Ihrer Sicherheit wird empfohlen, Fahrzeuge ausschließlich über die Fahrbereitschaft abzurufen." Nach Ansicht des Bonner Polizeipräsidenten Michael Kniesel entsprechen übertriebene Befürchtungen "keiner seriösen Gefahrenprognose". Ein Unruheherd ist in den Augen Süssmuths offenbar auch der morgige Gottesdienst. Auf ihr Geheiß hat vorige Woche, wie Insider zu berichten wissen, der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor aus Düsseldorf in Bonn anreisen müssen. Tenor der Audienz bei Süssmuth: Der Gottesdienst muß raus aus der Bannmeile. Mit demselben Anliegen wandte sich bereits zuvor Johannes Vöcking, Staatssekretär im Innenministerium, an Polizeipräsident Michael Kniesel. Bonns Oberpolizist hatte den Gottesdienst, der nach § 17 des Versammlungsgesetzes nicht unter das Versammlungsverbot des Bannmeilengesetzes fällt, zwar nicht wie beantragt vor dem Parlamentsgebäude genehmigt, jedoch in der Verbotszone zweihundert Meter entfernt. Beobachter sprechen von einem "unglaublichen politischen Druck", der auf Kniesel laste. Bundespolitiker sähen das Versammlungsverbot des Bannmeilengesetzes bröckeln, falls der Gottesdienst dort stattfände. Insider erwarten, daß sich Polizeipräsident und Christen auf einen neuen Ort in der Bannmeile einigen werden. Die Teilnehmer des Gottesdienstes treffen sich morgen um 8.30 Uhr gegenüber dem Kunstmuseum an der Bonner Heussallee. Gestern vormittag lud das "Büro für notwendige Einmischung" die Presse zur Vorabpräsentation seiner "Infrarotanlage zur Abwehr von Politikern aus sicheren Drittbüros und von sicheren Landeslistenplätzen". Auf dem Bonner Münsterplatz findet heute abend eine erste Kundgebung statt mit Redebeiträgen unter anderem von Herbert Leuninger von "Pro Asyl" , dem Bundesvorstandsmitglied der Grünen, Ludger Volmer, sowie Vertretern von amnesty international, der Gottesdienstgruppe "Christen Pro Asyl " und der Minderheit der Asylbefürworter in der SPD. Anschließend begibt sich eine Nachtmahnwache zum Regierungsviertel. Morgen früh um 6.00 Uhr bereits wird das Städteplenum eine Kundgebung am städtischen Kunstmuseum abhalten. "Als offenes Geheimnis gilt", heißt es in einer Mitteilung des "Trägerkreis Asylrecht" über die Beteiligten der Veranstaltung, "daß von einigen Gruppen durch Verkehrsberuhigungen die anreisenden MdBs auf die Besonderheit der Entscheidung hingewiesen werden sollen". Wenige hundert Meter weiter an der SPD-Parteizentrale treffen sich um 7.00 Uhr die Teilnehmer der "Aktion Ziviler Ungehorsam", die zum friedlichen Marsch in die Bannmeile und zum Sitzstreik vor dem Plenarsaal aufrufen. Die Initiatoren Klaus Vack, Joachim Hirsch und Wolf-Dieter Narr, Mitglieder des Komitees für Grundrechte und Demokratie, weisen in ihrem Aufruf darauf hin, daß Bannkreisverletzungen in der Regel mit Geldstrafen zwischen 15 und 40 Tagessätzen geahndet werden. 1.600 UnterstützerInnen zeichnen durch ihre Unterschrift für den Aufruf persönlich verantwortlich. Von 8.00 Uhr morgens bis abends finden neben einer Dauermahnwache die Kundgebungen des "Trägerkreis Asylrecht" und Happenings des "Büro für notwendige Einmischung" statt. Der Trägerkreis sieht unter anderem Beiträge folgender Redner vor: Thomas Pforth (Initiative Schwarze Deutsche), Fatima Hartmann (Rom e.V.), Angelika Beer (medico international), Peter Gingold (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes), Ingrid Köppe (MdB Bündnis 90/Grüne), Gregor Gysi (MdB PDS), Jürgen Trittin (Minister Niedersachsen) und Herbert Leuninger ( Pro Asyl ). Das "Büro für notwendige Einmischung" will dem Tag auf einer als Abschiebeflugzeug gestalteten Bühne einen kabarettistischen Rahmen verleihen. Ferner sind ein Diskussionszelt mit Fernsehübertragung aus dem Plenarsaal und zusätzliche Ausstellungen geplant. Die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichtes über die Klage des Trägerkreises gegen Bundesinnenminister Rudolf Seiters auf Zugang in die Bannmeile stand gestern noch aus. Wird Seiters' ablehnender Bescheid bestätigt, werden Einmischungsbüro und Trägerkreis vor der Bundeskunsthalle an der Heussallee agieren, am Rand der Bannmeile. "Für Menschenrechte", heißt es im Aktionsaufruf, "muß man aufstehen, nicht umfallen."
Bürgerrechtler wollen außerparlamentarisch wirken Frankfurt/Main (taz) - Pax Christi und Pro Asyl , die Neue Richtervereinigung und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und die Humanistische Union sowie zahlreiche andere Bürgerrechtsorganisationen der Bundesrepublik wollen in die politische Offensive gehen: Das "Bürgerforum Paulskirche", das am 19. Juni in der Frankfurter Peterskirche stattfinden wird, soll dabei der "erste Schritt auf dem Weg zur Bildung einer neuen außerparlamentarischen Opposition" werden, wie Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl , gestern ausführte. Leuninger: "Es gab einen gewaltigen Rechtsruck in dieser Gesellschaft. Und deshalb sind jetzt alle demokratischen Organisationen aufgerufen, Widerstand zu organisieren." Widerstand gegen das "Bürgerforum Paulskirche" kam zunächst vom sozialdemokratischen Frankfurter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler, der dem vorbereitenden Ausschuß für das "Bürgerforum Paulskirche" die symbolträchtige Paulskirche als Tagungsort verweigerte. Schriftlich teilte der OB den Initiatoren mit, daß die Paulskirche als Wiege der deutschen Demokratie nicht für eine "parteinehmende und auf Kontroversen abzielende Veranstaltung" zur Verfügung stehe. Die Paulskirche - ein Mausoleum zur Abfeierei nur der Vergangenheit? Diesen Schluß zog jedenfalls Uwe Günther vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein. Dabei sollte mit dem Bürgerforum, so die Initiatoren, doch gerade die Paulskirche wieder ein Ort "quasi-parlamentarischer Auseinandersetzungen" um die Zukunft des Landes werden. Deshalb wird das Bürgerforum auch vor die Verwaltungsgerichte ziehen, um sich die Paulskirche doch noch zu erstreiten. Zunächst einmal ist Werner Sack von der Neuen Richtervereinigung aber froh, daß das Forum in der Peterskirche "Asyl gefunden" hat. Dort sollen dann am 19. Juni in vier Foren die "vier wichtigsten Themenbereiche" für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik diskutiert werden. Das "Bürgerforum Paulskirche" sei ein "Geschenk des Himmels", sagte Leuninger. kpk
Hearing zur Menschenrechtssituation in deutscher Innen- und Außenpolitik Bonn (taz) - Vorbei die Zeiten, in denen man sich ausschließlich der Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern annahm. Das bewies die gestern zu Ende gegangene Tagung von 23 deutschen Menschenrechtsorganisationen in Bonn, die die Situation der "Menschenrechte in der deutschen Innen- und Außenpolitik" zum Thema hatte. Einen der brennendsten Tagesordungspunkte stellte die Problematik der in Deutschland lebenden Ausländer und Asylbewerber dar. Übereinstimmend forderten alle 23 Organisationen die Novellierung des Ausländer- und Staatsangehörigkeitsgesetzes, sowie ein Einwanderungs- und Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz der Einwanderer. Einigkeit bestand weiterhin bei den Teilnehmern - unter anderem von Pro Asyl , amnesty international, der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte und terre des hommes - darüber, daß die geplante Änderung des deutschen Asylrechts mit der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar sei. "Damit ist ein Fortschritt in der internationalen Menschenrechtsdiskussion preisgegeben", beklagte vor allem Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl , dessen Organisation das Grundrecht auf Asyl als Menschenrecht betrachtet und seit Jahren in die internationale Diskussion einzubringen sucht. - Während das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit der Einladung der Veranstalter folgten und sich den Fragen stellte, "boykottierte das Bundesinnenministerium die Hinterfragung der Ausländer- und Asylpolitik", wie Joachim Krause von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen bei der abschließenden Podiumsdiskussion feststellte. Die über 200 TeilnehmerInnen des Hearings wollen darüber hinaus, daß die Bundesregierung sich in Zukunft dem Problem der "Illegalen" in Deutschland annimmt. Vor allem wegen der neuen Asyl- und Ausländerpolitik gäbe es eine jährlich wachsende Zahl von illegal hier lebenden Ausländern, die hier vollkommen ungeschützt, ohne Krankenversicherung und in der ständigen Angst vor Ausweisung leben. Eine von ihnen: "Letzte Woche hat die Polizei acht Illegale festgenommen, darunter drei Kinder. Man weiß nie, ob man nicht angezeigt wird, weil jemand das Zimmer haben will, in dem man wohnt." Julia Albrecht
Kommentar herbert leuninger Regierung und Opposition schließen eine "Asyl-Lücke" "Draufsatteln wird mit der SPD nicht möglich sein!" Die beschwörenden Worte des innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Gerd Wartenberg, fallen in der Bundestagsdebatte vom 4. März, wo es u.a. um ein "Sonderverfahren" für Asylbewerber auf Flughäfen geht. Dies sei nicht vereinbart, dieser Punkt werde bei der SPD keine Chance haben! - so Wartenberg - bis vorgestern. Jetzt hat Rittmeister Seiters draufgesattelt, und wieder sind die maßgeblichen Innenpolitiker der SPD leise stöhnend eingeknickt. Es geht um die Asylbewerber, die aus sogenann- ten sicheren Ländern einfliegen oder bei der Lan- dung über keine ausreichenden Einreisedokumente verfügen. Sie werden "exterritorial" festgehalten, um sie möglichst schnell wieder der Fluglinie, die sie gebracht hat, zum Rücktransport zuführen zu können. Formal gesehen werden die Flüchtlinge künftig noch einen Asylantrag stellen können. Werden sie von der Außenstelle des Bundesamtes im Turbo-Verfahren abgelehnt, müssen sie innerhalb von drei Tagen Rechtsmittel einlegen. Wer wird ihnen das vermitteln, wer wird ihnen beratend zur Seite stehen? Wie sollen sie Rechtsanwälte finden? "Exterritorial" - das gibt es juristisch überhaupt nicht - wird zu einem Synonym von "rechtsarmem", wenn nicht gar "rechtsfreiem Raum". Behördenhandeln läßt sich dort noch schwerer kontrollieren als bisher. Die Fluchthilfeorganisationen des Kalten Krieges - sind allemal cleverer als Bundesgrenzschutz und Bundesregierung. Letztere wird im Draufsatteln konsequent bleiben und Verschärfung über Verschärfung durchzusetzen versuchen. Dies geht, wie der Entwurf für Artikel 16a zeigt, längst auf Kosten jeglicher Rechtsstaatlichkeit. Damit ist ein Weg vorgezeichnet, der ins rechtliche und humane Nirgendwo führt. Das große Ziel ist die Abschottung der Bundesrepublik vor Flüchtlingen. Dieses Ziel ist angesichts wachsender Flüchtlingsnot nicht erreichbar. Die Menschen werden kommen, auch, aber nicht nur in die Bundesrepublik. Sie werden, überlassen sie sich Flucht-Profis, immer höhere Preise dafür zahlen und wegen der verschlechterten Rechtslage ihre Papier-Idenität weitgehend opfern müssen. Nur ohne Papiere, Tickets und Hinweise auf ihren Fluchtweg, ja auf ihr Heimatland, werden sie Aufnahmechancen sehen. Diese werden ihnen immer mehr genommen. Am Ende steht die Illegalität. Sie ist für alle Seiten die denkbar schlechteste Lösung des Flüchtlingsproblems. #Herbert Leuninger Sprecher von "Pro Asyl"
Zwei Anhörungen im Deutschen Bundestag bleiben vermutlich folgenlos/ UN-Flüchtlingskommissar befürchtet Verstoß gegen das Völkerrecht Bonn (taz) - Unermüdlich setzt die Gesetzesmaschinerie ihr Werk fort. Das neue Asylrecht stand gestern in Bonn bei zwei Anhörungen auf der Tagesordnung. Vor dem Innenausschuß des Bundestags nahmen Juristen und Verwaltungspraktiker zum künftigen Asylverfahrensrecht Stellung. Der Familienausschuß hörte Verbände und Kommunalpolitiker zum neuen Leistungsrecht für Asylbewerber an. Während Wohlfahrtsverbände und Kirchen die geplanten Sozalhilfekürzungen kritisierten, verlängerten vor dem Innenausschuß Gegner wie Befürworter die Mängelliste über die neuen Gesetze. Es ist fast schon Tradition, daß Walter Koisser bei den Asylanhörungen des Innenausschusses das erste Wort hat. Wie bei früheren Anhörungen läßt sich aber auch bei dieser mit einiger Sicherheit vorhersagen, daß folgenlos bleibt, was der Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars in der Bundesrepublik zu den neuen Asylverfahrensgesetzen zu sagen hat. "Vergeblich. Der Gesetzgeber hat sich hierzu nicht durchringen können. Ich will hierüber meine Enttäuschung nicht verhehlen." Koisser beklagte, daß er in fünf Anhörungen angemahnt hatte, die Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zur Grundlage der Asylgewährung zu machen. Daß die Verengung auf ausschließlich staatliche Verfolgung unzulänglich ist, machte Koisser am Beispiel deutlich. Wenn beim Zirndorfer Bundesamt "die aktuelle Anerkennungsquote von Flüchtlingen bei gerade einmal 0,9 Prozent liegt, dann", meinte Koisser, "stimmen die Kriterien für die Anerkennung eines Asylgesuchs nicht mehr." Der Flüchtlingsbegriff war indessen nur der zweite Einwand, den Koisser vorbrachte. Sein erster berührte den Kern des neuen Asylrechts, die Drittstaatenregelung. Mit der vorgesehenen Regelung drohe ein "Verstoß gegen das Völkerrecht". Doch nicht nur bei Koissers Votum kam der Eindruck auf, die Innen- und Rechtspolitiker von SPD, FDP und Union absolvierten auch diese Anhörung nur, weil sie eben unvermeidlich zur Prozedur gehört. Kritik kam wieder aus allen Richtungen, aber vermutlich wird sich nicht einmal bei den wenigen Punkten, die sowohl Kritiker wie Befürworter der Neuregelung bemängeln, noch etwas verändern. So befanden die Gäste fast einmütig, die vorgeschriebene Wochenfrist für die richterliche Entscheidung sei kontraproduktiv. Die Gastgeber schienen davon so ungerührt wie von grundlegenden Einwänden. Wenig Folgen wird etwa das Verlangen des Kölner Verwaltungsrichters Ernst Kutscheid haben, beim Abbau der Altverfahren energische Schritte zu gehen. Die ÖTV-Juristen lehnten das Drittstaaten-Prinzip ganz ab. Herbert Leuninger von Pro Asyl kritisierte, daß trotz des geplanten Status für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge eine echte Bereitschaft zur Lastenteilung nicht zu spüren sei. Die größte Aufmerksamkeit hatte gestern der Gast aus Frankreich. Francis Lott, Chef des französischen Pendants zum Zirndorfer Bundesamt, konnte vorweisen, worauf das neue Recht in der Bundesrepublik erst hinzielt: drastisch gesunkene Asylbewerberzahlen. Allgemeine Heiterkeit kam auf, als Zott bemerkte, sein Amt in Frankreich operiere nicht mit dem Begriff der Länderlisten. Die hätten seine Mitarbeiter einfach im Kopf. Der Asylkompromiß zwischen SPD, FDP und Union, ausgehandelt im Dezember, hatte gestern seinen letzten Anhörungstermin. Der neue Verfassungstext war bereits vor zwei Wochen von Verfassungsrechtlern begutachtet worden. Vor der dritten Lesung, die nach dem Willen der beteiligten Parteien möglichst in der zweiten Aprilhälfte stattfinden soll, ist aber noch eine wichtige Hürde zu nehmen. Die Abkommen mit den Nicht-EG-Nachbarstaaten, in die als "sichere Drittstaaten" Flüchtlinge zurückgeschoben werden können, stehen aus. Vor allem eine Vereinbarung mit Polen gilt der SPD als Voraussetzung für die endgültige Zustimmung zum Gesetzespaket. Am Rande der Cebit- Messe in Hannover hat Helmut Kohl gestern gegenüber der polnischen Ministerpräsidentin die Bereitschaft zu einer "fairen Vereinbarung" erklärt. Tissy Bruns
Hilfsorganisationen und migrationspolitisch erfahrene Institutionen wie der Europarat werden übergangen Der Eiserne Vorhang war noch nicht richtig gefallen, da gaben westeuropäische Politiker schon die Warnung vor einer "neuen Völkerwanderung" aus dem Osten aus. Hunderttausende in Ungarn, Bulgarien und Rumänien würden nur auf die Gelegenheit warten, sich nach Westen in Bewegung zu setzen, hieß es. Aus der ehemaligen Sowjetunion wurden bis zu vier Millionen Flüchtlinge prognostiziert. Horrorszenarios zeigten halb Europa auf der Flucht vor ethnischen, religiösen und politischen Konflikten oder vor ökonomischer und ökologischer Verelendung. Vier Jahre danach läßt die Massenflucht weiter auf sich warten. Die Sorge davor bewegt dennoch stärker als je zuvor die europäische Politik. Zusätzlich zu den bekannten Institutionen Europarat und UNO, die sich in Jahrzehnten Kompetenz und Fachpersonal zum Thema Migration zugelegt haben, gab es eine Fülle neuer Initiativen und Konferenzen. Ziel: die Zuwanderung begrenzen. Treibende Kräfte bei den gesamteuropäischen anti-migratorischen Bemühungen sind die beiden westeuropäischen Länder mit den längsten Landgrenzen zu Osteuropa: die Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Beide setzen darauf, daß eine multilaterale Zusammenarbeit die Zuwanderung leichter begrenzen kann als bilaterale Abkommen. Kein Wunder, daß in Wien und Berlin die beiden gegenwärtig entscheidendsten anti-migratorischen Prozesse Europas in die Wege geleitet wurden. In Wien trafen sich 1990 Wissenschaftler und Politiker, um Mechanismen zu erörtern, mit deren Hilfe Migrationen frühzeitig verhindert werden können. Das "Frühwarnsystem" der "Wiener Schiene" ist weiterhin in der Diskussion. In Berlin kamen im Herbst 1991 erstmals Innenminister aller europäischen Länder zusammen, um gemeinsame Polizeimaßnahmen gegen "illegale Immigranten" zu schaffen. Bei der Gelegenheit entstand die deutsch-österreichische Zusammenarbeit, deren Ergebnis auch die in Budapest verabschiedeten Vorschläge sind. Vertretern von Hilfsorganisationen, die sich um Flüchtlinge kümmern, fällt es schwer, bei dem schnellen Konferenzrhythmus der Regierungen mitzuhalten. Ganz abgesehen davon, daß ihre Anwesenheit bei Innenministertreffen wie dem in Budapest nicht nur unerwünscht, sondern ausgeschlossen ist. Lediglich das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) durfte bei den Vorbereitungen für Budapest die Interessen der Flüchtlinge vertreten. In einem höflichen Brief an den gastgebenden ungarischen Innenminister schrieb UNHCR- Chefin Sadako Ogata Anfang Januar, sie hoffe, daß die "globalen Flüchtlings- und Migrationsthemen" von den Ministern berücksichtigt würden. Als beruhigend empfand sie, daß der Beschlußentwurf immerhin den Hinweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention enthalte. Die meisten unabhängigen Hilfsorganisationen stehen der Polizeizusammenarbeit eindeutig ablehnend gegenüber. Zu stark ist ihnen die Diskussion über "Sicherheit" und "Abwehr" von Flüchtlingen in den Vordergrund getreten. Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" , erklärte gestern, Budapest lasse "jeden humanitären Akzent vermissen". Weder spiele eine international notwendige Abstimmung über die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina eine Rolle noch der Schutz und die Rechte der Minderheiten in den Krisen-Ländern. Der Sprecher des in Brüssel ansässigen europäischen "Kirchenkomitees für Migranten in Europa", Jan Nissen, kritisiert, daß sich die Innenminister mit Separatkonferenzen der Kontrolle entziehen. "Sie treffen sich außerhalb von Institutionen wie dem Europarat, weil sie die Menschenrechtsverpflichtungen umgehen wollen", sagt er. Maßnahmen gegen Schlepperorganisationen hingegen sind auch bei Hilfsorganisationen erwünscht. Nur sei dafür die Budapester Konferenz Überflüssig. Nissen: "Schlepper sind Kriminelle. Gegen die gibt es Gesetze. Die braucht man nur anzuwenden." Dorothea Hahn
Asyldebatte verschärft/ Spranger: Aidstest an Grenze Bonn/Hannover (taz/AP) - Das Bundesinnenministerium soll den Justizminister gebeten haben, zu prüfen, ob die Türkei in die Liste der sogenannten Nichtverfolgerstaaten aufgenommen werden könne. Nach Information der Frankfurter Rundschau soll der Nato-Partner neben Bulgarien, Ghana, Indien, Liberia, Nigeria, Pakistan, Togo und Zaire als "sicheres Herkunftsland" im Gespräch gewesen sein. Das Bundesinnenministerium wies diese Meldungen zurück. Gleichwohl reagierten amnesty international und die SPD mit scharfer Kritik. Allein eine Prüfung von Folterstaaten wie der Türkei, Liberia und Zaire als sichere Länder sei "skandalös", so amnesty. Seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Demirel hätten politische Morde wieder zugenommen. Die SPD-Sprecherin Sonntag warnte die Bundesregierung davor, eine Neuregelung des Asylrechts durch Vorstöße zu belasten, "die mit Geist und Ton der am 6.Dezember getroffenen Vereinbarungen nicht im Einklang stehen". Wut zog auch Entwicklungshilfeminister Spranger auf sich, der in einem Bild-Interview verbreitet hatte, es sei ernsthaft zu prüfen, ob bei Asylbewerbern aus Ländern "mit hohem Durchseuchungsgrad regelmäßig ein Aidstest vorgenommen und die Asylverfahren beschleunigt werden sollten". Pro- Asyl -Sprecher Leuninger nannte Sprangers Vorschlag "rassistisch". Die SPD warf Spranger vor, dumpfen Vorurteilen Vorschub zu leisten. Und Regierungssprecher Vogel erklärte, Spranger habe seinen Vorschlag nicht im Auftrag der Regierung gemacht. Nach der Verhandlungsrunde zwischen dem Bundesinnenministerium und den Staatssekretären der Länderinnenministerien zeichnet sich ab, daß der Streit um die gesetzliche Umsetzung des Asylkompromisses noch nicht beendet ist. Der Staatssekretär aus dem Hause Seiters hatte sich am Donnerstag nur undeutlich ausgedrückt. Einerseits versprach er die Neuformulierung des Artikels16 möglichst eng an den Text anzulehnen, den die Verhandlungskommissionen von Union, SPD und FDP am 6.Dezember in Bonn vereinbart hatten. Andererseits meinte er verfassungsrechtliche Probleme zu sehen. Damit sind jene Vorentwürfe aus dem Hause Seiters zur Änderung des Grundgesetzes, des Asylverfahrens- und des Ausländerrechts, gegen die der niedersächsische Ministerpräsident Schröder protestierte, noch nicht vom Tisch. Der Vorentwurf des Bundesinnenministeriums will über einen neuen Artikel16a den "Prüfungsumfang" in den Asylverfahren viel weiter einschränken, als es der Asylkompromiß vorsieht. Dieser hatte nur für Flüchtlinge aus sogenannten "verfolgungsfreien Staaten" eine eingeschränkte gerichtliche Überprüfung der Asylentscheidungen vorgesehen. Nach dem neuen Artikel16, Absatz4 aus dem ersten Vorentwurf dürfen nun alle "offensichtlich unbegründeten" Asylanträge sowohl vom Flüchtlings-Bundesamt als auch von den Gerichten nur eingeschränkt geprüft werden. Neu und abweichend vom Asylkompromiß will Seiters außerdem in das Grundgesetz einen Artikel aufnehmen, der die Ratifizierung der Abkommen von Schengen und Dublin ermöglichen würde. EG- Abkommen und völkerrechtlichen Verträgen, die "eine Harmonisierung des Asylrechts" zum Gegenstand haben, soll der Artikel16 nicht länger entgegenstehen. Mit der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes will das Innenministerium außerdem über den Asylkompromiß hinaus Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge schlechter stellen. So soll "ein Asylantrag" als "offensichtlich unbegründet" gelten, wenn er gestellt wurde, um einer "kriegerischen Auseinandersetzung zu entgehen". Um in den Genuß des Sonderstatus zu kommen, sollen Bürgerkriegsflüchtlinge nach Seiters Vorstellungen zudem bereits gestellte Asylanträge zurücknehmen müssen. Das Bundesinnenministerium will die Kriegsflüchtlinge also ganz aus dem Asylverfahren heraushalten. Im Bonner Kompromiß fand sich lediglich die Regelung, daß Bürgerkriegsflüchtlinge nach ihrer Aufnahme in den Sonderstatus keinen Asylantrag mehr stellen dürften. Der neue Paragraph32a des Ausländergesetzes, in dem das Bundesinnenministerium den Sonderstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge festschreiben will, ist nur ein Gnadenrecht. Die obersten Landesbehörden können danach im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister Ausländern aus Kriegsgebieten zur vorübergehenden Aufnahme eine Aufenthaltsbefugnis erteilen. Jürgen Voges
Seiters will Grenze zu Polen und Tschechischer Republik verstärkt überwachen Berlin (taz) - Geht es nach dem Willen von Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU), dann werden künftig die Grenzen zu Polen und zur tschechischen Republik mit Radar und Infrarot überwacht. Die elektronische Aufrüstung der Grenze soll dazu dienen, illegale Einwanderer und Schleuserbanden abzufangen. Das bestätigte am Wochenende der Sprecher des Innenministeriums Roland Bachmeier. Entsprechende Geräte sollen für eine Erprobung zunächst von der Bundeswehr ausgeliehen werden. Seiters hatte in den vergangenen Wochen immer wieder auf den Personalmangel beim Bundesgrenzschutz hingewiesen und Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) auch um personelle Unterstützung durch Bundeswehrsoldaten gebeten. Nach Zeitungsberichten soll Innenstaatssekretär Johannes Voecking den Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder die neue Form von Grenzüberwachung bereits angekündigt haben. Vöcking habe einem internen Protokoll zufolge erklärt, personalsparende Technik, wie eine automatisierte Grenzkontrolle oder eine Grenzüberwachung mittels Radar und Wärmebildtechnik, werde eingeführt oder erprobt. Die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl hat unterdessen die Ankündigung, moderne Radar- und Infrarottechnik einzusetzen, scharf kritisiert: "Wer flüchtende Menschen ins Visier von Infrarot-Geräten nimmt, schafft ein neues Feindbild", erklärte der Sprecher von Pro Asyl Herbert Leuninger gestern in Frankfurt. Zum Beginn des neuen Jahres sei kein größerer Gegensatz denkbar als der zwischen millionenfachem Kerzenschein zum Schutz der Fremden und einer "Wärmebildüberwachung" von Flüchtlingen an Oder und Neiße. Statt "elektronische Fluchtabwehrkanonen" zu installieren und eine "Militarisierung" an der Ostgrenze einzuleiten, müsse die Bundesregierung bei künftigen Wirtschaftsverträgen mit osteuopäischen Ländern den unbedingten Schutz von Minderheiten einfordern. wg
Wenn die Grenzen für Flüchtlinge dicht sind, ist nur noch die Einreise auf dem Luftweg möglich/ Auf einem Flugplatz bei Bremen wird der neue Artikel 16a schon mal ausprobiert Aus Karlshöfen Burkhard Straßmann Dienstag, 11.30 Uhr, Karlshöfen bei Bremen: Das Kaff am Rand des Teufelsmoors in einer Gegend, wo umgedrehte Besen vor der Tür noch als Abwehrzauber gegen Zigeuner gelten, erlebt einen nie dagewesenen Medienrummel. Auf dem kleinen Karlshöfener Flugplatz werden Asylbewerber erwartet. Sie sollen mit dem Fallschirm hier einschweben und somit eines der letzten Schlupflöcher benutzen, das ihnen demnächst das neue Asylrecht übrigläßt. Es ist kalt und neblig. Nicht nur Funk und Fernsehen haben Wind von der Sache bekommen: Die "Außenstelle Nordheide" des Bundesamtes in Zirndorf hat auf der grünen Wiese ein provisorisches Büro eingerichtet, mit Stempeln, Adventskranz und Thermoskanne. Und da brechen sie schon durchs Unterholz: drei unterkühlte Männer mit Fallschirmen unter dem Arm, in der Hand schwenken sie einen Lappen mit ihrem Begehr: "Asyl". "Wir haben Kerzen gesehen, Deutsche sind wieder gut zu Ausländern", stottert ein Bärtiger. Da haben sie aber die Adventskerzen gründlich mißverstanden: Kaltschnäuzig, unter den Augen der Öffentlichkeit, jagen die Zirndorfer Beamten die Fallschirmasylanten wieder ins Moor zurück. Die Landung der Schirmasylanten ist ein aktualisiertes Weihnachtsmärchen, in Szene gesetzt von Mitgliedern des Lüneburger Stadttheaters. Es handelt sich um den zweiten Streich eines neu und spontan entstandenen Bündnisses, das den provisorischen Namen "Büro für notwendige Einmischung" trägt. Bundesgrüne, Jungsozialisten in der SPD, Robin Wood, die "Gesellschaft für bedrohte Völker", "Pro Asyl" und Kulturschaffende aus dem Hamburger Raum haben alle Berührungsängste beiseite getan und machen gemeinsame Sache: Hände weg vom Artikel 16! "Was kann die Kultur machen, wenn die Politik versagt?" fragt Frank Eyssen vom zwei Wochen alten Bündnis auf der Pressekonferenz. Zum Beispiel Theaterspielen, wenn genug zuschauen. Oder, das war ihr erster Streich, eine Rüstungsfabrik besetzen, die Splittergranaten für die Türkei herstellt. Motto: "Deutsche Granaten finden ihr Ziel - für die Opfer kein Asyl?" Unterstützer: Rockmusiker gegen Rechts. Der dritte Streich wird am 30. Januar kommen, dem Jahrestag der "Machtergreifung" durch die Nazis. Mit einer Woche dezentraler und phantasievoller Aktionen zugunsten des Erinnerns. Für Jadranka Thiel vom Juso- Bundesvorstand ist indes der Zug noch nicht abgefahren: Sie setzt weiter auf den einzelnen Abgeordneten: "Druck machen, Stimmung umdrehen, Bündnisse schließen". Es sei eine Legende, daß die breite Parteibasis hinter SPD-Vorstand und -Parteirat stehe. "Die SPD spielt mit Menschenleben, um an Wählerstimmen zu kommen." Realistischer schätzen Renate Backhaus (Bundesvorstand Die Grünen) und Herbert Leuninger von der Vereinigung "Pro Asyl" die Lage ein - sie planen bereits den Gang nach Karlsruhe mittels eines abgelehnten Asylbewerbers. Tenor: Ein Grundrecht, das nicht erlangt werden kann, ist verfassungswidrig. Nicht nur Leuninger sieht dabei auch Artikel 1 ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") berührt. Robin Wood leistet logistische Hilfe und spannt den Bogen über Ausbeutung der Dritten Welt, Umweltdreck und Verelendung zur Asylfrage. Am eindringlichsten, von großer persönlicher Betroffenheit bewegt, erläutert Tilman Zülch, warum die "Gesellschaft für bedrohte Völker" im Bündnis mittut. Er engagiert sich gerade besonders in Sachen Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien und hat die in KZs gefolterten und ermordeten Opfer vor Augen. Wer entrinnt, hat schon bei der jetzigen Gesetzeslage allergrößte Schwierigkeiten, sich in den Westen zu retten. Bei einer Asylrechtsänderung seien die Bürgerkriegsopfer vollends auf willkürliche Gnadenakte angewiesen. Horst Sarnoch, pensionierter Zahnarzt und Flugzeugbesitzer, sitzt im Tower des kleinen Zivilflughafens. "Im Krieg sind wir ja noch aus 80 Meter abgesprungen", sagt er und blickt nachdenklich in den Nebel. 800 Meter Sicht am Boden, das ist "null Sicht beim Fliegen". Die tollsten Bilder, die den Medien versprochen waren, müssen leider wegen Nebels ausfallen. "Vielleicht lassen wir Romeo India mal kurz an." Es hätten echte Menschen aus den Wolken fallen sollen, alles um der guten Sache willen. Aber die Profis aus den TV- Anstalten werden's schon richten- sie sind lichterkettengeübt.
