Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL
1986-1996

1986-1996
Asylpolitik
Texte einer Tageszeitung
unter Einbeziehung von PRO ASYL

INHALT

  • 15.05.1996 Betr.: Herbert Leuninger click
  • 15.05.1996 Staatsräson vor Menschenrecht click
  • 15.05.1996 Politisch Verfolgte genießen Gnade click
  • 01.02.1996 Gewiß, solche Bilder berühren click
  • 06.01.1996 "Ethnische Säuberung - politische Wertung" click
  • 09.12.1994 Herbert Leuninger click
  • 26.08.1994 Hemmungsloser Datenmißbrauch click
  • 09.08.1994 Flüchtlingssprecher im Amts-Visier click
  • 26.07.1994 "Militärische Option gegenüber den Kurden" click
  • 26.07.1994 Asyl nur für staatlicherseits Verfolgte click
  • 29.06.1994 "Flüchtlinge sind weitgehend rechtlos" click
  • 26.05.1994 Politik der Abschreckung click
  • 17.05.1994 "Amtshilfe" für iranische Botschaft click
  • 02.05.1994 Folterte die Türkei? click
  • 27.04.1994 Pro Asyl fordert Hilfe click
  • 25.04.1994 Doch keine Folter? click
  • 22.04.1994 Datentransfer kann tödliche Folgen haben click
  • 24.03.1994 Die neue Dimension des Terrors click
  • 08.03.1994 Zurück ins Kosovo click
  • 11.02.1994 Gnadenfrist für Flüchtlinge click
  • 25.01.1994 Abschiebung droht click
  • 08.01.1994 Flüchtlinge bedroht click
  • 24.12.1993 Zu viele Fragen an den Rechtsstaat click
  • 11.11.1993 Aeroflot unter Druck click
  • 01.11.1993 Nur noch Taschengeld click
  • 13.09.1993 Gericht mißachtet click
  • 07.09.1993 Zahl der Asylbewerber drastisch gesunken click
  • 25.08.1993 "Pingpongspiel" beenden click
  • 10.07.1993 Hungerstreik fortgesetzt click
  • 01.07.1993 Asyl ohne Asylrecht click
  • 07.06.1993 Gegen Brandstifter und gegen Andersdenkende click
  • 01.06.1993 Empörung über Bonner Biedermänner click
  • 28.05.1993 Flüchtlinge lesen nicht das Grundgesetz click
  • 25.05.1993 "Für Menschenrechte aufstehen, nicht umfallen" click
  • 15.05.1993 Keine Paulskirche für Bürgerforum click
  • 13.05.1993 Stunde der Appelle click
  • 30.04.1993 Exterritorial interniert click
  • 25.03.1993 Kritik an den Asylgesetzen - doch wen juckt's? click
  • 17.02.1993 Menschenrechte nicht gefragt click
  • 09.01.1993 Türkei als sicheres Herkunftsland? click
  • 04.01.1993 Radar und Infrarot gegen Flüchtlinge click
  • 23.12.1992 Mit dem Fallschirm zum Asylrecht click
  • 15.12.1992 Die Parabel von den Fremden in Frankfurt click
  • 08.12.1992 "Mit dem Fallschirm abspringen" click
  • 08.12.1992 Asyl für Boat people und Jet-set click
  • 08.12.1992 Asyl für Boat people und Jet-set click
  • 16.11.1992 "Man hat immer auf Abwehr gesetzt!" click
  • 30.10.1992 Abschiebung zwecks Abschreckung click
  • 30.10.1992 Hoffen auf die SPD ... click
  • 23.10.1992 SPD sucht den Asyl-Kompromiß click
  • 15.10.1992 UN-Vertreter kritisiert Asyl-Entschließung click
  • 02.10.1992 Einreise verweigert click
  • 30.09.1992 Die Rechte bombt- die Linke dividiert sich click
  • 17.09.1992 SPD streitet um Ende des Asylrechts click
  • 03.09.1992 Bosnier sollen zurück in den Krieg click
  • 27.08.1992 Asylrechtsänderung: "Je schneller, desto besser" click
  • 26.08.1992 Gegen Pogrome überall click
  • 25.08.1992 Schonzeit für Ausländerfeinde click
  • 25.07.1992 Flüchtlingszüge rollen click
  • 18.06.1992 Grundrecht auf Asyl: FDP einig für Änderung click
  • 23.05.1992 Hammelsprung an der Grenze click
  • 23.05.1992 Bonn sortiert bosnische Flüchtlinge aus click
  • 20.05.1992 Lager wie zu Katastrophenzeiten click
  • 15.05.1992 Pro Asyl kritisiert Grenzblockade click
  • 13.04.1992 Neurotisches Gerede click
  • 27.01.1992 Asyl-Streit trotz Asyl-Kompromiß click
  • 21.12.1991 Ein schlechtes, neues Jahr für Flüchtlinge click
  • 30.10.1991 Aufruf zur Aktion gegen Rassismus click
  • 21.10.1991 "Die Kirche auf Trab bringen" click
  • 21.10.1991 Schutz vor Abschiebung in Kirchengemeinden click
  • 05.10.1991 Hilflose Politiker click
  • 26.09.1991 Pro Asyl Kohl muß Flüchtlinge besuchen click
  • 24.09.1991 "Mit dem Rechtsstaat kaum mehr zu vereinbaren" click
  • 08.07.1991 FlüchtlingshelferInnen in der Defensive click
  • 08.07.1991 Schlechte Zeiten für die internationale Flüchtlingshilfe click
  • 27.06.1991 Zehntausende von Abschiebung bedroht click
  • 15.06.1991 Bangen vor dem 1. Juli click
  • 06.06.1991 Tausende Flüchtlinge von Abschiebung bedroht click
  • 08.12.1990 "Es besteht die Gefahr, daß wir in die Dissidentenrolle geraten" click
  • 10.08.1990 Anschlag auf das Asylrecht click
  • 04.04.1990 "Pro Asyl" kritisiert Ausländerrecht click
  • 10.01.1990 Bundesbehörde für Asyl geht nach Frankfurt click
  • 15.11.1989 "Eiserner Vorhang für die Dritte Welt" click
  • 02.10.1989 Ungleiche Flüchtlinge click
  • 02.08.1989 Wohngebiete vor Asylbewerbern "geschützt" click
  • 15.03.1989 Brück bietet Hauff Koalition und Amt an click
  • 17.10.1988 Antifa-Demo eingekesselt click
  • 15.08.1988 "Wir sind keine geschlossene Gesellschaft!" click
  • 05.01.1988 "Pro Asyl" stellt düstere Prognose click
  • 16.10.1986 Demo für Flüchtlinge click
  • 03.10.1986 amnesty kritisiert Transitregelung click
  • 13.09.1986 Pfarrer beendete Fasten click
  • 09.09.1986 Fastenaktion gegen Lager-Zustände click

  •  

    Man kennt ihn als Anwalt von Recht- und Stimmlosen, als Europabeauftragten

    der Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" . Herbert Leuninger, katholischer Pfarrer,

    war 20 Jahre lang Ausländerreferent im Bischöflichen Ordinariat Limburg und

    hat 1986 die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" mitbegründet, deren Sprecher

    er jahrelang war. Foto: Wolfgang Borrs

     


    INTERVIEW

    Der Europa-Referent von Pro Asyl , Leuninger: Die Richter haben sich

    der Bonner Politik gebeugt

    taz: Ihre langjährige Kritik am neuen Asylrecht ist

    durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur heißen Luft erklärt

    worden.

    Herbert Leuninger: Rechtspolitisch gesehen stimmt das. Was aber die

    Wirklichkeit von Menschenrechten angeht, stimmt es natürlich nicht. Wir

    beurteilen die Entscheidung als eine taktische. Die Staatsräson wurde für

    wichtiger erachtet als der Erhalt des Menschenrechts auf Asyl. Das zeigt sich

    darin, daß die RichterInnen die Abschottungspolitik, die hinter dem Asylrecht

    steht, bestätigt haben.

    In Ihren Augen sind die Bundesverfassungsrichter also Büttel

    der Politik und nicht die Hüter der Grundwerte der Verfassung.

    Bei der viertägigen Anhörung beim Gericht mußten wir damit rechnen, daß es

    beachtliche Korrekturen an der Drittstaatenregelung und dem

    Flughafenverfahren anbringen würde. Das ist aber nicht geschehen. Lediglich

    das Flughafenverfahren wurde mit nur fünf zu drei Stimmen aufrechterhalten.

    Im Hintergrund muß eine metapolitische Debatte gelaufen sein, die die Richter

    sehr beeindruckt hat. Eine Debatte, die letztlich die pragmatischen Hinweise

    von Bundesinnenminister Manfred Kanther aufgenommen hat: daß nämlich durch

    eine Veränderung an der einen oder anderen Stelle das ganze sorgfältig

    geknüpfte Konzept zerstört werden könnte. Und daß, wenn das passiert, eine

    neue Diskussion über das Asylrecht aufbricht, die den mühsam ausbalancierten

    Frieden der Bundesrepublik in Gefahr brächte.

    Hat die harte Kritik gegen vorangegangene Entscheidungen und

    die Drohung der CDU, gegebenenfalls das gesamte Asylrecht aus der Verfassung

    zu streichen, die Richter beeinflußt?

    Ja. Wie will das Gericht eigentlich eine solch konzertierte Angriffssituation

    auf Dauer aushalten, ohne in die totale Isolierung zu geraten? Ich meine das

    nicht als psychologische Entlastung, sondern ich spreche das aus unter dem

    Gesichtspunkt der Verantwortung, die die politischen Kräfte gegenüber dem

    Bundesverfassungsgericht haben.

    Seit der Geltung des neuen Asylrechts gab es nachweisbare

    Fälle von Kettenabschiebungen. Wie bewerten Sie, daß das

    Bundesverfassungsgericht diese Fälle nicht zum Anlaß nahm, Korrekturen an der

    Drittstaatenregelung vorzunehmen?

    Hier komme ich noch mal auf den Begriff der Staatsräson zurück, der ja nicht

    nur ein total negativer ist. Hier offenbart sich eine Grundhaltung, die es

    auch in den vergangenen Jahren beim Gericht gegeben hat. Nämlich der

    Vertrauensvorschuß, den das Bundesverfassungsgericht anderen Staaten

    hinsichtlich deren Rechtsstaatlichkeit und ihrer Einbindung in

    internationales und europäisches Menschenrecht gibt. Was diesen Aspekt

    angeht, so hat das Gericht bei seiner sehr späten Entscheidung - wir haben

    eine solche ja bereits vor zwei Jahren erwartet - auch auf die Zeit gesetzt

    und darauf, daß sich in den betroffenen Ländern Mittel- und Osteuropas ein gewisser

    Konsolidierungseffekt zeigen wird.

    Zu Recht?

    Mittel- und längerfristig vielleicht. In Polen und der Tschechischen Republik

    sind noch fünf Jahre anzusetzen, bis Strukturen entwickelt sind, die

    vergleichbar sind mit bisher gültigen Standards in Europa. Die anderen

    Staaten wie die baltischen, die Ukraine, Weißrußland und so weiter werden

    vielleicht, wenn sie den Weg zu demokratischen Rechtsstrukturen unbehindert

    gehen können, in zehn Jahren auf einem Niveau sein, das mit dem, was wir

    unter Sicherheit verstehen, kompatibel ist.

    Nach diesem Urteil dürfte es für Menschenrechtsorganisationen

    schwer werden, für die Interessen von Flüchtlingen zu werben. Künftig wird

    man Ihrer Kritik immer entgegenhalten, daß das Bundesverfassungsgericht das

    geltende Recht und damit auch die Sicherheit von Flüchtlingen, die nach

    Deutschland kommen, abgesegnet hat.

    Ja. Die Absegnung durch das Oberste Gericht stärkt in einer ganz

    ungewöhnlichen Weise - und das ist in einem Rechtsstaat durchaus auch

    verstehbar - die Kräfte, die den Asylkompromiß mit schlechtem Gewissen

    produziert haben. Sie dürfen sich jetzt entlastet fühlen. Und das waren viele

    nicht. Sie spürten, da stimmt etwas nicht, und es bestand lange eine sehr

    große Angst, auch in konservativen Kreisen, daß das Bundesverfassungsgericht

    eine Änderung vornehmen könnte.

    Was bedeutet das Urteil für die Arbeit auf europäischer Ebene?

    Auch hier gilt, daß diese erschwert ist. In den vergangenen zwei Jahren habe

    ich gelernt, daß Deutschland eine ungewöhnlich starke Rolle in der

    Formulierung der Abschottungspolitik in Europa hat. Andere vergleichbare

    Staaten wie Österreich, die Schweiz, Frankreich und Schweden orientieren sich

    sehr stark an der Bundesrepublik, und diese nimmt bei internationalen

    Konferenzen eine sehr restriktive Rolle ein, auf die sich die anderen nicht

    nur wohl oder übel, sondern in vielen Fällen auch gern einlassen.

    Der innenpolitische Sprecher der CDU, Herr Marschewski, sagte

    kurz nach der Urteilsverkündung, wir haben das liberalste Asylrecht der

    ganzen Welt.

    Das ist ein Mythos, der nicht stimmt. Andere Länder haben gleiche oder

    günstigere Standards. Wir hatten bis 1992 das großzügigste Recht. Das haben

    wir geopfert. Für uns ist eine solche Formulierung von einem verantwortlichen

    Politiker ein unverantwortlicher Zynismus.


    Interview: Julia Albrecht

     


     

    Bundesverfassungsgericht weist Klagen gegen Asylgesetz ab. CDU- und

    SPD-Politiker zeigen sich zufrieden

    Berlin (taz) - "Mit einer sehr heißen Nadel" sei das neue Asylrecht

    gestrickt worden, sagte die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts noch

    vor einem Jahr. Gestern verkündete sie das endgültige Urteil über das neue

    Asylrecht: Sämtliche Regelungen sind verfassungskonform. Alle drei Säulen der

    Abschottungspolitik gegen politische Flüchtlinge behalten Bestand: die

    Drittstaatenregelung, wonach Flüchtlinge, wenn sie aus angrenzenden Ländern

    kommen, in diese zurückgeschoben werden können, die Regelung über die

    sicheren Herkunftsstaaten und die Flughafenregelung. Nur hier wurden

    geringfügige Verbesserungen von den höchsten RichterInnen eingefügt.

    Flüchtlinge müßten einen Anspruch auf rechtlichen Beistand erhalten und die

    Rechtsmittelfrist verlängert werden. Drei der acht Richter gaben ein

    Sondervotum ab.

    Bundeskanzler Kohl und Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) begrüßten

    das Urteil - auch als persönlichen Erfolg. Für "sehr ausgewogen" erachtete

    auch der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz den Urteilsspruch. Für die

    Bündnisgrünen kritisierten Kerstin Müller und Jürgen Trittin das Urteil

    hingegen als "faktische Aushebelung des Grundrechts auf Asyl". Die

    Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Claudia Roth, sagte: "Das

    Grundrecht auf Asyl ist künftig ein Gnadenrecht des Staates." Die

    Drittstaatenregelung, so amnesty international, ist in keinem anderen

    westeuropäischen Land "so restriktiv wie in Deutschland".

    "Nach dem massiven Druck der letzten Monate auf das höchste deutsche Gericht

    - bis hin zur Infragestellung seiner Kompetenzen - waren die Erwartungen

    bereits gedämpft", sagte der Geschäftsführer des Republikanischen

    Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) Wolfgang Schwerdtfeger. Das Urteil aber

    habe alle Befürchtungen übertroffen. Das Gericht habe seine Rolle als Hüter

    von Individualrechten preisgegeben und nicht gesehen, daß die Internierung

    von Flüchtlingen auf den Flughäfen in die Freiheitsrechte eingreife. Auch die

    Vertreterin des UN-Flüchtlingshochkommissars (UNHCR) in Deutschland, Judith

    Kumin, bedauerte die Entscheidung.

    Die Jungen Liberalen "respektieren" das Urteil, äußern aber ihr "Bedauern".