Drei Tage lang tagte ein Kongreß zu "Formen der Integration und Ausgrenzung" von Ausländern in Einwandererländern. Die Schlußdebatte war Skandal und Lehrstück zugleich Von Thomas Schmid Frankfurt (taz) - Man kann es drehen und wenden, wie man will, es ist eben ein echter Karl Valentin: "Fremd ist der Fremde nur in der Fremde". Das Diktum des Münchner Komikers zieht den logischen Schluß nach sich, daß im eigenen Land der Fremde kein Fremder ist - eine Tautologie. Doch wo ist das eigene Land? Da, wo man herkommt? Oder da, wo man aufgewachsen ist? Oder da, wo man arbeitet und lebt? Da, wo man eben kein Fremder ist. Aber wer bestimmt denn, wo jemand nicht fremd ist? Der Fremde selbst? Oder das deutsche Gesetz? Das Motto des dreitägigen Kongresses über "Formen der Integration und der Ausgrenzung in Einwanderungsländern", der am Sonntag in Frankfurt am Main zu Ende ging, war also zweifellos gut gewählt. Es regte an, über das Fremde im Eigenen, über Projektionen des Eigenen in den Fremden, über Imaginationen des andern nachzudenken. Der Kongreß war mit hochkarätigen Referenten bespickt, gab zu viel Reflexionen, doch wenig Streit Anlaß und endete in einem Eklat: Auf der abschließenden Podiumsdiskussion waren die westdeutschen Politiker unter sich. Und das kam so: Wilhelm von Sternburg, Chefredakteur des Hessischen Rundfunks, der die Schlußdebatte für sein eigenes Haus moderieren sollte, stellte eine Stunde vor Beginn derselben fest, daß neun Diskutanten ein bißchen viel sind für nur 55 Minuten Sendezeit. Lieber wären ihm nur fünf Personen auf dem Podium. Also lud er einige, die eingeladen waren, just dort zu sitzen, kurzerhand aus, oder er lud sie dazu ein, wenn man so will, sich nach 55 Minuten in einer zweiten Phase dem Gespräch anzuschließen. Eines der Opfer der reichlich späten Einsicht Sternburgs war der türkische Schriftsteller Zafer Senocak, als Gast eingeflogen aus Berlin, auf dem Programm angekündigt als Podiumsteilnehmer. Der nun sah nicht ein, weshalb bei der Diskussion über "Integration oder Ausgrenzung" just er, immerhin Angehöriger der größten ethnischen Minderheit in Deutschland, am Podiumstisch fehlen sollte. Schließlich gab Sternburg dem Protest nach und überredete statt dessen den iranischen Publizisten Bahman Nirumand, aufs Podium zu verzichten. Der war auch bereit dazu, doch Senocak ließ es sich nicht bieten, daß nur seinetwegen nun Nirumand fehlen sollte, und gab völlig entnervt bekannt, daß er unter diesen Bedingungen nicht mehr zur Verfügung stehe. Das wäre dem Moderator gerade recht gekommen - wenn nur Nirumand nun wieder zu gewinnen gewesen wäre. Doch der hatte jetzt die Schnauze von der widerwärtigen Kungelei ebenfalls voll. Er wolle nicht den Alibi-Ausländer spielen, erklärte er dem Publikum. Um die Situation zu retten, bot Sternburg nun beiden Fremden an, sich aufs Podium zu setzen. Er habe wirklich keine Hintergedanken gehabt, entschuldigte er sich öffentlich. Logisch - wer keine Gedanken hat, kann auch keine Hintergedanken haben. Jedenfalls war es nun zu spät. Ebenfalls gedankenlos und nicht weniger gutwillig als Sternburg zeigte sich Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Feierlich kündigte sie an, sie werde nun zu Nirumand schreiten, um ihn an der Hand zu nehmen und aufs Podium zu führen. Was als Versöhnung gedacht war, kam als - frau verzeihe das Wort in diesem Zusammenhang, aber es trifft nun mal- paternalistischer Gestus daher. Nirumand lehnte ab. Auch die verzweifelte Offerte Sternburgs, die Moderation des Gesprächs an ihn abzugeben, wies der Iraner kopfschüttelnd zurück. Lehrstück zu Ende. Vorhang. Vorhang auf. Am Tisch sitzen vier Westdeutsche - der einzige eingeladene Gast aus Ostdeutschland, Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter von Bündnis90/ Grüne, war ebenfalls vom Podium ins Publikum verwiesen worden. Vermutlich ohne Hintergedanken, sicher jedenfalls ohne Gedanken. Der erste von den vieren, Daniel Cohn-Bendit, ehrenamtlicher Stadtrat für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt/M., redet Tacheles. Es geht um den sogenannten Asylkompromiß der CSUCDUFDPSPD. "Man kann doch nicht von Asylrecht sprechen, wo keiner mehr reinkommt", schreit der Grüne, und "es ist kaltherzig, wenn man in diesen historischen Tagen, wo die Bundesrepublik so erschüttert wird von rassistischen Angriffen, nicht in der Lage war, das rassistischste aller rassistischen Gesetze der Bundesrepublik, nämlich das Staatsangehörigkeitsrecht, das ein Blutsrecht ist, wenigstens jetzt zu verändern. Und deswegen sage ich, daß alle Personen, die bei diesem Kompromiß dabei waren und nicht schreiend rausgegangen sind, sich politisch schuldig gemacht haben für das, was passiert ist." Die Empörung ist nicht gespielt. Offenbar als einziger auf dem Podium hat Cohn-Bendit begriffen, welche historische Chance hier vertan wird. Der Kompromiß, der die Ausländer weiterhin ausgrenzt, so warnt er abschließend, setzt den sozialen Frieden aufs Spiel. Die zweite, Heidemarie Wieczorek-Zeul, von Cohn-Bendit frontal angegriffen, eiert herum, bis sie sich zur Aussage durchringt: "Ich werde diesen Kompromiß nicht mittragen." Aber welches Gewicht hat der späte Protest? Gestern tagte der SPD-Parteirat, heute entscheidet die Fraktion. Im Eiltempo soll der Beschluß des Sonderparteitages vor einem Monat nun hinweggefegt werden. Der dritte, Ignatz Bubis, Vorsitzender des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland und FDP-Mitglied, spricht von einem "Wischiwaschi-Modell der erleichterten Einbürgerung" und mit Verweis auf den Populismus der Parteien davon, daß die Gewalttäter, die "letztlich eine andere Republik wollen", sich bereits durchsetzen. Doch einen systematischen Zusammenhang zwischen der sich immer weiter ausbreitenden rassistischen und antisemitischen Gewalt und der weiteren Ausgrenzung der Fremden, wie sie vom Asylkompromiß bestätigt wird, vermag er nicht herzustellen. Über den vierten, Ulf Fink, Vorsitzender der CDU Brandenburg, gibt es nichts Berichtenswertes zu reportieren. Vier Podiumsteilnehmer, vier Parteien. Eingeladen, aber aus erwähnten Gründen nicht auf dem Podium waren: zwei Fremde, ein Ostdeutscher, der Psychoanalytiker Mario Erdheim und Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl . Einen solchen Abschluß hat der Kongreß, der vom S. Fischer-Verlag und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, beide wohl unschuldig am Eklat vom Sonntag abend, umsichtig organisiert wurde, bei Gott nicht verdient. Wie gesagt, die Referenten waren hochkarätig, und ihre Beiträge regten zum Nachdenken an. Es sprachen der Politologe Claus Leggewie und der Zeithistoriker Dan Diner, der Theologe Johann Baptist Metz und der Verfassungsrechtler Günter Frankenberg, der Kulturanthropologe Werner Schiffauer (s. seinen Beitrag in der taz vom letzten Samstag) und die Schriftstellerin Saliha Scheinhardt, die Pariser Politologen Etienne Balibar, Gilles Kepel und Franois Dubet, aus den USA der Soziologe George Lipsitz, die Literaturwissenschaftlerin Elaine Scarry und die Schriftsteller Darryl Pinckney und Scott Monaday, der Frankfurter Publizist Thomas Schmid (nicht identisch mit dem Autor dieses Artikels) und die Schweizer Ethnologin Maja Nadig sowie der Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup. Viele kluge Worte sind gefallen. Doch nichts war so erhellend wie das Lehrstück vom Sonntag abend, die Parabel von den deutschen Politikern oben am Tisch und den zwei fremden Publizisten im Publikum. Fremd ist der Fremde auch in der Fremde in Frankfurt.
Auch Parteilinke bäumt sich gegen Asylkompromiß auf Frankfurt a. M./Bonn (epd/dpa) - Die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" hat an den heute tagenden SPD-Parteirat appelliert, sich von dem vorliegenden Asylkompromiß eindeutig zu distanzieren. In einem Offenen Brief forderte "Pro Asyl" -Sprecher Herbert Leuninger die Mitglieder des Parteirates auf, sich gegen eine "großräumige, militarisierte Flüchtlingsabwehr" in Europa zu wenden, wie sie am Ende der derzeit angestrebten Asylpolitik stehe. Der Artikel 16 des Grundgesetzes dürfe nicht verändert, die Genfer Flüchtlingskonvention müsse um eine Aufnahmeverpflichtung für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge erweitert werden. Der Begriff des Flüchtlings sei außerdem auf Opfer von Folter, Vergewaltigung und geschlechtsspezifischer Diskriminierung auszudehnen. In ganz anderem Sinn beschworen SPDler und Vertreter der Bonner Regierungskoalition die TeilnehmerInnen der Parteiratssitzung. Der Parteiratsvorsitzende Harald Ringstorff, der SPD-Abgeordnete Horst Niggemeier und führende Unionspolitiker wie der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Rüttgers, und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Wolfgang Bötsch, warnten die SPD-Abgeordneten vor einer Glaubwürdigkeitskrise und öffentlichen Demontage ihres Fraktionschefs Klose, falls sie den Kompromiß ablehnten. Erneut erklärten jedoch verschiedene SPD-Gliederungen, daß für sie der Asylkompromiß ohne Nachbesserungen so nicht zustimmungsfähig sei. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen betonte am Samstag, der Kompromiß entspreche in keiner Weise den Beschlüssen des SPD- Sonderparteitages. Ähnlich äußerte sich die SPD Hessen-Süd. Bei der SPD-Linken stößt vor allem die Absicht auf Ablehnung, Asylsuchenden, die über Polen und die CSFR einreisen, künftig den Aufnahmeanspruch zu entziehen.
Interview Herbert Leuninger (Sprecher "Pro Asyl" ) zum Kompromiß taz: Herr Leuninger, wie bewerten Sie das Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Altparteien - die Grünen waren ja von den Asylrunden ausgeschlossen - zur Änderung des Asylrechts? Herbert Leuninger: Das ist ein Sieg der Straße und eine Niederlage für unseren Rechtsstaat. Der Artikel 16 Grundgesetz soll durch einen Artikel 16a ersetzt werden. Damit wird der 16er auf den Standard der Genfer Flüchtlingskommission verengt. Das heißt im Klartext, daß das individuell einklagbare Menschenrecht auf Asyl zur Disposition gestellt ist. Die flankierend dazu verabredeten Maßnahmen werden in letzter Konsequenz dazu führen, daß ein Flüchtling nur noch mit dem Fallschirm über Deutschland abspringen kann, wenn er hier Asyl beantragen will. Sie befürchten demnach, daß über Absprachen auch mit den östlichen Nachbarländern der Bundesrepublik eine neue Mauer um Deutschland herum aufgebaut werden soll - diesmal gegen Ein- und nicht gegen Ausreisewillige... Das wird eine Mauer um die Bundesrepublik herum werden. Und wenn man sich dazu noch die Beschlüsse der EG-Innenminister von der vergangenen Woche in London ansieht, wird klar, daß um die Außengrenzen der EG noch eine zweite Mauer hochgezogen werden wird. Die Innenminister haben auf dem Papier um die EG einen Ring von angeblich sicheren Durchreisestaaten gezogen. Sollte es also ein Flüchtling schaffen, in ein Land an der Peripherie der EG zu gelangen, kann er postwendend wieder über die Grenze in ein angebliches Nichtverfolgerland außerhalb der EG-Grenzen abgeschoben werden. Würden Sie denn der These zustimmen, daß mit dem Parteienkompromiß vom Sonntag zumindest die unselige Asyldebatte in den Zeiten des rechtsradikalen Terrors ein Ende gefunden hat? Wir gehen davon aus, daß dieser Streit nicht zu Ende ist, weil es um all die vielen Einzelpunkte noch ein Gezerre geben wird und wohl auch muß. Die Diskussion wird bis zu einer Verabschiedung im Bundestag weitergehen. Wir gehen mittelfristig auch davon aus, daß nach wie vor Flüchtlinge in die Bundesrepublik kommen werden - allerdings unter weit restriktiveren Bedingungen. Fest steht aber, daß die Frage der Zuwanderung in die Bundesrepublik mit dieser Vereinbarung noch nicht einmal im Ansatz gelöst wurde. Sehen Sie noch Chancen, die Bonner Asylbeschlüsse im Sinne einer Liberalisierung im Interesse der Flüchtlinge korrigieren zu können? Wir setzen nach wie vor auf eine Diskussion auch in der SPD, deren Parteitag den Verhandlungsführern eine größere Zurückhaltung bei der Veränderung des Artikels 16 Grundgesetz auferlegt hatte. Wir setzen darauf, daß die Menschen, die zu vielen Tausenden in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen sind und für den Erhalt des Asylrechts demonstriert haben, Einfluß auf ihre Abgeordneten im Bundestag nehmen und deren Gewissen schärfen, damit sie diesem faulen Kompromiß nicht zustimmen. Interview: Klaus-Peter Klingelschmitt
Die großen Parteien einigten sich in der Revision des Asylrechts: Das Recht auf Asyl bleibt erhalten - auf dem Papier/ SPD verzichtet auf Einwanderungsgesetz/ CSU und Lafontaine zufrieden Berlin (taz) - Das Asylrecht bleibt erhalten, die Asylsuchenden verschwinden: das ist die Quintessenz des Kompromisses im Asylrecht, auf daß sich die Bonner Koalitionsparteien und die SPD in der Nacht zum Montag geeinigt haben. Für Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsregionen soll es einen Sonderstatus geben. Die Einreise von deutschstämmigen Aussiedlern wird zukünftig begrenzt. Als "Sieg der Vernunft" feierte CSU- Chef Waigel den Kompromiß. Auch andere Politiker von CSU bis SPD zeigten sich über die Einigung hoch erfreut. Kanzleramtsminister Bohl rechnet damit, daß Zuwanderung jetzt wirkungsvoll begrenzt werden kann. Oskar Lafontaine (SPD) sprach von einem "entscheidenden Schritt nach vorn". Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen übten hingegen scharfe Kritik an dem Entwurf für ein neues Asylrecht. "Ein "versöhnendes Signal" solle gesetzt werden, "denn Deutschland ist ein weltoffenes, tolerantes Land, und das soll so bleiben", heißt es auf Seite eins der gemeinsamen Erklärung. Die proklamierte Weltoffenheit findet indes für Asylsuchende schon auf der dritten Seite enge Grenzen. Zwar bleibt das Individualrecht auf Asyl nach Artikel 16 des Grundgesetzes im Prinzip erhalten. In einem neuen Artikel 16a wird jedoch festgelegt, daß kein Anspruch auf Asyl hat, wer aus einem Drittstaat einreist, "in dem die Anwendung der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechts-Konvention sichergestellt ist". Darunter versteht die Bonner Asyl-Runde nicht nur die Länder der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch Polen, die CSFR, Österreich und die Schweiz - also sämtliche Nachbarstaaten Deutschlands. Flüchtlingen, die über den Landweg einreisen, wird damit das Recht auf Asyl in Deutschland prinzipiell abgesprochen, sie können sofort zurückgeschickt werden. Dies betrifft nicht nur Menschen etwa aus Polen oder der CSFR, sondern auch alle anderen Flüchtlinge, die im Transit über diese Länder eingereist sind. Damit wird der Landweg verschlossen und den Nachbarstaaten der Bundesrepublik das "Asylproblem" überlassen. Dafür bieten die Bonner Asylexperten diesen gnädig "administrative Hilfe zur Bewältigung der Flüchtlingsprobleme" an. Asyl beantragen darf in Zukunft nur, wer direkt - also über die Häfen oder Flughäfen in der Bundesrepublik - einreist. Da zur Einreise in aller Regel ein Visum benötigt wird, das immer schwieriger zu erhalten ist, dürften in der Tat kaum noch asylantragsberechtigte Personen den Boden der Bundesrepublik betreten. Flüchtlinge, die, etwa um ihre Einreise über Land zu verschleiern, ihre Reisepapiere vernichten, haben ebenfalls keine Chance auf Asyl. Als "offensichtlich unbegründete Asylanträge" werden nämlich unter anderem alle diejenigen eingestuft, bei denen die "Mitwirkungspflichten im Verfahren" verletzt werden. Die neue Regelung soll auch für alle bereits anhängigen "Altfälle" gelten, die man "beschleunigt abgearbeitet" sehen will. Ein Bleiberecht sollen bei diesem Personenkreis nur Flüchtlinge aus Ländern mit besonders hoher Anerkennungsquote im Asylverfahren erhalten, die schon länger als zwei Jahre in der Bundesrepublik leben. Ferner sieht der Asylkompromiß sogenannte Länderlisten vor. Wer aus diesen Ländern kommt, gilt nicht als politisch verfolgt, "es sei denn, er trägt Gründe vor, aus denen sich ergibt, daß er entgegen der Vermutung politisch verfolgt wird", heißt es in dem Papier. Da sich die Parteien offenbar nicht auf eine konkrete Liste haben einigen können, sollen nun Bundestag und Bundesrat ein Gesetz verabschieden, in dem all die Länder aufgelistet werden, in denen nach ihrer Meinung politische Verfolgung nicht existiert. "Offensichtlich unbegründete" Asylanträge sollen zur Verfahrensbeschleunigung nur noch von Einzelrichtern entschieden werden. Alle Asylsuchenden erhalten künftig nicht mehr analog zur deutschen Bevölkerung Sozialhilfe. Statt dessen soll der "Mindestunterhalt" durch ein eigenes Gesetz geregelt werden - mit dem Ziel einer "deutlichen Absenkung der bisherigen Leistungen". Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge erhalten einen Sonderstatus. Ihre Aufnahme erfolgt zeitlich befristet. Kein Wort findet sich im Asylkompromiß von dem von der SPD verlangten Einwanderungsgesetz. Statt dessen wird lediglich nebulös eine "Zuwanderungsregelung" auf europäischer Ebene in ferne Aussicht gestellt. Die Einbürgerung von in Deutschland lebenden Ausländern soll allerdings erleichtert werden. Der Zuzug deutschstämmiger Aussiedler soll in Zukunft auf den Durchschnitt der Einreisenden von 1991 und 1992 begrenzt werden. Das wären etwa 220.000 Personen. Nur noch 100.000 Wanderarbeiter im Jahr erhalten eine Arbeitserlaubnis. In Bonn wurde der Asylkompromiß fast einhellig begrüßt. CSU-Chef Theo Waigel feierte das "gute Ergebnis". Die Führungsspitze der CSU stimmte dem ausgehandelten Papier bei einer Enthaltung zu. Kanzleramtsminister Bohl sagte, es sei ein tragfähiger Kompromiß erzielt worden, "bei dem naturgemäß unsere Wünsche und Forderungen nicht alle durchgesetzt wurden". Er sei mit den Erfahrungen aus dem Dritten Reich vereinbar und trage zugleich den geänderten Bedingungen Rechnung. Oskar Lafontaine sprach von einem "wirklichen Schritt nach vorne". Entscheidend sei die Vereinbarung, daß Asylbewerber, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, zurückgewiesen werden könnten. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte Gespräche mit den Nachbarstaaten Deutschlands an, über die bisher viele Asylsuchende in die Bundesrepublik gekommen sind. Scharfe Kritik am Kompromiß äußerten die Grünen. Deutschland umgebe sich "lückenlos" mit Drittländern wie "mit einem undurchdringlichen Palisadenzaun", die den Bedrohten aller Kontinente den Weg ins deutsche Asyl versperren. Diese Methode der Abschottung sei so effektiv wie ein Schießbefehl, auch wenn sie eleganter wirke. Politisch Verfolgte genießen nach der Änderung kein Asylrecht mehr, erklärten Grünen-Vorstandssprecher Christine Weiske und Ludger Volmer. Auch der Sprecher von Pro Asyl , Herbert Leuninger, sagte gegenüber der taz, daß "um Deutschland herum eine neue Mauer gebaut werden soll. Die Maßnahmen werden in letzter Konsequenz dazu führen, daß ein Flüchtling nur noch mit dem Fallschirm über Deutschland abspringen kann, wenn er hier Asyl beantragen will." Auch amnesty international kritisierte den Asylkompromiß. SPD-Vorstandsmitglied Peter von Oertzen meinte, möglicherweise habe die SPD sich über die Konsequenzen ihres Parteitagsbeschlusses zum Asyl getäuscht: "Tatsächlich bedeutet diese Vereinbarung, daß die Bundesrepublik praktisch so gut wie keine Asylbewerber mehr aufnehmen muß", meinte er zur taz. klh
Interview tissy bruns Herbert Leuninger ist Pfarrer und Sprecher von Pro Asyl / Er plädiert für eine Flüchtlingspolitik auf internationaler Ebene/ Hinter der Asyldebatte steckt für ihn die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land taz: Ist der Artikel 16 für die Zeit der Völkerwanderung noch die angemessene rechtliche Grundlage? Herbert Leuninger: Gerade! Mit dem Artikel 16 ist zum ersten Mal ein Menschenrecht deklariert worden, das es in der Form zuvor nicht gab, das auch die Genfer Flüchtlingskonvention nicht vorsieht. Eben ein Menschenrecht und nicht nur eine Institutionengarantie oder eine Verpflichtung des Staates, Flüchtlinge aufzunehmen. Dieses Menschenrecht wurde aus einer bestimmten historischen Situation heraus formuliert und deklariert. Wenn es einmal in der Welt ist, dann gibt es dahinter kein Zurück mehr. Es bedeutet, daß die Aufnahme von Flüchtlingen gesehen werden muß als ein individuelles Recht, das sich ableitet aus dem Schutz und der Wahrung der Menschenwürde. Das sollte in allen Ländern gelten. Der Artikel 16 schützt politisch, rassisch oder religiös Verfolgte. Ist das für die Fluchtbewegungen unserer Zeit nicht viel zu eng und ist nicht das Grundgesetz aus diesem Grunde reformbedürftig? Das ist natürlich ein anderer Gesichtspunkt. Für das, was Flucht heute bedeutet, werden der Artikel 16 - und übrigens auch die Genfer Konvention - zu eng ausgelegt. Wir fordern deshalb auch seit geraumer Zeit, den Begriff der politischen Flucht anders auszulegen. Immerhin ist es schon ein Fortschritt, daß als Ergebnis der Asyldiskussion ein eigener Status für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge wahrscheinlicher geworden ist. Aber die Diskussion um eine erweiterte Definition des Verfolgten-Begriffes können wir uns derzeit überhaupt nicht erlauben. Warum nicht? Der Artikel 16 ist in seiner menschenrechtlichen Substanz bedroht, die wir verteidigen müssen. Es würde uns einfach als totaler Utopismus angelastet, wollten wir jetzt über einen erweiterten FLüchtlingsbegriff diskutieren. Vor dem Hintergrund der Pogrome kann man nur fordern: Schluß mit dieser entsetzlichen Asyldebatte, die im Grunde eine Stellvertreterdebatte für andere Probleme ist. Jeder weiß doch, daß eine Verfassungsänderung nichts an den Fluchtursachen und nichts an der Zuflucht in diese Republik ändert. Ist nicht an der gegenwärtigen Diskussion insofern ein wahrer Kern, als mit den großen Wanderungsbewegungen aus Osteuropa Menschen kommen, die den Schutz weniger nötig haben als andere? Alle aber gehen in den Rechtsweg des Artikel 16, der bekanntlich schwerfällig ist. Wenn es heute eine Gruppe gibt, die bei den ethnischen Auseinandersetzungen in Südosteuropa besonders bedroht ist, dann sind das die Roma. Unverkennbar sind sie insgesamt bedroht. Wenn wir unter vergleichbar wesentlich günstigeren Bedingungen diese Menschen kaum noch schützen können oder wollen: Wie muß es dann erst in anderen Ländern zugehen? Wir müssen zu einem neuen Verständnis diesen Menschen gegenüber finden und dürfen uns der Verpflichtung, sie zu schützen, nicht dadurch entziehen, daß wir sie von einem bestimmten Schutzrecht ausschließen. Im Sommer, als das Drama der bosnischen Flüchtlinge offenbar wurde, gab es in der Bevölkerung eine große Hilfsbereitschaft. Jetzt, im Herbst, ist das Land verfinstert. Reicht das Motto des "Hände weg vom Artikel 16!" aus, um die geschwundene Akzeptanz wiederherzustellen? Wir hatten im Sommer die einmalige Chance, verständlich zu machen, was Flüchtlingsnot ist und daß daraus die Verpflichtung zur Aufnahme dieser Flüchtlinge erwächst. Damals ist allerdings eine schwerwiegende Weichenstellung vorgenommen worden: die Privatisierung der Flüchtlingsaufnahme. Wir haben das sehr kritisiert, weil das eine Aufgabe des Staates ist. Es war absehbar, daß private Initiativen mit dieser Aufgabe hoffnungslos überfordert sein würden, denn es ging um eine Aufnahme nicht über Wochen, sondern über Monate, vielleicht über Jahre. Außerdem hat die zweimalige Hilfe für je 5000 Menschen viele Menschen glauben gemacht, damit wäre es getan. Hochproblematisch ist aber auch: Wir führen eine metapolitische Debatte, die in Wahrheit gar nicht um den Artikel 16 geht. Hinter der Asyldebatte verbergen sich die Fragen nach der Verteilungsgerechtigkeit in unserem Land, nach dem drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch Osteuropas und seinen unabsehbaren Folgen und der ökologischen Globalkrise. Das alles wurde auf die Mühlen des Artikel 16 gelenkt, wobei wir uns in einer zwanghaften Diskussion befinden. Am liebsten würde ich von Stund an nicht mehr über den Artikel 16 reden. Aber Sie wissen natürlich, daß das gar nicht geht. Die Mehrheitsmeinung droht abzugleiten in eine Abwehrhaltung. Müssen wir die Zuwanderung nicht wirklich steuerbarer machen? Vor zehn Jahren wurde bereits die gleiche Frage gestellt wie heute: Ist das Boot voll? Das ist eher eine politische Frage als eine der vorhandenen Ressourcen. Die Ressourcen sind eigentlich da. Schon vor Jahren hätte klar sein müssen, daß die Aufnahme von Flüchtlingen eine dauerhafte Regelaufgabe von Kommunen und Ländern ist. Man hat aber törichterweise immer auf die Abwehr gesetzt. Das ist der Grund für die Engpässe von heute. Heute kann die Forderung nur sein, daß Vorsorge für die künftigen Fluchtbewegungen getroffen wird. In welcher Größenordung, kann niemand sagen. Zweitens, und darin haben wir die Bundesregierung immer bestärkt: Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Rechte der UN-Flüchtlingskommissarin gestärkt würden und sie den EG- Ländern beispielsweise Flüchtlinge zuweisen könnte. Flüchtlingspolitik kann man kaum mehr auf nationaler Ebene machen, auf einer Ebene, die sich im nächsten Wahlkampf legitimieren muß. Es handelt sich um eine internationale Aufgabe. Aber die vorhandenen Rechtsinstrumente der Vereinten Nationen reichen überhaupt nicht aus. Diese Mängel den Flüchtlingen anzulasten und sie der Aggression freizugeben - das geht einfach nicht! Im internationalen Kontext hätte die Bundesrepublik durchaus eine Lokomitivenfunktion. Die hat sie bisher im Sinne der Abwehr mit den Verträgen von Schengen und Dublin wahrgenommen, nicht aber im Sinne der Vorbereitung der Europäischen Gemeinschaft auf schwere, große Aufgaben der Flüchtlingsaufnahme. Für das nächste Jahrzehnt ist leicht vorstellbar, daß die Bundesrepublik jederzeit bereit sein muß, Flüchtlinge in großer Zahl aufzunehmen, Stichwort GUS. Muß sie in solchen Situationen nicht umgekehrt imstande sein, anderen die Tür zeitweilig zu verschließen? Das tut man schon, ohne es in der öffentlichen Diskussion zu sagen. Osteuropa ist noch eine andere Sache, aber zusammen mit der EG hat die Bundesrepublik 100 Länder auf eine Liste gesetzt, die der Visapflicht unterliegen. Auf diese Weise werden schon jetzt hunderttausende Menschen, Flüchtlinge, abgehalten, in die westeuropäischen Länder zu kommen. Wir haben das seinerzeit kritisiert, was wir jetzt kaum aufrecht erhalten können, weil dann jeder Argumentationskonsens zusammenbräche. Aber ich betone: Es gibt diese Art der Abwehr, fragwürdig, aber erfolgreich. Außerdem hat unser Ausländergesetz von 1991 einen enormen Selektions- und Abwehrmechanismus eingebaut. Wenn wir mögliche Einwanderungskonzeptionen ansprechen, dann vertrete ich die Meinung: Es gibt eine umfassende Einwanderung in die Bundesrepublik. Neben der Einwanderung im Rahmen der Europäischen Freizügigkeit und der der Aussiedler gemäß Artikel 116, haben wir ein kontinuierliches Nachzugspotential bei der Arbeitsmigration. Viele tausend Menschen aus Osteuropa mit einer zeitlich begrenzten Arbeitserlaubnis sind potentielle Einwanderer. Eine Gruppe, die in die Hunderttausende geht, sind Menschen, die ohne legalen Status bereits viele Jahre in der Bundesrepublik leben und arbeiten. Ähnlich steht es um die Mehrheit der nur geduldeten Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten, die faktisch nicht merh zurückgehen können. Für all diese Gruppen ist eine rechtliche Regelung im Sinne einer Einwanderung erforderlich. Interview: Tissy Bruns
Am 1. November tritt das zwischen Bonn und Bukarest ausgehandelte Abkommen in Kraft, das die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aus Rumänien, hauptsächlich Roma, beschleunigt. Als am 24. September in Bukarest die "Vereinbarung über die Rückübernahme von deutschen und rumänischen Staatsangehörigen" unterzeichnet war und Rudolf Seiters (CDU) mit seinem rumänischen Amtskollegen Victor Babiuc Hände schüttelte, zeigte sich der deutsche Innenminister sehr "erleichtert" über den "wirkungsvollen Schritt zur Eindämmung der illegalen Einwanderung". Am 1. November tritt das Abkommen in Kraft. Es beschleunigt die Abschiebung abgelehnter AsylbewerberInnen aus Rumänien, von denen mehr als 60 Prozent Roma sind. Zum anderen will Bonn Roma abschrecken, die illegal einreisen. Davon will man im Innenministerium aber heute nichts mehr wissen: "Es gibt keinen Vertrag zur Abschiebung der Roma", spielt ein Sprecher die Vereinbarung herunter. Der Vertrag sei "auf rumänische Roma gerichtet", meint dagegen die Menschenrechtsorganisation "Helsinki Watch" in ihrem jüngsten Bericht über rechtsextremistische Gewalt in Deutschland. Besonders das Ausland hatte scharf reagiert. Englische, amerikanische und französische Zeitungen schrieben von einem "Deportationsvertrag". Zuletzt erinnerten Serge und Beate Klarsfeld und französische Juden in Rostock daran, daß gerade Deutschland sich mit Sondergesetzen für "Zigeuner" zurückhalten sollte. "Dieser Vertrag ist meines Wissens ein Novum", meint auch Herbert Leuninger, der Sprecher von Pro Asyl . Die Arbeitsgemeinschaft unterstützt die Forderung des Vorsitzenden der Rom & Cinti Union, Rudko Kawczynski, nach "internationaler Verurteilung des Bonn- Bukarester-Vertrages". Es sei zu befürchten, daß die rumänischen Behörden den ohne Pässe Zurückgekehrten neue Pässe verweigern und sie damit hindern könnten, das Land zu verlassen. KritikerInnen des Abkommens wie die Roma-Expertin der Gesellschaft für Bedrohte Völker, Katrin Reemtsma, fürchten außerdem, daß der Vertrag deutsche Behörden ermutige, schon auf frisch eingereiste RumänInnen und Roma zuzugreifen und sie zurückzuschaffen, noch bevor sie einen Asylantrag stellen konnten. Das wäre gegen das geltende Asylrecht, könnte aber kaum kontrolliert werden. In dem deutsch-rumänischen Abkommen verpflichten sich beide Seiten, StaatsbürgerInnen, "die sich illegal auf dem Hoheitsgebiet der jeweiligen anderen Vertragspartei aufhalten, d. h. die die geltenden Voraussetzungen für die Einreise oder den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen", zurückzunehmen (Artikel 1). Dies auch dann - und das ist das Wichtigste-, wenn die Betroffenen keine gültigen Pässe haben. Faktisch betrifft dies nur Rumänien. Denn allein von Januar bis August 1992 haben nach Auskunft des Bundesinnenministeriums 57.446 RumänInnen Asyl beantragt, das sind 21 Prozent aller BewerberInnen. Verläßliche Zeugenaussagen statt Ausweise Statt gültiger Papiere erlaubt das Seiters-Abkommen in Artikel 2 Ersatznachweise für die rumänische Staatsbürgerschaft. So kann ein Führerschein genügen, ein abgelaufener Paß oder ein Seefahrerausweis. Sofern nichts Schriftliches vorliegt, sollen auch "verläßliche Zeugenaussagen" ausreichen, jemandes Staatsbürgerschaft glaubhaft zu machen. Nach dem am Mittwoch unterzeichneten Durchführungsprotokoll können die Ausländerbehörden der Städte und Kreise künftig durch eine/n Dolmetscher/in bezeugen lassen, daß diese oder jener Asylsuchende den Asylantrag in rumänischer Sprache gestellt und begründet habe und folglich Rumäne/in sei. Die Behörde schickt dann einen entsprechenden Brief an das nächstgelegene rumänische Konsulat. Erhebt dieses innerhalb von drei Tagen keinen Widerspruch, gilt die rumänische Staatsbürgerschaft als glaubhaft nachgewiesen, und die/der Betreffende kann unverzüglich abgeschoben werden. Bisher mußten die deutschen Behörden in Rumänien Paß-Ersatzpapiere für die Abzuschiebenden beantragen, andernfalls nahm Rumänien sie nicht auf. Für Abschiebungen zuständig sind die Bundesländer. Sie bezahlen die Flüge der Abgeschobenen bis Bukarest. Während man im nordrhein-westfälischen Innenministerium das Abkommen für eine "Luftblase" hält, rechnet man in Niedersachsen für Anfang November mit einer erheblich höheren Zahl abgeschobener RumänInnen. "Wir werden Gruppenabschiebungen haben", meint ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums auf die oft gestellte Frage, "aber keinesfalls Massenabschiebungen." In den Länderbehörden herrscht insgesamt aber noch Unklarheit über die Umsetzung des Abkommens. Die Sprecherin des brandenburgischen Innenministeriums sagte der taz, die Durchführungsbestimmungen hätten keine rechtlich gesicherte Grundlage und seien mit dem geltenden Asylgesetz nicht vereinbar. Für den Vertragsabschluß sei kein Geld nach Rumänien geflossen, beteuert das Bundesinnenministerium. Doch hat das Ministerium im letzten Jahr ein sogenanntes "Rückkehrförderungs- und Reintegrationsprogramm Rumänien" in Gang gesetzt, für das bis 1996 30 Millionen DM fließen werden. In drei Ausbildungswerkstätten in Sibiu, Timisoara und im Kreis Arad sollen Männer in diversen Handwerksberufen ausgebildet werden. Voraussetzung ist die "freiwillige" Rückkehr. Dieses kostenintensive Programm dürfte die Verhandlungsfreudigkeit der rumänischen Regierung äußerst positiv beeinflußt haben. "Völkerrechtlich läßt sich dennoch gegen diesen Vertrag wenig sagen", urteilt Wolfgang Grenz von amnesty international. Er ermögliche keine zusätzlichen Abschiebungen. Politisch allerdings, so Grenz, "könnte die Botschaft rüberkommen, daß rumänische AsylbewerberInnen künftig ohne Einzelfallprüfung abgeschoben werden dürfen". Auch Katrin Reemtsma ist der Meinung, der Vertrag etabliere durch die Hintertür Rumänien als "Nichtverfolgerstaat" und dies ausgerechnet auf Kosten einer Minderheit, der Roma, die in Rumänien nach wie vor ständiger Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sei. Für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wurde das Abkommen "zur Stigmatisierung abgeschlossen und propagiert mit dem Zweck, Sinti und Roma zu ,Sündenböcken` für das herbeigeredete ,Asylproblem` abzustempeln und verantwortlich zu machen für die ungelösten sozialen Probleme in den neuen Bundesländern". Bettina Markmeyer
... von Gewerkschaft und Pro Asyl / Partei fährt weiter Schlingerkurs Frankfurt/Bonn (AP/AFP) - Gewerkschafter wollen gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl mit allen Mitteln eine Asylrechtsänderung im Grundgesetz verhindern und setzen dabei auf die Sozialdemokraten. Am Rande einer Pressekonferenz in Frankfurt sagte Pro-Asyl - Sprecher Herbert Leuninger: "Wenn die Diskussion in der SPD wieder von der Kompromißlinie zur Sache zurückfindet und nicht die Frage im Vordergrund steht, wie die Partei eine solche Diskussion übersteht, ohne daß der Vorsitzende in Mitleidenschaft gezogen wird, dann besteht eine Chance." IG-Metall-Vorstandsmitglied Yilmaz Kaharasan, der auch Delegierter auf dem SPD-Sonderparteitag ist, bezeichnete eine mögliche Wendung der Sozialdemokraten hin zu einer Grundgesetzänderung als "historischen Fehler". Der für ausländische Arbeitnehmer zuständige DGB-Abteilungsleiter Karl-Heinz Goebels sprach von einer "widerwärtigen Scheindiskussion". Es seien Kräfte am Werk, die einen anderen Staat wollten. Die Haltung der SPD-Spitze kritisierte Goebels: Auch mit den zuletzt vorgelegten Kompromißvorschlägen wolle die Parteispitze nur "verdecken, daß man eigentlich schon auf Linie der CDU ist". Da liegt er nicht falsch: Gestern stellte der innenpolitische Sprecher der Partei, Gerd Wartenberg, Artikel 19 des Grundgesetzes in Frage, der Asylbewerbern das Einklagen ihres Rechtsanspruchs ermöglicht. SPD-Vize Thierse forderte Aufhebung des Fraktionszwangs bei der Asylabstimmung im Bundestag.
Neuer Vorschlag des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder stößt auf Zustimmung und Skepsis gleichermaßen/ Vorschlag für Verfassungsartikel Von Jürgen Voges und Tissy Bruns Bonn (taz) - In der SPD wird emsig nach Kompromissen gesucht, ein Ende des Streits um das Asylrecht ist aber noch nicht absehbar. SPD-Sprecherin Dagmar Wiebusch bezeichnete den neuen Vorschlag des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder gegenüber der taz als "wichtigen Schritt". Die Konfrontation in der SPD sei deutlich abgemildert, aber die endgültige Lösung sei die niedersächsische Initiative wahrscheinlich noch nicht. In einem Brief an seinen Parteivorsitzenden hatte Schröder sich erstmals auf einen konkreten Vorschlag zur Neuformulierung des Asylgrundrechts festgelegt. In dem am Montag verfaßten Schreiben kritisiert er die jüngsten Asyl- Beschlüsse des SPD-Parteivorstandes als "nur teilweise brauchbar" und schlägt für einen neuen Artikel 16 Absatz 3 des Grundgesetzes folgende Formulierung vor: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Politisch verfolgt ist, wer Flüchtling im Sinne von Kapitel I Art.1A der Genfer Konvention vom 28.Juli 1951 ist. Asylrecht genießt nicht, wem in einem anderen europäischen Vertragsstaat der Genfer Konvention Asyl gewährt oder nach Überprüfung durch mindestens eine unabhängige Instanz verweigert wird. Durch Gesetz kann das Asylrecht für Flüchtlinge aus Kriegs- oder Bürgerkriegsgebieten, denen ein Bleiberecht bis zum Ablauf der kriegerischen Auseinandersetzungen gewährt wurde, ausgeschlossen werden." Die Aufnahme der Genfer Konvention in das Grundgesetz bezeichnet Schröder in dem Schreiben lediglich als Klarstellung darüber, "wer als politisch Verfolgter anzusehen ist". Eine materielle Änderung entstehe durch diese Klarstellung nicht, da sich die bundesdeutsche Asyl- Rechtsprechung ohnehin anhand der Genfer Konvention entwickelt habe. Bürgerkriegsflüchtlingen, die aus humanitären Gründen Aufnahme in der BRD gefunden haben, will es Schröder künftig versagen, "individuelle Verfolgungsgründe vorzutragen, die ein Recht auf Asyl begründen könnten". Die seit Petersberg von der SPD-Führung favorisierte Grundgesetzänderung zwecks Einführung von Länderlisten lehnt Schröder in seinem Engholm-Brief als nicht der Beschleunigung der Verfahren dienlich ab. Bereits jetzt existieren nach Auffassung von Schröder "Länderlisten im Kopf des Entscheiders", würden Asylanträge als offensichtlich unbegründet gelten, wenn ein Ausländer sich nur aus wirtschaftlichen Gründen in der Bundesrepublik aufhalte oder, um einer Not- oder Kriegssituation zu entgehen. Skepsis gegenüber dem Schröder-Vorschlag äußerte Parteivorstandsmitglied Norbert Gansel. Das Konzept greife zu kurz, meinte der Bundestagsabgeordnete. Ihm fehlen die "Wege, um die Zahl der Zuwanderer wirksam zu reduzieren", und die Einsicht, daß ein "Kompromiß, ja eine Verantwortungsgemeinschaft mit der CDU gesucht werden muß." Allerdings sieht Gansel in Schröders Papier Bewegung: "Er hat ja mit dem Antrag seines Bezirks Hannover sogar in drei Fällen eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen." Gansel erwartet von der Parteispitze vorrangig, daß sie für ihren Vorschlag zur Asylrechtsreform kämpft. Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing interpretierte in der Berliner Zeitung den Antrag als "Chance, daß jetzt endlich wieder über das Gesamtkonzept diskutiert wird und nicht nur isoliert über den Artikel16." Er riet davon ab, eine Formulierung des künftigen Artikel16 zu beschließen, weil diese "im Gespräch mit den anderen Parteien gefunden werden" müssen. Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl , kritisierte den Vorschlag aus Hannover als "Einstieg zum Ausstieg". Pro Asyl warnte die SPD vor einem Kompromiß, "der nur darauf abzielt, eine falsche Entscheidung der Führungsspitze um Engholm für die Gesamtpartei erträglicher zu machen." Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Johannes Gerster lehnte in einer Erklärung den Schröder-Vorschlag als "wortreich inszeniertes Täuschungsmanöver" ab, das keine greifbare Veränderung der Rechtsgrundlage bewirke.
"Mindeststandards unterschritten" Bonn (AFP/epd/dpa) - Gegen den Asyl-Kompromiß der Koalition hat der Bonner Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats, Walter Koisser, "ernste Bedenken" angemeldet. Mit der sofortigen Abschiebung von Asylbewerbern bei offensichtlich unbegründeten Anträgen würden international vereinbarte Mindeststandards unterschritten. Koisser verwies in diesem Zusammenhang auf einen Beschluß des Exekutiv-Komitees des Flüchtlingskommissariats aus dem Jahr 1983 über verfahrensrechtliche Garantien bei der Überprüfung offensichtlich unbegründeter Anträge. Damals habe auch die Bundesrepublik zugestimmt. Danach müßte auch in diesen Fällen den Asylbewerbern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Entscheidungen von einer unabhängigen Instanz überprüfen zu lassen, ehe sie an der Grenze zurückgewiesen oder abgeschoben werden. In dieser "verfahrensrechtlichen Kernfrage" hoffe er auf eine Änderung. Nach Ansicht des Sprechers der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl , Herbert Leuninger, hat sich die Koalition auf die "Abschaffung des Grundrechts auf Asyl" geeinigt. Dies und nicht die Rechtsverschlechterungen für Flüchtlinge sei Kern der Entschließung, über die am Donnerstag der Bundestag namentlich abstimmen wird. Die von den Regierungsfraktionen verabschiedete Entschließung umschreibt die Kernpunkte der angestrebten Änderung des Asylrechts. Auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention bleibt das Asylrecht erhalten, verkürzte Verfahren und schnelle Abschiebungen werden möglich zum Beispiel für straffällig gewordene Asylbewerber und Flüchtlinge, die ihre Identitätspapiere zerstören. Die Entschließung wird von weiten Teilen der zerstrittenen SPD als "Schau" kritisiert und abgelehnt. Die Regierungsparteien bekräftigen, daß sie von der SPD als eine Aufforderung zu Verhandlungen verstanden werden soll.