    Ziel bleibe, "Korrekturen hin zum alten Artikel 16" zu bewirken. "Die

    Staatsräson hat gewonnen", urteilt die Humanistische Union. "In Deutschland

    gibt es nur noch wenig Schutz für Asylsuchende. Und nur wenig Menschlichkeit

    für sie." Der Europareferent der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl , Herbert

    Leuninger, sagte der taz: "Die Staatsräson wurde für wichtiger erachtet als

    der Erhalt des Menschenrechts auf Asyl." Gesiegt habe Bundesinnenminister

    Kanther mit seiner Warnung, daß jede noch so kleine Korrektur am Asylrecht

    die Diskussion wieder aufbrechen lasse und den inneren Frieden in Gefahr

    brächte.

     

     


     

    "Rien ne va plus?" Der deutsche Beitrag zum arte-Themenabend

    "Asylpolitik in Europa" (20.50 Uhr)

    Im Hausflur blättert die Farbe von der Decke, im Zimmer stehen die

    Doppelbetten aus Stahl an der Wand, der Blick aus dem Fenster ist trübe wie

    die Gesichter der acht schwarzen Männer, die um den Tisch sitzen. Ein

    schäbiges Leben in schäbiger Umgebung ist das.

    Ruhe und Sicherheit wollte Syleiman Bouraina finden. 80 Mark Taschengeld im

    Monat bekommt er. Sein Name stehe auf einer Todesliste, hat er dem

    Entscheider gesagt. Doch der lehnte den Asylantrag ab. Die Fluchtgründe seien

    "unglaubwürdig. Togo, wo Syleiman Bouraina herkommt, war zu Anfang des

    Jahrhunderts deutsche Kolonie. Deutschland sei sein "Mutterland", das sein

    Leben schützen müsse. Abgelehnt. Die Kamera verabschiedet sich sacht aus

    seinem Gesicht und fängt Manfred Kanther, Bundesinnenminister ein, der im

    Juli 1993 im Bundestag den "Asylkompromiß" verteidigt: "Es geht nicht, daß

    für jeden ein Bleiberecht besteht."

    Die meisten, die auf Schleichwegen kommen, prallen ab an diesem Satz. Die

    Stationen ihrer Enttäuschung und Verzweiflung hält Milka Pavlicevic mit der

    Kamera fest. Die Sprache ihrer Bilder ist subtil. Gitterstäbe umschließen das

    Asylbundesamt, lautlos drucken Computer die ablehnenden Urteile aus. Der

    Entscheider spricht von seiner Belastung und dem "Fingerspitzengefühl" das er

    braucht, um herauszufinden, ob "der Antragsteller glaubwürdig ist". Der

    BGS-Mann sagt, er brauche "Feeling" bei einer Abschiebung. Pavlicevic

    montiert Meinungen gegeneinander. Ein Pilot erinnert sich an einen Mann, der

    sich im Flugzeug mit Händen und Füßen gegen die Verfrachtung wehrte, von

    BGS-Beamten geknebelt wurde und bald darauf an einem Herzinfarkt starb.

    "Rien ne va plus - Asyl in Deutschland" ergreift einfach Partei. Entseelte

    Gesetze, kalte Politiker, stammelnde Bürokraten, nackte, finstere

    Behausungen, auf der einen Seite. Gutmeinende auf der anderen: Ulrike Voss,

    die in Nürnberg Flüchtlinge betreut, der Dolmetscher, der bezeugt, daß

    Entscheider von Asylsuchenden verlangen, das Protokoll ihrer Anhörung blanko

    zu unterschreiben, Herbert Leuninger von "Pro Asyl" , Nachbarn, die sich

    während einer Abschiebeaktion der Polizei an "Gestapo-Praktiken" erinnert

    fühlen, der reuige Politiker, der seinerzeit den Asylkompromiß mittrug. Aus

    ihnen allen spricht pures Entsetzen über das unwirtliche Deutschland. Der

    politischen Realität stemmen sie Nächstenliebe und ihre Fähigkeit entgegen,

    sich dem Leid der Flüchtlinge anzunehmen.

    Etwa die engagierte Flüchtlingshelferin, die Ibrahim Doruk auf dem Weg durch

    die Ämter begleitet. Ihm und seiner kurdischen Familie wurde vor Jahren das

    Asyl verweigert. In einer frühmorgendlichen Aktion holte die Polizei Frau und

    Kinder aus dem Haus und brachte sie in die Türkei. Der Mann konnte entkommen,

    erlitt einen Herzinfarkt und trat anschließend in Hungerstreik. Als sein

    Zustand kritisch wurde, ließen die deutschen Behörden Frau und Kinder wieder

    einreisen. Nun lebt die Familie auf engstem Raum in einer Sammelunterkunft,

    ängstlich in der Erwartung, daß der Duldungsstempel einmal nicht mehr nach

    drei Monaten in die Pässe gedrückt wird.

    Diese Ungewißheit beschreibt Doruk als "Folter", gleich der, die er in der

    Türkei durchlebt hat. Er weint. Die Betreuerin mit ihm. Eine Minute lang

    schwenkt die Kamera tonlos von einem Gesicht zum anderen. Gewiß, solche

    Bilder berühren. Milka Pavlicevic will Emotionen provozieren, auch wenn sie

    aus der Balance gerät. Mit einem großen Gefühlsfinale läßt sie die

    Dokumentation enden. Die Kamera sucht einen Friedhof ab, auf dem zwei

    Asylsuchende begraben liegen, die den Druck deutscher Gesetze nicht

    aushielten. Klagender Kommentar der Autorin: "Unter der grünen Wiese im

    Armengrab beerdigt - Asyl in Deutschland." Dicker läßt sich Schuldgefühl

    nicht auftragen. Ein dürftiges Ende für eine sehenswerte Dokumentation.

    Annette Rogalla

     

     


     

    Nachgefragt

    Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) hat Strafantrag gegen das

    Anti-Rassismus-Büro wegen Verleumdung und übler Nachrede gestellt. Grund: Das

    Anti-Rassismus-Büro hat ihm in einem Demonstrationsaufruf eine "Politik

    ethnischer Säuberung" vorgeworfen. Wir fragten bei einem Vertreter des

    Anti-Rassismus-Büros nach.

    taz: Was genau hat das Antirassismus-Büro erklärt?

    Matthias: Ich kann das zitieren aus unserem Demonstrationsaufruf zum

    10. Januar. Da heißt es: "Manfred Kanther, sein Bremer Kollege Innensenator

    Ralf H. Borttscheller und dessen Wau-Wau, der momentan etwas glücklose

    Staatsrat von Bock, werden sich auf dieser CDU-Gruselparty gegenseitig auf

    die Schulter klopfen und den neuen "Erfolg" ihrer gemeinsamen Politik der

    ethnischen Säuberung Deutschlands feiern..."

    Was heißt ethnische Säuberung Deutschlands?

    Große Gruppen von Menschen, z.B. Vietnamesen, oder Bosnierinnen und Bosnier,

    werden abgeschoben. Bei den Bosniern ist es zudem so, daß die Leute gar nicht

    in ihre Dörfer zurückkönnen und keine Möglichkeit sehen, dort zu leben.

    Trotzdem werden zehntausende so abgeschoben.

    Unter ethnischer Säuberung versteht man aber eine Säuberung,

    deren Motive ethnischer Art sind. Unterstellt das Anti-Rassismus-Büro, daß

    sie deshalb abgeschoben werden, weil es Bosnier sind?

    Nein. Wir erleben, daß Deutschland weitestgehend flüchtlingsfrei gemacht

    werden soll. Der Begriff der ethnischen Säuberung ist in provokanter Weise

    ins Spiel gebracht worden von Herbert Leuninger, damals Sprecher von Pro Asyl . Der hat die Abschiebepolitik der Bundesregierung vor anderthalb Jahren

    als Vorstufe zur ethnischen Säuberung bezeichnet. Das haben wir aufgegriffen.

    Handelt es sich bei den Abschiebungen nicht vielmehr um den

    Versuch, Sozialhilfe zu sparen und den Arbeitsmarkt nicht zusätzlich zu

    belasten durch geduldete oder aufgenommene Flüchtlinge?

    Ich würde darüber nicht spekulieren wollen, was die Motive sind. Kanther hat

    eindeutig erklärt, daß er nicht mehr Flüchtlinge haben will, gerade auch nach

    Srebrenica, weil Deutschland voll sei.

    Der Begriff ethnischer Säuberung unterstellt aber ethnische,

    rassistische Motive...

    So eng muß man dieses Wort nicht begreifen. Das Land soll von bestimmten

    ethnischen Gruppierungen gesäubert werden. Zum Beispiel die Vietnamesen.

    Natürlich auch aus rassistischen Motiven, das wirkt irgendwie zusammen.

    Borttscheller hat Strafantrag gestellt, jetzt soll das Gericht

    die Frage klären.

    Mitarbeiter des Büros werden mit Strafanzeigen wegen Verleumdung und

    Volksverhetzung geradezu eingedeckt.

    Hat schon ein Verfahren stattgefunden?

    Im Februar gibt es den ersten Termin, weil wir in der Brechmittel-Broschüre

    von "rassistischer Sonderbehandlung im Fließbandverfahren" geschrieben haben.

    Nach Meinung des Staatsschutzes ist das Volksverhetzung.

    Habt ihr jetzt wegen Borttscheller einen Anwalt

    eingeschaltet?

    Nein. Diese Strafanzeige ist lächerlich. Das Wort "ethnische Säuberung" ist

    eine politische Wertung. Ich denke, soviel Meinungsfreiheit sollte hier noch

    bestehen. Ich finde es unglaublich, daß daraus ein Straftatbestand gemacht

    werden soll.

    Fragen: K.W.

     


     

    Das Portrait

    Wenn man bei ihm anrief - und natürlich rief man ständig bei ihm an, zu allen

    Tages- und Nachtzeiten, wenn es wieder irgendwo "brannte" - dann wußte man

    nie so richtig, ob da am anderen Ende der Leitung einer geschäftsmäßig am

    Schreibtisch saß oder gemütlich im Wohnzimmer. Ein Gefühl, als platze man mit

    der Bitte um Stellungnahme mitten in die Privatsphäre eines Menschen hinein.

    Der Eindruck war wohl nicht falsch: Herbert Leuninger (62) hat seine Aufgabe

    zur Sache seiner ganzen Person gemacht - und umgekehrt.

    Von seiner Arbeit kennen die meisten nur den Teil, der ihn in den letzten

    Jahren als Anwalt von "Recht- und Stimmlosen" und Sprecher der

    Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" immer wütender in die Öffentlichkeit brachte.

    Leuninger, katholischer Pfarrer und 20 Jahre lang Ausländerreferent im

    Bischöflichen Ordinariat Limburg, hat 1986 die Flüchtlingsorganisation mit

    gegründet. Im September dieses Jahres gab er die ehrenamtliche

    Sprechertätigkeit auf. Am Freitag nun wird er auf dem Internationalen

    Basso-Tribunal in Berlin derjenige sein, der für Deutschland über die Lage

    der Flüchtlinge und Asylbewerber Bericht erstattet.

    Leuninger, der Mahner von "Pro Asyl" , sprach so eindringlich und überzeugend,

    daß der relativ kleine Kreis um "Pro Asyl" bald zu der

    bundesweiten Instanz in Sachen Asyl- und Flüchtlingspolitik wurde. Was er

    sagte, wurde in den letzten Jahren immer notwendiger, weil es sonst kaum noch

    jemand aussprach: "Wenn wir nicht lernen, mit Flüchtlingen

    zu leben, werden wir nicht in der Lage sein, die wirklichen Herausforderungen

    einer zusammenwachsenden Weltgesellschaft zu bewältigen." Flüchtlinge seien

    "Botschafter des weltweiten Unrechts". Wer so etwas sagt, macht sich nicht

    beliebt: "Als Asylantenfreund und Verräter" beschimpften ihn anonyme Feinde

    und bewarfen sein Haus mit Steinen. Einen "Fanatiker" zieh ihn der

    FDP-"Linke" Burkhard Hirsch, den Leuninger dort gepackt hatte, wo einige es

    nie verzeihen - am schlechten Gewissen.

    Auch die Kirche lag mit ihm oft über Kreuz - und er mit ihr. Daß beide

    Kirchen 1993 in die große Koalition für eine Asylrechtsänderung

    einschwenkten, muß eine der bittersten, bis tief in die eigene Person

    reichende Erfahrung gewesen sein. Manchmal, sagt Leuninger, fühle er sich wie

    ein "Narr, der an Positionen festhält, auf denen sonst niemand mehr ist".

    Vera Gaserow

     

     


    INTERVIEW

    Interview mit Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger über den

    verfassungswidrigen Umgang deutscher Behörden mit persönlichen Daten

    von Flüchtlingen

    taz: Herr Leuninger, die deutschen Geheimdienste

    haben quasi ungehinderten Zugang zu den persönlichen Daten von Flüchtlingen,

    die in der Bundesrepublik als politisch Verfolgte anerkannt werden möchten.

    Jetzt soll noch vor Ende der Legislaturperiode ein

    "Ausländerzentralregistergesetz" (AZRG) verabschiedet werden, wonach diese

    Praxis legitimiert werden soll. Gilt der Datenschutz für Asylbewerber nicht?

    Herbert Leuninger: Juristisch gesehen steht das Recht auf

    informationelle Selbstbestimmung allen Bürgern zu. Faktisch aber wird dieses

    Grundrecht bei MigrantInnen und vor allem bei Flüchtlingen ignoriert. Die

    ungeheure Datenkonzentration im Kölner Ausländerzentralregister, das seit

    Jahrzehnten ohne gesetzliche Grundlage arbeitet, ist dafür nur ein Beispiel.

    Aus ihm können sich alle möglichen Behörden und Stellen bedienen. Mit

    Flüchtlingsdaten wird umgegangen wie mit Peanuts.

    Welche Institutionen sind daran hauptsächlich beteiligt?

    Die Ausländer- und Visabehörden, die Bundesanstalt für Arbeit, der

    Bundesgrenzschutz, das Zirndorfer Bundesamt für die Anerkennung von

    Flüchtlingen, das Bundeskriminalamt, die Staatsanwaltschaften der

    Oberlandesgerichte, die Verfassungsschutzbehörden usw. verfügen über eigene

    Datensammlungen - Inpol, Afis, Asylis, Asylon, Sis, Easy -, die sie an das

    Ausländerzentralregister übermitteln. "Befreundete" ausländische

    Geheimdienste können sich aus diesen Datenbeständen über abgelehnte und

    zurückgewiesene, aber auch über anerkannte Asylbewerber ohne Skrupel

    bedienen. Hier ist überhaupt keine Grenze des Austausches. Das ist skandalös

    und verfassungswidrig.

    Welche konkreten Folgen kann diese Praxis des Datenmißbrauchs

    für Flüchtlinge haben?

    Die größte Gefahr geht letztlich von den Geheimdiensten aus. Sie benutzen die

    Daten weniger zur "Gefahrenabwehr", sondern eher als zusätzliches Faustpfand

    für Geschäfte mit Drittstaaten. Etwa in dem Sinne: Gibst du mir meinen Spion

    zurück, bekommst du von mir die Daten deiner politischen Gegner, die in die

    Bundesrepublik geflüchtet sind. Die Zusammenarbeit der Geheimdienste kann so

    weit gehen, daß die verfolgenden Heimatbehörden bis in die Details, bis in

    die Krankengeschichten, Bescheid wissen. So wird den hiesigen

    Generalkonsulaten - ein aktuelles Beispiel ist dabei Algerien - bei

    anstehenden Abschiebungen neben Personaldaten ausdrücklich der Hinweis

    "Asylbewerber" übermittelt.

    Deutsche können den Schutz persönlicher Daten gerichtlich

    einklagen. Warum sollte sie interessieren, was Asylbewerbern widerfahren

    kann?

    Wenn man das alles zusammennimmt, wird glasklar: Hier nähern wir uns dem

    Horrorsystem der absoluten Verdatung, Vernetzung und Manipulation von

    Menschen. Datenschutz ist ein Menschenrecht, das in Deutschland mit Füßen

    getreten wird, wenn Flüchtlinge die Betroffenen sind. Es ist deshalb

    allerhöchste Zeit, daß wir uns alle dagegen wehren.