Kein Visum für Teilnehmer des Sternmarsches gegen Rassismus Berlin (AFP/epd/taz) - 90 TeilnehmerInnen des europaweiten "Sternmarsches für gleiche Rechte - gegen Rassismus" wurde gestern die Einreise nach Frankreich verwehrt. Da sich das französische Konsulat in Bonn weigerte, ein eintägiges Gruppenvisum auszustellen, war der Protestmarsch am Grenzübergang Kehl erst einmal zu Ende. Wie Aziz Kocyigit, ein Sprecher der Organisatoren mitteilte, hätte die Gruppe von Grenzbeamten erfahren, daß es einen Beschluß des französischen Innenministeriums gebe, die Marschierer nicht einreisen zu lassen. Auch an der schweizerisch-französischen Grenze sei einer 40köpfigen Gruppe des Sternmarsches die Einreise verweigert worden. Von der französischen Botschaft war gestern keine Stellungnahme zu erhalten. Der Präsident des American Jewish Commitee (AJC), Alfred Moses, hat vor neu aufkeimendem Antisemitismus in Deutschland gewarnt. Der Brandanschlag auf die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen dürfe nicht als "vorübergehendes einmaliges Ereignis" gewertet werden, sagte Moses, bei einem Kurzbesuch in Deutschland. "Wir sind sehr besorgt und bestürzt, denn wir haben die Vergangenheit nicht vergessen". Er habe "volles Vertrauen", daß Bundes- und Landesregierung gegen die Vorfälle vorgehe, sagte Moses. Er forderte die Bevölkerung und die Bundesregierung auf, sich an der Protestveranstaltung in Sachsenhausen am Sonntag zu beteiligen. Der Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats in Bonn, Walter Koisser, forderte gestern in Bonn ein breites Bündnis gegen Ausländerhaß. Die Verantwortlichen aus Politik und Gesellschaft müßten sich zusammenschließen, um dem "Wahn der Fremdenfeindlichkeit endlich Einhalt zu gebieten". Es gehe darum, die "großartige Asyl-Idee" zu bewahren. Eine große Koalition gesellschaftlicher Kräfte zur Sicherung des Asylgrundrechts forderte Herbert Leuninger von "Pro Asyl" . ja
30.09.1992 Deutschlands Linke im Beißkrampf: In diesen Tagen scheiterte der Versuch, auf die Welle rassistischer Gewalt mit einer gemeinsamen Großdemonstration gegen Ausländerfeindlichkeit zu reagieren. Jetzt wird in Frankfurt am Main gleich zweimal protestiert: Für den kommenden Freitag rufen Gewerkschaften und Sozialdemokraten zur Demonstration auf, für den Samstag, den "Tag der deutschen Einheit", Grüne und antirassistische Initiativen. Die Initiatoren schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Unterdessn rufen auch Konservative wie Rita Süssmuth zu Aktionen gegen den Rassismus auf. -----
Wir werden an diesem 3. Oktober - dem Tag der deutschen Einheit - der Welt zeigen, daß wir dieses Deutschland nicht den Rechtsradikalen, dem dumpfen Deutschland, überlassen." Mit diesen Worten rief der Frankfurter Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten, Dany Cohn-Bendit (Die Grünen), am vergangenen Freitag in Wiesbaden zur ersten bundesweiten Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit am kommenden Sonnabend in Frankfurt/Main auf. Eine "machtvolle Demonstration" sollte es nach den Vorstellungen der Initiatoren - von den Grünen über zahlreiche Flüchtlingshilfegruppen bis hin zur Deutsch-Israelischen Gesellschaft und der Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten - werden. "Wir haben die Schnauze voll", meinte auch Rupert von Plottnitz, Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag. Das "andere Deutschland" müsse endlich ein "Zeichen demokratischer Gegenöffentlichkeit setzen". Von Plottnitz richtete einen "dringenden Appell" an die Sozialdemokraten, diese Demonstration zu unterstützen, denn am Tag der deutschen Einheit sollten "alle Demokratinnen und Demokraten" auf der Straße ihren festen Willen bekunden, dieses Land "zu einem Land der Weltoffenheit und der Toleranz" zu machen. Nur vier Tage nach diesem Appell und nach zahlreichen Gesprächen zwischen Grünen und Sozialdemokraten auf Bundes- und Landesebene steht fest, daß es das angestrebte breite Bündnis gegen Rechts nicht geben wird. Weil der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) seit Wochen für den 2. Oktober zu einer Massendemonstration gegen Sozialabbau in Frankfurt/Main aufruft, sieht er sich ebenso wie die Sozialdemokraten außerstande, seine Mitglieder nur einen Tag später erneut zu einer Demonstration in die Mainmetropole zu mobilisieren. Schließlich, so war aus dem Gewerkschaftshaus in der Wilhelm-Leuschner- Straße zu hören, habe man den Charakter dieser Demonstration gegen den schleichenden Sozialabbau aufgrund der aktuellen Entwicklungen kurzfristig um einen Aufruf auch gegen die grassierende Ausländerfeindlichkeit und das Wiederaufleben des Rechtsradikalismus erweitert. Was eine machtvolle Demonstration am symbolträchtigen Tag der deutschen Einheit all der Menschen aus dem linken und linksliberalen Spektrum hätte werden können, die nicht wollen, daß dieses Land zu einem "Hort für Rassisten, Ausländerfeinde, Neonazis und beifallklatschende ZuschauerInnen" (Cohn-Bendit) wird, geht so am Wochenende zweigeteilt über die Bühne: Am Freitag werden Gewerkschaften und Sozialdemokraten auf die Straße gehen - am Sonnabend die Grünen und die parteiunabhängigen Organisationen und Initiativen. Für Irene Katheeb vom Amt für multikulturelle Angelegenheiten, die noch gestern vergeblich mit dem DGB verhandelte, ist dieses Ergebnis ein "elendes Elend". Immerhin, so Katheeb, sei von den Gewerkschaften zugesichert worden, auf der Demonstration am 2.Oktober im Rahmen der Abschlußkundgebung zur Demonstration am 3. Oktober aufzurufen. Für Herbert Leuninger, den Sprecher von Pro Asyl , ist die Tatsache, daß das auch von ihm gewünschte "breiteste Bündnis" nicht zustande kam, dagegen "kein Beinbruch". Seine Organisation habe schließlich beide Aufrufe - den des "Frankfurter Kreises" für den 2. Oktober und den der Grünen für den 3. Oktober - gezeichnet. Leuninger: "Alles, was geschieht, ist von großer Bedeutung. Und vielleicht sind viele dezentrale Aktionen ja wichtiger als eine zentrale Demonstration." Allerdings bedauert Leuninger, daß nun der Eindruck entstanden sei, am Tag der deutschen Einheit demonstrierten nur noch die Grünen. Tatsächlich "haben doch zig Organisationen mit unterschrieben." "Stocksauer" auf die SPD ist dagegen Jürgen Frömmrich vom Landesvorstand der hessischen Grünen. Bereits vor drei Wochen, so Frömmrich zur taz, habe er sowohl mit Heidemarie Wieczorek- Zeul als auch mit dem hessischen SPD-Landesvorsitzenden Norbert Schmidt gesprochen und für ein breites Bündnis geworben - "und bis heute bin ich hingehalten worden". Die SPD solle offen sagen, daß sie sich einem solchen Bündnis aus parteitaktischen Gründen und mit Blick auf den Bundesparteitag verweigere. Dabei, so Frömmrich, gehe es bei der Demonstration nicht um den Artikel 16 Grundgesetz, sondern um den Artikel 1: "Die Würde des Menschen - und nicht nur des Deutschen - ist unantastbar." Gegenüber der taz wies Gernot Krumbach vom Bezirksvorstand der SPD Hessen-Süd die Vorwürfe zurück. Offiziell seien die Sozialdemokraten erst vor einer Woche von den Grünen schriftlich in Kenntnis gesetzt worden. Krumbach: "Unsere Position war die, daß wir sowohl den DGB als auch die Grünen aufgefordert haben, sich auf einen gemeinsamen Termin zu verständigen - doch das hat offenbar nicht geklappt." Im Bezirksvorstand gebe es jetzt Überlegungen, zu beiden Demonstrationen aufzurufen. Doch das wolle man zuerst mit dem DGB- Landesvorsitzenden Jungmann und mit Dany Cohn-Bendit besprechen. Möglich sei auch noch, so Krumbach, daß Jungmann auf der Kundgebung am Sonnabend rede - und im Gegenzug der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Ignaz Bubis, der von den Grünen als Redner gewonnen werden konnte, auf der Gewerkschaftsdemo spreche. Daß die Grünen in ihrem Aufruf allerdings explizit zum "Einsatz für den Erhalt des Artikels 16 GG" auffordern, ist schon Cohn-Bendit sauer aufgestoßen. Dem angestrebten Bündnis mit den Sozialdemokraten sei die Aufnahme dieser Passage in den Aufruf nicht "dienlich", meinte der Multikulti-Dezernent. Laut Frömmrich sei die Passage "dem Bundesvorstand geschuldet" gewesen. Aber die Sozialdemokraten hätten ja mit einem eigenen Aufruf zur gemeinsamen Demonstration mobilisieren können. Klaus-Peter Klingelschmitt, Frankfurt/Main
Lafontaine bedenkt Abschaffung des Artikels 16 Grundgesetz und Ersatz durch Flüchtlingskonvention/ SPD-Fraktionschef Klose strikt dagegen/ UNO-Flüchtlingskommissar begrüßt den Vorschlag der CDU Aus Bonn Tissy Bruns Als "verfassungsfeindliche Umtriebe" bezeichnete der Sprecher von Pro Asyl , Herbert Leuninger, gestern die neuesten Vorschläge der CDU zum Asylrecht. Kritik und Bedenken meldete auch der Koalitionspartner FDP an. Politiker der SPD, beim Thema Asyl nicht anders zu erwarten, kritisierten die Vorschläge uneindeutig. Die CDU wird, wie Generalsekretär Peter Hintze am Dienstag angekündigt hatte, nunmehr ganz von Artikel 16 des Grundgesetzes abrücken. Ein Antrag zum CDU-Parteitag Ende Oktober sieht vor, die Verfassungsformel "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" aufzugeben. Hintze unmißverständlich: "Wir schlagen vor, daß künftig die Genfer Flüchtlingskonvention Grundlage für die Gewährung von Asyl in der Bundesrepublik sein soll und daß dies in der Verfassung anstelle des bisherigen Artikels 16 Absatz 2, Satz 2 verankert wird." Über eine große Zahl von Flüchtlingen soll dann in einem "vereinfachten, kursorischen Kurzverfahren" entschieden werden können. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, der schon lange für eine Grundrechtsänderung eintritt, konnte eine gewisse Sympathie zu dem Vorschlag nicht verhehlen. Im Deutschlandfunk sagte Lafontaine: "Für die Genfer Flüchtlingskonvention votiert man, wenn man eine europäische Lösung will. Das Recht eines jeden Bürgers der Erde, bei uns ins Verfahren zu kommen, können wir praktisch nicht mehr garantieren. Da muß man sich zu der Erkenntnis durchringen im Kern, daß es eben Länder gibt, wo man sagen muß, hier ist keine politische Verfolgung mehr; hier greift auch nicht mehr der Anspruch eines einzelnen auf individuelle Prüfung." Die stellvertretende Parteivorsitzende Herta Däubler-Gmelin wies die CDU-Vorschläge zurück. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans- Jochen Vogel wandte sich nach einem Besuch der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt scharf gegen die Absichten der CDU. In einem taz-Interview meinte SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose, die SPD werde das nicht mitmachen. Die FDP schickte ihren standhaftesten Verteidiger des Grundrechts auf Asyl vor. Burkkhard Hirsch wies die Union darauf hin, daß das Grundgesetz kein "Abreißkalender" sei, und erinnerte seine Koalitionspartner an frühere Versprechen: "Bisher hat die CDU/CSU jeden Verdacht empört zurückgewiesen, sie wolle das Asylrecht abschaffen. Bundeskanzler Helmut Kohl hat es heilig genannt." Hirsch vermißt eine klare Aussage darüber, ob die Union "jedem Flüchtling auch künftig das Recht geben will, individuell angehört zu werden oder ob er die Möglichkeit behalten soll, eine Kontrollinstanz anzurufen, bevor er abgeschoben wird". Die Bonner Vertretung des UN- Flüchtlingskommissars (UNHCR) begrüßte den Vorschlag, die Genfer Flüchtlingskonvention als Grundlage der Asylverfahren "wiedereinzuführen". Hans ten Feld, stellvertretender Leiter des Bonner Büros, wies jedoch darauf hin, daß die Konvention sich nicht eigne, "den Zugang zum Asylverfahren zu versperren". Der UNHCR hat auch bei früheren Gelegenheiten die enge Auslegung des Flüchtlingsbegriffs in der Bundesrepublik moniert. malzahn und jenssen
Eine bosnische Mutter mit ihren beiden Kindern soll nach einer Entscheidung des Bundesamts für Asyl in ihre Heimat abgeschoben werden/ Asylrecht in Deutschland abgelehnt Von Malzahn und Jenssen Berlin (taz) - Das Bundesamt für Asyl in Zirndorf will eine 41jährige bosnische Frau mit ihren beiden fünf und elf Jahre alten Kindern in den Bürgerkrieg abschieben. Die aus der bosnischen Industriestadt Zenica stammenden Flüchtlinge waren am 24. Juni nach Deutschland gekommen und hatten dort einen Antrag auf Asyl gestellt. In der der taz vorliegenden Entscheidung des Bundesamtes vom 1. September heißt es wörtlich: "Die Antragsteller werden aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollten die Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werden sie nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben." Die Asylbewerber sind Moslems, sie leben zur Zeit im Main-Taunus-Kreis in Hessen. In einer Presseerklärung der Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" , die den skandalösen Fall publik machte, bezeichnete der Sprecher der Organisation, Herbert Leuninger, den Vorgang als "schieren Zynismus". Menschen, die durch Völkermord bedroht seien, werden durch das Asylrecht nicht geschützt, sagte Leuninger. Der Frankfurter Rechtsanwalt Helmut Bäcker hat inzwischen Klage eingereicht. Die Stadt, aus der die Flüchtlinge kommen, liegt im Tal der Neretva. Dort haben serbische Truppen schon seit längerem Stellung bezogen. Zenica wurde in der Vergangenheit immer wieder durch serbische Artillerie beschossen. Die etwa 100.000 Einwohner große Stadt beherbergt zur Zeit noch einmal so viele Flüchtlinge. Zenica hat sich in den vergangenen Monaten zu einer Fluchtburg für Bosnier entwickelt, ein Entkommen aus der eingekesselten Stadt ist aber fast unmöglich. Das Bundesamt lehnte den Antrag der Flüchtlinge als "offensichtlich unbegründet" ab. Warum man der aus den Kriegswirren entkommenen Kleinfamilie nicht einmal ein Bleiberecht gewähren will, wollte in Zirndorf gestern niemand sagen. "Unser Pressesprecher ist heute nicht da", hieß es lapidar. Nach der Genfer Konvention, die auch die Bundesrepublik mit unterschrieben hat, dürfen Flüchtlinge nicht in Bürgerkriegsgebiete abgeschoben werden. "Das Asylrecht hat nicht die Aufgabe, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu schützen", heißt es in der Begründung der Entscheidung. Was das Bundesamt unter "allgemeinen Unglücksfolgen" versteht, wird ebenfalls genannt: "Krieg, Bürgerkrieg oder sonstige Unruhen". Die Abschiebungsentscheidung des Bundesamtes, so Herbert Leuninger, habe weder den hessischen Duldungserlaß für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina noch die Abschiebungshindernisse bei drohender Folter oder bei schweren Menschenrechtsverletzungen berücksichtigt.
Für Kanzleramtsminister Bohl kann die Einschränkung des Asylrechts gar nicht schnell genug in Kraft treten/ Justizministerin hält Grundgesetzänderung noch in diesem Jahr für unrealistisch/ Position der SPD weiter ungeklärt/ Thierse fordert reduzierte Asylbewerberquoten für die neuen Länder Rostock wirkt - die Einschränkung des Asylrechtes scheint beschlossene Sache. In Bonn stritt die Regierungskoalition gestern nur noch darüber, wie schnell man die Sache über die parlamentarische Bühne bringen kann: "Es geht um Wochen, man kann nicht mit Monaten rechnen", verkündete Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) die Zeitvorstellungen der Union. Gebremst wurde er jedoch von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die eine Grundgesetzänderung in diesem Jahr für unrealistisch erklärte. Dem widersprach ihr Parteikollege Hermann Otto Solms: Die Asylrechtsänderung hänge allein daran, wieweit die SPD nun zu einer entscheidungsfähigen Vorlage komme. "Wir sind minütlich und stündlich bereit, mit der SPD über eine inhaltliche Ausgestaltung einer solchen Verfassungsänderung zu reden. Je schneller das machbar ist, desto besser", erklärte FDP-Fraktionschef Solms. "Wenn es geht, natürlich noch in diesem Jahr." Die Justizministerin forderte hingegen "endlich das von allen Parteien getragene, kürzlich verabschiedete Asylverfahren-Beschleunigungsgesetz in ausreichendem Umfang" umzusetzen. Die FDP sei jedoch grundsätzlich bereit, in Vorbereitung einer europäischen Regelung über eine Grundgesetzänderung zu reden. Die von der Union eingebrachten Vorschläge, so die Justizministerin, seien jedoch nicht konsensfähig. Bleibt der Dritte im Bunde, die SPD: Zumindest bei den Sozialdemokraten scheinen die Rostocker Ausschreitungen nicht umstandslos als Aufforderung zur schnellen Grundgesetzänderung interpretiert zu werden. Auch der am letzten Wochenende gefaßte Beschluß der Parteispitze, der Regierungskoalition mit einer Zustimmung zur Grundgesetzänderung entgegenzukommen, bleibt in der Partei umstritten. "Das ist noch längst nicht durch", erklärte gestern der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerd Weisskirchen. Nach wie vor bestehe erheblicher Klärungsbedarf, was genau auf dem Petersberg beschlossen worden sei. Auch der innenpolitische Fraktionssprecher Wartenberg, der eine Grundgesetzänderung befürwortet, sieht noch erheblichen Diskussionsbedarf innerhalb der Fraktion. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse forderte erneut, die Zuweisungsquote für Asylbewerber in den neuen Ländern zu senken. Es gelte mehr Behutsamkeit zu entwickeln, die Menschen im Osten nach und nach an die Begegnung mit Ausländern heranzuführen. Laut Kanzleramtsminister Bohl ist freilich die Stimmung gegen Asylbewerber in den alten Bundesländern "keineswegs besser" als in den neuen. Vor diesem Hintergrund dürfe die Grundgesetzänderung nicht "auf die lange Bank geschoben" werden. Sie werde einen wesentlichen Beitrag leisten, den "Nährboden für Gewalttäter auszutrocknen". Die Grünen warfen führenden Politikern der Bundesregierung und der SPD vor, für die Krawalle in Rostock mitverantwortlich zu sein und sie für die angestrebte Einschränkung des Asylrechts zu mißbrauchen. "Ihnen kommen die Ausschreitungen vielleicht nicht gelegen, aber Sie machen sie sich als Instrument für Ihre Abwehrpolitik gegen Ausländer zunutze", erklärte der Sprecher von "Pro Asyl" , Herbert Leuninger. "Das ist der eigentliche politische Skandal." Es gebe eine "gewisse Komplizenschaft" zwischen den rechtsradikalen Krawallmachern und Politikern, deren Ziel die Abschreckung weiterer Flüchtlinge sei. Die Organisationen riefen zu einer "großen Koalition für Flüchtlinge" und zu Demonstrationen auf, mit denen die Solidarität mit den in Deutschland lebenden Ausländern bekundet werden soll. eis/dpa
Demos von Flüchtlingsgruppen, Grünen, Autonomen Frankfurt/Main (taz) - Nach drei Pogromnächten in Rostock ist endlich ein Teil der bundesdeutschen Öffentlichkeit aufgewacht. Der Bundesvorstand der Grünen unterbrach seine Sitzung und rief gestern in Berlin zu einem Autokonvoi nach Rostock auf. Gestern nachmittag um drei Uhr begann auch die erste größere Demonstration in Rostock gegen den rechten Mob und die Neonazis. Der DGB hatte zu einer Kundgebung vor dem Rathaus der Hansestadt aufgerufen. Auch in Frankfurt sollte am Abend demonstriert werden. Schon am Vorabend hatten in Berlin, Frankfurt und Bonn spontan Menschen gegen ein Wiederaufleben des Faschismus in Deutschland protestiert. Prominente Politiker wollen sich dagegen nicht vor die von Deutschen verfolgten Flüchtlinge stellen: Die taz bekam auf entsprechende Fragen bei den Herren von Weizsäcker, Kohl, Lambsdorff, Seiters und bei Frau Süssmuth keine Antwort. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) beantragte bei der Staatsanwaltschaft Rostock Ermittlungen gegen den Chef des Schweriner Landeskriminalamtes Siegfried Kordus und den Schweriner Innenminister Lothar Kupfer (CDU) wegen unterlassener Hilfeleistung und Beihilfe zu Körperverletzung im Amt. In Frankfurt forderte der Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Pro Asyl , Herbert Leuninger, den sofortigen Stopp der Asylrechtsdebatte in der Bundesrepublik - und eine "große Koalition zum Schutz der Flüchtlinge". Es sei ein politischer Skandal, daß führende Politiker in dieser Situation erneut eine Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes forderten. Schwere Vorwürfe richtete Leuninger auch gegen die Polizeiführung. Leuninger: "Ich habe in Rostock den bayerischen Polizeikessel vermißt." Aus einem von Rechtsanwalt Victor Pfaff für Pro Asyl erstellten Gutachten geht hervor, daß die von den Regierungsparteien und jetzt auch von der SPD beabsichtigten Änderungen am Artikel 16 verfassungswidrig seien. kpk/ten Weitere Demonstrationen: Für heute 17Uhr hat der DGB zusammen mit den Kirchen und der Jüdischen Gemeinde vor der Paulskirche in Frankfurt zu einer Kundgebung aufgerufen. Sprechen soll auch Frankfurts Oberbürgermeister von Bülow (SPD). In Berlin versammeln sich Protestwillige heute um 17.30 Uhr am Breitscheidplatz. Am Freitag um 16 Uhr soll eine Kundgebung vor der Zast in Kielstattfinden. Für den Samstag um 13 Uhr ist außerdem eine Kundgebung auf dem Bonner Münsterplatz angekündigt. Die Berliner Unabhängigen Antifa- Gruppen und Grüne rufen für Samstag um 13 Uhr zu einer Großdemonstration nach Rostock auf.
Rassisten greifen an - Bonn weicht Volkes Stimme Nicht die Rassisten sind schuld, sondern die Ausländer. Das ist die Quintessenz der Aussagen von Politikern in Bonn und Schwerin nach dem versuchten Pogrom an Flüchtlingen in einem Asylbewerberheim in Rostock. Jetzt soll ganz schnell das Grundgesetz verändert werden. Schon seit dem vergangenen Mittwoch war in der Hansestadt bekannt, daß für das Wochenende ein Angriff auf die Flüchtlinge geplant wurde. Doch die Polizei zeigte sich auch in der zweiten Nacht des Überfalls vollkommen hilflos. Die rechtsradikalen Randalierer aus Rostock konnten sich gestern morgen gegenseitig auf die Schulter klopfen: Die Trümmer waren noch nicht von der Straße geräumt, als sich Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth in einer Stellungnahme zu den Krawallen für eine rasche Änderung der Asylpolitik aussprach. Die parlamentarischen Beratungen über eine "Neugestaltung" des Asylrechts und die Aufnahmepraxis von Flüchtlingen sollten "unverzüglich" beginnen, drängelte sie. Über 30 Stunden lang hatten sich Rostocker Bürger eine Straßenschlacht mit einer über lange Zeit hilflosen Polizei geliefert, hatten versucht, die zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge zu stürmen. Die schwersten rassistischen Ausschreitungen seit den Krawallen in Hoyerswerda im September letzten Jahres nötigte dem Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lothar Kupfer (CDU), lediglich die Floskel "betroffen" ab. Er hielt es nicht einmal für nötig, zwischen Immigranten und Flüchtlingen zu differenzieren, sondern forderte schlicht, "dem unkontrollierten Zustrom von Ausländern nach Mecklenburg-Vorpommern" einen Riegel vorzuschieben. Für die Reaktion der Anwohner des Flüchtlingsheims äußerte Kupfer "Verständnis". Die Grünen haben inzwischen seinen Rücktritt gefordert. Inzwischen wird immer deutlicher, daß die Ausschreitungen in Rostock hätten verhindert werden können. Der Rostocker Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter erhob schwere Vorwürfe gegen Kupfer und den Rostocker Innensenator Peter Magdanz. Den beiden seien Pläne zum Überfall auf das Flüchtlingsheim seit Mittwoch vergangener Woche bekannt gewesen. Er selbst habe beide Instanzen mehrmals informiert, nachdem er von anonymen Anrufen bei Rostocker Tageszeitungen erfahren habe, sagte Richter. Die Polizei stand den Randalierern stundenlang völlig hilflos gegenüber. Erst nachdem Verstärkung aus Hamburg und Schleswig-Holstein eintraf, konnten die etwa 600 Polizisten und Bundesgrenzschützer die Situation unter Kontrolle bringen. Die Polizei nahm rund 150 Menschen fest. Nach Informationen der taz befinden sich unter ihnen auch 60 linke DemonstrantInnen, die nach eigenem Bekunden nicht in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt waren. 35 Polizeibeamte wurden verletzt; einer von ihnen schwer. Auch der stellvertretende SPD- Bundesvorsitzende Wolfgang Thierse hielt der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern Versäumnisse vor. Sie habe seit Monaten gewußt, daß das Zentrale Aufnahmeheim für Asylbewerber des Bundeslandes in Rostock-Lichtenhagen an einem "höchst problematischen Standort" untergebracht sei. Thierse verurteilte in Berlin zugleich die "fürchterlichen Ausschreitungen". In Bonn verlangte CDU-Generalsekretär Peter Hintze eine harte Bestrafung der Gewalttäter. Obwohl der Sturm auf das Flüchtlingsheim offenbar von langer Hand geplant worden ist, war der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommers nach eigenen Angaben über die geplanten Krawalle nicht informiert. Der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz, Norbert Seidel, erklärte dpa auf Anfrage: "Wir haben davon nichts gewußt, da wir noch keinen Zugang zu der Szene haben." Es sei eine "perverse Situation", daß sich rechtsradikale Kräfte als Ordnungsmacht aufspielten, und das von der Bevölkerung auch noch akzeptiert würde. Auf einer Pressekonferenz in Bonn hatten Verfassungsschützer vor kurzem darauf hingewiesen, daß rechtsradikale Übergriffe auf Ausländer in Ostdeutschland weiter zunehmen würden, während die Zahl der rassistischen Gewalttaten im Westen zurückgehen würde. Die Bewohner des Flüchtlingsheims werden seit gestern vormittag umquartiert. Sie sollen zunächst in Notunterkünfte nach Bad Doberan und - ausgerechnet - Greifswald gebracht werden. Von dort waren Asylbewerber in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder nach Schleswig-Holstein geflüchtet, weil auch sie rechtsradikalen Angriffen ausgesetzt waren. Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl , Herbert Leuninger, forderte gestern ausreichenden Polizeischutz für gefährdete Flüchtlingsheime in Ostdeutschland. Eine solche zusätzliche Bewachung lehnten Sprecher der ostdeutschen Innenministerien und der Polizei bereits gestern ab. Ein verstärkter Schutz sei nur "im Bedarfsfall" vorgesehen, erklärte ein Sprecher des polizeilichen Lagezentrums in Schwerin. Allein im ersten Halbjahr 1992 wurden in Mecklenburg nach Polizeiangaben 30 Überfälle auf Asylbewerberheime verübt. Im März wurde in Saal bei Rostock ein Rumäne auf offener Straße von 21 Männern zu Tode getreten. In dem knapp zwei Millionen Einwohner großen Mecklenburg müssen zur Zeit 11.300 Flüchtlinge leben. Über die Hälfte von ihnen kommt aus Rumänien, rund 12 Prozent stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Insgesamt suchen Menschen aus 80 Nationen Zuflucht in dem neuen Bundesland. Bundesinnenminister Seiters, der gestern morgen nach Rostock flog, kommentierte den Pogromversuch mit den Worten, daß "große Teile der Bevölkerung besorgt über den massenhaften Zustrom von Asylbewerbern" seien. Der Christdemokrat gab vor Ort bekannt, er sei "sehr betroffen". Seiters begrüßte während seines Besuches in Rostock den Kurswechsel der SPD: Die Führungsspitze der Sozialdemokraten hatte am Samstag bekanntgegeben, daß sie nunmehr bereit sei, einer "Ergänzung" des Grundgesetzartikels 16 zuzustimmen. Eine "Asyl-Vereinbarung" der SPD mit den Koalitionsparteien hält der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz bis zum Jahresende für möglich. Der Bundesgeschäftsführer der SPD, Karl Heinz Blessing, räumte in einem Interview ein, daß diese Entscheidung in seiner Partei "nicht unumstritten" sei. Es werde "noch viel Überzeugungsarbeit kosten, gegenüber der Partei deutlich zu machen, daß das eine vernünftige Linie ist". An dem Satz "politisch Verfolgte genießen Asylrecht" wolle die SPD "nicht fummeln". Blessing: "Es kommen aber einfach zu viele rein." Der erste Widerstand gegen den Vorstoß der SPD-Führung regte sich bei den Hamburger Genossen. Der SPD-Landesvorsitzende Helmut Frahm betonte, daß eine Abweichung von der bisherigen Position der SPD in dieser Frage einer sorgfältigen Beratung und Beschlußfassung im Parteirat und auf einem Bundesparteitag bedürfe. Der Kernsatz des Artikel 16 gehöre zum "Urgestein unserer Verfassung". Amnesty international hat auf das Einknicken der Sozialdemokraten gestern "enttäuscht und alarmiert" reagiert. Der Beschluß der SPD- Spitze, die Erarbeitung einer Liste "verfolgungsfreier Staaten" anzustreben, um Asylbewerber aus diesen Ländern künftig pauschal abweisen zu können, läute die Aufgabe des individuellen Asylrechts ein, heißt es in einer Erklärung. Claus Christian Malzahn
Pro Asyl : Deutschland soll mehr Menschen aufnehmen Bonn/Frankfurt (dpa/epd/AFP) - Sechs Spezialzüge der Bundesbahn wurden gestern beziehungsweise werden heute über Zagreb in die etwa fünfzig Kilometer davon entfernte kroatische Stadt Karlovac fahren, um die dort wartenden Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufzunehmen. In den Zügen werden Sanitäter mitfahren. Mit dem Eintreffen der ersten Flüchtlinge - pro Zug etwa achthundert bis tausend Menschen - wird im Laufe des Sonntags gerechnet. Die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" hat an die Bundesregierung appelliert, weitere Vertriebene aus Bosnien-Herzegowina aufzunehmen und für sie geeigneten Wohnraum bereitzustellen. Die Zusage zur Aufnahme von fünftausend Bürgerkriegs-Flüchtlingen reiche nicht aus, betonte Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger am Freitag in Frankfurt am Main. Trotz der Welle privater Hilfsbereitschaft zur Aufnahme will die Bundesregierung vorerst jedoch nicht mehr als fünftausend Menschen kommen lassen.
FDP-Bundestagsfraktion gegen Liste von Nichtverfolgerstaaten/ Pro-Asyl übt harte Kritik Bonn (dpa) - Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich wie zuvor der Bundesvorstand bei vier Enthaltungen grundsätzlich mit einer Grundgesetzänderung beim Asylrecht auch vor einer europäischen Lösung einverstanden erklärt. Jedoch stimmte eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten gegen die im Vorstandspaket vorgesehene Liste von Nichtverfolgerstaaten, bestätigte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Werner Hoyer am Mittwoch vor Journalisten in Bonn. Einen Formulierungsvorschlag für die Änderung des Grundgesetzartikels 16 gebe es bei der FDP noch nicht. Die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" hat die Wende der FDP in der Asylfrage scharf kritisiert. Herbert Leuninger, Sprecher der Organisation, meinte, die FDP schiele damit "genauso populistisch nach rechts wie die CDU/CSU und maßgebliche Kreise der SPD". Nur tue sie es in einer "politischen Hinfälligkeit ohnegleichen", da es die Rechten kaum beeindrucken dürfte. Ohne daß es dafür neue Gründe gebe, seien die Liberalen nun zu einer Grundgesetzänderung noch vor einer europäischen Angleichung des Asylrechts bereit. "Es war zu befürchten, daß die FDP wieder umfällt. Umfallen gehört bei ihr wohl zum Überlebenstraining", schrieb Leuninger.
Kommentar herbert leuninger GASTKOMMENTAR Innenminister von Bund und Ländern einigen sich: Für die meisten Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina bleibt die deutsche Grenze weiterhin geschlossen Ein Hammelsprung für Flüchtlinge an der deutschen Grenze, das ist eine neue Variante der Abwehr. Flüchtlinge, die serbischem Terror oder ethnischer Massakrierung entkommen sind, werden mit einem humanitären Touch aussortiert. Aufgenommen werden sollen die, die als Kranke oder Verwundete ohne medizinische Betreuung bleiben müßten, oder auch alle, die Kontakte zu Verwandten oder Bekannten in der Bundesrepublik haben. Sehr bedenklich ist dabei die deutliche Tendenz, die Aufnahmeverpflichtung der öffentlichen Hand durch eine neue Form der Privatisierung zu umgehen. Mit der nun auch von den Ländern abgesegneten Form der Selektion verbindet Bundesinnenminister Rudolf Seiters die Vorstellung, ungesteuerte und unkontrollierte Zuwanderung verhindern zu können. Es ist ein makabre Vorstellung, die Katastrophe einer Massenflucht im Sinne der Wohlstandsfestung Bundesrepublik steuern zu wollen. Diese Form von "Steuerung" läßt sich wohl kaum mit dem Geist der Genfer Flüchtlingskonvention noch mit dem des Grundgesetzes vereinbaren. Noch könnten sich alle Flüchtlinge den Zugang zur Bundesrepublik dadurch verschaffen, daß sie regulär Asyl begehren. Darauf sind sie aber bei ihrer Flucht, die sich Hals über Kopf vollzieht, nicht eingestellt. Was an der Grenze zu Österreich passiert, läßt ahnen, was droht, käme es zu einer Änderung von Artikel 16 des Grundgesetzes. Dann wäre Flüchtlingen selbst diese Möglichkeit genommen, eine individuelle Prüfung ihres Asylantrages innerhalb der Bundesrepublik zu erreichen. Sie verlören endgültig auch die Chance, im Falle einer Ablehnung ihres Antrages möglicherweise nicht abgeschoben zu werden, weil ihnen Gefahr für Leib und Leben droht, etwa auch die Gefahr, in einer Region mit Hunderttausenden von Flüchtlingen, die verhungern oder ohne medizinische Betreuung bleiben, umzukommen. Wenn Schweden derzeit in der Lage ist, täglich 1.000 Flüchtlinge aus dem Balkan aufzunehmen, könnten es in der Bundesrepublik - auf die Zahl der Bevölkerung bezogen - jeden Tag Tausende sein. Hierzu bedarf es nur des politischen Willens. Sollte, diesen vorausgesetzt, das normale behördliche Instrumentarium nicht ausreichen, wären Krisenstäbe zu bilden. Sie müßten, mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet, Flüchtlinge notfalls auch gegen den Widerstand von Bürgermeistern und plebejischen Aktionen in öffentlichen Gebäuden unterbringen. Herbert Leuninger Sprecher der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl"
Die Innenminister der Länder beschlossen gestern, außer Verwundeten oder Kranken nur diejenigen Kriegsflüchtlinge aus Bosnien aufzunehmen, die Verwandte oder Bekannte in Deutschland haben ... Ein "falsches Signal" und "nicht verantwortbar", so Bundesinnenminister Rudolf Seiters zu der Forderung, die Visumpflicht für die Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufzuheben. Seiters wußte sich einig mit allen Länderinnenministern, die gestern nach einer Konferenz in Bonn ihre Überlegungen zum Umgang mit der größten Fluchtbewegung in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs präsentierten. Der saarländische Innenminister Friedel Läpple appellierte als Sprecher seiner Ministerkollegen zunächst an die Bundesregierung, auf das Ende der Kampfhandlungen hinzuwirken - dem wird niemand widersprechen wollen. "Flüchtlingshilfe vor Ort", insbesondere in Kroatien und Slowenien, soll der Schwerpunkt deutscher Hilfsmaßnahmen sein. Für die Flüchtlinge aus Bosnien, die nach Deutschland wollen, bleibt das erteilte oder nichterteilte Visum Steuerungsmittel, um eine "unkontrollierte Einreise" (Seiters) zu verhindern. Visa erhalten nun Verwundete und Kranke aus Bosnien-Herzegowina und Flüchtlinge, die von hier lebenden Verwandten und Bekannten, Wohlfahrtsorganisationen und Kirchen versorgt werden. Wie ein Flüchtling die Hilfe von Wohlfahrtsorganisationen beim bayerischen Grenzbeamten nachweisen soll, blieb indes unklar. Auch für die erklärte Absicht, Bürgerkriegsflüchtlinge nicht in das Asylverfahren zu drängen, konnten die Innenminister keine überzeugenden Maßnahmen nennen. Bereits hier lebende Bürgerkriegsflüchtlinge sollen ein Bleiberecht zunächst bis zum 30.September erhalten. "Darüber hinaus", so die Innenminister schließlich, "sind die Länder bereit, Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufzunehmen, sofern darüber eine europäische Kontingentvereinbarung getroffen wird." Denn bisher liegt die Bundesrepublik "an der Spitze der Staaten", betonte Seiters mehrfach. Er wies zurück, daß die Bundesrepublik sich abschotten würde. Diese Sicht teilte auch der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD), der, zwar nicht glücklich mit der Visumpflicht, auch findet, daß "nicht die übrigen europäischen Länder aus der Verantwortung" entlassen werden sollten. Auch deshalb brauche die Bundesrepublik die Visaerteilung als Steuerungsinstrument. Schnoor: "Ich kann Seiters nicht kritisieren." Im Vorfeld der Innenministerkonferenz hatte der rheinland-pfälzische Innenminister Walter Zuber (SPD) die Aufhebung der Visumpflicht gefordert. Der SPD-Parteivorstand wiederholte die Forderung nach einem befristeten Bleiberecht. "Seit vielen Monaten bilden Menschen aus dem zerbrechenden Jugoslawien die weitaus stärkste Gruppe in der Statistik der Asylsuchenden. Das müßte nicht sein, wenn ihnen ein vorübergehendes Bleiberecht ohne förmliches Asylverfahren gewährt würde." Ein "Notstandsprogramm für die menschenwürdige Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen" forderte der Bundestagsabgeordnete Konrad Weiß (Bündnis90/ Grüne). Die Wohlfahrtsverbände und die Flüchtlingshilfeorganisation "Pro Asyl" forderten eine Aufhebung des Visumszwangs. "Es dürfe keine ,Aussortierung` von Flüchtlingen nach Kriterien wie verwandtschaftliche Beziehungen oder Grad einer Verwundung geben", so der Sprecher von "Pro Asyl" , Herbert Leuninger. Die Wohlfahrtsverbände wiesen auf eine Bundestagsentschließung aus dem Jahre 1979 hin. Danach muß Flüchtlingen aus Krisen- und Bürgerkriegsgebieten aus humanitären Gründen zumindest vorübergehend Schutz und Aufnahme in der Bundesrepublik gewährt werden. Das Deutsche Rote Kreuz gab an, daß gegenwärtig mehr als 1,3 Millionen Flüchtlinge im ehemaligen Jugoslawien zu versorgen sind. Tissy Bruns, Bonn
Europäische Konferenz ohne Ergebnisse Die Wiener Hofburg war Schauplatz eines europäischen Schauspiels, das besser erst gar nicht initiiert worden wäre. Da trafen sich Vertreter aus zehn europäischen Ländern, um "Hilfestellung für die größte politische und menschliche Tragödie seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa", sprich das Flüchtlingselend in Bosnien, zu leisten. Das Ergebnis ist beschämend: Kein europäisches Land wird die Bürgerkriegsflüchtlinge ohne große Formalitäten aufnehmen, eine generelle Grenzöffnung ohne Aufnahmequoten für Flüchtlinge wird es nicht geben. Die Frage der Aufnahmequoten wurde erst gar nicht behandelt. Dafür hätten die Konferenzteilnehmer keine Befugnis gehabt, erklärte der österreichische Innenminister Franz Löschnak. "Hilfe vor Ort wird man aber leisten", meinte Michel Veuthey, Generaldelegierter des Internationalen Roten Kreuzes, und er listete auf: Kroatien werde Zelte für 100.000 Flüchtlinge erhalten. Länder wie Deutschland, Frankreich und England werden sich um Kriegsverletzte kümmern und in ihren Ländern behandeln. Österreich und die Schweiz sind Initiatoren einer Kinderhilfe während der Sommerzeit. Die Delegierten aus Griechenland, Rumänien, Bulgarien und Ungarn und Slowenien führten Dutzende von Gründen an, warum sie leider gezwungen seien, ihre Grenzen für Flüchtlinge zu schließen. Dabei war man in den vornehmen Sälen der Wiener Hofburg bestens informiert über die dramatische Lage in Bosnien. Es lagen sehr detailliertes Zahlenmaterial, Fallbeispiele von willkürlichen Verhaftungen und Geiselnahmen, von Massakern an der Zivilbevölkerung und anderen Menschenrechtsverletzungen vor, die gegen die Genfer Kriegskonvention verstoßen. Auch der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg kam auf. Bewußt greife die jugoslawische Armee und serbische Freischärler Bevölkerungszentren an, zerstöre zivilen Wohnraum, einzig mit der Absicht, Menschen zu vertreiben. Derzeit sind demnach in Bosnien 700.000 Menschen auf der Flucht, wovon die Hälfte bereits in Kroatien Zuflucht fand. Roland Hofwiler, Wien
Chaotische Zustände im Aufnahmelager Schwalbach/ "Pro Asyl" kritisiert rot-grüne Landesregierung Von Klaus-Peter Klingelschmitt Frankfurt/Main (taz) - "Diese Zelte sind sichtbare Zeichen für das politische Versagen dieser Landesregierung." Herbert Leuninger, Sprecher der Flüchtlingshilfevereinigung "Pro Asyl" , forderte gestern die rot-grüne Regierungskoalition in Hessen auf, mehr als hundert Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und Kroatien in Kasernen unterzubringen. Die Neuankömmlinge konnten in der Zentralen Aufnahmestelle für AsylbewerberInnen (HGU) in Schwalbach bei Frankfurt wegen Überbelegung nicht mehr aufgenommen werden. Die gestern auf Anordnung von Sozialministerin Iris Blaul (die Grünen) aufgestellten Zelte seien "Symbole der Flüchtlingsabschreckung" und maximal in einem akuten Katastrophenfall akzeptabel. Leuninger verlangt die Einrichtung eines "Krisenstabes" in Wiesbaden, denn die zuständige Ministerin sei "eindeutig überfordert". Leuninger: "Da müssen Sofortmaßnahmen eingeleitet und langfristig greifende Konzepte entwickelt werden." Bereits am Montag hatte der hessische Flüchtlingsbeirat nach einer Tagung in Mörfelden-Walldorf die Landesregierung aufgefordert, einen "Runden Tisch" zum Thema Asyl einzurichten. Vor dem Erstaufnahmelager herrschten am Wochenende und am Montag chaotische Zustände: Flüchtlinge kampierten in Gruppen vor dem Eingangsbereich des wegen Überfüllung geschlossenen Lagers - ohne ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und Getränken. Lediglich einige Kirchengemeinden kümmerten sich vor allem um Frauen und Kinder und boten Übernachtungsmöglichkeiten an. Erst am Montag wurde vor der HGU ein Container mit Toiletten und Waschbecken aufgestellt. Wegen der "unakzeptablen Lage" hat der Landrat des Main-Taunus-Kreises, Jochen Riebel (CDU), inzwischen den Rücktritt von Sozialministerin Blaul gefordert. Die Grüne, so Riebel, sei "offensichtlich unfähig, die Probleme in Schwalbach zu lösen". Besonders in Harnisch brachte den Landrat ein an die Flüchtlinge verteilter - inzwischen zurückgezogener - Handzettel, auf dem die potentiellen AylbewerberInnen, die eigentlich Konventionsflüchtlinge sind, aufgefordert wurden, sich wegen finanzieller Unterstützung an den Landkreis zu wenden. Der "Arbeitskreis für Beratung und Hilfe von Flüchtlingen" in Eschborn hatte schon letzte Woche Strafanzeige gegen die Ministerin erstattet. Ministeriumssprecherin Susanne Nöcker machte auf Nachfrage den Bund für die Engpässe in der HGU verantwortlich. Inzwischen stapelten sich in Zirndorf 300.000 unerledigte "Fälle" - "und wir können deshalb die Flüchtlinge in der HGU nicht auf die Kommunen verteilen". Dazu komme, daß die Flüchtlinge aus Jugoslawien, deren Status als "De-facto-Flüchtlinge" inzwischen geklärt sei, noch immer in das Asylverfahren hineingedrängt würden, weil die Kommunen nicht bereit seien, für diese Flüchtlinge Sozialhilfe zu zahlen. Die Landesregierung, so Nöcker, arbeite inzwischen an einem Gesetzentwurf, mit dem sichergestellt werden soll, daß die Kommunen bei der Aufnahme der Konventionsflüchtlinge finanziell entlastet werden. Aus dem Entwurf soll dann eine hessische Bundesratsinitiative werden. Das Aufstellen der Zelte in Schwalbach sei notwendig geworden, weil die Verträge mit dem Bund zur Nutzung von leeren Kasernen in Hessen noch immer nicht unterzeichnet worden seien. kpk
Frankfurt (ap) - Die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl hat kritisiert, daß Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und anderen Regionen des früheren Jugoslawiens an der deutschen Grenze zurückgewiesen würden. In einem am Donnerstag in Frankfurt veröffentlichten Brief an Bundesinnenminister Rudolf Seiters forderte die Organisation, die Grenzblockade sofort zu beenden und den Abschiebestopp für die Flüchtlinge zu verlängern. "Rufen Sie den Bundesgrenzschutz an der Grenze und die Behörden im Inland auf, alles nur Erdenkliche zu tun, um Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen", forderte Pro-Asyl - Sprecher Herbert Leuninger. Das diplomatische Versagen der Europäischen Gemeinschaft, den Krieg zu stoppen, dürfe nicht in einem inhumanen Desaster gegenüber Flüchtlingen enden. Eine Zurückweisung von Menschen aus "Terrorregionen" sei weder mit der Genfer Flüchtlingskonvention noch mit dem Grundgesetz vereinbar.
Kommentar herbert leuninger GASTKOMMENTAR Das Asylthema beschäftigte am Wochenende Politiker von Kinkel bis Kronawitter In seiner jüngsten Studie Die globale Revolution befürchtet der 'Club of Rome`, daß es in den Industrieländern des Nordens und des Westens zu einem deutlichen Anwachsen des Rassismus kommt. Sogar die Gefahr, daß durch demokratische Wahlen rechte Diktatoren an die Macht gelangen, schließt er nicht aus. Diese Entwicklung wäre die Folge immer größer werdender Flucht- und Wanderungsbewegungen, die durch die wachsende Bevölkerung, durch fehlende Chancengleichheit sowie Tyrannei und Unterdrückung ausgelöst würden. Gebührt dem Asylthema also nicht weiterhin höchste Priorität? Muß es nicht so weiter gehen wie jetzt am Wochenende, wo alle wichtigen PolitikerInnen, die noch nicht im Osterurlaub sind, Grundgesetzänderung, europäische Asylharmonisierung und den unsäglichen Asylkompromiß als Rettung vor den Flüchtlingen traktieren? Das Asylthema ist aber nicht das Spitzenthema des 'Club of Rome`. Flüchtlinge werden auch nicht als Gefahr für die Menschheit, die Welt oder irgendeine der großen Nationen aufgeführt. Sie sind höchstens die bedrückenden Anzeichen für die schwer gestörte Weltwirtschaft, für den bedenklichen Zustand der weltweiten Nahrungsmittelversorgung, die Gefahr einer Energieknappheit und die gravierenden Veränderungen des Weltklimas. Das Asylthema ist auch in der Bundesrepublik nicht das Thema. Es gibt höchstens die durch mangelnde Vorsorge, einen zusammengebrochenen Wohnungsmarkt und das irrationale Vertrauen auf die Wirkung von Abschreckungsmaßnahmen vorhandenen Engpässe bei der Unterbringung von Asylbewerbern. Es gibt den weitgehend selbstverschuldeten Leidensdruck von KommunalpolitikerInnen, Oberbürgermeistern und Oberstadtdirektoren, denen der abgewrackte Wohnraum ausgeht und die jetzt auf das Wohnraumangebot von Miethaien angewiesen sind. Die Spitzenthemen dieser Republik sind die Themen des römischen Klubs! Und dabei insbesondere die Aufgabe, die die Vereinigung Deutschland und der Zusammenbruch der osteuropäischen Volkswirtschaften stellt: nämlich die Summen in einer bislang unvorstellbaren Größenordnung zu verhindern, daß Ostdeutschland und die Weiten Osteuropas in einer Art kapitalistischen Morgenthau-Plans deindustrialisert werden. Hier dürfte den PolitikerInnen der Stoff in den nächsten Jahrzehnten eigentlich nicht mehr ausgehen. Hier werden die Fluchtbewegungen der Zukunft verhindert oder nicht verhindert. Die direkten Ausgaben für Flüchtlinge sind dagegen eher ein Klacks. Herbert Leuninger Der Autor ist Sprecher von ' Pro Asyl `
CDU macht Flüchtlingspolitik zum zentralen Wahlkampfthema/ Streit nimmt trotz Bonner Einigung weiter an Schärfe zu/ Erneut Grundgesetzänderung verlangt/ Asyl-Kompromiß läßt Fragen offen Frankfurt (ap/taz) - Die CDU will die Asylpolitik zum zentralen Wahlkampfthema für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein machen. Ungeachtet der Bonner Einigung auf eine Beschleunigung der Asylverfahren nahm der Streit darüber am Wochenende weiter an Schärfe zu. Bundeskanzler Kohl und der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Schäuble, erneuerten ihre Forderung nach einer Grundgesetzänderung. SPD und FDP wiesen das Ansinnen postwendend zurück. Weiter kontrovers bleibt auch das Verlangen der SPD-regierten Länder, der Bund möge die Zuständigkeit für asylpolitische Entscheidungen übernehmen. Dieser Punkt war bei der Verständigung von CDU/CSU, FDP und SPD auf ein neues Asylverfahrensgesetz am Freitag abend als strittig ausgeklammert worden. Ohne diese Einigung ist allerdings der ganze "Asyl-Kompromiß" zwischen den Altparteien mehr als zweifelhaft. Einigkeit wurde dagegen in der Frage der radikalen Beschleunigung der Asylverfahren und bei Sammelunterkünften erzielt. Bundesinnenminister Seiters lehnte eine Übernahme aller Zuständigkeiten für asyl- und ausländerrechtliche Entscheidungen durch den Bund ab. Eine Übertragung der Entscheidungsbefugnisse in Sachen Asylrecht auf den Bund lehnten auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms und der stellvertretende Chef der Unionsfraktion, Johannes Gerster, ab. Die alleinige Zuständigkeit des Bundes hatte vor allem der niedersächsische Ministerpräsident Schröder (SPD) verlangt. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms warf dem Koalitionspartner CDU am Sonntag vor, das Asylrecht als Wahlkampfthema zu mißbrauchen. Auch der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Klose, bekräftigte, eine Grundgesetzänderung, wie sie sich die CDU vorstelle, werde es mit seiner Partei nicht geben. Ähnlich wie Solms fügte er aber hinzu, wenn es im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention eine europäische Lösung gebe, die deutschen Standards an ein Individualrecht gerecht werde, sei eine andere Situation da. Die Hilfsorganisation "Pro Asyl" kritisierte am Samstag den Bonner Asylkompromiß massiv. Ihr Sprecher Herbert Leuninger erklärte: "Dieser Gesetzentwurf richtet sich gegen wirkliche Flüchtlinge." Der Parteienkompromiß bedeute in der Praxis, "daß Internierungslager geschaffen werden, in denen die Lagerverwaltung Polizeibefugnisse erhält". Flüchtlinge würden durch neue Haftgründe bei Ordnungswidrigkeiten kriminalisiert, außerdem werde eine Art Sonderjustiz eingeführt. "Pro Asyl" wende sich vor allem gegen die Bestimmung, daß Asylbewerber nach nur einer Anhörung abgeschoben werden könnten.
Tamilische und afghanische Flüchtlinge sollen in Zukunft leichter abgeschoben werden Berlin (taz) - Während andere schon gute Wünsche für das neue Jahr auflisten, fragen sich Flüchtlinge aus Sri Lanka, Afghanistan und dem Irak seit Wochen, ob sie 1992 womöglich wieder im Bürgerkrieg, auf einem Minenfeld oder in Verstecken vor irakischen Truppen verbringen werden. Am 31. Dezember läuft die Abschiebestoppregelung für Kurden aus dem Irak, Tamilen aus Sri Lanka und Flüchtlinge aus Afghanistan aus. In einem Schreiben an die Innenminister der Länder hat Bundesinnenminister Seiters nun vorgeschlagen, den Abschiebestopp für irakische Kurden bis zum 30. Juni zu verlängern. Im Fall der Tamilen soll in Zukunft jedoch jeder einzelne nachweisen, daß ihm im Fall einer Abschiebung "Gefahr für Leib und Leben" droht. Paradoxerweise erkennt Seiters jedoch an, daß sich die Menschenrechtssituation in Sri Lanka verschlechtert habe. Flüchtlinge aus Afghanistan hätten nach Vorschlag von Seiters dann keine Chance mehr auf eine Duldung, wenn sie über Pakistan nach Deutschland gekommen sind. Zumindest in Nordrhein-Westfalen können die Betroffenen über die nächsten sechs Monate etwas ruhiger schlafen. Die Landesregierung signalisierte Bonn ihr Einverständnis mit den Seiters-Vorschlägen, will den Abschiebestopp jedoch für alle drei Flüchtlingsgruppen generell bis zum 30. Juni 1992 verlängern, erklärte gestern Innenminister Schnoor. Eine längere Laufzeit als sechs Monate läßt das neue Ausländergesetz nicht mehr zu. Seinen Kollegen in den anderen Bundesländern empfahl er, genauso zu verfahren. Gleichzeitig forderte Schnoor Lageberichte des Auswärtigen Amtes zur Situation in Somalia, dem Süden des Sudan und Zaire an. Die aktuelle Situation lege die Frage nahe, ob nicht auch in solchen Fällen ein Abschiebestopp verhängt werden sollte. Kritik an den Seiters-Vorschlägen übten die "Gesellschaft für bedrohte Völker und die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Pro Asyl . Deren Sprecher Herbert Leuninger erklärte, das Vorhaben, afghanische und tamilische Flüchtlinge mit Beginn des neuen Jahres verstärkt abzuschieben, beweise, daß das "politische Klima für Flüchtlinge immer eisiger" werde. Pro Asyl fordert einen generellen Abschiebestopp für Flüchtlinge, die aus Krisen- und Kriegsgebieten kommen. Auch amnesty international hatte sich für eine uneingeschränkte Verlängerung der Abschiebestoppregelungen eingesetzt. Unklar ist bislang noch, ob einigen Bundesländern selbst die Seiters- Vorschläge nicht zu weit gehen. Vor allem Bayern hatte sich im Sommer dieses Jahres, als die Duldungsregelungen für Tausende von De-facto- Flüchtlingen ausliefen, für eine rigide Abschiebepolitik stark gemacht. Im bayerischen Innenministerium wollte man sich zu dem Schreiben Seiters' nicht weiter äußern, da man, so ein Sprecher, erst vor kurzem davon informiert worden sei. "Im Prinzip kann man aber davon ausgehen, daß wir dem zustimmen."
Der 9. November ist bundesweiter Aktionstag für Ausländer und gegen Rassismus/ Forderungen nach Beendigung der Asyldebatte/ Mehr Polizeischutz für Asylsuchende verlangt Von Ferdos Forudastan Bonn (taz) - "Tagtäglich werden wir von Kurdinnen und Kurden angerufen, die Angst haben, noch länger hier zu leben." So etwa begründete gestern vor JournalistInnen in Bonn ein Vertreter der "Föderation der kurdischen Arbeitervereine in der BRD" (KOMKAR), weshalb seine Organisation den bundesweiten Aktionstag gegen Fremdenhaß am 9. November mitgestaltet. Ihm geht es auch im Hinblick auf diesen Tag vor allem darum, deutlich zu machen, "wie heuchlerisch" die laufende Asyldebatte und die Forderung deutscher Regierungspolitiker nach Bekämpfung der Fluchtursachen in den jeweiligen Ländern ist. Wenn Bonn Länder wie die Türkei unterstütze, in der die Rechte der Kurden ständig und massiv verletzt würden, könne es nicht gleichzeitig seine Grenzen für diese Menschen schließen und verlangen, daß die Fluchtursachen bekämpft würden. Ähnliche und andere Ziele des Aktionstages stellten auf der Pressekonferenz auch Vertreter anderer Organisationen dar, die Aktionen gegen Fremdenhaß am 9. November in vielen Städten der Bundesrepublik organisieren. "Der Schock über die Angriffe auf Ausländer hat eine Solidarisierung ausgelöst. Es hat dieses Schocks aber auch bedurft." Mit diesen und anderen deutlichen Worten forderte Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl, viel mehr als bisher gegen die grassierende Ausländerfeindlichkeit zu unternehmen. Die Bürgerbewegung gegen den Rassismus sei notwendig, da der Staat und die Regierung derzeit "versagen, wie es seit 1945 einmalig ist". Was Leuninger von den sich mit angegriffenen und bedrohten AusländerInnen solidarisierenden Menschen und Organisationen erwartet: Sie müßten die taktische Verstrickung von CDU, CSU, FDP und SPD in die Asyldebatte deutlich machen. Diese Debatte sei entscheidend ursächlich für die Übergriffe. Sie bewirke außerdem, daß die AusländerInnen vom Staat nicht genügend geschützt würden. Der Pro-Asyl - Sprecher forderte außerdem einen besseren Polizeischutz, "der aber nicht in dem Umfang gewährleistet werden kann, wie er gewährleistet werden muß". Und deshalb "müssen auch die Bürgerbewegungen weiterhin mit für den Schutz der Ausländer sorgen". Seine besonders heftige Kritik an den vereinbarten Sammellagern unterstützte auch Manni Stänner vom Netzwerk Friedenskooperative: Schon heute käme es nicht zu so vielen Übergriffen, wenn die Asylbewerber dezentral und integriert in Wohnungen untergebracht würden. Ozan Ceyhun, einer der Sprecher des bundesweiten Netzwerkes SOS-Rassismus, rief die deutschen Politiker, allen voran Kanzler Kohl, dazu auf, am 9. November gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. In milderer Form wandten sich gestern in Bonn Vertreterinnen des "Frauenbündnis 90" gegen die Asylpolitik. So verlangte das Bündnis, dem Politikerinnen aller Parteien und Vertreterinnen gesellschaftlicher Gruppen angehören, die "Asyldebatte nicht weiter in einem Stil zu führen, daß Fremdenfeindlichkeit weitere Nahrung erhält".