    Interview:

    Franco Foraci

     


     

    Kreis Neuss betreibt Pilotverfahren wegen unerlaubter Rechtsberatung

    / Pro Asyl : Versuch der Illegalisierung

    Düsseldorf (taz) - Die Kreisverwaltung Neuss zieht alle behördlichen

    Register, um einen Kritiker der örtlichen Ausländerbehörde kaltzustellen. Ins

    Visier der Kreisbehörde ist der Sprecher des Neusser Flüchtlingsrates,

    Michael Stoffels, geraten - gleich zweifach. Zunächst hatte der Neusser

    Oberkreisdirektor Stoffels wegen eines kritischen Leserbriefes angezeigt und

    vor den Kadi gezerrt. Die Behördenleitung fühlt sich von Stoffels verleumdet,

    weil der die Abschiebung eines mehrfach behinderten Romajungen als "die mit

    Abstand fremdenfeindlichste Tat im Kreis Neuss" gegeißelt hatte. Nach einem

    noch nicht rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichtes soll der

    Gesamtschullehrer für seine Kritik mit 4.000 Mark büßen (vergl. taz v. 6.8.).

    Zusätzlich leitete der Oberkreisdirektor gegen den Flüchtlingsratssprecher

    ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz ein. Dem

    engagierten Pädagogen wird "die geschäftsmäßige Besorgung fremder

    Rechtsangelegenheiten" vorgeworfen.

    "Penibel und mit großer Akribie", so Stoffels, habe die Behörde zur

    Begründung der Anzeige seine Hilfsdienste für Flüchtlinge aufgelistet.

    Stoffels wörtlich: "Diese Fälle umfassen praktisch das gesamte Spektrum an

    Flüchtlingshilfe. Moniert wird nicht nur die Hilfe bei gerichtlichen

    Verfahren, sondern auch die Vermittlung von Anwälten, das Verfassen von

    Petitionen, Begleitschreiben an Behörden und Bittbriefe in sozialen

    Belangen." Wenn die Neusser Kreisbehörde mit diesem Verfahren Erfolg hätte,

    stünde nach den Worten des Düsseldorfer Rechtsanwaltes Karl Heinz Bartens

    "die ganze ehrenamtliche Hilfe" zur Disposition. Alarmiert zeigt sich auch

    die Frankfurter Flüchtlingshilfe-Organisation Pro Asyl . Der Neusser

    Verfolgungsdrang passe ins Bild der zunehmenden "Illegalisierung" von

    Pro

    Flüchtlingshilfe. - Asyl-Sprecher Herbert Leuninger: "Wir befürchten

    ohnehin, daß im Rahmen der Illegalisierung von Flüchtlingen die gesamte

    Arbeit von Flüchtlingshilfegruppen in die Zone der Illegalität gedrängt wird."

    Weil dem Neusser Verfahren eine Pilotfunktion zukomme, werde Pro Asyl

    Stoffels mit einer Prozeßkostenhilfe beistehen. Walter Jakobs

     

     


     

    SPD und Pro Asyl kritisieren erneute Waffenlieferungen an die Türkei

    Berlin/Bonn (taz/dpa) - Die erneuten Waffenlieferungen der

    Bundeswehr an die Türkei wurden gestern von den Sozialdemokraten, der

    Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl sowie der PDS heftig kritisiert. Herbert

    Leuninger, Sprecher von Pro Asyl , sagte, daß "die Bundesregierung weiter auf

    ihren verfehlten alten Kurs der militärischen Option" gegenüber den Kurden

    setze. Und dies, obwohl die USA - ebenfalls Nato-Partner der Türkei -

    hinsichtlich der Menschenrechtslage der Kurden gegenüber Ankara zunehmend

    kritischer würden.

    SPD-Wehrexperte Walter Kolbow sagte gestern im Saarländischen Rundfunk, seine

    Partei habe immer darauf gedrungen, die Materialhilfe für die Türkei

    auszusetzen. Er unterstrich den Protest der SPD gegen diese Materialhilfe,

    "aber die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sehen anders aus". Die

    Sozialdemokraten würden "mit Argusaugen" darauf achten, daß die türkische

    Regierung zu ihrer Zusage stehe und die gelieferten Rüstungsgüter nicht in

    den Kurdengebieten einsetze.

    Die PDS ließ verlauten, daß die Partei stets gegen solche Waffenlieferungen

    gewesen sei, denn es sei zu befürchten, daß die Waffen gegen die Kurden

    eingesetzt würden.

    Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte gestern, daß die

    türkische Armee im Rahmen der Rüstungshilfe von Deutschland unter anderem in

    einem fünften Materialpaket rund 1,2 Millionen Schuß Munition für

    20-mm-Kanonen und leihweise einen Kampfpanzer Leopard 1A 5 und eine Haubitze

    FH 70 zu "Erprobungszwecken" erhalten soll. Über den genauen Zeitpunkt der

    Lieferung sei noch nicht entschieden. Der Sprecher der Hardthöhe wies darauf

    hin, daß Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 mit dem damaligen türkischen

    Staatspräsidenten Turgut Özal im Zusammenhang mit dem Golfkrieg

    Rüstungslieferungen im Gesamtwert von 1,5 Milliarden Mark vereinbart hatte.

    Die Rüstungshilfe werde Ende dieses Jahres beendet. Verteidigungsminister

    Volker Rühe (CDU) habe Mitte Juni den Verteidigungsausschuß des Bundestages

    über die neuen Lieferungen informiert.

    Von Anfang April bis Anfang Mai war die Rüstungshilfe von Außenminister Klaus

    Kinkel (FDP) kurzfristig ausgesetzt worden. Menschenrechts- und

    Friedensgruppen hatten zuvor neue massive Beweise für den Einsatz deutscher

    Waffen im Kampf der türkischen Armee gegen die Kurden vorgelegt.

    Die Zeugenaussagen sowie Fotos von Panzern, Militärtransportern und G

    3-Gewehren ließ die Bundesregierung jedoch nicht von unabhängigen Gutachtern

    prüfen, sondern direkt vom Verteidigungsministerium. Am Ende hieß das Fazit des

    Außenministeriums "mangelnde Beweiskraft". Zynisch verlangte Klaus Kinkel

    von den Menschenrechtsgruppen Fotos von auf frischer Tat eingesetzten Waffen

    und ließ keine eigenen Recherchen anstellen. Dies bezeichnete die grüne

    Politikerin Angelika Beer im Mai als "Täuschung der Öffentlichkeit" und

    "Unterstützung der Ausrottungspolitik der türkischen Regierung".

    kotte

     


     

    Weil Algerien "Abtrünnige" ungern wieder aufnimmt, sitzen Hunderte

    über Monate in deutscher Abschiebehaft

    Eine "nicht hinnehmbare Verzweiflungstat" ist die Geiselnahme laut Herbert

    Leuninger. Für den Chef von Pro Asyl ist es kein Zufall, daß die Meuterer von

    Kassel mehrheitlich Algerier sind. Denn in Algerien seien der "gegenseitigen

    Barbarei" von Militärregime und islamischen Fundamentalisten in den

    vergangenen Jahren 4.000 Menschen zum Opfer gefallen.

    Seit im Dezember 1991 in Algerien die ersten freien Wahlen kurzfristig

    abgebrochen wurden, herrscht dort ein blutiges Gemetzel. Islamisten, die sich

    um den erwarteten Wahlsieg betrogen fühlten, machen seither Jagd auf

    Repräsentanten des Staates. Die "Sicherheitskräfte" revanchieren sich mit

    Massenverhaftungen, Folter und Mord. Zwischen die Fronten geraten dabei

    Intellektuelle, die gegen einen Gottesstaat sind, aber auch am Regime

    herummäkeln. Hunderte SchriftstellerInnen, JournalistInnen und

    MenschenrechtlerInnen wurden in den letzten Monaten ermordet. Da in dem

    schleichenden Bürgerkrieg auch alte Rechnungen beglichen werden, lassen sich

    nur selten zweifelsfrei politische Motive nachweisen.

    Reklamiert ein Algerier in der Bundesrepublik für sich den Status des

    Flüchtlings, so haben die Behörden zu prüfen, vor wem er geflohen ist. Nur

    wer von staatlicher Seite verfolgt wird, hat hierzulande Anspruch auf Asyl.

    Die Behörden berufen sich dabei auf eine enge Auslegung der Genfer

    Flüchtlingskonvention. Dies hat zur Folge, daß nur eine Minderheit von

    AlgerierInnen in Deutschland Schutz finden. Von 176 im Juni von

    AlgerierInnenn gestellten Erstanträgen auf Asyl wurden nur elf positiv

    beschieden. Die besten Chancen haben prominente Islamisten. AlgerierInnen,

    die ihren Namen auf den Abschußlisten islamistischer Todesschwadrone wähnen,

    landen dagegen häufig in Abschiebehaft.

    Die algerischen Behörden sind nicht darauf erpicht, die "Abtrünnigen" wieder

    aufzunehmen. Wer im Ausland Asyl beantragt hat, gilt kaum als loyaler Bürger.

    Obwohl die deutschen Behörden den algerischen Stellen vor Abschiebungen die

    Personaldaten und Angaben zu Familie und Bekannten übermitteln, akzeptiert

    Algerien pro Tag maximal fünf Personen. Hunderte AlgerierInnen sitzen daher,

    wie die Meuterer von Kassel, über Monate in Abschiebehaft. Bereits Ende April

    revoltierten in Leverkusen und Büren algerische Abschiebehäftlinge.

    Flüchtlingsinitiativen verlangten damals von deutschen Behörden, ihre

    Entscheidungskriterien der algerischen Realität anzupassen und Flüchtlingen

    Schutz zu bieten, egal von wem sie verfolgt werden. Thomas Dreger

     


     

    Pro Asyl fordert Gesetzesänderungen

    Frankfurt (AP) - Die Hilfsorganisation Pro Asyl hat das seit einem

    Jahr geltende neue Asylrecht scharf kritisiert und Gesetzesänderungen

    gefordert. Die neue Regelung habe Flüchtlinge weitgehend rechtlos gemacht,

    sagte der Sprecher der Organisation, Herbert Leuninger, am Dienstag in

    Frankfurt. Die Zahl der "legalen" Flüchtlinge sei zwar zurückgegangen, die

    der "illegalen" aber gestiegen. Gleichzeitig hätten sich Fluchtursachen und

    -bewegungen nicht verändert. Damit "Illegalität" nicht der Flüchtlingsstatus

    der Zukunft werde, müßten die Gesetze geändert werden, ohne das Grundgesetz

    anzutasten, verlangte Leuninger.

    Der Rechtsschutz wird nach den Worten Leuningers durch kaum einzuhaltende

    Fristen für Anwälte und Gerichte ausgehebelt, mit der Folge einer übereilten

    Abschiebung, der Abschiebehaft oder des Untertauchens des Bewerbers. In

    einzelnen Ländern werde sogar gegen das neue Recht verstoßen, indem mit

    Zustellung des Abschiebungsbescheids die Abschiebung vollzogen und damit die

    vorgeschriebene Frist zwischen beiden bewußt nicht eingehalten werde.

    Pro Asyl verlangt unter anderem ersatzlose Streichung des sogenannten

    Flughafenverfahrens sowie die Abschaffung der Drittstaatenregelung, wenn

    begründete Zweifel daran bestehen, daß der Flüchtling in dem Land Zugang zu

    einem Asylverfahren hat oder wenn sich ein Mitglied seiner Kernfamilie

    bereits legal in Deutschland aufhält.

    Die Anhörung der Antragsteller soll nach der Forderung der Organisation

    frühestens nach sieben Tagen und nicht schon wie heute üblich bereits am

    ersten Tag erfolgen. Dabei soll er ein Merkblatt in seiner Sprache erhalten

    und auf die Bedeutung der Anhörung hingewiesen werden. Die Ausreisefrist

    müßte nach der Forderung der Hilfsorganisation mindestens einen Monat

    betragen und darf nicht mit der Frist zusammenfallen, die für die Einlegung

    von Rechtsmitteln besteht. (Agentur)

     


     

    Ein Jahr nach der Asylrechtsänderung - Eine Bilanz

    Bonn (taz) - Als "Politik der Abschottung, Abschiebung und

    Abschreckung" oder kurzum als konzertiertes "AB", bezeichnete gestern

    Pro-Asyl -Sprecher Heribert Leuninger die neue Asylpolitik der Bundesrepublik

    Deutschland. Diese war heute vor einem Jahr mit der

    Artikel-16-Grundgesetzänderung eingeleitet worden. Ein Anlaß für

    VertreterInnen zahlreicher Menschenrechtsorganisationen, in der Bonner

    Friedrich-Ebert-Stiftung Bilanz zu ziehen.

    Leuninger betonte, daß die eigentliche Abschottung der Bundesrepublik nicht

    erst an der eigentlichen Staatsgrenze stattfinde, sondern de facto schon

    wesentlich früher betrieben werde: Der erste "legale und unüberwindliche

    Wall" stelle nach Meinung Leuningers eine seit Jahren "äußerst restriktive

    Praxis der Visaerteilung" dar. Dies geschehe vor allem in den Staaten, "aus

    denen möglicherweise Flüchtlinge kommen könnten", so Leuninger. Als

    "rassistische Komponente der neuen Asylpolitik" wertete er das Verhalten der

    Bundesrepublik, zwar einerseits "die Menschenhatz auf Afrikaner zu

    verurteilen, andererseits jedoch die Aufnahme von Staatsbürgern aus Ruanda

    kategorisch abzulehnen".

    Kritik an der Asylrechtsänderung übten auch der Vertreter von amnesty

    international, Wolfgang Grenz, sowie die UNHCR-Abgesandte Judith Kumin. Beide

    befürchten eine Kettenabschiebung politisch Verfolgter zurück ins

    Ursprungsland, wenn in angeblich "sicheren Drittstaaten" ein faires

    Asylverfahren nicht gewährleistet sei. Statt formeller Ausschlußgründe müsse

    der Schutz des Flüchtlings absolut im Vordergrund stehen. Hasso

    Suliak

     


     

    Bundesamt für Flüchtlinge legt iranischen Asylbewerbern ein

    Konsulatsformular über Fluchtgründe und Fluchtweg vor / Vizepräsident

    stellt Vorgehen seiner Behörde in Frage Aus Berlin Dorothee

    Winden

    Wenn Iraner einen Asylantrag stellen, legt ihnen das Bundesamt für die

    Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ein Formular der iranischen Botschaft

    in Bonn vor. Darin sollen sie unter anderem beantworten, wann und warum sie

    den Iran verlassen haben, welche Grenze sie zum Verlassen des Landes benutzt

    haben und warum sie einen Asylantrag stellen. Wie der Vizepräsident des

    Bundesamtes, Wolfgang Weickhardt, gegenüber der taz bestätigte, wird

    bundesweit "routinemäßig" so verfahren. Das Formular der iranischen Botschaft

    werde zusammen mit einem deutschen Formular vorgelegt, in dem zur Beschaffung

    eines Paßersatzes Personalien abgefragt würden. Die iranische Botschaft

    verlange "darüber hinausgehende Daten", deshalb lege das Bundesamt seit März

    auch das iranische Formular vor.

    Weickhardt zufolge ist dieses Vorgehen durch das Asylverfahrensgesetz

    gedeckt, das eine Paßbeschaffung "zum frühest möglichen Zeitpunkt" vorsieht.

    Indirekt gab er jedoch zu, daß seine Behörde über das Ziel hinausschießt.

    Weickardt räumte ein, daß sich der fragliche Paragraph 43 b nur auf

    Flüchtlinge bezieht, die verpflichtet sind, in einem Heim zu wohnen, und

    deren Asylantrag als "offensichtlich unbegründet" eingestuft wird. Dies läßt

    sich aber zu dem Zeitpunkt, zu dem der Flüchtling den Antrag stellt, noch gar

    nicht feststellen. Zudem gibt es Weickhardt zufolge derzeit kaum

    "offensichtlich unbegründete" Asylanträge von Iranern.