Bundesweites Kirchenasyltreffen in Nürnberg fordert Schutzgarantien für Flüchtlinge/ Kirchenasyl als "letzte Möglichkeit"/ "Nürnberger Deklaration" fordert die Öffnung von Kirchen. Aus Nürnberg Bernd Siegler Unter dem Eindruck der zunehmenden Pogromstimmung gegen Ausländer forderte ein bundesweites Kirchenasyltreffen in Nürnberg die Kirchen auf, für die Flüchtlinge eindeutig Stellung zu beziehen. Den Auftrag der Kirche ernst zu nehmen, bedeutet für die etwa 100 Gemeindemitglieder und Pfarrer aus dem ganzen Bundesgebiet, die sich in Nürnberg versammelt haben, notfalls Flüchtlinge vor der Abschiebung zu schützen. Sie appellierten in einer "Nürnberger Deklaration" deshalb an Christen, Gemeinden, Kirchen, Gemeindehäuser und -wohnungen für Flüchtlinge zu öffnen und für die Bewahrung und Verwirklichung von Menschenrechten "mehr zu wagen" als bislang geschehen ist. Das bundesweite Treffen in Nürnberg kam auf Initiative der Freien Flüchtlingsstadt Nürnberg und der evangelischen Kirchengemeinde St.Jobst zustande. Mitglieder und Pfarrer dieser Gemeinde hatten 1990 einen Flüchtling aus Bangladesch ein halbes Jahr lang vor dem Zugriff der bayerischen Behörden versteckt. Bundesweit bisher einmalig ging die Staatsanwaltschaft auf Weisung des bayerischen Innenministeriums gegen die Kirchenasyl-Aktivisten wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz vor. Gegen eine Zahlung von einer Geldbuße in Höhe von jeweils 250 DM wurde das Verfahren schließlich eingestellt. Bayerns Innenminister Edmund Stoiber ließ bislang keinen Zweifel offen, daß er Kirchenasyl als Rechtsbruch betrachtet und Kirchen keine rechtsfreien Räume seien. Ähnlich der in den USA erfolgreichen "Sanctuary- Bewegung" wollte nun die Kirchengemeinde St. Jobst einen Anstoß geben für einen Erfahrungsaustausch zwischen den am Kirchenasyl interessierten Gemeinden mit denen, die Kirchenasyl bislang schon praktiziert haben. Um die bisherige stark zurückhaltende Position der Kirchen in der Ausländer- und Asylfrage zu geißeln, schreckte der katholische Theologe Herbert Leuninger, seit fünf Jahren Sprecher von "Pro Asyl" , auch vor nahezu ketzerischen Tönen nicht zurück: "Die Kirche ist die Einrichtung, die es Menschen ermöglicht, sich als Christen zu fühlen, ohne es sein zu müssen." Leuninger forderte die Kirchen in der Bundesrepublik auf, endlich "Anwalt der Schwachen und Stimme der Stimmlosen" zu werden. Der Theologe gibt sich jedoch nicht der Illusion hin, daß sich die unbewegliche Großinstitution Kirche entscheidend verändern lasse. "Aus einem Elefanten kann man kein Rennpferd machen", die Gemeindemitglieder müßten jedoch von der Basis her versuchen, "den Elefanten auf Trab zu bringen", indem sie die Kirche an ihren "moralischen Wurzeln packen". Eine dieser Wurzeln ist für Leuninger das Eintreten für und der Schutz von Flüchtlingen. Sollte Gemeindemitgliedern vom Pfarrer die Kirche als Räumlichkeit verwehrt werden, sollten sie einfach einen "anderen Raum zum Kirchenasyl deklarieren". In der Kritik am offiziellen Verhalten der Kirchen waren sich die Kirchenasyl-Aktivisten einig. "Ich fühle mich von der Kirche verlassen", empörte sich Frau M. aus Königsbronn bei Heidenheim (Baden- Württemberg). Zusammen mit zwei weiteren Frauen versteckt sie einen 25jährigen Kurden vor der drohenden Abschiebung. M. will ihren Namen nicht genannt wissen, da ihr Eintreten für Flüchtlinge in der 6.000-Einwohner-Gemeinde nicht ohne Folgen geblieben ist. Ihr Freundeskreis hat sich stark verändert, sie verspürt Unsicherheit und Ablehnung bei den Anwohnern. Der Versuch von M., zusammen mit dem örtlichen Pfarrer für den Schutz von Flüchtlingen einzutreten, schlug auch nach einem Anschlag auf die örtliche Sammelunterkunft fehl. "Der Pfarrer meinte nur, er könne mit Fremden sowieso nicht umgehen." Von der in Nürnberg verabschiedeten "Deklaration" erhofft sie sich eine Signalwirkung und eine Erleichterung für ihre Arbeit vor Ort. Für Ulrike Voß von der Nürnberger Initiative "Freie Flüchtlingsstadt" ist es jetzt entscheidend, daß die Kirchen oder zumindest einzelne Gemeinden eindeutig Position beziehen. Sie hält es jedoch für falsch, "auf die Kirchenführung zu warten".
WIDERSTAND GEGEN FREMDENHASS Nürnberg (taz) - Christen, Gemeinden und Kirchen sollen notfalls von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen Asyl gewähren. Das forderten gestern die Teilnehmer eines bundesweiten Kirchenasyltreffens in Nürnberg. Der katholische Theologe Herbert Leuninger ging mit den "unbeweglichen Großinstitutionen Kirche" hart ins Gericht: Sie sollten sich endlich zum "Anwalt der Schwachen und Stimme der Stimmlosen" machen. Notfalls müßten die Gemeinden auch die eigenen Pfarrer unter Druck setzen. Unterdessen ging die Asyldebatte weiter. Der bayerische Innenminister Stoiber prognostizierte ein "Umfallen" der SPD in der Frage der Grundgesetzänderung.
Bonn verurteilt natürlich die Anschläge, der Rest "ist Ländersache"/ Hilfsorganisationen fordern: "Schluß mit der Asyldebatte!" und konzertierte Aktionen der Kommunen Bonn fühlt sich nicht zuständig. Diesen Eindruck vermittelt die Bundesregierung, auch jetzt noch, wo Deutsche hier lebende AusländerInnen immer zahlreicher, immer brutaler angreifen. Natürlich verurteilten alle politischen Kräfte die Anschläge, das müsse man doch nicht jeden Tag von neuem deutlich machen, außerdem sei der Schutz gefährdeter Ausländer vor allem Sache der Länder. So beschied Regierungssprecher Dieter Vogel gestern Bonner JournalistInnen zum Thema. Zwar stellte er in Aussicht, daß der Bundesgrenzschutz überall dort helfen werde, wo dies "möglich" sei. Über weitere Initiativen denkt die CDU/CSU/FDP-Regierung, so mußte man Vogel verstehen, jedoch nicht einmal nach. Und auch der Sprecher des Bonner Innenministeriums hielt sich deutlich zurück: Hinweise auf eine möglicherweise zentrale Steuerung der vornehmlich von Rechtsradikalen ausgeführten Anschläge auf Ausländerwohnheime lägen nicht vor, sagte er knapp. Außerdem war aus seinen Worten zu schließen, daß das Haus Schäuble sich, bisher jedenfalls, nicht bemüht zu erkunden, ob die Übergriffe teilweise von rechtsradikalen Gruppierungen organisiert werden. Ganz deutlich wurde er nur einmal: "Die ganze Sache ist Ländersache." Ganz anders sehen das jene, die sich um die Belange der immer stärker bedrohten Asylbewerber und anderen Ausländer hierzulande kümmern. So macht etwa Wolfgang Grenz, Flüchtlingsexperte der deutschen Sektion von amnesty international in Bonn gerade die Bundesregierung mitverantwortlich. Wer wie der Bundeskanzler am Tag der Einheit die Übergriffe zwar verurteile, im gleichen Atemzug aber den angeblichen Mißbrauch des Asylrechts verurteile, "der liefert im Namen der Politik eine billige Rechtfertigung dieser Vorfälle". Und: Wer die Asyldebatte in einem solchen Zusammenhang führe, "der braucht sich über keinen Angriff auf Ausländer mehr zu wundern." Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, fordert darum, mit der Diskussion um das Asylrecht jetzt sofort aufzuhören. Die Diskussion sei nicht nur mitverantwortlich, sondern entscheidend für die Übergriffe, "deshalb legitimiert die Menschenjagd, wer die Asyldebatte jetzt weiter führt." In diese Kritik schließt Leuninger die "hier ebenso doppelbödige" SPD-Opposition und den Bundespräsidenten ein. SPD-Fraktionsvorsitzender Hans-Jochen Vogel hatte gestern ebenfalls die Angriffe auf Ausländer mit der Asylpolitik verknüpft: Daß die Bundesregierung noch immer nicht auf die Vorschläge der Sozialdemokraten zur Verkürzung der Asylverfahren eingehe, "begünstigt das Anwachsen einer emotionalen Überfremdungsangst". Richard von Weizsäcker hatte sich gestern bei dem Besuch eines Asylbewerberwohnheims in Bochum auf das Allgemeinmenschliche beschränkt: Auch mit ausländischen Mitbürgern sei das Teilen zu lernen. Weizsäcker: "Ich möchte dazu beitragen, daß wir jeden Tag von neuem erfahren, daß Deutsche und Ausländer Mitmenschen sind." Er dankte "allen Deutschen, die sich offenherzig gegenüber Ausländern verhalten". Und: "Jeder Tag gibt uns Gelegenheit, sich den Schwächeren gegenüber als hilfreich zu erweisen." "Wachsweich und ohne jede ernst zu nehmende Wirkung", nennt der Pro-Asyl -Sprecher und Pfarrer Herbert Leuninger solche Worte, wenn der Bundespräsident nicht gleichzeitig eindringlich das sofortige Ende der Asyldebatte fordere. Daß Einzelpersonen und Organisationen sich bisher vor allem dezentral mit den bedrohten AusländerInnen solidarisiert haben, begrüßt Wolfgang Grenz von amnesty. Solche Aktionen bundesweit zu steuern sei nicht nur sehr schwierig. Gerade in dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung komme es auf Aktionen vor Ort, in den Kommunen etwa, an. Herbert Leuninger stimmt dem zu - fordert allerdings dennoch "konzertierte Aktionen". So müßten sich die Kommunen zusammenschließen. Weiteten sich die Übergriffe aus, so sei es neben einem umfassenden lokalen Widerstand notwendig, auch auf Bundesebene alle Kräfte zu konzentrieren -"so wie dies die Friedensbewegung in ihren besten Zeiten getan hat". Ferdos Forudastan, Bonn
Mehr Aggressivität in Sammellagern befürchtet/ Emotionale Bundestagsdebatte Frankfurt/Bonn (ap/dpa) - Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl hat Bundeskanzler Helmut Kohl aufgefordert, zum Tag des Flüchtlings am 4. Oktober eine Asylbewerberunterkunft zu besuchen und sich damit auf die Seite der Schutzbedürftigen zu stellen. Der Sprecher des Vereins, Pfarrer Herbert Leuninger, äußerte am Mittwoch in Frankfurt/Main die Befürchtung, daß die Fremdenfeindlichkeit nicht mehr steuerbar die ganze Republik erfassen könne. Er forderte, die "verheerende Asyldiskussion" zu beenden, die er mitverantwortlich für Ausschreitungen gegen Ausländer machte. Rechtsextremisten fühlten sich zur Gewalt legitimiert, wenn sie nicht auf Widerstand in der Bevölkerung träfen. Die Vorschläge von Politikern, Sammellager für Asylbewerber einzurichten oder Ausländerwohnheime einzuzäunen, wies Pfarrer Leuninger zurück. Solche Maßnahmen würden die Aggressionsbereitschaft erhöhen. Asylverfahren könnten nach Ansicht der Organisation beschleunigt werden, indem die Flüchtlinge statt zwei- nur einmal angehört werden und die zuständigen Behörden rascher arbeiten. In einer emotionsgeladenen Debatte hat der Bundestag die Ausschreitungen der letzten Wochen verurteilt und vor Rechtsextremismus gewarnt. Der SPD-Abgeordnete Otmar Schreiner aus Saarlouis beschuldigte die CDU, "nationalistische Stimmung" zu schüren. Scharf griff er CDU-Generalsekretär Volker Rühe an und sagte, auch "Schreibtischtäter seien Täter". Um parteitaktischer Vorteile willen provoziere die CDU eine "Politik der verbrannten Erde". Die FDP-Generalsekretärin und designierte Ausländerbeauftragte Cornelia Schmalz-Jacobsen sagte unter Hinweis auf das negative Auslandsecho: "Wir bewegen uns 46 Jahre nach Adolf Hitler auf sehr dünnem Eis." Schmalz-Jacobsen bedauerte, daß die Ausschreitungen in Hoyerswerda "Volksfestcharakter" gehabt hätten.
INTERVIEW Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl , zu den Asylvorschlägen der SPD taz: SPD-Chef Björn Engholm hat ein Liste von Vorschlägen zum künftigen Umgang mit dem Asylrecht vorgelegt. Erhebliche Verfahrensbeschleunigungen - dies ist die Devise der Sozialdemokraten, mit der sie am kommenden Freitag in das sogenannte Allparteiengespräch zum Thema Asyl mit dem Kanzler gehen. Ist dies der richtige Ansatz? Herbert Leuninger: Verfahrensbeschleunigungen, wie sie die SPD jetzt vorschlägt, halte ich für falsch und für rechtsstaatlich nicht akzeptabel. Würden die Ideen der SPD Realität, verlöre das Asylgrundrecht wieder einmal ein Stück von seiner Substanz. Natürlich könnten die Asylverfahren schneller durchgeführt werden, ohne daß hierfür Rechte der Asylbewerber beschnitten würden. Dazu müßte aber der Verwaltungs- und Gerichtsapparat besser funktionieren. Dazu müßte mehr entsprechendes Personal eingestellt, mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Daß Asylbewerber ein bis zwei Jahre auf ihre Anhörung warten, daß Bescheide des Bundesamtes für die Anerkennung politischer Flüchtlinge erst nach vielen Monaten zugestellt werden, daß Gerichtsverfahren oft Jahre dauern: all dies müßte nach der geltenden Verfahrensordnung nicht sein. Die schon jetzt mit dem Rechtsstaatsprinzip kaum mehr zu vereinbarende Verfahrensordnung noch restriktiver auszugestalten, würde nichts bringen. Den Asylbewerbern und Bewerberinnen würde es aber noch mehr schaden. Vor allem möchten die Sozialdemokraten, daß alles noch schneller gehen kann. So soll in vielen Fällen nach Tagen das Verwaltungsverfahren, nach einigen Wochen dann das gesamte Verfahren abgeschlossen sein. Ist es das, was sie mit dem Rechtsstaat als nicht mehr vereinbar betrachten? Ja. Nehmen Sie beispielsweise die erste Anhörung vor der Ausländerbehörde. Schon jetzt wird dem Bewerber viel zuwenig Zeit gelassen, wird er sofort nach seiner Flucht ausgefragt. Oft steht er noch unter dem Schock dieser Flucht. So kann er Angst haben, daß seine Aussagen andere Flüchtlinge, die noch unterwegs sind, gefährden. Oder er befürchtet, daß seine in der Heimat zurückgebliebene Familie den Repressionen staatlicher Stellen ausgesetzt wird, nachdem diese von seiner Flucht erfahren haben. In diesem Zustand macht er für sein Verfahren verhängnisvolle Fehler, erzählt weniger, als er eigentlich erzählen könnte. Hätte er noch weniger Zeit zur Vorbereitung - so wenig, wie die SPD sich das wünscht - würde dies den Druck auf ihn noch verstärken. Außerdem wären Bewerber und Bewerberinnen mit geringem Bildungsgrad, die oft nur wenig lesen und schreiben können, noch stärker benachteiligt, als dies jetzt schon der Fall ist. Eine Tatsache übrigens, die die SPD bei ihren ganzen Beschleunigungsideen nicht zu bedenken scheint. Und schließlich können bestimmte behördliche oder gerichtliche Entscheidungen gar nicht in wenigen Wochen getroffen werden. Zum Beispiel die Entscheidung darüber, ob jemandem, der zwar kein Flüchtling im Sinne des Artikel 16 oder der Genfer Menschenrechtskonvention ist, nicht doch ein Bleiberecht, aus anderen, humanitären und rechtlichen Gründen etwa, zusteht. Die Sozialdemokraten wollen eine Anhörung abschaffen. Beschneidet auch das die Rechte der Asylbewerber? Nein. Dies halten wir sogar für sinnvoll. Die verschiedenen Anhörungen zusammenzufassen, würde den Verwaltungsaufwand reduzieren. Es würde den Asylbewerber nicht in Widersprüche treiben, in die er oft gerät, wenn er einmal direkt nach der Flucht und ein zweites Mal Monate später angehört wird. Allerdings müßte er in dieser einen Anhörung bessere Bedingungen haben. Er bräuchte in jedem Fall eine vorherige rechtliche Beratung, kompetente Dolmetscher und so weiter. Björn Engholm preist auch Gemeinschaftsunterkünfte, die das Verfahren vereinfachen und beschleunigen würden... Ich denke, die Vergangenheit hat hinreichend gezeigt, wie unmenschlich solche Sammellager sind und wie viele Probleme sie sogar hervorbringen. Saarluis, Freiburg, Hoyerswerda - das spricht doch alles für sich. Interview: Ferdos Forudastan
Die Genfer Flüchtlingskonvention wird 40 Jahre alt/ Doch beim Festakt in der Evangelischen Akademie Tutzing bei München wollte - mit Recht - keine Feierstimmung aufkommen/ Debatte um einen neuen Flüchtlingsbegriff Aus Tutzing Andrea Böhm Zu feiern gibt es eigentlich nichts - darin waren sich die FestrednerInnen einig. Folglich hatte der Festakt zum 40. Jahrestag der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) in der evangelischen Akademie Tutzing einen schalen Beigeschmack. Denn vierzig Jahre nach Unterzeichnung der GFK verwenden vor allem die westeuropäischen Staaten ausdauernd Energie und Phantasie darauf, Flüchtlingen die Inanspruchnahme der GFK zu verwehren. Uns in der Bundesrepublik ist das deutsche Pendant, der Asylartikel 16 Grundgesetz ("Politisch Verfolgte genießen Asylrecht"), unter Druck geraten. "Wir waren", so Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgruppe "Pro Asyl" , "noch nie so sehr in der Defensive." Wie man da herauskommt, hätte man in Tutzing ausführlich erörtern können, schließlich war man unter sich. Hauptsächlich MitarbeiterInnen aus dem Flüchtlings- und ImmigrantInnenbereich waren zum Festakt und zur Tagung über Flüchtlings- und Migrationspolitik angereist. Über Fluchtursachen sollte debattiert werden, über Sinn oder Unsinn eines Einwanderungsgesetzes (siehe Kasten) - vor allem aber über die Frage, ob die vor vierzig Jahren formulierte Definition des Flüchtlingsbegriffs heute noch tauglich ist angesichts von immer mehr Menschen, die auf Grund von Kriegen, Bürgerkriegen, Armut oder ökologischen Katastrophen fliehen müssen. Doch angesichts der flüchtlingsfeindlichen Stimmung in der Öffentlichkeit war vielen TeilnehmerInnen von vornherein Lust und Courage vergangen, über die Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs zu diskutieren. Da half auch nicht, daß zu Beginn Herbert Leuninger den Versammelten eine Standpauke hielt gegen diese vorauseilende Kapitulation vor Volkes Stimme. In der öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik, so Leuninger, habe sich in Sachen Asylpolitik vom Stammtisch bis in die Staatskanzleien das "primitivste Diskursmodell" durchgesetzt: Wer kein politisches Asyl bekommt, ist nicht verfolgt - ergo sind bei einer gegenwärtigen Anerkennungsquote von fünf Prozent die restlichen 95 Prozent der Asylsuchenden Wirtschaftsflüchtlinge. Leuninger will die Debatte um eine Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs gerade wegen der herrschenden öffentlichen Meinung und machte dies am Beispiel der seit dem 1. Juli von Abschiebung bedrohten de-facto-Flüchtlinge deutlich: also zum Beispiel Tamilen, Palästinenser, Kurden oder Libanesen, die sowohl durch das Interpretationsraster des Artikel 16 als auch der GFK fallen, weil sie in der Regel nicht "individuell" verfolgt sind, sondern "nur" vor einem Krieg, Bürgerkrieg, einem ethnischen Konflikt oder, wie viele Frauen, aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung geflohen sind. Die GFK erkennt als Flüchtling an, wer "aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung", wegen seiner politischen Überzeugung, Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe fliehen mußte, Fluchtmotive wie Krieg oder Bürgerkrieg kommen nicht vor. "Wir werden diese Menschen bei drohender Abschiebung zu schützen versuchen", sagt Leuninger, "aber wir müssen der Öffentlichkeit auch erklären können, warum wir das tun." Humanitäre Prinzipien allein reichten da nicht aus, man müsse zumindest einen alternativen Flüchtlingsbegriff offensiv vertreten. Vorbilder gibt es genug. Für die Mitgliedsstaaten der "Organisation für afrikanische Einheit" (OAU) ist anerkannter Flüchtling, wer unter anderem aufgrund von "Ereignissen, welche die öffentliche Ordnung in einem Teil des Landes oder dem gesamten Land ernsthaft stören", fliehen mußte. Auf eine ähnlich umfassende Definition haben sich 1984 zehn lateinamerikanische Regierungen geeinigt; mit Hinweis auf die OAU hat auch das Europäische Parlament 1987 die EG aufgefordert, eine Neudefinition zu versuchen, die den realistischen Fluchtursachen entspricht. Vehementen Widerspruch erntete Leuninger ausgerechnet von einem Vertreter des Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR). Ein Flüchtlingsbegriff wie bei der OAU sei schön und gut, aber mangels politischem Willen nicht durchsetzbar, erklärte Peter Nicolaus, UNHCR- Vertreter beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf. Würden die Staaten Europas den Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention nur richtig anwenden, "dann wäre die ganze Debatte um Erweiterung überflüssig". Die sei schließlich vor vierzig Jahren nicht formuliert worden, um ausschließlich individuell Verfolgten Schutz zu gewähren, sondern unter dem Eindruck der Massenfluchtbewegungen in Europa. Ähnlich argumentierte Michel Moussalli, Direktor des UNHCR in Genf, in seiner Rede während des Festaktes. Hätte man 1956, als nach der Niederschlagung des Aufstands durch die Sowjets Tausende von Menschen aus Ungarn flohen, die heute herrschende Interpretation der GFK abgewandt, "wären sie, wie heute die Tamilen oder Libanesen, nicht anerkannt worden." In Anwesenheit von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und der bayerischen Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner richtete Moussalli in einem für den UNHCR ungewöhnlich scharfen Ton die Aufforderung Richtung Bonn und München, "in keinem Fall Flüchtlinge in Krisengebiete abzuschieben". Den nötigen politischen Willen demonstrierte auf seiten der anwesenden Politikerinnen - in Tutzing waren es ausnahmslos Frauen - einzig und allein Rita Süssmuth. "Artikel 16 des Grundgesetzes muß in seiner gegenwärtigen Form bestehen bleiben", erklärte die Bundestagspräsidentin in einer Unmißverständlichkeit, zu der sich zum Beispiel SPD-Sprecherin Cornelie Sonntag-Wolgast nicht durchringen wollte. Das deutsche Asylrecht, so Süssmuth, dürfe man sich auch in der Diskussion um eine europäische Harmonisierung nicht nehmen lassen - ein Standpunkt, der bei den meisten ihrer Parteigenossen helles Entsetzen hervorrufen dürfte. Dem versammelten Publikum war es Balsam auf die Wunden - denn ansonsten kam festliche Stimmung nur beim folkloristischen Begleitprogramm auf. Das durften die bestreiten, über die den ganzen Tag geredet wurde: die Flüchtlinge.
40 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention - kein Anlaß zum Feiern Tutzing (taz) - Zu feiern gab es eigentlich nichts - darin zumindest waren sich die FestrednerInnen einig. Denn vierzig Jahre nach Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention verwenden vor allem die westeuropäischen Staaten viel Energie und Phantasie darauf, sich gegen die Anwendung der Konvention abzuschotten. "Wir waren", so Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgruppe "Pro Asyl" , "noch nie so sehr in der Defensive." Abhilfe hätte man in Tutzing ausführlich erörtern können, schließlich war man unter sich. Doch angesichts einer flüchtlingsfeindlichen Öffentlichkeit war vielen TeilnehmerInnen von vornherein Lust und Courage vergangen, über die Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs zu diskutieren.
Am 30. Juni laufen die Duldungen für Flüchtlinge aus Krisenregionen aus Ab dem 1. Juli droht Zehntausenden hier lebenden Flüchtlingen die Abschiebung, wenn die von den Bundesländern erlassenen Abschiebestoppregelungen auslaufen und der Bundesinnenminister entscheidet, wer bleiben darf und wer nicht. Die Welle wird nicht hoch sein, aber lang. Sie wird sich nicht krachend überschlagen, aber sie wird immer wieder anrauschen." Wolfgang Grenz, Flüchtlingsreferent von der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) in Bonn, skizziert für den kommenden 1. Juli ein zunächst überraschendes Bild. Daß die Bundesrepublik rein rechtlich ab diesem Tag nach ai-Schätzungen 50.000 bis 100.000 Flüchtlinge ohne festen Aufenthaltsstatus abschieben könnte, hatte in der letzten Zeit für zum Teil dramatische Schlagzeilen gesorgt: "Massive Abschiebewelle am 1. Juli" und "Massenabschiebungen noch in diesem Sommer". Einem Teil von ihnen sind in den letzten Wochen bereits Briefe ins Haus geflattert, in denen die Ausländerbehörden die nach dem 1. Juli bevorstehende Abschiebung ankündigen. Im Juli aber, im Sommer überhaupt, meint Wolfgang Grenz, werde erst einmal nicht viel passieren. Vielleicht bleibe es auch im Herbst "recht ruhig". Wenn bis dahin allerdings "die Sachlage" noch so sei wie heute, dann würden regelmäßig, über Monate und Jahre hinweg, Zehntausende von sogenannten De-facto-Flüchtlingen aus der Bundesrepublik abgeschoben - Flüchtlinge, die seit vielen Jahren hier leben. Flüchtlinge, die in ihren Herkunftsländern von Folter und Todesstrafe, Krieg, Bürgerkrieg und Willkürjustiz bedroht sind. "Die Sachlage": Bisher durfte auch ein Teil jener Flüchtlinge bleiben, deren Asylbegehren die deutschen Richter abgelehnt hatten. Voraussetzung war eine bedrohliche Situation in den jeweiligen Heimatländern. Die einzelnen Bundesländer setzten die Abschiebung in bestimmte Staaten "aus humanitären Gründen" generell aus. So wurden Palästinenser nicht in den Libanon und Tamilen nicht nach Sri Lanka zurückgeschickt, weil dort zur Zeit Bürgerkrieg herrscht. Iraner durften hierbleiben, weil ihnen in der Heimat Willkürjustiz drohte. Allerdings bekamen nur wenige dieser sogenannten De-facto- Flüchtlinge eine Aufenthaltsbefugnis. Die meisten wurden von den deutschen Behörden lediglich jahrelang "geduldet" - ein aufenthaltsrechtliches Damoklesschwert, das lediglich die vorläufige Aussetzung der Abschiebung bedeutet. "Für Tamilen ist es weiterhin gefährlich, zurückzukehren" Seit dem 1. Januar hat sich die Lage dieser "Geduldeten" noch wesentlich verschlechtert: Nach §54 des seit dem 1. Januar geltenden neuen Ausländergesetzes können die Länder nurmehr einen sechs Monate kurzen Abschiebestopp erlassen. So laufen am 30. Juni die bisher üblichen Duldungen für Flüchtlinge aus Krisenregionen aus. Ab dem 1. Juli muß der Bundesinnenminister damit einverstanden sein, daß die Bundesländer De-facto-Flüchtlinge aus Krisenregionen weiter dulden. Und das ist nicht zu erwarten: Schon vor Wochen hat Wolfgang Schäuble den Innenministern der Bundesländer mitgeteilt, daß er "derzeit ... hinsichtlich keiner Ausländergruppe die Möglichkeit für eine generelle Abschiebestoppregelung für mehr als sechs Monate..." sehe. Der Grund: Die Lage in den meisten Herkunftsländern habe sich so verändert, daß man die De-facto- Flüchtlinge dorthin zurückschicken könne. "Entbehrt jeder Grundlage", sagt Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl dazu. Für ihn gibt es derzeit kein Herkunftsland von De-facto- Flüchtlingen, in dem die Menschenrechtssituation den Standpunkt vom Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble rechtfertigt: "Für Tamilen etwa ist es weiterhin gefährlich, in ihre Heimat zurückzukehren, ebenso für Iraner oder Iraker." Der Bundesinnenminister läßt diese Kritik nicht gelten. Er verweist darauf, eine Reihe von De-facto-Flüchtlingen vorerst vor einer Abschiebung geschützt zu haben. Auch die Länder haben bisher nur wenig unternommen Tatsächlich trifft das aber nur auf kleine Gruppen von Betroffenen zu: Chinesische Wissenschaftler etwa und türkische Christen und Jeziden, die bis Ende 1989 eingereist sind, dürfen höchstens noch zwei Jahre bleiben. Weiter geduldet werden unter eng gefaßten Voraussetzungen einige Äthiopier und Afghanen. Iraner, Libanesen und Palästinenser sind nur geschützt, wenn sie mindestens seit Ende des Jahres 1985 hier leben - wobei gerade ab 1986 besonders viele Menschen aus diesen Ländern in die Bundesrepublik geflüchtet sind. Allerdings haben auch die Innenminister der Bundesländer bislang nichts oder zu wenig unternommen, um die De-facto-Flüchtlinge vor der drohenden Abschiebung zu schützen. So sind auch die SPD-regierten Länder nicht geschlossen an den Bundesinnenminister mit der Bitte herangetreten, den generellen Abschiebestopp für bestimmte Gruppen von Flüchtlingen zu verlängern. Lediglich das Saarland hat von Schäuble verlangt, er solle die Bleiberechtsregelungen der Bundesländer übernehmen. Einen Vorstoß soll es demnächst auch von Hessen und Rheinland-Pfalz geben. Das rot-grüne Niedersachsen hat Ende 1990 22.000 De-facto- Flüchtlingen noch schnell ein festeres Aufenthaltsrecht verschafft. Viele Flüchtlinge haben bereits resigniert Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (s. Interview) tröstet die 28.000 Betroffenen in seinem Land mit dem winzigen Stückchen Spielraum, den das neue Ausländergesetz den einzelnen Bundesländern gelassen hat; demnach müßten die nordrhein-westfälischen Ausländerbehörden in jedem Einzelfall prüfen, ob ein Flüchtling in seiner Heimat "konkret" von Folter oder Todesstrafe oder Gefahr für Leib und Leben bedroht sei und deshalb hierbleiben dürfe. Kein allzu starker Trost: denn solcherlei für die eigene Person nachzuweisen, dürfte schwierig sein - sehr viel schwieriger als darzulegen, daß man Angehörige(r) einer gefährdeten Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe ist, die bisher in der BRD "generell" geduldet wurde. "Freilich", sagt Wolfgang Grenz, "werden nicht alle auf einmal gehen müssen." Der Flüchtlingsreferent von amnesty international glaubt, daß die Ausländerbehörden mit der Aussicht, demnächst Zehntausende von De-facto-Flüchtlingen abschieben zu müssen, vorerst überfordert sind. Allerdings befürchtet er auch, daß viele nicht ausreichend beraten sind, um die verbleibende Zeit zu nutzen - indem sie gegen die angekündigte Abschiebung Widerspruch bei der Ausländerbehörde, notfalls auch vor Gericht einlegen. "Diese Chance ergreift nur, wer nicht resigniert hat. Aber das haben inzwischen nicht wenige. Und genau das wollten die Bundesregierung und die meisten Länderregierungen erreichen." Ferdos Forudastan, Bonn
Unzähligen Flüchtlingen droht Abschiebung Bonn (taz) - Vor einer "Eskalation" des Asylproblems ab 1. Juli warnte gestern in Bonn Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" . Tausende sogenannter De-facto- Flüchtlinge - Menschen also, die hier kein Asyl bekommen haben und dennoch etwa aus humanitären Gründen bleiben durften - können nach dem neuen Ausländergesetz von diesem Tag an ausgewiesen werden. Der Grund: Der generelle Abschiebestopp für bestimmte Flüchtlingsgruppen gilt nicht mehr. Nun muß jeder Flüchtling, dem hierzulande kein Asyl gewährt wird, konkret nachweisen, daß er nach einer Abschiebung von der Situation in seinem Heimatland unmittelbar gefährdet wäre. Bisher konnten die Bundesländer generelle Abschiebestopps verhängen. Ab dem ersten Juli dürfen sie es nur noch für sechs Monate - falls das Bundesinnenministerium nicht mit einem längerfristigen Stopp einverstanden ist. Herbert Leuninger sowie Konrad Weiss, Abgeordneter der Gruppe Bündnis 90/Grüne, appellierten deshalb gestern dringlich an Bundesinnenminister Schäuble sowie die Innenminister der Länder, sich auf eine Liste der Länder zu verständigen, in die generell nicht abgeschoben werden darf, bis ihre Regierungen die Menschenrechte einhalten. Daß Innenminister Schäuble sich darauf einlassen wird, ist wenig wahrscheinlich: Schon vor Wochen hat er intern kundgetan, daß es für keine Ausländergruppe mehr nötig sei, Abschiebestopps von mehr als sechs Monaten zu verhängen. Ferdos Forudastan
Frankfurt/Main (taz) - Nach dem 1. Juli droht Tausenden von Flüchtlingen die Abschiebung. Die Menschen, die heute noch in der Bundesrepublik "geduldet" werden, könnten nach dem Ende 1990 verabschiedeten Ausländergesetz ausgewiesen werden. Darauf wies gestern in Frankfurt die bundesweite Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" hin. Zum Monatsende laufen alle vor dem 31.12.1990 von den Bundesländern aus humanitären oder politischen Gründen verhängten Abschiebestopp-Verfügungen aus. Das neue Gesetz befristete den Aufschub auf sechs Monate. Nur in Ausnahmefällen kann im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium (BMI) eine Verlängerung gewährt werden. Flüchtlingen aus Sri Lanka, dem Libanon, Iran, Afghanistan und einer Reihe von afrikanischen Ländern müßten jetzt mit Abschiebeverfügungen in ihre kriegs- und krisengeschüttelten Heimatländer rechnen, erklärte "Pro Asyl"-Sprecher Leuninger. Das gelte auch für Kurden aus der Türkei. Die Arbeitsgemeinschaft will Rechtsberatungen für Flüchtlinge organisieren und prominente BürgerInnen für ein öffentliches Eintreten gegen die drohenden Abschiebungen mobilisieren. Leuninger: "Das neue Ausländergesetz greift die Substanz der Humanität an und führt politisch in die Sackgasse." Wenn nötig, werde "Pro Asyl" den Flüchtlingen Kirchenasyl gewähren. kpk
INTERVIEW
Herbert Leuninger, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl , zur Ost-West-Migration und den Folgen in Westeuropa taz: Herr Leuninger, welche Konsequenzen bringen die Veränderungen in Osteuropa für die Flüchtlingspolitik in der Bundesrepublik und in Westeuropa? Leuninger: Die Entwicklung in Osteuropa bedeutet in diesem Zusammenhang, daß das ganze Konzept, das mit den Regierungs-Abkommen von Schengen und Trevi ausgedacht wurde, zusammengebrochen ist. Denn dieses Konzept basierte auf der Vorstellung, daß man um die EG herum eine Festungsmauer errichtet. Dabei waren der Eiserne Vorhang und die Berliner Mauer als ein fester Bestandteilt eingebaut. Beides ist nun zusammengefallen. Die Region, die man in Analogie zu Amerika den Hinterhof Europas nennen kann, ist nun offen, und damit stellt sich für Europa die Frage völlig neu, wie man mit Zuflucht umgeht. Zur Zeit wird darüber spekuliert, daß in den nächsten Monaten Hunderttausende, wenn nicht Millionen Sowjetbürger in den Westen kommen könnten. Gibt es angesichts dieser Vision eine Idee, wie man mit diesem Problem menschlich und vernünftig umgehen kann? Nein, ich glaube eine solche Vorstellung gibt es nicht. Man bringt in diesem Zusammenhang den völlig diffusen und geschichtlich weit weg liegenden Begriff Völkerwanderung ins Spiel. Ich glaube, damit will man nicht nur die Größenordnung darlegen, sondern auch die Unfähigkeit, mit der neuen Situation politisch umzugehen. Ich denke, daß wir uns weltweit auf völlig neue Zusammenballungen von Menschen, von Minderheiten, von Völkern einrichten müssen. Die industrialisierten Zonen in der Welt - vor allem die der westlichen Hemisphäre - werden Zielgebiet einer in Zahlen nicht anzugebenden Flucht und Zuwanderung sein. Ich glaube, daß ein Modell künftig unsere Gesellschaften prägen wird: die - vielleicht illusionäre - Hoffnung von Millionen Menschen, in den Gebieten der Demokratie und der Hochindustrie noch eine Chance zum Überleben zu haben. Das würde aber kaum vorstellbare Veränderungen unserer Lebensbedingungen zur Folge haben. Ist nicht angesichts der möglichen Dimension der Fluchtbewegungen auch in den wohlmeinendsten Staaten eine Politik der Abschottung gerechtfertigt? Das ist eine rein theoretische Frage. Die Entwicklung wird über uns hinweggehen, sodaß wir nur noch versuchen können, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Ich gehe davon aus, daß die Mentalität vom Leben auf einer privilegierten Insel, die gerade auch in der Bundesrepublik gepflegt worden ist, total aufgegeben werden muß. Schneller als wir es eigentlich gedacht haben, kommen wir in eine Situation des Teilens, die alles Bisherige in den Schatten stellen wird. Ich befürchte allerdings, daß wir dies kaum leisten werden. Die gegenwärtigen Veränderungen setzen aber auch ein Umdenken bei denen voraus, die sich bisher in dieser Frage engagiert haben. Wie müßte so ein Umdenken aussehen? Ja sicher. Ich denke wir müssen Politik künftig als Weltinnenpolitik betreiben. Das heißt, das, was auf uns zukommt, ist nicht mehr mit Kommunalpolitik, Landes- oder Bundespolitik zu bewältigen. Der Ruf der osteuropäischen Staaten, die KSZE-Konferenz für das Thema Ost-West-Migration in Anspruch zu nehmen, ist bereits ein Aufschrei, daß die einzelnen Nationen mit den auf sie zukommenden Fragen nicht mehr fertig werden. Ich glaube, daß die Frage der Zuwanderung und Zuflucht in die westlichen Länder einen politischen Rang hat wie die Frage der Bewältigung der Golf-Krise. Wir von "Pro Asyl" haben bisher immer versucht, die Bevölkerung hinsichtlich der Zufluchtszahlen zu beruhigen. Das war bis vor zwei, drei Jahren auch berechtigt. Aber wir müssen uns auf eine neue Lage einstellen, die ich von der politischen, menschlichen und psychologischen Leistung her vergleichen möchte mit der Zuflucht der 15 Millionen Menschen, die nach dem 2. Weltkrieg aus den ehemaligen deutschen Ost-Gebieten in den Westen Deutschlands gekommen sind. Das bedeutet allerdings eine völlig neue Dimension von Politik und von Konfliktlösungsstrategien. Ich befürchte , daß wir auf längere Zeit einer ungeheuren Abwehr und Fremdenfeindlichkeit entgegen gehen werden. Die sich solidarisierenden Kräfte, Gruppen, Initiativen und Parteien könnten dabei selbst in eine Zerreißprobe geraten. Dabei müßten sie eine neue Dimension der Solidarisierung einleiten. Wir werden in Zukunft viel stärker auch als einzelne gefragt sein, die mit beispielhaften Solidarisierungen bis ins eigene Leben hinein Zeichen setzen. Ich selbst gehe allerdings davon aus, daß diejenigen, die sich mit zufluchtsuchenden Menschen solidarisieren, in eine Dissidentenrolle geraten könnten. Interview: Vera Gaserow
"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" - so kurz und eindeutig stellt es das Grundgesetz der Bundesrepublik fest. Schon lange ist der Union der Artikel 16 ein Dorn im Auge. Mit einer Einschränkung des Rechts auf Asyl möchte sie die "Asylantenflut" eindämmen. Nun erhalten die Christdemokraten Schützenhilfe - von Lafontaine. Im Wahlkampf ist dem Kanzlerkandidaten der SPD das Thema der offenbar überzähligen Ausländer gerade recht. Lafontaine im Wahlkampf In Fischkuttern, Motorbooten und maroden Nußschalen setzen sie am frühen Morgen über - dort wo die Kluft zwischen Afrika und Europa am kleinsten ist: an der Straße von Gibraltar. Tausende klettern aus den Schiffen an Land. Nach einem wochenlangen Marsch durch den afrikanischen Kontinent haben sie ihr Ziel erreicht: Europa. Doch sie kommen nur wenige Meter weit. Am Fuße der Stadt empfängt sie eine Phalanx schwerbewaffneter Soldaten, die den Flüchtlingen nur einen Weg offenläßt: zurück ins Meer. Szenen aus dem BBC-Film Der Marsch, der vor kurzem über deutsche Fernsehschirme in Ost und West flimmerte. Die Flüchtlinge, je nach politischer Gemütslage Synonym für Schrecken oder Mitleid, standen plötzlich in den Wohnzimmern. Diese Horrorvision, kombiniert mit der Forderung nach Einschränkung des Artikels 16 Absatz 2 ("Politisch Verfolgte genießen Asylrecht") zählt längst zum Standardrepertoire bundesdeutscher Politiker - seit kurzem auch von Oskar Lafontaine, dem Kanzlerkandidaten der SPD, der sich nunmehr den Kampf gegen den "Asylmißbrauch" auf die Wahlkampffahne geschrieben hat. Lafontaine will demontieren, was die vielzitierten VerfasserInnen des Grundgesetzes 1949 - in Gedanken an die Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, vor allem an diejenigen, die an den Grenzen zum Ausland abgewiesen wurden eingeführt haben: Nur in der Bundesrepublik haben Flüchtlinge einen Rechtsanspruch darauf, bei der Einreise politisches Asyl zu beantragen. Das Argument, das Asylrecht werde zunehmend mißbraucht, scheint auf den ersten Blick einleuchtend, sind doch in den letzten Jahren die Anerkennungsquoten kontinuierlich in den Keller gesunken. Wurde 1985 noch 29 Prozent aller AsylantragstellerInnen der Status eines politisch Verfolgten zuerkannt, waren es in den ersten Monaten diesen Jahres noch 3,3 Prozent. Doch nicht die Fluchtgründe waren "banaler" geworden, sondern die Rechtsprechung bundesdeutscher Gerichte wurde immer restriktiver. Symptomatisch für das Niveau der Asylrichter ist zum Beispiel die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom August 1988. Nach Auffassung des Gerichts könne der Betroffene, in diesem Fall ein irakischer Wehrdienstverweigerer, durchaus in sein Heimatland zurückgeschickt werden - auch wenn dem Mann die Todesstrafe droht. Denn diese sahen die Richter in diesem Fall nicht als übermäßig hart an. Damit werde ein Verhalten geahndet, das besonders geeignet sei, "einen kriegsführenden Staat in seiner staatstragenden Struktur zu erschüttern". An der Zahl der Flüchtlinge in der Bundesrepublik ändert die Ablehnung von 95 Prozent der AsylantragstellerInnen wenig, denn die meisten dürfen entweder aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention oder aufgrund eines Abschiebestopps nicht zurückgeschickt werden. Doch in der Öffentlichkeit wird die immer enger gefaßte Definition des Asylberechtigten mit der des Flüchtlings bewußt verknüpft. Wer kein Asyl bekommt, steht automatisch im Ruch des "Scheinasylanten". Bis vors Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf oder gar vor ein bundesdeutsches Gericht kommen viele Flüchtlinge aus den außereuropäischen Ländern gar nicht mehr. Visumzwang und Sanktionen gegen Fluggesellschaften, die Flüchtlinge ohne erforderliche Papiere transportieren, machen die legale Einreise in die Bundesrepublik mittlerweile fast unmöglich. Wer es dennoch bis an die Grenze schafft, dem kann der Eintritt verweigert werden, wenn er bereits in einem anderen Staat Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Artikel 16,2 ist mit dieser simplen Strategie fast vollständig ausgehöhlt worden: je dichter die Grenze, desto weniger Asylanträge. Den Rest erledigen die Gerichte. Die Antragszahlen sind jedoch nicht gesunken - im Gegenteil: fast 19.000 Menschen baten allein letzten Monat um politisches Asyl in der Bundesrepublik. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres stieg die Zahl damit auf 98.000. Darunter sind unter anderem über 6.000 VertragsarbeiterInnen aus Vietnam, Mosambik und Angola. Aus Angst, frühzeitig nach Hause geschickt zu werden, sind sie aus der DDR nach West-Berlin geflohen und haben dort Asyl beantragt. Auf diesen Schritt hätten die meisten verzichtet, wäre ihnen in der DDR ein Bleiberecht zuerkannt worden. Statt dessen tauchen sie nun in den Statistiken des Bundesinnenministeriums auf und werden für die steigende Zahl von Asylanträgen verantwortlich gemacht. Dieses Schicksal blüht möglicherweise auch den 2.000 albanischen Botschaftsflüchtlingen, die nach dem Willen der CDU -regierten Bundesländer das Asylverfahren durchlaufen sollen. "Dabei ist völlig klar, daß diese Leute in jedem Fall hierbleiben dürfen", kritisiert Katja Krikowski-Martin von der Bonner Zentrale von amnesty international. Sämtliche aufenthaltsrechtlichen Probleme, so argwöhnt die Asylexpertin, werden "auf die Asylschiene" geschoben. Exemplarisch läßt sich dies am Beispiel der Polen verfolgen. "Herzlich willkommen", hieß es noch Anfang der achtziger Jahre auf Flugblättern in Westberliner und westdeutschen Behörden. In Warschau war gerade das Kriegsrecht ausgerufen worden, Polen galten als Freiheitskämpfer schlechthin. In West-Berlin ersparte man ihnen gar den Gang ins Asylverfahren und gewährte ihnen eine Duldung mit Anspruch auf Sozialhilfe. Die Zahl polnischer EmigrantInnen wuchs von 3.500 im Jahr 1979 auf fast 9.000 im Jahre 1982. Zwei Jahre später war die Gastfreundschaft bereits abgekühlt, die Sozialämter stellten die Unterstützung ein mit der Begründung, die Polen hätten ja keinen Asylantrag gestellt. Prompt kletterten die Zahlen in der Asylstatistik nach oben. Daß heute die allermeisten polnischen Asylantragsteller keine Verfolgungsgründe haben, ist auch in Flüchtlingsgruppen unbestritten. Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl", hat als Antwort auf Lafontaines Attacke gegen Artikel 16 vorgeschlagen, die Zuwanderung polnischer StaatsbürgerInnen in Zukunft durch Kontingente zu regeln. Daß eine Einschränkung des Artikels 16 Absatz 2 Menschen daran hindert, ihre Heimat Richtung Deutschland zu verlassen, glaubt unter den Fachleuten ohnehin niemand. "Die Roma aus Rumänien zum Beispiel", sagt Katja Krikowski-Martin von amnesty international, "kommen so oder so" - zumindest, solange die Diskriminierung in ihrer Heimat anhält. Ihre Situation auch nur ansatzweise in der Öffentlichkeit zu vermitteln, ist in Wahlkampfzeiten ein hoffnungsloses Unterfangen. Die Bilder der Roma in den Aufnahmelagern bieten vielmehr gerade den Gegnern des Asylrechts eine visuelle Untermauerung ihrer Argumente. Nicht zufällig fand Lafontaines Kehrtwende in der Asylpolitik vor der Kulisse des überfüllten Aufnahmelagers im saarländischen Lebach statt, wo die einheimische Bevölkerung gegen das "Zigeunerlager" auf die Barrikaden ging. "Pro Asyl" -Sprecher Leuninger befürchtet nun das "große Umfallen der SPD" in Sachen Asyl. Unter Mißbrauch des Artikels 16 Absatz 2 versteht er im übrigen etwas anderes: "Wenn hier jemand das Asylrecht mißbraucht, dann die Bundesrepublik, weil sie es viel zu eingeschränkt gewährt." Andrea Böhm
Saarbrücken (ap) - Die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" hat den Bundestag aufgefordert, das neue Ausländerrecht nicht wie geplant am 27.April zu verabschieden. Angesichts der dramatischen Veränderungen in Europa sei die Zeit "noch nicht reif" für ein neues Ausländerrecht, betonte Pfarrer Herbert Leuninger für "Pro Asyl" . Die Bundesrepublik müßte gemeinsam mit der DDR überlegen, welche Ausländergesetze ein "geeintes Deutschland im Kontext Europas" bräuchte. Für "Pro Asyl" bringt das neue Ausländerrecht zudem keine Erleichterungen bei der Integration von Ausländern. "Absolut nicht ausreichend" sei auch der Datenschutz. Wenn sich alle Behörden beim Ausländer -Zentralregister bedienen könnten, seien die Menschenrechte ausländischer Flüchtlinge gefährdet.
Amt in Zirndorf richtet Außenstelle auf dem Frankfurter Flughafen ein / Kritik und Sorge bei Hilfsorganisationen Aus Frankfurt Heide Platen Vier Beamte des Zirndorfer Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sollen künftig ihren Arbeitsplatz, zumindest teilweise, auf den Frankfurter Rhein-Main -Flughafen verlegen. Die neue Behörde wurde am Montag vom Bundesinnenministerium angekündigt. Der Direktor des Amtes, Norbert von Nieding, sagte gestern gegenüber der taz, die sogenannten "Entscheider und Entscheiderinnen" kämen aus der schon eingerichteten Dependance des Bundesamtes im hessischen Auffanglager Schwalbach. Er schilderte den Weg der Asylbewerber für die Zukunft als kürzer als bisher, aber dennoch "dem Gesetz entsprechend". Sie würden vom Bundesgrenzschutz in Empfang genommen, dann schon auf dem Flughafen zur Bundesbehörde gebracht, statt wie bisher vom Lager Schwalbach aus in andere Bundesländer weitergeleitet zu werden. "Formell", wie im Ausländergesetz vorgeschrieben, sei noch ein Beamter der Landesbehörde anwesend, da nur dieser berechtigt sei, Asylanträge anzunehmen. Kritiker hatten gestern heftig reagiert, als das Bundesinnenministerium die Einrichtung der seit längerem befürchteten Zweigstelle "noch in diesem Frühjahr" bekannt gab. Sie nannten die schnelle Abfertigung vor Ort, die laut Ministerium vorerst auf Flüchtlinge aus der Türkei konzentriert werden soll, ein "Aussieben". Pfarrer Herbert Leuninger von der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl sagte dazu, die Menschen hätten keine Möglichkeit, sich an Hilfsorganisationen oder Rechtsanwälte zu wenden. Sie seien jetzt schon in der auf dem Flughafen errichteten Sammelstelle des Bundesgrenzschutzes ein bis zwei Wochen eingepfercht und orientierungslos gehalten "wie in einem Gefängnis", statt zügig in die Bundesländer weitergeleitet zu werden. Von Nieding erklärte dagegen, daß seine Beamten streng nach dem Gesetz verfahren wollten. Würden die Asylbewerber "einen Rechtsanwalt benennen, dann rufen wir den an". Der Aufenthalt der Asylbewerber auf dem Flughafen werde sich jedenfalls nicht verlängern. Inzwischen wird über die Finanzierung der Dienststelle noch gestritten. Sie ist ein Dreh- und Angelpunkt anderer Rechtsstreitigkeiten der Flughafen AG (FAG), die bisher die Kosten für die Unterbringung von Asylbewerbern auf ihrem Gelände getragen hatte. Sie prozessierte gegen Fluggesellschaften, weil die Unterbringung der Menschen von denen getragen werden solle, die sie in die Bundesrepublik transportiert hätten. Die Grünen im Landtag warfen der Landesregierung und dem Bund Stimmungsmache vor. Durch die Flughafenaußenstelle solle das Asylrecht "auf kaltem Wege ausgehebelt" werden.