    Es handle sich um eine "rein vorsorgliche Maßnahme". Deshalb müsse man sich

    "überlegen, ob es Sinn macht, die Formulare bei der Antragstellung

    vorzulegen", räumte er ein. Weickhardt betonte, daß die Unterlagen nur dann

    an Bundesgrenzschutz und Botschaft weitergegeben werden, wenn es sich um

    "offensichtlich unbegründete" Fälle handle. Das Ausfüllen des iranischen

    Formulars sei zudem "freiwillig". Er sei "fest überzeugt", daß Flüchtlinge

    bei einer Ablehnung und Rückkehr in den Iran deswegen keine Nachteile zu

    befürchten hätten.

    Iranische Oppositionelle erklärten dagegen, daß abgelehnte AsylbewerberInnen

    bei ihrer Rückkehr in jedem Fall mit einem Verhör rechnen müssen. Ihnen drohe

    auch eine zumindest vorübergehende Festnahme. "Die geringste Strafe ist ein

    Reiseverbot", erklärte Dr. Mehdi Haeri. Ein Stempel in iranischen Pässen

    untersage es dem Paßinhaber, im Ausland etwas zu tun, das sich gegen die

    Islamische Republik Iran richte. Darunter falle auch ein Asylantrag. Nach

    Angaben von Haeri wird in dem fraglichen Formular auch nach den Namen der

    Eltern und Geschwister sowie nach der Adresse der Familie im Iran gefragt. Es

    sei zu befürchten, daß auch Druck auf die Familie ausgeübt werde. Wie Javad

    Dabiran vom Nationalen Widerstandsrat Iran in Deutschland berichtete, kommt

    es vor, daß abgelehnte Asylbewerber bei ihrer Rückkehr unter Druck gesetzt

    werden, künftig mit den iranischen Behörden zusammenzuarbeiten.

    Herbert Leuninger von Pro Asyl bezeichnete das Vorgehen des Bundesamtes "als

    höchst bedenklich". Er kritisierte, daß die Behörde die mit der Vorlage des

    Formulars verbundene Gefährdung der Flüchtlinge herunterspiele. Ohnehin sei

    der Iran "gründlichst über Asylverfahren informiert". "Wir gehen von einem

    intensiven Informationsaustausch aus", so Leuninger. Stefan Telöken,

    Pressesprecher des Bonner UNHCR-Vertreters, erklärte: "Wir sind darüber nicht

    glücklich, denn für den Betroffenen entsteht eine schwierige psychologische

    Lage. Aber solange dem Flüchtling kein Nachteil erwächst, ist das rechtlich

    unangreifbar."

     


     

    Sachsens Rätselraten um Folterungen einer abgeschobenen kurdischen

    Familie

    Dresden (taz) - Die Aussagen zum Schicksal der am 6. April aus

    Sachsen abgeschobenen kurdischen Familie Cetin bleiben weiterhin

    widersprüchlich. Dem Bonner Auswärtigen Amt zufolge ist Ramazan Cetin nicht,

    wie in der Presse berichtet, durch die türkischen Behörden gefoltert worden.

    Bei einer aktuellen Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag

    berief sich Innenminister Heinz Eggert (CDU) auf Recherchen der deutschen

    Botschaft in Istanbul. Danach soll die Familie gleich nach ihrer Ankunft in

    der Türkei vier Stunden lang "befragt" und dann auf freien Fuß gesetzt worden

    sein. Angeblich habe Cetin seine Aussagen, er sei gefoltert und mehrere Tage

    inhaftiert worden, gegenüber der Botschaft widerrufen. Eggert und der

    Ausländerbeauftragte Heiner Sandig (CDU) wollen die Umstände der Abschiebung

    weiter prüfen. Unstrittig ist, daß auch schwere Versäumnisse des

    Rechtsanwaltes zu der Abschiebeaktion der Zentralen Ausländerbehörde Chemnitz

    geführt haben. So ging der Einspruch gegen den Abschiebebescheid erst eine

    Minute vor Abflug der Maschine beim Verwaltungsgericht ein.

    " Pro-Asyl " -Sprecher Herbert Leuninger forderte Bundesaußenminister Klaus

    Kinkel (FDP) auf, die siebenköpfige kurdische Familie nach Deutschland

    zurückzuholen. Leuninger erklärt Cetins Widerruf der Folteraussage mit

    massiver Bedrohung durch den türkischen Geheimdienst. Wenn die deutsche

    Botschaft solche Informationen verbreite, sei das "entweder ein Zeichen

    politischer Naivität oder aber der Ausdruck eines abgekarteten Spieles". Das

    Ehepaar Cetin hatte dem Flüchtlingsrat von den Folterungen telefonisch

    berichtet.

    In der Aktuellen Stunde des sächsischen Landtages verstieg sich der

    stellvertretende CDU- Landesvorsitzende Volker Schimpff zu der Behauptung, in

    der Türkei gebe es überhaupt keine Folter. Die vom "sogenannten

    Flüchtlingsrat" und anderer "interessierter Seite" aufgestellten

    "Standardverleumdungen" gehörten ins Repertoire von "kommunistischen und

    nationalsozialistischen Mordhetzern und ihrer grünalternativen

    Feigenblätter". Als Ingrid Stetter (SPD) über die Verfolgung und Ermordung

    von KurdInnen und JournalistInnen in der Türkei sprach, blökte ein

    CDU-Hinterbänkler: "Terroristen bleiben eben Terroristen!" dek

     


     

    KroatInnen

    Frankfurt/M. (epd) - Deutsche Wirtschaftshilfe für nach Kroatien

    zurückkehrende Flüchtlinge hat "Pro Asyl" gefordert. Die Rückführung

    Zehntausender dieser Menschen aus Deutschland sei ohne ein ökonomisches

    Rahmenprogramm "nicht zu verantworten", erklärte der Sprecher der

    Flüchtlingshilfeorganisation, Herbert Leuninger, am Dienstag in Frankfurt am

    Main. Erforderlich seien unter anderem die Schaffung von Wohnraum sowie die

    Sicherstellung eines "wirtschaftlichen Auskommens" der Rückkehrer. (Agentur)

     


     

     

    Abgeschobener Kurde zieht Aussage zurück / Türkische Drohung vermutet

    Dresden (AFP) - Die Vorwürfe wogen schwer: Nach seiner Abschiebung

    aus Sachsen sei er mit elektrischen Schlagstöcken gefoltert, getreten und

    geschlagen worden, berichtete der kurdische Familienvater Ramazan C.

    telefonisch Freunden, Bürgerrechtlern und Journalisten in Deutschland. Um ihn

    und seine Frau nach der Ablehnung ihres Asylantrages in Deutschland als

    Sympathisanten der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK zu entlarven,

    hätten die türkischen Sicherheitsbehörden das Paar aus Pirna und seine fünf

    Kinder nach der Ankunft in Istanbul am 7. April festgenommen und drei Tage

    lang im Gefängnis festgehalten.

    Doch Ramazan C. widerrief jetzt. Unter dem Druck türkischer Drohungen,

    vermuten Menschenrechtler wie Lothar Hermes, der Vorsitzende des Sächsischen

    Flüchtlingsrates.

    In einem Gespräch in der deutschen Botschaft in Ankara soll C. nur noch von

    "Schikanen" gesprochen haben, denen er und seine Familie bei der Vernehmung

    ausgesetzt gewesen seien. Gewalt sei "zur Erzwingung von Aussagen nicht

    angewendet worden", zitiert das Auswärtige Amt den 34jährigen. Überdies

    hätten Nachforschungen eines Menschenrechtsvereins in Istanbul keine Hinweise

    für eine Folterung ergeben, erklärt das Außenministerium. Ramazan C. und

    seine Familie hätten nach einer viereinhalbstündigen Routineüberprüfung noch

    am Tage ihrer Ankunft weiterreisen dürfen.

    In einem Telefonat mit der Sächsischen Zeitung hatte Ramazan C.

    noch am 15. April berichtet, die Sicherheitskräfte hätten gedroht, ihn

    totzuschlagen, wenn er von Folter und Verhör erzähle. Es handele sich um

    einen "grundsätzlichen Fall, von dem die ganze Rückführungspolitik der

    Bundesrepublik" abhänge, sagt der Sprecher der Flüchtlingsorganisation Pro

    Asyl , Herbert Leuninger. Seine Organisation fordert wegen schwerster

    Menschenrechtsverletzungen einen generellen Abschiebestopp in die gesamte

    Türkei. (Agentur)

     


     

    Bonn informiert Verfolgerstaaten

    Berlin (taz) - Die Bundesregierung stellt seit Jahren

    Verfolgerstaaten Daten über Flüchtlinge und Oppositionelle zur Verfügung. Auf

    diese Praxis haben die bundesweite Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" und die

    "Deutsche Vereinigung für Datenschutz" (DVD) hingewiesen. Von dem

    Datenaustausch, der für Flüchtlinge gravierende Folgen wie Todesstrafe oder

    Folter zur Folge haben kann, sind zur Zeit vor allem die Kurden bedroht, die

    die Bundesregierung in die Türkei abschieben möchte.

    Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger verweist in diesem Zusammenhang auf eine

    1979 eingeführte "Tabu-Liste" zur Bekämpfung des Terrorismus. Die

    Bundesregierung und die Türkei haben sich verpflichtet, über die in dieser

    Liste aufgeführten Personen und Gruppen Informationen auszutauschen. Darunter

    fällt auch die kurdische Arbeiterpartei PKK, die unlängst in der

    Bundesrepublik verboten wurde. Daß der Nato-Partner Türkei darüber hinaus mit

    Informationen über in der Bundesrepublik lebende Oppositionelle versorgt

    wird, hat Leuninger zufolge das niedersächsische Innenministerium schon 1984

    bestätigt. Dies geschehe im Rahmen eines Zusatzabkommens für das Nato-

    Truppenstatut. Die systematische Weitergabe von Daten läßt sich auch anhand

    eines Erlasses der Grenzschutzdirektion Koblenz vom 28. Oktober 1993

    nachzeichnen. Im Fall algerischer Flüchtlinge gibt die Direktion

    Personendaten zur Ausstellung von Paßersatzdokumenten an das algerische

    Generalkonsulat weiter. Die Papiere tragen den Zusatz "Asylbewerber", womit

    der Vertretung kenntlich gemacht wird, daß es sich um Oppositionelle handelt.

    Steht eine Abschiebung an, gibt die Behörde sogar die Flugdaten weiter. Wie

    diese Informationen verwertet werden, ist den Grenzschützern bekannt. Im

    Erlaß heißt es: "Das Generalkonsulat übermittelt die Flugdaten auch nach

    Algerien, um sicherzustellen, daß der algerische Staatsbürger den algerischen

    Sicherheitsbehörden zugeführt wird."

    Informationen über Flüchtlinge werden auch indirekt übermittelt. Erkenntnisse

    etwa der Verfassungsschutzbehörden werden regelmäßig unter den "befreundeten

    Diensten" ausgetauscht. Offiziell fällt der türkische Geheimdienst "MIT" zwar

    nicht darunter - über den Umweg Paris, London oder Washington gelangen die

    Daten dann dennoch nach Ankara.

    Im Rahmen der Schengener Verträge soll nun auch europaweit ein "Schengener

    Informationssystem" eingeführt werden. Damit werde erstmals "eine

    internationale Personen-Datenbank" für ausländerrechtliche und polizeiliche

    Zwecke geschaffen, kritisiert die "Deutsche Vereinigung für Datenschutz". In

    ihr werden "Drittausländer" gespeichert, die als "Gefahr für die öffentliche

    Sicherheit und Ordnung" gesehen werden.

    Weil diese Daten an "Stellen außerhalb des Hoheitsgebietes der

    Vertragsparteien" übermittelt werden dürfen, sei dieses System auch "eine

    potentielle Datenbasis für die Polizei, das Militär und die Geheimdienste der

    Verfolgerstaaten". Zur Übermittlung der Daten genügt bereits, wenn der

    Empfänger "besondere Vorkehrungen für die Datensicherung" zusichert.

    Wolfgang Gast

     


     

    Kurde schwebt nach Selbstverbrennung in Lebensgefahr / Kohl fordert

    Härte gegen "Gewalttäter"

    Bonn/Berlin (AP/dpa/taz) - Ein 35jähriger kurdischer Demonstrant,

    der sich am Dienstag auf der Autobahn mit Benzin übergossen und angezündet

    hatte, schwebte gestern noch in Lebensgefahr. Ein weiterer Demonstrant, der

    sich ebenfalls selbst angezündet hatte, erlitt weniger schwere Verbrennungen.

    Beide versuchte Selbstverbrennungen waren die dramatische Zuspitzung bei

    Autobahnblockaden in verschiedenen Bundesländern, die Kurden aus Protest

    gegen den Krieg in der Türkei und die Unterstützung der türkischen Regierung

    durch die Bundesregierung durchführten. Eine Kurdin, die sich in Mannheim

    bereits am Montag angezündet hatte, starb gestern. Während das

    Kurdistan-Informationsbüro erklärte, die Frau habe einen Abschiedsbrief

    hinterlassen, in dem sie gegen die kurdenfeindliche deutsche Politik

    protestiert, behauptete die Polizei, für die Selbstverbrennung hätte es

    keinerlei politische Motive gegeben.

    In Reaktion auf die Autobahnblockaden haben Bundeskanzler Helmut Kohl und

    andere führende deutsche Politiker mit harten Konsequenzen für die

    Beteiligten gedroht. Mit den Ausschreitungen der vergangenen Tage habe der

    "Terror eine neue Dimension erreicht", sagte Kohl. "Das ist ein

    unerträglicher Mißbrauch des Gastrechts, den wir nicht hinnehmen werden." Das

    Ausländerrecht sei möglicherweise zu ändern. Er erwarte nach Ostern einen

    Bericht der Bundesregierung. Am späten Nachmittag trafen sich die

    Innenstaatssekretäre von Bund und Ländern, um das rechtliche Problem zu

    erörtern.

    Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP),

    Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) und mehrere Landespolitiker sprachen

    sich für eine schnelle Abschiebung kurdischer Straftäter aus. Es gehe nicht

    an, "daß die innertürkischen Probleme gewaltsam auf deutschem Boden auch noch

    zu Lasten deutscher Staatsbürger ausgetragen werden", sagte Bohl.

    Die SPD zeigte sich unentschlossen: Ob sie eine schnelle Abschiebung der

    Kurden unterstützen werde, prüfe die SPD derzeit, sagte der Sozialdemokrat

    Hans-Gottfried Bernrath, Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses. Auf

    jeden Fall sei es schwer, "die einzelnen Täter zu ermitteln" und sie

    abzuschieben. Unmöglich sei es, wenn ihnen in der Türkei die Todesstrafe

    drohe. Statt dessen forderte Bernrath ein Waffenembargo gegen die Türkei:

    "Nato hin, Nato her, wenn Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt

    werden, müssen die Waffenlieferungen eingestellt werden."

    Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl verlangte indes einen

    Abschiebestopp für Kurden. "Abgeschobenen Flüchtlingen droht Gefahr für Leib

    und Leben", so Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger in Frankfurt am Main. In

    einer Erklärung unterstützte Pro Asyl den gewaltfreien Kampf gegen die

    Unterdrückung des kurdischen Volkes. Gewalttätige Demonstrationen könnten

    aber "die Spirale des Terrors in der Heimat nicht beenden und die Solidarität

    nicht fördern".

    Gegen Kurden, die sich an Blockaden beteiligt hatten, beantragten

    verschiedene Staatsanwaltschaften am Mittwoch Haftbefehle. In Kiel wird einem

    Kurden die versuchte Tötung eines Polizisten vorgeworfen. Nach Angaben der

    Stuttgarter Polizei wurden sechs Kurden dem Haftrichter vorgeführt, in Gießen

    waren noch zwölf Männer in Polizeigewahrsam. In Nordrhein-Westfalen wird

    gegen 250 Blockierer ermittelt, in Berlin gab es keine Haftbefehle.