Vehemente Kritik an dem Entwurf zum Ausländergesetz / Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsorganisationen und DGB lehnen Einzelvorschriften und Geist des Gesetzes ab / "Übereinstimmung mit dem Programm der Republikaner" / Ablehnung auch von rechts Aus Bonn Ferdos Forudastan "Nicht ohne wesentliche Änderungen", so erklärte Bayerns Innensminister Stoiber Ende letzter Woche, werde die CSU den Entwurf des Bundesinnenministeriums für ein neues Ausländergesetz akzeptieren. Andernfalls sei die für den 23. November vorgesehene Verabschiedung des Mammutwerkes im Bundeskabinett äußerst fraglich. Währenddessen wächst auch auf der anderen Seite der Stapel der Ablehnungen: Kirchen und Wohlfahrtsverbände, DGB, "Pro Asyl" und "amnesty international", der Hohe Flüchtlingskommissar, Ausländerbeauftragte, die Grünen und die Berliner AL - sie alle lehnen den Gesetzentwurf kategorisch ab. Auf einer von den grünen Bundestagsabgeordneten Erika Trenz und Herman Meneses veranstalteten Anhörung kamen letzte Woche diese Kritiker aus verschiedenen Organisationen und Verbänden zusammen und ließen kein einziges gutes Haar an den 300seitigen Opus aus dem Haus Schäuble. Der Gesetzentwurf wirke eher ablehnend als integrierend, hatte die Ausländerbeauftragte Liselotte Funcke schon Ende Oktober, geurteilt. Er lasse die Ausländer im Unklaren über ihre rechtliche Situation, die sich außerdem verschlechtern würde, kritisierte die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD). Ihn zu verhindern sei unumgänglich, befand auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) bei der Anhörung. Tatsächlich sieht der Entwurf mit seinen engen Aufenthaltsbestimmungen und erweiterten Ausweisungsregelungen eine Reihe von Schlechterstellungen für AusländerInnen vor: Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis soll es etwa erst nach fünf Jahren geben - und dies auch nur dann, wenn die Betroffenen unter anderem "ausreichenden Wohnraum" nachweisen können und in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen. "Erhebliche Rechtsunsicherheit" schafft nach Ansicht der EKD auch die Bestimmung, wonach eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis wieder entzogen werden kann, wenn der/die AusländerIn arbeitslos wird und auf Sozialhilfe angewiesen ist. "Enorme Probleme, überhaupt eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen", sieht die Verteterin der Ausländerbeauftragten: Diese stärkste Verfestigung des Aufenthaltsrechts soll künftig erst nach acht statt wie bisher nach fünf Jahren erteilt werden und unter den gleichen absurden Bedingungen wie die Aufenthaltserlaubnis. An ähnliche, von den meisten Betroffenen kaum erfüllbare Voraussetzungen gebunden sollen auch der Anspruch auf Nachzug der Familie und ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehegatten sein. Fast jede dieser Einzelregelungen stößt auf vehementen Protest: Daß Kinder nur noch bis zum 16. Lebensjahr nachziehen dürfen, widerspricht nach Ansicht von Liselotte Funcke der Verantwortung der Eltern für ihre minderjährigen Kinder. Als "inakzeptabel, weil absolut nicht zu verwirklichen", bezeichnete auf der Anhörung in Bonn ein Vertreter des DGB die Voraussetzungen einer Wiederkehroption für ausländische Jugendliche, die sich nach einer Rückkehr in ihre ursprüngliche Heimat nicht mehr zurechtfinden und wieder in die Bundesrepublik zurückziehen möchten: Nach den Regierungsplänen dürfen diese Jugendlichen der zweiten und dritten Generation nur dann zurückkommen, wenn sie ihren gesamten Lebensunterhalt selbst bestreiten können und mindestens sechs Jahre hier zur Schule gegangen sind. "Eine Farce" nennen Experten die geplanten Einbürgerungsregelungen. Abgesehen von, marginalen Verbesserungen, hält man daran fest, daß eingebürgert nur der wird, der vorher seine alte Staatsangehörigkeit aufgibt. Auf massive Kritik der Fachleute stoßen auch die geplanten, sehr viel schärferen Ausweisungsbestimmungen. Wer wegen Geschwindigkeitsübertretungen mehrfach mit einem Bußgeld belegt wird, wer drogensüchtig ist oder aidskrank, wer Sozialhilfe braucht oder ganz allgemein die "öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen ... gefährdet" darf ausgewiesen werden, auch wenn er schon seit vielen Jahren hier lebt. "Der Abschreckungsgedanke des Asylrechts wird übertragen auf alle Ausländer." So kommentiert der Frankfurter Ausländeranwalt Victor Pfaff die geplanten Regelungen für neueinreisende AusländerInnen. Tatsächlich sollen die deutschen Auslandsvertretungen künftig nicht mehr verpflichtet sein zu begründen, weshalb sie ein Visums ablehnen. "Der eiserne Vorhang zur Zweiten Welt ist inzwischen hochgezogen, gleichzeitig rasselt der eiserne Vorhang zur Dritten Welt herunter", meint Herbert Leuninger, Pfarrer und Sprecher der Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" zu diesem Abschottungsinstrumentarium. "Eine Konstruktion, die mit dem Programm der Republikaner übereinstimmt", nannte ein Vertreter der AWO in seiner Stellungnahme die vom Ausländergesetzentwurf geplante Rotation ausländischer Arbeitskräfte. Um einem etwaigen zukünftigen Arbeitskräftemangel abzuhelfen, soll der Innenminister demnächst per Rechtsverordnung festlegen können, welche Personen einreisen und länger als drei Monate bleiben dürfen - freilich ohne daß sie einen Anspruch darauf erhalten, hier zu bleiben. Vor allem die Gewerkschaften laufen Sturm gegen "diese familienfeindliche Regelung, mit der eine industrielle Reservearmee aufgebaut werden soll", so Siggi Müller von der IG Metall. Auch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen rief der Schäuble-Entwurf auf den Plan. Er kritisierte in harschen Worten, daß die Bundesrepublik ihren Flüchtlingen auch weiterhin nicht nach den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention Asyl gewähren will und daß den sogenannten De-facto-Flüchtlinge erst nach vielen Jahren ein Daueraufenthaltsrecht gewährt werde - Jahre, in denen sie ständig die Abschiebung in ihre Heimat befürchten müssen. "Populistisch und pessimistisch" nannten die katholischen Bischöfe den Schäuble-Entwurf und fragen öffentlich, "ob man all dem mit der Änderung von Details überhaupt begegnen kann". So unterschiedlich die Formulierungen auch sein mögen: Abgelehnt wird das geplante Gesetz bisher von allen. Entsprechende Hirtenbriefe zu verfassen, ihn zum Inhalt rot -grüner Gespräche zu machen, noch weitaus umfassender dagegen zu agitieren - all das gehört zu den Vorschlägen, die derzeit diskutiert werden, um den Entwurf noch zu Fall zu bringen. Aber vielleicht besorgt das - aus ganz anderen Motiven - ja noch die CSU.
Zum "Tag des Flüchtlings" forderten Gruppen Gleichbehandlung von Asylsuchenden und DDRlern Berlin (taz) - Anläßlich des "Tags des Flüchtlings" am vergangenen Samstag haben verschiedene Organisationen die ungleiche Behandlung von Flüchtlingen aus der DDR und Asylsuchenden aus anderen Staaten kritisiert. "Die großzügige Aufnahme der Flüchtlinge aus der DDR setzt Maßstäbe für eine humanere Asylpolitik", erklärte die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" , die neben dem UN -Flüchtlingskommissar, Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden zu den Initiatoren des vor drei Jahren ins Leben gerufenen "Tags des Flüchtlings" gehört. Die Aufnahme der Flüchtlinge aus der DDR zeige deutlich, daß das Boot Bundesrepublik nicht voll ist, wie in Hinblick auf Asylsuchende behauptet wird, heißt es in einer Erklärung von Pro Asyl . "Keinem Politiker", so Pro-Asyl -Sprecher Leuninger, "würde es einfallen, DDR-Flüchtlinge davon abzuschrecken, in die Bundesrepublik zu kommen, ihnen auf Jahre das Arbeiten zu verbieten, ihre freie Bewegung in der Bundesrepublik einzuschränken, sie als Wirtschaftsflüchtlinge zu brandmarken oder über die innerdeutsche Grenze zurückzuschicken, weil sie kein von Honecker unterschriebenes Verfolgungsdokument vorweisen können. Man kann nicht den Flüchtlingen aus der DDR die Grenzen öffnen und sie vor den anderen aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt verschließen." Auch IG-Metall-Vorstandsmitglied Willi Sturm warnte davor, Asylsuchende zu Flüchtlingen zweiter Klasse zu machen. Die Bevorzugung von Flüchtlingen aus ehemals deutschen Ostgebieten und aus der DDR drohe Asylsuchende aus anderen Teilen der Welt weiter ins Abseits zu drängen. Ve.
Verwaltungsgerichtshof entscheidet: keine Flüchtlinge in "reine " Wohngebiete / Weil die Unterbringung von Flüchtlingen nicht als Wohnen bezeichnet werden kann, dürfen sie in Wohngebieten auch nicht wohnen / Gericht plädiert für "Nachbarschutz" Von Wolfgang Gast Berlin (taz) - Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge in "reinen Wohngebieten" können juristisch untersagt werden. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) hat der Beschwerde von Anwohnern stattgegeben und einer Stuttgarter Baufirma untersagt, in einem geplanten Neubau sechs von zwölf Mietwohnungen als Sammelunterkunft für AsylbewerberInnen auszubauen. In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart das Bauvorhaben am 16. Januar aber gebilligt. Bei den sechs Mietwohnungen, in den bis zu 49 Flüchtlinge eingepfercht werden sollten, "dürfte es sich um eine Anlage für soziale Zwecke handeln, die zwar in einem allgemeinen nicht aber in einem reinen - Wohngebiet allgemein zulässig ist", erklärte der Achte Senat des VGH in seiner jetzt veröffentlichten achtseitigen Begründung zu einem Urteil vom 19. Mai. So formal das Urteil abgefaßt ist, so zynisch beschreibt es die Lebensumstände von Asylsuchenden. Völlig korrekt errechneten die Richter über die geplante Gemeinschaftsunterkunft, daß auf jeden der Asylbewerber nach den Bauplänen insgesamt nur eine Fläche von knapp acht Quadratmetern entfalle. "Angesichts der beschriebenen räumliche Enge wird ein 'Wohnen` ... schon objektiv nicht möglich sein." Bei der im Neubau vorgesehen Nutzung müsse daher eher von einer "Unterbringung" als von einem "Wohnen" die Rede sein. Und weil im genannten Sinn kein Wohnen möglich ist, dürfen in "reinen Wohngebieten" keine Asylbewerber wohnen, folgert das Gericht. In der Urteilsbegründung heißt es unter Verweis auf das Asylverfahrensgesetz weiter, "die Verhältnisse sind dabei so, daß ein Asylbewerber neben seinem Bett noch einen Stuhl oder ein Schrankteil beanspruchen kann". Daraus folgert der VGH, daß es sich bei einer Sammelunterkunft auch "nicht um Anlagen, die zum dauernden Wohnen geeignet und bestimmt sind" handeln könne. Wohnen setze nach der Bauordnung für den einzelnen oder eine Familie "eine auf Dauer gerichtete Haushaltsführung" voraus. Und weil Flüchtlinge prinzipiell von den Behörden in die Sammellager und Gemeinschaftsbehausungen eingewiesen werden, fehle es darüber hinaus auch "an der für die Begründung eines Wohnverhältnisses kennzeichnenden Freiwilligkeit". Die drei Richter haben unter dem Aktenzeichen "8 S 555/89" auch nicht versäumt darauf hinzuweisen, daß "die Vorschriften über die zulässige Nutzung im reinen Wohngebiet nachbarschützenden Charakter haben". Gemeinschaftsunterkünfte mit einer hohen Belegungsdichte wiesen dagegen "tatsächliche und rechtliche Eigentümlichkeiten auf, die im Rahmen des Planungsrechts nicht vernachlässigt werden dürfen". Die "Zusammensetzung aus verschiedenen Nationalitäten, Religionen und Kulturkreisen birgt Konfliktpotential in sich, das durch die extreme räumliche Enge und die teilweise zwangsauferlegten Lebensumstände noch erhöht wird, und sich durchaus in Auseinandersetzungen entladen kann, die nach außen sichtbar und hörbar werden". Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" kommentierte entsetzt den Spruch des Verwaltungsgerichtshofes: "Ein Urteil, das sich selbst und die Asylpolitik richtet." Der Mannheimer Urteilspruch mache die weithin praktizierte Unterbringung von Asylbewerber fernab von Wohngebieten hoffähig und leiste damit allen rechtsextremen und fremdenfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung Vorschub. Es mache "sich die prinzipielle Diskriminierung und Deklassierung von Menschen zu eigen", erklärte ihr Sprecher Herbert Leuninger. Angesichts der unwürdigen Lebensbedingungen von Flüchtlingen, wie sie auch im Urteil beschrieben würden, hätte es nahegelegen, "diese Praxis als unmenschlich anzuprangern, statt sie als rechtens vorauszusetzen". Die CDU-Sozialausschüsse (CDA) kündigten für den Fall, daß sich das Mannheimer Urteil zwingend aus dem Baugesetz ableiten lasse, an, umgehend eine Gesetzesnovelle anstreben zu wollen. Die Konsequenz einer durchgängigen Rechtsprechung, wie sie der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof vorgezeichnet hat, wäre "eine Gettoisierung von Minderheiten in unserer Gesellschaft. Ein Stück Apartheid, die Menschen in zwei Klassen einteilt: Leistungsfähige und Hilfsbedürftige." Der CDA -Hauptgeschäftsführer Heinz-Adolf Hörsken nannte das Mannheimer Urteil kurz und bündig eine "Schande für den Rechtsstaat". Der selbe Senat hatte schon Anfang Juli ein Urteil gefällt, das für negative Schlagzeilen und massive Kritik sorgte. Mit einer ähnlichen Argumentation hatten die Richter entschieden, daß Altenpflegeheime in reinen Wohngebieten störend wirken könnten. In einer Pressemitteilung der Arbeiterwohlfahrt hieß es, die öffentliche Empörung sei "kaum darüber verraucht, daß ältere pflegebedürftige Menschen nichts in Wohngebieten zu suchen haben, da trifft eine ähnliche Gerichtsentscheidung Flüchtlinge und politisch Verfolgte". Die Bundesrepublik sei in ihrem 40. Jahr "auf dem Wege zu einem reinen Wohngebiet". Es mache deshalb wenig Sinn, Kläger oder Richter zu schelten. Auf die Anklagebank gehörten diejenigen, die sich an der Not anderer eine goldene Nase verdienen wollten.
Der CDU-Wahlverlierer will von seinem Wahlkampf nichts mehr wissen / SPD: Mit der Gleichsetzung von NPD und Grünen werde die Schlammschlacht fortgesetzt / Neue Demonstration gegen Neofaschisten Frankfurt (taz) - Der noch amtierende Frankfurter Oberbürgermeister Wolfram Brück (CDU) hat dem Wahlsieger Volker Hauff (SPD) gestern die Bildung einer großen Koalition im Römer vorgeschlagen. Damit, so Brück, könnten die "radikalen Kräfte" aus dem Magistrat herausgehalten werden. Was vor den Kommunalwahlen alles gesagt und geschrieben worden sei, dürfe jetzt - "angesichts der Wahlerfolge von NPD und Grünen" (Brück) - nicht mehr zählen. Im Falle eines Eingehens der SPD auf seinen Vorschlag werde er sofort sein Amt an Hauff abtreten. Das "Angebot große Koalition" gelte allerdings nur dann, wenn Hauff darauf verzichte, Grüne in den Magistrat aufzunehmen. Hauff selbst kündigte für heute erste Gespräche sowohl mit den Grünen als auch mit den Christdemokraten an. Der Sozialdemokrat hält weiter an seiner vor der Wahl geäußerten Absicht fest, CDU-Dezernenten im neuen Magistrat zu belassen. SPD-Sprecher Wenz warf Brück unterdessen vor, mit der Gleichsetzung der Grünen mit der NPD, die "Wahlkampf-Schlammschacht" der CDU fortzusetzen. Wenz forderte die CDU zu einer differenzierten Betrachtung auf. Nach der spontanen Demonstration am Wahlabend in Frankfurt protestierten am Montag Nachmittag noch einmal 8.000 Menschen gegen den Einzug der NPD in den Römer. Auch der CDU -Stadtverordnete Michael Friedmann war im Nieselregen auf dem Weg zum Rathaus dabei. Als erster Redner warnte der frühere Probst von Frankfurt, Dieter Trautwein, vor dem Versuch, mit Ausländerzahlen zu schrecken, als handle es sich bei Ausländern um einen "Bazillus", einen "gefährlichen Krankheitserreger". In seiner Kritik an der "zynischen und menschenverachtenden" Wahlkampagne der CDU war er sich mit allen Rednern einig. Als "Knebelung der Demokratie mit dem Geldsack" bezeichnete Trautwein die Einschüchterungsversuche der Wirtschaft gegenüber der rot-grünen Koalition in Berlin. Großen Beifall erntete der DGB-Landesvorsitzende Karl-Heinz Jungmann, der die sofortige Wiedereinstellung der beiden hungerstreikenden Gewerkschafter der Frankfurter Meßgerätefirma VDO forderte. Er nannte als Gründe für den Aufschwung der Naziparteien "Sozialabbau" und "Verschlechterung der Lebensbedingungen und der Zukunftsperspektiven" und trat für ein sofortiges Verbot von NPD, DVU und FAP ein. "Diese Kundgebung kommt sechs Wochen zu spät", sagte zum Abschluß Pfarrer Herbert Leuninger von "Pro Asyl" . Er warf der Katholischen Kirche und Teilen der Intellektuellen vor, sich nicht rechtzeitig mit "allerschärfstem Protest" gegen die "gespenstische Sündenbocksuche" der CDU gewandt zu haben. kpk/Miriam Carbe
Bundesweite Demo gegen NPD und Ausländerhetze wanderte im Polizeikessel durch Frankfurt / Sechs Festnahmen / Gezielte Polizeiprovokationen wurden ignoriert / Verbot der rechtsextremen FAP gefordert Aus Frankfurt Blum und Platen Eine bundesweite Demonstration gegen ein geplantes und dann kurzfristig abgesagtes NPD-Treffen in Frankfurt bewegte sich am Samstag als mobiler Kessel durch die Stadt. Zu dem Protestmarsch ab Friedberger Platz hatten unter anderem Antifaschistische und Autonome Gruppen aufgerufen. Insgesamt 1.000 Polizisten verwandelten die Demo in einen mobilen Gefangenentransport. Über eine halbe Stunde benötigten die 2.000 TeilnehmerInnen für den ersten Demo-Kilometer, immer wieder mußte der Marsch angehalten werden. Verhandlungen über einen Abzug der aus mehreren Bundesländern herbeigekarrten Polizisten blieben erfolglos - lediglich ein Wasserwerfer an der Spitze des Zuges verschwand. Bereits im Vorfeld kam es zu sechs Festnahmen: Die Menschen sollen nach Polizeiangaben Schlagstöcke und Tränengas mitgeführt haben. Am Sonntag morgen waren sie wieder auf freiem Fuß. Auf der Konstabler Wache hielten die DemonstrantInnen eine Zwischenkundgebung ab. In den Redebeiträgen wurde gegen Ausländerhetze, Faschismus und Rassismus protestiert. "Ausländer bleiben - Nazis vertreiben" war eine der Parolen, mit der sich der Marsch nach über einer Stunde wieder in Bewegung setzte. Das Ziel, die Polizei zum Abzug zu zwingen, wurde nicht erreicht. Dafür schlossen sich dem Zug nunmehr die TeilnehmerInnen einer weiteren Protestveranstaltung an: Jüdische Gemeinde, Gewerkschaften, evangelische und katholische Kirche und Jugendverbände hatten auf der Hauptwache zu einer eigenen Kundgebung aufgerufen. Als Sprecher dieses "Römerbergbündnisses" forderte der hessische DGB-Vorsitzende Jungmann ein Verbot der rechtsextremen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), die entgegen ihrer Ankündigung nicht in Erscheinung trat. Pfarrer Herbert Leuninger wandte sich für "Pro Asyl" gegen die NPD -Forderung, Frankfurt solle eine "deutsche Stadt" werden. Im weiteren Demoverlauf versuchten Polizeibeamte vor dem Merianplatz einzelne Vermummte aus dem in geschlossenen Ketten marschierenden Autonomen Block von annähernd 1.000 Menschen herauszugreifen, was durch das entschiedene Auftreten der DemonstrantInnen unmöglich gemacht wurde.
Im hessischen Mühlheim trafen sich 8.000 Exil-Eritreer / Gemeinsamer Erfahrungsaustausch und Folklore-Programm / Kritik an bundesrepublikanischer Abschiebepraxis / Nur wenige Mühlheimer kamen Aus Mühlheim Michael Blum Aus dem Ghettoblaster tönt laute amerikanische Disco-Musik, die umstehenden Kids im modischen Sommerdress sind vergnügt. Wenige Schritte weiter bietet eine in weißes Tuch gehüllte ältere Eritreerin selbstgeschnitzte afrikanische Skulpturen feil. Das Areal um das Bürgerhaus der 25.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt Mühlheim war am Wochenende Treffunkt für eritreische Flüchlinge. Aus ganz Westeuropa sind rund 8.000 Exil-EritreerInnen in die zwischen Frankfurt und Hanau gelegene hessische Stadt gekommen. Die bundesdeutsche Sektion der "Eritreanischen Demokratischen Jugendunion" hatte zum dritten "Eritreer-Treffen" in eine Gemeinde des Landkreises Offenbach geladen. "Durch die Militärherrschaft Äthiopiens sowie durch die Naturkatastrophen wurden viele Eritreer gezwungen, ihr Land zu verlassen. Rund eine Million der vier Millionen EinwohnerInnen Eritreas leben im Ausland, 10.000 davon alleine in der Bundesrepublik", berichtet der Sprecher des Auswärtigen Amtes der eritreischen Befreiungsfront ELF, Gherzghiher Tewelde auf einer der zahlreichen Veranstaltungen. Auf Vorträgen und Diskussionen zur aktuellen Lage in Eritrea und vor allem auf dem großen Fest mit Musik und kulinarischen Spezialitäten herrscht Wiedersehensfreude: "Viele Familien und deren Mitglieder haben sich seit ihrer Flucht aus Eritrea nicht mehr gesehen - zum Teil seit mehr als 20 Jahren", sagt Sahle Tesfei. Der Vorsitzende der "Eritreanischen Demokratischen Jugendunion" in der Bundesrepublik ist mit dem Treffen zufrieden: "Es sind viel mehr Menschen gekommen, als je zuvor." Mit regelmäßigen Treffen dieser Art will er die "Isolierung politischer Flüchtlinge" überwinden und die "Identitätsfindung der Eritreer erleichtern." Einfach wird das nicht sein: Die Jugendlichen sind "europäisiert", nur wenige beachten die Ausstellung über die Geschichte ihres Landes und Volkes im Foyer des mit der bundesdeutschen und der eritreischen Fahne beflaggten Bürgerhauses. Auf den Wiesen um das Gebäude hören sie westliche Musik. Die verbindet sie trotz der Sprachbarrieren - je nach Aufenthaltsland sprechen sie Niederländisch, Französisch, Englisch oder Deutsch. Währenddessen versorgen sich die Älteren mit Lesematerial und diskutieren in Gruppen. "Die Asylpraxis in der Bundesrepublik wird für mein Volk immer schlechter: 1984 lag die Anerkennungsquote für Eritreer als politische Flüchlinge noch bei 87 Prozent, 1987 nur noch bei viereinhalb Promille", erklärt Tesfei. Das ist nur möglich, weil die Menschen in der Bundesrepublik zu wenig über uns und den Krieg in Eritrea wissen." Die Abschiebung aus der Bundesrepublik wird nach Tesfels Informationen hauptsächlich damit begründet, daß die eritreischen Flüchtlinge in den befreiten Teilen ihres Landes bleiben könnten. Dort aber herrscht Krieg. Entscheiden sich die EritreerInnen zur Flucht, müssen sie auf dem Landweg in den Sudan einreisen: 350.000 von ihnen leben dort bereits, meist illegal, wie Tewelde berichtet. Der Sudan aber könne kaum seine eigene Bevölkerung ernähren. So blieb den EritreerInnen nichts anderes übrig, als dorthin zu gehen, wo sie überleben können. Die Fraktionen der im Mühlheimer Parlament vertretenen Parteien (SPD, CDU und Grüne) hatten einstimmig zur Unterstützung der Veranstaltung votiert. Bei den Mühlheimern aber findet das Treffen der EritreerInnen nur wenig Resonanz: Die Einheimischen verlieren sich auf ihrem Rundgang durch die Essenszelte, in denen eritreische Speisen erhältlich sind, um dann doch vor der Gulaschkanone des Deutschen Roten Kreuzes in der Schlange Gleichgesinnter zu stehen. Das Geschäft ihres Lebens wittern Anlieger: ein Gebrauchtwarenhändler in direkter Nachbarschaft zum Veranstaltungsort hat eigens einen Biertresen aufgebaut, eine Tankstelle meldet bereits am Samstag nachmittag den Ausverkauf von Getränkedosen. Er herrscht jedoch jeden an, der die Tür zur Gastwirtschaft auch nur versehentlich öffnet - "geschlossene Gesellschaft." "Wir sind keine geschlossene Gesellschaft", sagt Tesfel. "Jeder, der sich für unsere Lage interessiert, ist uns willkommen." Drinnen im Saal informieren eine Rechtsanwältin, Pfarrer und VertreterInnen anderer Organisationen über die Rechte von Asylanten. Der Sprecher von "Pro Asyl" , der Hofheimer Pfarrer Leuninger, fordert von der Bundesregierung, "Flüchtlingen die gleichen Chancen einzuräumen wie Aussiedlern." Die BRD dürfe ihre Grenzen nicht für Menschen aus Kriegs- und Notstandsgebieten verschließen, sagt er umjubelt; und überläßt für den Rest der Nacht die Bühne der Kultur.
Frankfurt (dpa) - Ein "schwarzes Jahr" für Flüchtlinge hat die bundesweite Flüchtlings-Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" für 1988 vorausgesagt. Aussagen von Bundesinnenminister Zimmermann (CSU) über die angeblichen Hintergründe der Asylsuche ließen eine zusätzliche Verschärfung der ohnehin schon restriktiven Anerkennungspraxis erwarten, heißt es in einer am Montag in Frankfurt veröffentlichten Mitteilung. Die Darstellung des Innenministers, wonach 90 Prozent der Asylanten aus wirtschaftlichen Gründen in die Bundesrepublik kommen, sei eindeutig falsch, betonte der Vorsitzende von "Pro Asyl", Leuninger.
Frankfurt (taz) - Rund 20 Gruppen rufen für den kommenden Samstag in der Frankfurter Innenstadt zur Demonstration "Für uneingeschränktes Asylrecht" auf. Ab zehn Uhr werden Informationsstände vor der Katharinenkirche errichtet, vor der dann um elf Uhr die Demonstration beginnt. Dort und auch bei der Abschlußkundgebung werden unter anderem der katholische Geistliche Leuninger , der Landesvorsitzende der Jusos, Grumbach, und die Grüne Stadtverordnete Sellach reden. Außerdem werden zwei Flüchtlinge berichten, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. Die Demonstration endet am Opernplatz.
Von U. Sieber und M. Miersch Heute ist "Tag des Flüchtlings" / "Lobby für Flüchtlinge" gefordert / Appell an Bundeskanzler / Kirchen und Pro Asyl weisen auf verfälschte offizielle Statistiken hin Bonn/Frankfurt (taz) - Mit über 200 Veranstaltungen wird heute erstmals ein "Tag des Flüchtlings" im Rahmen der seit Jahren stattfindenden "Woche der ausländischen Mitbürger" begangen. Die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international sprach gestern in Bonn von der Möglichkeit, "so etwas wie eine Lobby für Flüchtlinge" zu schaffen. Gleichzeitig forderte die Generalsekretärin von amnesty, Brigitte Erler, die politisch Verantwortlichen auf zu erklären, wie politische Flüchtlinge künftig noch die BRD erreichen könnten. Ein Brief mit einer entsprechenden Aufforderung sei, so Brigitte Erler, am Mittwoch auch Bundeskanzler Kohl zugegangen. Die DDR hatte erst vor kurzem zugesagt, nur noch solchen Flüchtlingen den Transit zu gestatten, die über ein Anschlußvisum für ein westeuropäisches Land verfügen. Politisch Verfolgte seien aber nicht in der Lage, angesichts drohender Inhaftierung oder Folter "die langen Wartezeiten einer Visumserteilung durch die deutschen Auslandsvertretungen in Kauf zu nehmen". Zudem habe das Auswärtige Amt Auslandsvertretungen angewiesen, nur bei "drohender physischer Existenzvernichtung" eine Einreiseerlaubnis auszustellen. Auf Pressekonferenzen in Frankfurt und Berlin kritisierten Vertreter der Kirchen und der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Pro-Asyl die Flüchtlings-Statistik der Bundesregierung. Pfarrer Herbert Leuninger und Rechtsanwalt Victor Pfaff haben nachgerechnet und festgestellt, daß die offiziellen Zahlen über Asylbewerber ein falsches Bild ergeben. Offiziell werden lediglich 16 Prozent der Bewerber als politisch verfolgt anerkannt. Das soll, so die beiden Asyl-Experten, implizieren, daß 84 Prozent nicht verfolgt, also "Wirtschaftsasylanten" sind. Allerdings werden dabei auch diejenigen mitgezählt, die in ein anderes Land weiterwandern, in ihre Heimat zurückkehren oder einfach ihren Antrag zurückziehen. Die Ehefrauen und Kinder anerkannter Verfolgter werden ebenfalls unter "abgelehnt" geführt. Ist die Statistik um diese verfälschenden Faktoren bereinigt, ergebe sich eine Anerkennungsquote von 55 Prozent.
Schwalbach (dpa) - Der Ausländerpfarrer des Bistums Limburg, Herbert Leuninger , hat am Donnerstagnachmittag sein Hungerfasten im Lager Schwalbach am fünften Tag abgebrochen, nachdem allen in Zelten untergebrachten Flüchtlingen noch am gleichen Tag feste Unterkünfte zugesichert wurden. Leuninger zeigte sich beeindruckt von der Solidarität, die sich im Zusammenhang mit dieser Aktion gezeigt hatte.
Frankfurt/Schwalbach (dpa) - Mit einer unbefristeten Fastenaktion aus Protest gegen die Zustände in der hessischen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Schwalbach bei Frankfurt hat der Ausländerpfarrer des Bistums Limburg, Herbert Leuninger , am Sonntag begonnen. In einem offenen Brief an den hessischen Sozialminister Armin Clauss (SPD) kündigte Leuninger an, er wolle solange in der Ausländerunterkunft bleiben, bis die Zelte für die dort lebenden Flüchtlinge abgebaut seien. |