     


     

    amnesty international fordert klaren Status für bosnische

    Flüchtlingsfrauen

    Berlin (taz) - Schon am kommenden Donnerstag werden vermutlich die

    ersten Flüchtlinge aus Serbien, einschließlich Kosovo und Montenegro,

    abgeschoben. Ein Flugzeug soll die Opfer der jüngsten Entscheidung des

    Bundesinnenministeriums von Düsseldorf aus ins rumänische Temesvar

    ausfliegen. Von dort werden sie per Bus an die Grenze Serbiens gebracht. Im

    Abstand von jeweils einer Woche sollen drei weitere Flüge gechartert werden.

    Das Düsseldorfer Innenministerium bat die Ausländerbehörden, für eine

    "möglichst gute Auslastung" der Flugzeuge zu sorgen. Kostenminimierung

    allenthalben.

    Als einziger Landesinnenminister hatte sich Herbert Schnoor im letzten Herbst

    noch für die Duldung wenigstens der Kosovo-AlbanerInnen stark gemacht. Selbst

    in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes ist immer wieder von Mißhandlungen

    und Folterungen in der einst autonomen, vor fünf Jahren gleichgeschalteten

    und faktisch nun von Armee und Polizei besetzten Provinz im Süden Serbiens

    die Rede. Doch das Bundesinnenministerium hatte sich einer Verlängerung der

    Duldung widersetzt. Nun sind 230.000 Flüchtlinge aus Serbien und Montenegro

    von Abschiebung bedroht - nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in allen

    Bundesländern.

    Herbert Leuninger, Sprecher der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl , forderte

    einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Rest-Jugoslawien. AlbanerInnen drohe

    politische Verfolgung. Die Opfer des Krieges würden den Häschern in die Arme

    getrieben, denn wehrfähige Serben liefen Gefahr, zwangsrekrutiert zu werden.

    "Das UN-Embargo", so Leuninger, "muß auch als Rekrutierungsembargo

    respektiert werden."

    Nur Flüchtlinge aus Bosnien- Herzegowina will die Bundesrepublik vorerst

    weiter dulden. Doch viele von ihnen haben heute einen ungeklärten Status. So

    liegen seit neun Monaten nach einer Pressemitteilung von amnesty

    international zum Internationalen Frauentag die Asylanträge bosnischer Frauen

    auf Eis. "Die deutschen Behörden hatten bosnische AsylbewerberInnen Anfang

    1993 als Bürgerkriegsflüchtlinge eingestuft, denen kein Asyl zustehe",

    schreibt ai weiter, "ohne ihnen deshalb einen Status als

    Bürgerkriegsflüchtlinge nach dem AusländerInnenrecht zu gewähren." Die

    Massenvergewaltigungen hatten vor anderthalb Jahren die Weltöffentlichkeit

    aufgerüttelt. Doch heute haben die bosnischen Frauen nicht einmal den

    sicheren Status, der ihnen als Opfer "ethnischer Säuberungen" aufgrund der

    auch von Deutschland unterzeichneten Genfer Flüchtlingskonvention zusteht.

    thos

     


    Vera Gaserow

    Innenminister beschließen zeitliche Staffelung der Abschiebungen nach

    Kroatien / Aufschub für Flüchtlinge aus besetzten Gebieten / Mitte

    1995 sollen alle die BRD verlassen haben Von Vera Gaserow

    Die Innenminister von Bund und Ländern haben ihren Beschluß, zum 30. April

    rund 100.000 Kriegsflüchtlinge nach Kroatien auszuwiesen, in wichtigen Teilen

    korrigiert. Nach fünfstündigen, "zähen" Verhandlungen einigten sie sich am

    Mittwoch abend auf einer Sonderkonferenz in Bonn, die Abschiebungen "zeitlich

    gestreckt" vorzunehmen.

    Dabei sollen Flüchtlinge aus serbisch besetzten oder zerstörten Gebieten

    Kroatiens den längsten Aufschub bekommen. Sie müssen spätestens im Juni 1995

    die Bundesrepublik verlassen haben. Mit der Abschiebung der anderen

    Flüchtlinge, von den Innenministern "Rückführung" genannt, soll ab 1. Mai 94

    "unverzüglich" begonnen werden. Als erste sollen unverheiratete kinderlose

    Erwachsene und Erwachsene, deren Ehegatten oder Kinder in Kroatien leben,

    Deutschland verlassen. Danach sollen in zeitlicher Reihenfolge kinderlose

    Ehepaare folgen, dann Eltern und Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern.

    An letzter Stelle kommen Minderjährige und Kinder, deren familiäre Betreuung

    in Kroatien sichergestellt sein muß. Mit Ausnahme der Flüchtlinge aus

    besetzten oder zerstörten Gebieten sollen die Abschiebungen bis Ende Oktober

    abgeschlossen sein.

    Auf andere Kriterien, die zuvor Menschenrechtsorganisationen, aber auch

    einige Innenminister selber gefordert hatten, konnte sich die Bonner

    Politikerrunde nicht verständigen: so sind Kriegsdienstverweigerer und

    Deserteure nicht von Abschiebungen ausgenommen. Hierzu heißt es nur

    windelweich: "Die Bundesregierung wird gebeten, bei ihren Gesprächen mit der

    kroatischen Regierung darauf hinzuwirken, daß kroatische Deserteure

    Straffreiheit genießen und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung beachtet

    wird." Auch ein Abschiebeschutz für Flüchtlinge in gemischt-nationalen Ehen

    ist nicht vorgesehen. Sie sollen jeweils nach der für sie günstigsten

    Regelung behandelt werden. Nicht einigen konnten sich Bund und Länder auch

    über ein Rückführungsprogramm. Die Innenminister fordern zwar weiterhin, daß

    der Bund sich zu 50 Prozent an dessen Kosten beteiligt. Bundesinnenminister

    Kanther lehnt das jedoch ab.

    Menschenrechtsorganisationen und die Ausländerbeauftragte des Bundes

    begrüßten gestern, daß die Innenminister ihre Entscheidung zur generellen

    Abschiebung nach Kroatien noch einmal korrigiert haben. "Als Erfolg, daß der

    damalige Beschluß von der Qualität einer Laienspielschar durch eine

    qualifizierte öffentliche Diskussion korrigiert worden ist", wertete Herbert

    Leuninger von Pro Asyl den IMK-Beschluß. "Ein Zeichen, daß man durch Druck

    etwas bewegen kann", sieht amnesty international (ai). Doch nicht nur der

    innenpolitische Druck in Deutschland, vor allem der wirtschaftliche Druck

    Kroatiens dürfte die Innenminister etwas zur Besinnung gebracht haben. Man

    wolle, so heißt es denn auch in ihrer Erklärung, "dem kroatischen Staat einen

    angemessenen Zeitraum einräumen", die Versorgung der Rückkehrer

    sicherzustellen. Die Kriterien für die Staffelung der Abschiebung, so

    kritisiert ai, richteten sich denn auch weniger nach der Gefährdungslage der

    Flüchtlinge als nach den technisch-organisatorischen Aufnahmeproblemen

    Kroatiens.

    Künftig sollen Bürgerkriegsflüchtlinge wie Asylbewerber nach einem

    festgelegten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt werden. Auf dieser

    Regelung haben vor allem Berlin, Baden-Württemberg und Bayern bestanden, wo

    die meisten Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien Zuflucht gesucht haben. Bis Mai

    sollen Vorschläge für das Verteilverfahren auf dem Tisch liegen. Bis dahin

    will man auch - analog zum Asylbewerberleistungsgsetz - drastische

    Sozialhilfekürzungen für Bürgerkriegsflüchtlinge prüfen.

     


     

    Somalia

    Frankfurt/M. (epd) - Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl hat

    gegen die geplante Ausweisung einer somalischen Familie nach Äthiopien

    protestiert. Die Abschiebung des Vaters und der beiden kleinen Kinder sei für

    den heutigen Dienstag vorgesehen, obwohl die schwangere Mutter der Kinder

    derzeit in einer deutschen Klinik behandelt werde und nicht reisefähig sei,

    erklärte Pro-Asyl - Sprecher Herbert Leuninger gestern. Die

    Flüchtlingsorganisation befürchtet ein "Hin- und Herschieben" der Familie, da

    Äthiopien die Somalier nicht wieder einreisen lassen will. (Agentur)

     


     

    Angola

    Frankfurt am Main (epd) - Mehrere Flüchtlingsorganisationen in

    Deutschland haben sich gestern gegen Abschiebungen in das Bürgerkriegsland

    Angola gewandt. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Diepgen, wurde in

    einem gestern veröffentlichten Schreiben von "Pro Asyl" aufgefordert, 15

    rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber aus dem afrikanischen Land nicht

    abzuschieben. In ihrer Heimat drohe ihnen Gefahr für Leib und Leben, sagte

    Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger. Allein im vergangenen Jahr seien durch

    den Bürgerkrieg in Angola eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen.

    (Agentur)

     


     

    Kommentar Herbert Leuninger (Pro Asyl)

    Psychischer Druck und mangelnde Information

    Der ausländische Diskussionsteilnehmer nennt in der letzten Woche C 183 auf

    Rhein-Main ein "Konzentrationslager". Ganz abwegig ist es wohl nicht, wenn

    Menschen, die Flüchtlinge in dem hermetisch abgeschlossenen Raum

    kennengelernt haben, das C über der Eingangstür als concentration

    und als camp lesen. Die Akademische Amerikanische Enzyklopädie

    definiert concentration camps als "Gewahrsam für Zivilisten, die

    politisch als Feinde angesehen werden". Rechtsanwälte, die Mandanten in C 183

    betreuen, sprechen von einem Gefängnis. C 183 wirkt sich ähnlich wie eine der

    hochmodernen Folterkammern aus, in denen Menschen ohne physische Gewalt

    Höllenqualen erleiden. Tag und Nacht peinigt sie die Angst, in ihre Heimat

    zurückgeschoben zu werden. Sie werden gewalttätig gegen die eigene Person,

    rennen sich ein Messer in den Bauch oder treten in einen Hungerstreik.

    Lieber, so sagen sie, wollten sie hier Hungers sterben, als in den

    Gefängnissen ihrer Heimat umkommen.

    In der Presseerklärung der Innenministerkonferenz vom 26. November wird

    darauf hingewiesen, daß zur Zeit ausschließlich auf dem Flughafen Frankfurt

    am Main ein Bedarf von etwa sechzig "Gewahrsamsplätzen" bestehe. Da hätten

    wir die präzise amtliche Benennung, die mit der amerikanischen Definition von

    concentration camp als place of detention

    übereinstimmt. Die lex "Severin", wie Artikel 18a des neugefaßten

    Asylverfahrensgesetzes von Insidern nach dem Frankfurter BGS-Chef benannt

    wird, läßt sich über die Form der Unterbringung im Transitbereich nicht näher

    aus. Der Gesetzgeber glaubt den Erfordernissen des Rechtsstaates und denen

    des Asylbewerbers ausreichend Rechnung zu tragen, wenn für die Anhörung des

    Bundesamtes zwei, für die Einreichung einer Klage drei und für die

    Entscheidung des Gerichtes vierzehn Tage angesetzt werden. Was die extreme

    Situation für ein rechtsstaatliches Verfahren und für die Rechtsfähigkeit des

    einzelnen bedeuten könnte, bleibt außer Betracht.

    In der Anhörung des Innenausschusses des Bundestages wußte der Leiter des

    Bundesgrenzschutzes auf Rhein-Main die Abgeordneten mit den Hinweisen zu

    beeindrucken, daß die Bundesrepublik für Schleuser- und Bandenorganisationen

    "im Rahmen des Verschubs von Menschen" ein "Ruhe- oder Durchgangslanger" sei.

    Hier habe der Schleuser eine sichere Heimstatt für den Menschen, der sich

    dann Asylbewerber nenne. Hierbei handele es sich vielfach um Menschen, die

    eigentlich nach Kanada, Schweden oder die USA wollten. Severin verwies auch

    auf eine Gruppe von Menschen, die in Deutschland nur Geschäfte machen wollten

    und, weil sie kein Touristenvisum bekommen hätten, Asyl beantragten. Das ist

    die Optik, wie sie sich aus dem Sehschlitz eines Bunkers bietet. In dieser

    Perspektive sind die bundesdeutschen Flughäfen die letzten Einfallstore für

    Flüchtlinge, die zugeschlagen werden müssen.

    Die Flughafenregelung des Paragraphen 18a ist neben der Einführung der

    sicheren Drittstaaten und der sicheren Herkunftsländer ein Kernstück des

    neuen Asylrechts. Es setzt dem Bundesgrenzschutz, dem Bundesamt für die

    Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, den Anwälten und Richtern kurze

    Fristen für die Verfahren von Asylbewerbern. Um Stunden geht es, wenn die

    "Zurückschiebung" eines Asylbewerbers in ein "sicheres" Durchreiseland

    verhindert werden soll. Eine Datenleitung versorgt das Bundesamt mit

    aktuellen Informationen aus der Nürnberger Zentrale. Kuriere rasen zwischen

    Frankfurt und Wiesbaden hin und her, um Archivmaterial beizubringen,

    Anwaltskanzleien arbeiten bis tief in die Nacht, Richter setzen Urteile

    handschriftlich ab, um sie anschließend an den diensthabenden Leiter des BGS

    zu faxen, Bundesverfassungsrichter greifen zum Telefon, um in letzter Minute

    zu verhindern, daß ein Flüchtling mit dem nächsten Flugzeug abgeschoben wird.

    Auf dem Flughafen Rhein-Main bündeln sich die Probleme der neuen Asylpolitik

    wie in einem Brennglas. Unter der Oberfläche hektischen Funktionierens stehen

    entscheidende Fragen der Rechtsstaatlichkeit an. Zu befinden ist u.a.

    darüber, ob das neue Asylrecht mit der Einführung sogenannter sicherer

    Drittstaaten verfassungsgemäß ist, ob Gerichte entgegen dem Wortlaut des

    Begleitgesetzes die "Zurückschiebung" in ein Durchreiseland verhindern

    können, ob der allseitige Termindruck mit Erfordernissen der

    Rechtsstaatlichkeit in Einklang zu bringen ist. Dabei ist vor allem auch zu

    klären: Ist der internierte, psychisch derangierte und desinformierte

    Flüchtling im Transitbereich das für die Wahrnehmung seiner Interessen

    rechtsfähige Subjekt? Es bleiben die Fragen nach der rechtsstaatlich

    bedenklichen Gestaltung des Gewahrsams, nach der beschränkten

    Zugangsmöglichkeit rechtskundiger Personen, nach der allzu schnellen

    Abqualifizierung eines Asylantrags als "offensichtlich unbegründet" und der

    damit verbundenen Verkürzung des Rechtswegs, nach der beschränkten

    richterlichen Kontrolle von Behördenentscheidungen und nach dem generellen

    Ausschluß einer mündlichen Verhandlung im Eilverfahren. Viele Fragen, zu

    viele für einen wirklichen Rechtsstaat!

    Der BGS erwarte um den 24. Dezember herum die Ankunft einer hochschwangeren

    Frau aus dem Vorderen Orient. Sie käme über einen sicheren Drittstaat. Die

    interne Dienstanweisung laute: "vorübergehend reinlassen!" Je zwei

    Grenzschützerinnen müßten rund um die Uhr bereitstehen, falls die Frau wegen

    drohender Niederkunft in die Uni-Klinik gebracht würde. Die Beamtinnen

    sollten im oder doch wenigstens vor dem Kreißsaal Posten beziehen; sei doch

    die Gefahr nicht auszuschließen, daß das Neugeborene versuchen könnte,

    illegal in die Bundesrepublik einzureisen. Im übrigen stehe es bereits auf

    der Fahndungsliste eines befreundeten Geheimdienstes.

    Herbert Leuninger

     

     


     

    Pro Asyl

    Frankfurt/M. (epd) - Der Bundesgrenzschutz hat nach Angaben der

    Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl mit Drohungen die Flucht eines

    Togolesen über Moskau in die Bundesrepublik verhindert. Die Münchner Beamten

    hätten der russischen Fluggesellschaft Aeroflot mitgeteilt, sie müsse für die

    Transportkosten aufkommen, falls der Flüchtling von Moskau nach Deutschland

    fliegen könne, erklärte Pro-Asyl -Sprecher Leuninger gestern. Dies sei eine

    deutliche Ausweitung der "Abschottungspraxis". Der von Sicherheitsbehörden

    verfolgte oppositionelle Togolese sei aufgrund der Intervention in Moskau

    festgenommen und abgeschoben worden. (Agentur)

     


     

    Das "Asylbewerberleistungsgesetz" diskriminiert Flüchtlinge und kommt

    Gemeinden teuer zu stehen Von Frank Thewes

    Saarbrücken (taz) - Ab heute erhalten Asylbewerber grundsätzlich

    keine Sozialhilfe mehr. Statt dessen gilt für sie künftig ein spezielles

    "Asylbewerberleistungsgesetz". Nach den Vorschriften dieser Ausgeburt des

    Bonner Asylkompromisses sollen bundesweit nur noch Sachleistungen sowie ein

    monatliches Taschengeld von 40 Mark für Kinder und 80 Mark für Erwachsene

    gewährt werden. Damit, so Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger, "wird der

    Asylbewerber als Mensch zweiter Klasse definiert, der hauptsächlich des

    Geldes wegen in die Bundesrepublik kommt, den Sozialstaat ausnimmt und die

    Bundesrepublik wirtschaftlich überfordert".

    Nur unter "besonderen Umständen" sieht das Gesetz statt Sachleistungen,

    Wertgutscheinen "oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen" auch die

    Auszahlung von Geld vor. Die entsprechenden Sätze liegen bis zu einem Drittel

    unter der bereits kargen Sozialhilfe. So gibt es für den "Haushaltsvorstand"

    statt bisher 509 nur noch 360 Mark. Die Leistungen für Flüchtlinge sinken

    damit nach Meinung von Verfassungsrechtlern "unter die in der Bundesrepublik

    geltende Armutsgrenze". Pro Asyl sieht weitere Grundrechte verletzt. So

    gefährde die im Gesetz vorgesehene medizinische Minimalversorgung das Recht

    auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Außerdem, so Sprecher Leuninger,

    werde die bisher bereits restriktive Lagerunterbringung noch "durch

    Arbeitszwang ergänzt": Für eine "Aufwandsentschädigung von 2 Deutsche Mark je

    Stunde" (Gesetzeswortlaut) sollen "arbeitsfähige Leistungsberechtigte" zu

    Arbeiten verpflichtet werden.

    Hilfsorganisationen befürchten vor allem durch das nun flächendeckend

    vorgeschriebene Sachleistungsprinzip fatale Folgen für die Flüchtlinge. Auf

    eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung müßten die Betroffenen verzichten.

    Da Wertgutscheine in der Regel für bestimmte Läden gelten, ist ein

    preisvergleichender Einkauf nicht möglich.

    Dieses vielerorts bereits praktizierte Gutschein-System schürt nach

    Einschätzung von Herbert Leuninger die Fremdenfeindlichkeit, "wenn dann die

    umständliche Einlösung an der Kasse den Unmut der Kassiererinnen und der

    wartenden Kunden weckt". Falls in Ausnahmefällen doch Geld an Asylbewerber

    ausgezahlt wird, soll dies laut Gesetz nur persönlich und in bar erfolgen.

    Damit ist aber selbst der offiziell angeführte Einspar- und

    Abschreckungseffekt fraglich, wie entsprechende Erfahrungen im Saarland

    zeigen.

    Dort hat die Landesregierung bereits zu Jahresbeginn die Städte und Gemeinden

    angewiesen, Sozialhilfe an Asylbewerber einmal pro Woche bar auszuzahlen, um

    so den angeblich massenhaften Mißbrauch einzudämmen. Doch statt der erhofften

    Einsparungen durch die "Enttarnung von Sozialbetrügern" stieg der

    Verwaltungsaufwand der Kommunen. "Ein Schuß in den Ofen", bilanziert der

    Saarbrücker Sozialdezernent Dieter Schwan (SPD), "es macht nur Arbeit und

    bringt nichts." Für das aufwendigere Verfahren braucht die Stadt nach einer

    Schätzung von Schwan drei bis vier Leute zusätzlich. "Ein realitätsfernes

    System, das, was mich besonders nervt, eine ganze Gruppe pauschal in Verruf

    bringen soll."

    Auch beim nun geltenden Asylbewerberleistungsgesetz haben Spötter den

    Grundsatz ausgemacht: "Hier wird abgeschreckt und eingespart, koste es, was

    es wolle." So nimmt die im Gesetz vorgeschriebene Gemeinschaftsverpflegung in

    der Regel keine Rücksicht auf besondere Eßgewohnheiten. Die "zentrale

    Fremdversorgung" ist nach Einschätzung von Pro Asyl wegen des höheren

    Verwaltungsaufwandes aber auch wesentlich teurer als "dezentrale

    Unterbringung mit Selbstversorgung".

    Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz hat die Bundesrepublik erstmals eine

    Gruppe von Menschen aus dem allgemeinen Sozialhilfe-Recht herausgenommen. Das

    Gesetz, warnt Pro-Asyl - Sprecher Herbert Leuninger, "hat die Möglichkeit

    eröffnet, weitere Gruppen der Bevölkerung aus der einheitlichen

    Grundsicherung menschlicher Existenz auszuschließen". (Agentur)

     


     

     

    Afghanen trotz Gerichtsurteils nach Tschechien zurückgeschoben

    Berlin (taz) -Ist die Tschechische Republik ein "sicherer

    Drittstaat" für eine afghanische Familie? Das Verwaltungsgericht Regensburg

    meinte nein und wies das Grenzschutzamt Schwandorf am 2. September an, eine

    heimlich über die Grenze gelangte Frau mit ihren drei minderjährigen Söhnen

    bis zu einer unanfechtbaren Asylentscheidung in das zuständige Aufnahmelager

    weiterzuleiten. Stattdessen wurde die Frau mit ihren Söhnen, wie die

    Flüchtlinghilfsorganisation Pro Asyl gestern kritisierte, noch am gleichen

    Tag nach Tschechien zurückgeschoben - auf Anweisung des Bundesamtes für die

    Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.

    Ein neueres Urteil des Verwaltungsgerichts bezeichnet diesen Vorgang als

    "außerhalb des Erwartungshorizonts des Gerichts" (AZ: RN 7 E 9331781) - ein

    vornehmer Ausdruck dafür, daß die Gerichtsentscheidung einfach mißachtet

    wurde. Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger verfügt nach seinen Angaben über

    Informationen, wonach das Bundesinnenministerium dem Vorgehen des formell

    nicht weisungsgebundenen Bundesamtes Rückendeckung gibt: "Offensichtich

    herrscht im BMI die panische Angst, daß das Kernstück des neuen Asylrechts,

    die Festlegung sogenannter sicherer Drittstaten, in Frage gestellt wird." Der

    Anwalt der Familie will die Wiedereinreise durchsetzen.

     


     

    Doch die Zahl der tatsächlich eingereisten Flüchtlinge läßt sich

    nicht feststellen

    Bonn (taz) - Die "Abschottungspolitik" des neuen Asylrechts zeitigt

    bereits zwei Monate nach dessen Inkrafttreten beste Erfolge. Nur noch 14.521

    Asylbewerber, so teilte das Bundesinnenministerium gestern in Bonn mit,

    wurden im August dieses Jahres registriert. Das sind etwa 15.000 weniger als

    im Mai und Juni und immerhin noch 6.110 weniger als im Juli. Prozentual sind

    damit im August die Zahlen um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Allerdings,

    so mahnte das Bundesinnenministerium, seien die Zahlen noch immer "zu hoch".

    Mit dem eklatanten Rückgang "war angesichts der Abschottungspolitik der

    Bundesrepublik zu rechnen", sagt der Sprecher von Pro Asyl , Herbert

    Leuninger. Und auch der Pressesprecher des Hohen Flüchtlingskommissars der

    Vereinten Nationen in Bonn, Stefan ten Löken, hält diese Zahlen "für nicht

    überraschend". "Wir haben damit gerechnet, daß die neuen Gesetze relativ

    schnell Wirkung zeigen würden." Sowohl der Hohe Flüchtlingskommissar in Bonn

    als auch Pro Asyl halten es allerdings für zu früh, um eine eingehende

    Analyse machen zu können, und auch das Bundesinnenministerium ist der

    Auffassung, daß die neuen Vorschriften noch nicht bewertet werden können.

    Woran liegt das? Die genannten offiziellen Zahlen sagen nichts aus über die

    tatsächliche Flüchtlingssituation in der Bundesrepublik. Vollkommene

    Unklarheit herrscht über die nichtoffiziellen Zahlen. Wie viele Menschen es

    trotz der verschärften Grenzkontrollen schaffen, das Gebiet der

    Bundesrepublik zu betreten, ohne sich hier zu melden und ohne einen

    Asylantrag zu stellen, ist ungewiß. Und auch die Zahlen derjenigen, die an

    den Grenzen aufgegriffen werden und sofort zurückgeschoben werden, ist für

    die gesamte Bundesrepublik nicht bekannt. Im Bundesland Bayern, so der

    bayerische Innenminister Beckstein, sei die Zahl der an der Grenze

    Zurückgewiesenen um 30 Prozent gestiegen: "Das neue Asylrecht zeigt deutliche

    und gute Auswirkungen."

    Bei den Asylantragstellern - vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien -

    handelt es sich überwiegend um Personen, die entweder bereits vor

    Inkrafttreten der neuen Gesetze am 1. Juli eingereist sind und erst später

    einen Antrag gestellt haben, oder um solche, die illegal über die Grenze

    gekommen sind und sich später bei einer Aufnahmestelle gemeldet haben. Die

    Chance, einen Asylantrag zu stellen, wird ihnen allerdings nur dann gewährt,

    wenn sie ihre Fluchtroute verschweigen. Anderenfalls werden sie sofort wieder

    in das sogenannte "sichere Drittland" abgeschoben. Julia Albrecht

     


     

    Asylbewerber werden zwischen Frankfurt und Paris hin- und hergeflogen

    Bonn (AFP) - Zwischen Deutschland und Frankreich ist es zu einem

    Streit um die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gekommen. Ein Sprecher des

    Bundesinnenministeriums sagte, man habe Kontakt mit den französischen

    Behörden aufgenommen, "um eine gemeinsame Regelung zu finden". Zuvor hatte

    ein Sprecher des Bundesgrenzschutzes (BGS) am Flughafen Frankfurt am Main

    erklärt, beide Länder müßten zu einer eindeutigen Rechtsauffassung über die

    Einreise von Asylsuchenden kommen. Auslöser war der Fall zweier Liberianer,

    die vorige Woche mehrmals zwischen Frankfurt und Paris hin- und hergeschickt

    wurden. Die Organisation Pro Asyl forderte, das "Pingpongspiel" mit Menschen

    müsse aufhören.

    Die beiden Männer im Alter von 32 und 26 Jahren waren am Donnerstag aus Paris

    kommend in Frankfurt gelandet und vom BGS zurückgeschickt worden, weil

    Frankreich nach dem neuen Asylgesetz als sogenannter sicherer Drittstaat

    gilt. In Paris war den Liberianern die Einreise verweigert und ihr Rückflug

    nach Frankfurt veranlaßt worden. Am Montag wiederholte sich die Prozedur:

    Paris verweigerte die Aufnahme mit der Begründung, es gebe "keine eindeutigen

    Beweise für einen Aufenthalt in Frankreich".

    Der Sprecher von Pro Asyl , Herbert Leuninger, nannte weitere Fälle in den

    vergangenen Tagen: Zwei Iraner und eine Irakerin seien am Freitag über

    Griechenland in Frankfurt am Main gelandet und sofort nach Athen

    zurückgeschickt worden. Das gleiche sei mit einem Mann aus Togo geschehen,

    der über Brüssel in München angekommen sei. Der Togoer sei inzwischen von

    Brüssel aus in seine Heimat zurückgeflogen worden.

     


     

    Flughafen/Asyl

    Frankfurt/M. (dpa) - Die Flüchtlinge am Frankfurter Flughafen setzen

    ihren Hungerstreik weiter fort. Mittlerweile verweigern 45 Menschen aus

    Protest über den erzwungenen Aufenthalt am Airport die Nahrung. Pro Asyl und

    die Grünen im hessischen Landtag fordern die Unterbringung der Flüchtlinge

    außerhalb des Flughafens. Die Menschen lebten in einem unvorstellbaren

    Psychostreß mit der ständigen Angst, abgeschoben zu werden, sagte Pro-Asyl -

    Sprecher Herbert Leuninger nach einem Besuch der Hungerstreikenden. Die

    hermetische Abriegelung des Gebäudes, die Hektik des Verfahrens und "die mehr

    als unfreundliche Behandlung" belaste sie in unerträglicher Weise. Ein

    rechtsstaatlich faires Verfahren sei auf dem Flughafen nicht mehr

    gewährleistet.

     


    Kommentar herbert leuninger

    Das Verfassungsrecht auf politisches Asyl tritt außer Kraft

    Mit dem 1. Juli hat in Europa die Phase einer nationalen Asylpolitik ihr Ende

    erreicht. Schon längst wurde mit Schengen, Dublin und Maastricht eine

    Abschottung gegenüber Flüchtlingen betrieben, bei der die Bundesrepublik eine

    führende Rolle gespielt hat. "Harmonisierung", nannte man diese Kakophonie,

    die zum Zusammenbruch des internationalen Schutzes für Flüchtlinge führen

    könnte.

    Die Bürgerrechtsbewegung für Flüchtlinge - sie ist viel breiter als das

    Spektrum, das "Pro Asyl" abdeckt - muß jetzt den längst überfälligen Schritt

    nach Europa vollziehen. Wir haben in der Bundesrepublik einen verzweifelten

    Kampf gegen den Abbau des Asylrechts geführt, wissend, daß die wichtigsten

    Entscheidungen bei mehr oder weniger geheimen Konferenzen zuletzt in London

    gefallen waren. Europa bedeutet dann nicht nur die Europäische Gemeinschaft,

    sondern auch das Europa der "sicheren Drittstaaten".

    Es wird darum gehen, auf der Basis der Genfer Flüchtlingskonvention und mit

    maßgeblicher Unterstützung des Hochkommissariats für Flüchtlinge einen neuen

    Ansatz für eine Harmonisierung nach oben zu machen, das heißt einheitliche

    Verfahren nach einheitlichen Kriterien mit einem einheitlichen Rechtsschutz.

    Vor allem muß einheitlich geregelt werden, daß Flüchtlinge noch eine

    Zugangschance nach Europa haben und während ihres Verfahrens im Aufnahmeland

    bleiben können.

    Eine besondere Aufgabe sieht "Pro Asyl" darin, Initiativen zu ermutigen, die

    rechtlos gestellten Flüchtlingen, die bei einer Ausweisung Gefahr für Leib

    und Leben oder schwere Menschenrechtsverletzungen befürchten müssen, durch

    das Kirchenasyl oder andere Formen persönlicher Asylgewährung doch noch zu

    ihrem Recht zu verhelfen suchen. Dies bezieht sich u.a. auf Kurden

    aus der Türkei und auf Roma, die als Minderheit in Südosteuropa

    durch wachsenden Nationalismus und Rassismus bedroht sind. Ihnen muß auf

    nationaler Ebene ein Bleiberecht eingeräumt werden. In Europa sind für das

    Volk der Roma auf der Grundlage internationaler Abkommen spezifische

    Minderheitenrechte, unter anderem das Recht auf Freizügigkeit durchzusetzen.

    Das Aufgabenprofil für die Flüchtlingssolidarität hat sich verändert, die

    Anforderungen sind noch härter als bisher!

    Herbert Leuninger

    Sprecher der Flüchtlingshilfsorganisation "Pro Asyl"

     


     

    Die Solinger Demonstration gegen Gewalt und Ausländerhaß geriet zum

    Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen den

    unterschiedlichsten Gruppierungen

    Der Weg zum Sammelpunkt der Autonomen führt über die Schützenstraße. Das

    Geschäftshaus Nr. 60 sticht sofort ins Auge. Nur hier sind die großen

    Schaufensterscheiben noch nicht mit Pappe oder Holz verkleidet. Statt dessen

    hängen im Fenster der Harley-Davidson-Vertretung zwei handbemalte Plakate.

    "Watch Out! This shop is protected by Smith & Wessen & Colt". Und daneben

    verkünden die Revolverhelden des Motoradladens dies: "Scheiben einschlagen

    verboten! Zuwiderhandlungen werden nicht unter 9 mm geahndet."

    Weiter unten, auf der Werwolfstraße, hat der Besitzer eines Sport-Shops die

    Pappverschläge als Ankündigungsfläche für seine Öffnungszeiten genutzt. Für

    Samstag steht da zu lesen: "Von 10 Uhr bis Tumultbeginn". Der Mann kann

    seinen Laden durchgehend geöffnet halten. Der Tumult findet nicht statt -

    jedenfalls nicht auf dieser Straße, nicht entlang der Route der

    Autonomendemo.

    Kein Zufall. Autonome der Region, so erzählt Roland Appel,

    Landtagsabgeordnete der Grünen in Düsseldorf, seien an der Vorbereitung, am

    "runden Tisch" der Initiatoren, beteiligt gewesen und hätten ein

    entsprechendes Verhalten von ihrer Seite zugesichert. "Wir lassen uns weder

    von der Polizei noch von faschistischen Gruppen provozieren, aber wir werden

    unsere Demo auch so durchführen, wie wir uns das vorstellen", tönt es aus dem

    Lautsprecherwagen, kurz bevor sich der Zug in Bewegung setzt. Mehrere tausend

    Menschen, darunter viele Türken aus linken Gruppen, ziehen gemeinsam mit den

    überwiegend unvermummten Autonomen zum Weyersbergerplatz, dem Ort der

    Abschlußkundgebung.

    Wie bei den Autonomen, so fordern auch in den anderen vier Demozügen

    zahlreiche Transparente zum "Kampf gegen die Brandstifter in Bonn auf". Der

    Zug, der vom äußersten Westen Solingens ins Stadtzentrum zieht, ist lang und

    bunt. Mehrere tausend Menschen sind es auch hier. Aber wo sind die Alten? Wo

    sind die, die in den 20er, den 30er oder 40er Jahren geboren wurden? Ganze

    Generationen fehlen in Solingen. Und dann sieht man sie doch. Sie stehen in

    ihren Vorgärten oder hinter den Fenstern, schauen zu, filmen das Ereignis vor

    ihrer Haustür. Nur bei den Ausländern sind alle Altersgruppen vertreten.

    Allerdings, auch viele nichtdeutsche Solinger Bürger sind zu Hause geblieben,

    verfolgen die Demo aus den Fenstern. Hält sie die Angst vor gewaltsamen

    Auseinandersetzungen zurück? Während die örtlichen Gewerkschaften und die

    Hauptvorstände von IG Medien und HBV den Solinger Appell "Dies ist auch unser

    Land" und die Demo unterstützten, hatte der DGB- Bundesvorstand am letzten

    Mittwoch in einem internen Schreiben an alle Mitgliedgewerkschaften vor einer

    Beteiligung gewarnt: "Wir raten dazu, zu der Veranstaltung auf keinen Fall

    aufzurufen."

    Auf dem Kundgebungsplatz angelangt, die Organisatoren basteln noch an der

    Stromversorgung, kommt es vor der Bühne schon zu den ersten Rangeleien

    zwischen verfeindeten türkischen Gruppen. Flaschen und Dosen fliegen. Für

    kurze Zeit droht die Situation zu eskalieren. Letztlich sorgen die

    Demonstranten, darunter Autonome, selbst dafür, daß sich die Lage beruhigt.

    Die rechtsradikalen, nationalistischen Türken hat die Polizei zu diesem

    Zeitpunkt längst abgedrängt und in einer Nebenstraße eingekesselt. Ulle Huth,

    Solinger Künsterin, bittet alle Demonstrationsteilnehmer, "diese Demo

    friedlich verlaufen zu lassen". Solingen stehe "nun für Mord, für Rassismus

    und für das Umfeld, auf dem diese Verbrechen gedeihen können". Es gehe jetzt

    darum, "ein anderes, menschenwürdiges Klima zu schaffen". Ulle Huth spricht

    von der "systematischen Hetzkampagne" im Zusammenhang mit der Asyldebatte und

    davon, daß "die politischen Brandstifter in Bonn sitzen". Es "hat aber auch

    keiner von uns Anlaß zur Überheblichkeit", denn niemand könne sich "von

    unterschwelligem Rassismus freisprechen".

    Hoffnung für einen "Neuanfang", für das Entstehen eines toleranten Klimas,

    bietet der Kundgebungsverlauf nach dieser Rede indes nicht. Für kurze Zeit

    flammen die unterdrückten Auseinandersetzungen auf dem Platz so heftig wieder

    auf, daß einer der Organisatoren, Jan Boomers aus Solingen, nur noch

    resigniert feststellen kann, "er sehe keine Möglichkeit, die Veranstaltung so

    wie geplant durchzuführen". Bitter muß Boomers zur Kenntnis nehmen, daß die

    "als Signal gegen die Gewalt" geplante Demonstration selbst neue

    Gewaltsignale setzt. Kurz nach dem eindringlichen Appell von Taner Aday -

    "laßt uns zusammen in Deutschland eine neue Zeit beginnen, die ein anderes

    Zusammenleben miteinander ermöglicht, in familiären, gesellschaftlichen,

    kulturellen und politischen Bereichen" - geht es wieder los. Vor allem die

    schon 1983 vom Bundesinnenministerium verbotene türkische Organisation Dev

    Sol, die in ganz NRW nur über 150 Mitglieder verfügt, liefert sich mit

    maoistischen Konkurrenzorganisationen kurzzeitig eine brutale Schlacht mit

    Knüppeln, Colaflaschen und Steinen. Als die Polizei dazwischen zu gehen

    versucht, wird auch sie angegriffen, jetzt auch von Autonomen. Die Bilanz: 36

    zumeist leicht verletzte Polizisten, 35 verletzte Demonstranten.

    Damit ist die Kundgebung faktisch gesprengt. Von den nach Polizeiangaben

    12.000 Teilnehmern - die Veranstalter sprachen von 20.000 - verlassen immer

    mehr den Platz. Als Herbert Leuninger, Sprecher von "Pro Asyl" an den

    Bundespräsidenten appelliert, als deutliches Zeichen der Umkehr die neuen

    Asylgesetze "nicht zu unterschreiben", hören ihn nur noch wenige zu. Auch die

    von Fatima Hartmann verlesene Grußadresse der im KZ Dachau ausharrenden Roma,

    in der die Unterstützer aufgefordert werden, mit dem "Jammern" aufzuhören und

    statt dessen "selber Flüchtlinge vor der Abschiebung zu verstecken", kommt

    nur noch bei wenigen an.

    Die ganze Nacht zum Sonntag über hält die Polizei rund 200 türkische

    nationalistische, rechtsradikale Demonstranten, die sie schon während des

    nachmittags erfolgreich von der Kundgebung abgedrängt hat, fest. Fast acht

    Stunden lang werden die vorwiegend jungen Türken in einem Kessel

    festgehalten, ehe die Polizei sie zur Feststellung ihrer Personalien auf

    Polizeiwachen in Solingen und Wuppertal verteilt. Nach eigenen Angaben hat

    die Polizei bei den später wieder freigelassenen jungen Männern

    Schreckschußpistolen mit durchbohrtem Lauf, zahlreiche Messer,

    selbstgebastelte Speere und verschiedene Schlagstöcke gefunden. Am Sonntag

    warfen die Organisatoren der Solinger Demonstration der Polizei einen "völlig

    ungerechtfertigten" Einsatz vor, der wesentlich zur Eskalation beigetragen

    habe. Nach den brutalen Schlägereien, bei denen völlig Unbeteiligte, wie etwa

    ein britischer Kameraassistent, durch Knüppelschläge schwer verletzt wurden,

    war ein Polizeieinsatz allerdings unumgänglich geworden. Daß damit neue

    Gewaltausbrüche verbunden waren, kann man schlecht einer Polizei vorwerfen,

    die nicht zuletzt von zahlreichen unbeteiligten, friedlichen Türken

    herbeigesehnt worden war. J. Albrecht/W. Jakobs, Solingen

     


     

    Migrantenverbände sprechen von Mitschuld der Politiker / Die zeigen

    sich betroffen und entsetzt

    Nach dem tödlichen Brandanschlag in Solingen haben Bundesaußenminister Klaus

    Kinkel (FDP), der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD)

    und der türkische Botschafter Onur Öymen gemeinsam an die Türken in der

    Bundesrepublik appelliert, nicht Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Deutschland

    werde alles tun, um die "Fürsorge für die türkischen Landsleute"

    sicherzustellen, erklärte Kinkel gestern in Bonn.

    Botschafter Öymen unterstrich, die über 1,6 Millionen Türken in Deutschland

    müßten wissen, daß die große Mehrheit der Deutschen ihren türkischen Nachbarn

    freundschaftlich gegenüberstehe. Der Botschafter setzte sich für die

    Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ein, mit der die türkische

    Bevölkerung besser integriert werden könnte. Über die baldige Einführung der

    doppelten Staatsbürgerschaft für in Deutschland lebende Türken sollen

    Verhandlungen am Donnerstag zwischen türkischen Ministern und deutschen

    Regierungsvertretern am Donnerstag anläßlich der Trauerfeier für die fünf

    getöteten Türkinnen verhandelt werden. Die Trauerfeier wird, einem Wunsch der

    Familie folgend, in Solingen stattfinden. Ebenfalls am Donnerstag ist in

    einer Kölner Moschee eine Gedenkveranstaltung geplant.

    Mit "Empörung und tiefer Trauer auf die feigen Morde" hat der Zentralrat der

    Juden in Deutschland reagiert. Sein Vorsitzender Ignatz Bubis erklärte

    gestern, mit diesen nur 24 Stunden nach der Änderung des Grundgesetzes

    verübten Gewalttaten sei "eindeutig bewiesen", daß Fremdenfeindlichkeit und

    Fremdenhaß unabhängig von der Asylfrage seien. Auf "tragische Weise" sehe er

    sich in seiner Auffassung bestätigt, daß die Änderung des Asylrechts gar

    nichts bewirkt habe. Die Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" und das

    Kinderhilfswerk "terre des hommes" haben eine "radikale Umkehr" in der

    Ausländer- und Asylpolitik gefordert. "Kein Buhlen um rechts! Das führt in

    die Katastrophe", erklärten ihre Sprecher, Herbert Leuninger und Heiko

    Kauffmann. "Die Flammen von Solingen beleuchten gespenstisch eine

    gescheiterte Ausländer- und Asylpolitik."

    Äußerst besorgt hat sich auch der Europäische Verband Türkischer Akademiker

    über das künftige Leben der Türken in Deutschland gezeigt. Scharfe Kritik

    richtet der Verband gegen die verantwortlichen PolitikerInnen in Bonn, "die

    diese Entwicklungen zum Teil selber mitverursacht" hätten. Sprecher der

    verschiedenen Immigrantenvereinigungen, wie etwa der "Bund der EinwanderInnen

    aus der Türkei" in Berlin-Brandenburg, forderten eine konsequente Verfolgung

    der Straftaten. Als "heuchlerisch" bezeichneten die Organisationen die

    Reaktionen der Bonner Politiker. So konstatierte die "Föderation der

    Immigrantenvereine aus der Türkei" (GDF): "Wieder werden die Politiker, die

    den ,Asylkompromiß` verabschiedet haben, um den ,inneren Frieden nicht zu

    gefährden`, vor laufenden Kameras ihr Mitleid und Bedauern kundtun. Es

    reicht!" Der "Verband bi-nationaler Familien und Partnerschaften" (IAF) warf

    den PolitikerInnen vor, "durch rassistische Wortwahl und die Verabschiedung

    des sogenannten ,Asylkompromiß` mit dazu beigetragen zu haben, daß das

    Unrechtsbewußtsein gegenüber Anschlägen auf MigrantInnen und Flüchtlinge

    gesunken ist". Auch die internationale Bewegung "Jugend gegen Rassismus in

    Europa" (JRE) erklärte, es sei kein Zufall, "daß ausgerechnet in der Woche,

    in der das individuelle Recht auf Asyl abgeschafft worden ist, ein solcher

    Mordanschlag passiert". Für den Trägerkreis "Aktion Asylrecht" hat sich nach

    dem Solinger Anschlag "der abgegriffene Satz von Biedermännern und

    Brandstiftern auf furchtbare Weise real bestätigt".

    Unmittelbar nach dem Anschlag hatten am Samstag Politiker aller Parteien mit

    Entsetzen und Abscheu auf die Morde reagiert. "Entsetzen und Scham" äußerte

    Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Kanzler Kohl sah in

    Beileidstelegrammen an den türkischen Staatspräsidenten Demirel und den

    amtierenden Ministerpräsidenten Inönü "die weit überwiegende Mehrheit des

    deutschen Volkes... fassungslos angesichts der verabscheuungswürdigen Tat".

    Für die Liberalen forderte deren innenpolitischer Sprecher Burkhard Hirsch,

    daß nun Gesetze mit großzügigen Angeboten zur Einbürgerung - auch unter

    Hinnahme der Doppelstaatsangehörigkeit - "nicht verzögert werden". Er habe

    für die nächste Sitzung des Innenausschusses beantragt, daß die

    Bundesregierung über Ausländerfeindlichkeit berichtet und konkrete Pläne zur

    Bekämpfung vorträgt.

    Der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/ Die Grünen, Konrad Weiß, forderte

    unterdessen den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf, sich mit der

    Situation in Deutschland zu befassen. (AFP/dpa/taz)

     


     

    Nach der Einschränkung des Asylrechts durch den Bundestag werden kaum

    weniger Flüchtlinge eintreffen

    Bonn/Berlin (AP/dpa/epd/taz) Die vom Bundestag verabschiedete

    Asylrechtsänderung wird nach Einschätzung von Experten die Zuwanderung von

    Flüchtlingen nach Deutschland nicht stoppen. Der deutsche Vertreter beim

    UN-Flüchtlingskommissariat, Walter Koisser, erklärte gestern, Deutschland sei

    durch die neue Regelung nicht "abgeschottet". Der Zugang werde aber erheblich

    schwieriger. Der hessische Verwaltungsrichter Günter Renner sagte voraus, das

    neue Asylrecht werde die Einreise von Flüchtlingen nicht entscheidend

    drosseln. Er äußerte Zweifel an der Wirksamkeit der Änderung, weil

    Flüchtlingen "in den meisten Fällen" eine Einreise über Drittstaaten nicht

    nachzuweisen sei. De facto würden die Flüchtlinge in Deutschland bleiben, nun

    allerdings ohne gesicherten Rechtsstatus.

    Der Bundestag hatte am späten Mittwoch abend mit 521 Stimmen der

    Einschränkung des Artikels 16a im Grundgesetz zugestimmt. 132 votierten

    dagegen, ein Abgeordneter enthielt sich. Der neue Verfassungsartikel und die

    Begleitgesetze legen vor allem fest, daß Flüchtlinge kein Anrecht auf ein

    Asylverfahren haben, wenn sie aus einem EG-Land oder aus einem der als

    sichere Drittländer angesehenen Nachbarstaaten Deutschlands kommen. Sie

    können sofort abgeschoben werden.

    Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat Bundespräsident Richard von

    Weizsäcker aufgefordert, die vom Bundestag mit Zweidrittelmehrheit

    beschlossene Grundgesetzänderung zum Asylrecht nicht zu unterschreiben. Ihr

    Sprecher Herbert Leuninger kündigte gestern ein Rechtsgutachten dazu an, wie

    Flüchtlinge stärker als bisher über Artikel 1 (Würde des Menschen) und

    Artikel 2 (Entfaltung der Persönlichkeit) geschützt werden könnten. Amnesty

    international kritisierte, daß politisch Verfolgte durch die Neuregelung

    weitgehend schutzlos würden.

    Das polnische Parlament hat unterdessen den am 7. Mai unterzeichneten

    deutsch-polnischen Asylvertrag gerügt. Bei einer Abstimmung am Mittwoch abend

    waren 162 Abgeordnete mit dem Regierungsbericht zum Vertrag nicht

    einverstanden. 120 Abgeordnete billigten den Bericht, 77 enthielten sich der

    Stimme. Das Abstimmungsergebnis hat keinen praktischen Einfluß auf die

    Verwirklichung des Asylvertrages. Es zeugt jedoch von einer kritischen

    Einschätzung der Verhandlungsergebnisse mit Bonn.

    Das tschechische Außenministerium hat gestern mit Verständnis auf den vom

    Bundestag verabschiedeten Asylkompromiß reagiert. Doch dürfe die

    Bundesrepublik die Probleme ihrer inneren Sicherheit nicht auf Kosten der

    Tschechischen Republik lösen.

    Das Schweizer Bundesamt für Flüchtlinge rechnet mit einem Anstieg der

    Asylsuchenden. Es sei zu erwarten, daß die Zahl der Flüchtlinge, die einen

    Antrag auf Asyl stellen werden, zwischen den 18.000 des letzten Jahres und

    den über 41.000 im Rekordjahr 1991 liegen werde.

     

     


     

    Trotz der Stimmungsmache einiger CDU-Politiker gegen die morgige

    Bundestags-blockade anläßlich der Asylentscheidung sehen die

    Organisatoren der Aktion sowie die Polizei dem Spektakel mit

    Gelassenheit entgegen. Aus Bonn Bernd Neubacher

    Autonome Krawallfahrer veranstalten innerhalb der Bonner Bannmeile eine große

    Bambule und hindern die Abgeordneten am Zugang zum Parlament, 5.000

    Polizisten knüppeln den Volksvertretern durch ein Spalier fanatisierter

    Haßkappen den Weg zum Parlament frei - so das Szenario christdemokratischer

    Politiker für die morgige Bundestagsblockade in Bonn. Tatsächlich liegen am

    Tag vor der Asyldebatte keinerlei Anzeichen für Ausschreitungen vor, einzig

    bei der Asylkoalition liegen die Nerven blank. Demo-Organisator Manfred

    Stenner, heißt es im Bonner Polizeipräsidium, gelte als "Garant für den

    friedlichen Verlauf von Demonstrationen".

    Seit Anfang der achtziger Jahre bringt das 39jährige Mitglied im Bonner

    Kreispolizeibeirat die Großdemos der Friedensbewegung in Bonn problemlos über

    die Bühne. Auch von autonomer Seite verlautete am Wochenende, man wolle am

    Mittwoch "einen politischen Verlauf" des Protestes. Die Polizei stellt sich

    zwar auf ein Verkehrschaos durch verschiedene Blockaden ein, Angriffe auf

    Personen aber schließt man aus. Wie Manfred Stenner vom "Trägerkreis

    Asylrecht" mitteilt, will die Polizei wegen des befürchteten Verkehrschaos

    den Abgeordneten durch Begleitschutz zu Wasser, zu Land und in der Luft den

    Zugang zum Parlament sichern. Auf diese Weise sollen Konfrontationen an

    Sitzblockaden und Straßensperren vermieden werden.

    Während sich der Protest im Vorfeld berechenbar wie selten darstellt, ist das

    Chaos ganz auf seiten der Parteien. Die Verfassungsänderung ist zur

    Hängepartie geworden. "Die SPD muß sich ja jetzt erst mal neu formieren",

    formulierte ein Polizeisprecher kurz nach dem Rücktritt von Kanzlerkandidat

    Engholm nicht einmal zynisch seine momentanen Probleme im Rahmen der

    Vorbereitungen für den Tag der zweiten und dritten Lesung der Asylgesetze. In

    den letzten Wochen wurde das Datum der Debatte Gegenstand eines munteren Hin

    und Hers, dreimal mußte sich die Öffentlichkeit auf neue Termine einstellen.

    Wenn schon die Verfassungsänderung zum Eiertanz wird, soll wenigstens das

    Drumherum stimmen. Unverhältnismäßig allergisch reagiert die Asylkoalition

    auf die geplanten Protestaktionen. "Gotteslästerung" nannte CDU-Fraktionschef

    Wolfgang Schäuble den Gottesdienst, den die "Christen Pro Asyl" morgen in der

    Bannmeile feiern wollen. Der gut 70jährige Dominikanerpater und Münsteraner

    Sozialphilosoph Paulus Engelhardt soll dort predigen.

    Auch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth legt sich gegen die Proteste ins

    Zeug. Nachdem sie bereits vor Wochen im Abgeordnetenhaus den Telefonanschluß

    des fraktionslosen Parlamentariers Ulrich Briefs hatte sperren lassen, der

    seinen Apparat als Informationsstelle für zivilen Ungehorsam in der Bannmeile

    angegeben hatte, wandte sie sich letzte Woche per Rundschreiben an die

    Mitglieder des Bundestages: "Massive Versuche" seien angekündigt worden, "den

    Bundestag zu blockieren und die Plenarsitzung zu stören", entnahmen die

    Parlamentarier dem Brief. "Im Interesse Ihrer Sicherheit wird empfohlen,

    Fahrzeuge ausschließlich über die Fahrbereitschaft abzurufen." Nach Ansicht

    des Bonner Polizeipräsidenten Michael Kniesel entsprechen übertriebene

    Befürchtungen "keiner seriösen Gefahrenprognose".

    Ein Unruheherd ist in den Augen Süssmuths offenbar auch der morgige

    Gottesdienst. Auf ihr Geheiß hat vorige Woche, wie Insider zu berichten

    wissen, der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor aus

    Düsseldorf in Bonn anreisen müssen. Tenor der Audienz bei Süssmuth: Der

    Gottesdienst muß raus aus der Bannmeile. Mit demselben Anliegen wandte sich

    bereits zuvor Johannes Vöcking, Staatssekretär im Innenministerium, an

    Polizeipräsident Michael Kniesel. Bonns Oberpolizist hatte den Gottesdienst,

    der nach § 17 des Versammlungsgesetzes nicht unter das Versammlungsverbot des

    Bannmeilengesetzes fällt, zwar nicht wie beantragt vor dem Parlamentsgebäude

    genehmigt, jedoch in der Verbotszone zweihundert Meter entfernt. Beobachter

    sprechen von einem "unglaublichen politischen Druck", der auf Kniesel laste.

    Bundespolitiker sähen das Versammlungsverbot des Bannmeilengesetzes bröckeln,

    falls der Gottesdienst dort stattfände. Insider erwarten, daß sich

    Polizeipräsident und Christen auf einen neuen Ort in der Bannmeile einigen

    werden. Die Teilnehmer des Gottesdienstes treffen sich morgen um 8.30 Uhr

    gegenüber dem Kunstmuseum an der Bonner Heussallee.

    Gestern vormittag lud das "Büro für notwendige Einmischung" die Presse zur

    Vorabpräsentation seiner "Infrarotanlage zur Abwehr von Politikern aus

    sicheren Drittbüros und von sicheren Landeslistenplätzen". Auf dem Bonner

    Münsterplatz findet heute abend eine erste Kundgebung statt mit Redebeiträgen

    unter anderem von Herbert Leuninger von "Pro Asyl" , dem

    Bundesvorstandsmitglied der Grünen, Ludger Volmer, sowie Vertretern von

    amnesty international, der Gottesdienstgruppe "Christen Pro Asyl " und der

    Minderheit der Asylbefürworter in der SPD. Anschließend begibt sich eine

    Nachtmahnwache zum Regierungsviertel.

    Morgen früh um 6.00 Uhr bereits wird das Städteplenum eine Kundgebung am

    städtischen Kunstmuseum abhalten. "Als offenes Geheimnis gilt", heißt es in

    einer Mitteilung des "Trägerkreis Asylrecht" über die Beteiligten der

    Veranstaltung, "daß von einigen Gruppen durch Verkehrsberuhigungen die

    anreisenden MdBs auf die Besonderheit der Entscheidung hingewiesen werden

    sollen". Wenige hundert Meter weiter an der SPD-Parteizentrale treffen sich

    um 7.00 Uhr die Teilnehmer der "Aktion Ziviler Ungehorsam", die zum

    friedlichen Marsch in die Bannmeile und zum Sitzstreik vor dem Plenarsaal

    aufrufen. Die Initiatoren Klaus Vack, Joachim Hirsch und Wolf-Dieter Narr,

    Mitglieder des Komitees für Grundrechte und Demokratie, weisen in ihrem

    Aufruf darauf hin, daß Bannkreisverletzungen in der Regel mit Geldstrafen

    zwischen 15 und 40 Tagessätzen geahndet werden. 1.600 UnterstützerInnen

    zeichnen durch ihre Unterschrift für den Aufruf persönlich verantwortlich.

    Von 8.00 Uhr morgens bis abends finden neben einer Dauermahnwache die

    Kundgebungen des "Trägerkreis Asylrecht" und Happenings des "Büro für

    notwendige Einmischung" statt. Der Trägerkreis sieht unter anderem Beiträge

    folgender Redner vor: Thomas Pforth (Initiative Schwarze Deutsche), Fatima

    Hartmann (Rom e.V.), Angelika Beer (medico international), Peter Gingold

    (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes), Ingrid Köppe (MdB Bündnis

    90/Grüne), Gregor Gysi (MdB PDS), Jürgen Trittin (Minister Niedersachsen) und

    Herbert Leuninger ( Pro Asyl ).

    Das "Büro für notwendige Einmischung" will dem Tag auf einer als

    Abschiebeflugzeug gestalteten Bühne einen kabarettistischen Rahmen verleihen.

    Ferner sind ein Diskussionszelt mit Fernsehübertragung aus dem Plenarsaal und

    zusätzliche Ausstellungen geplant. Die Entscheidung des Kölner

    Verwaltungsgerichtes über die Klage des Trägerkreises gegen

    Bundesinnenminister Rudolf Seiters auf Zugang in die Bannmeile stand gestern

    noch aus. Wird Seiters' ablehnender Bescheid bestätigt, werden

    Einmischungsbüro und Trägerkreis vor der Bundeskunsthalle an der Heussallee

    agieren, am Rand der Bannmeile. "Für Menschenrechte", heißt es im

    Aktionsaufruf, "muß man aufstehen, nicht umfallen."

     


     

    Bürgerrechtler wollen außerparlamentarisch wirken

    Frankfurt/Main (taz) - Pax Christi und Pro Asyl , die Neue

    Richtervereinigung und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und

    die Humanistische Union sowie zahlreiche andere Bürgerrechtsorganisationen

    der Bundesrepublik wollen in die politische Offensive gehen: Das "Bürgerforum

    Paulskirche", das am 19. Juni in der Frankfurter Peterskirche stattfinden

    wird, soll dabei der "erste Schritt auf dem Weg zur Bildung einer neuen

    außerparlamentarischen Opposition" werden, wie Herbert Leuninger, Sprecher

    von Pro Asyl , gestern ausführte. Leuninger: "Es gab einen gewaltigen

    Rechtsruck in dieser Gesellschaft. Und deshalb sind jetzt alle demokratischen

    Organisationen aufgerufen, Widerstand zu organisieren."

    Widerstand gegen das "Bürgerforum Paulskirche" kam zunächst vom

    sozialdemokratischen Frankfurter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler, der

    dem vorbereitenden Ausschuß für das "Bürgerforum Paulskirche" die

    symbolträchtige Paulskirche als Tagungsort verweigerte. Schriftlich teilte

    der OB den Initiatoren mit, daß die Paulskirche als Wiege der deutschen

    Demokratie nicht für eine "parteinehmende und auf Kontroversen abzielende

    Veranstaltung" zur Verfügung stehe. Die Paulskirche - ein Mausoleum zur

    Abfeierei nur der Vergangenheit?

    Diesen Schluß zog jedenfalls Uwe Günther vom Republikanischen Anwältinnen-

    und Anwälteverein. Dabei sollte mit dem Bürgerforum, so die Initiatoren, doch

    gerade die Paulskirche wieder ein Ort "quasi-parlamentarischer

    Auseinandersetzungen" um die Zukunft des Landes werden. Deshalb wird das

    Bürgerforum auch vor die Verwaltungsgerichte ziehen, um sich die Paulskirche

    doch noch zu erstreiten.

    Zunächst einmal ist Werner Sack von der Neuen Richtervereinigung aber froh,

    daß das Forum in der Peterskirche "Asyl gefunden" hat. Dort sollen dann am

    19. Juni in vier Foren die "vier wichtigsten Themenbereiche" für die weitere

    Entwicklung der Bundesrepublik diskutiert werden. Das "Bürgerforum

    Paulskirche" sei ein "Geschenk des Himmels", sagte Leuninger. kpk

     


     

    Hearing zur Menschenrechtssituation in deutscher Innen- und

    Außenpolitik

    Bonn (taz) - Vorbei die Zeiten, in denen man sich ausschließlich der

    Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern annahm. Das bewies die gestern

    zu Ende gegangene Tagung von 23 deutschen Menschenrechtsorganisationen in

    Bonn, die die Situation der "Menschenrechte in der deutschen Innen- und

    Außenpolitik" zum Thema hatte.

    Einen der brennendsten Tagesordungspunkte stellte die Problematik der in

    Deutschland lebenden Ausländer und Asylbewerber dar. Übereinstimmend forderten

    alle 23 Organisationen die Novellierung des Ausländer- und

    Staatsangehörigkeitsgesetzes, sowie ein Einwanderungs- und

    Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz der Einwanderer. Einigkeit bestand

    weiterhin bei den Teilnehmern - unter anderem von Pro Asyl , amnesty

    international, der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte und terre

    des hommes - darüber, daß die geplante Änderung des deutschen Asylrechts mit

    der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar sei.

    "Damit ist ein Fortschritt in der internationalen Menschenrechtsdiskussion

    preisgegeben", beklagte vor allem Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl ,

    dessen Organisation das Grundrecht auf Asyl als Menschenrecht betrachtet und

    seit Jahren in die internationale Diskussion einzubringen sucht. - Während

    das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche

    Zusammenarbeit der Einladung der Veranstalter folgten und sich den Fragen

    stellte, "boykottierte das Bundesinnenministerium die Hinterfragung der

    Ausländer- und Asylpolitik", wie Joachim Krause von der Deutschen

    Gesellschaft für die Vereinten Nationen bei der abschließenden

    Podiumsdiskussion feststellte.

    Die über 200 TeilnehmerInnen des Hearings wollen darüber hinaus, daß die

    Bundesregierung sich in Zukunft dem Problem der "Illegalen" in Deutschland

    annimmt. Vor allem wegen der neuen Asyl- und Ausländerpolitik gäbe es eine

    jährlich wachsende Zahl von illegal hier lebenden Ausländern, die hier

    vollkommen ungeschützt, ohne Krankenversicherung und in der ständigen Angst

    vor Ausweisung leben. Eine von ihnen: "Letzte Woche hat die Polizei acht

    Illegale festgenommen, darunter drei Kinder. Man weiß nie, ob man nicht

    angezeigt wird, weil jemand das Zimmer haben will, in dem man wohnt."

    Julia Albrecht

     


    Kommentar herbert leuninger

    Regierung und Opposition schließen eine "Asyl-Lücke"

    "Draufsatteln wird mit der SPD nicht möglich sein!" Die beschwörenden Worte

    des innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Gerd Wartenberg,

    fallen in der Bundestagsdebatte vom 4. März, wo es u.a. um ein

    "Sonderverfahren" für Asylbewerber auf Flughäfen geht. Dies sei nicht

    vereinbart, dieser Punkt werde bei der SPD keine Chance haben! - so

    Wartenberg - bis vorgestern.

    Jetzt hat Rittmeister Seiters draufgesattelt, und wieder sind die

    maßgeblichen Innenpolitiker der SPD leise stöhnend eingeknickt.

    Es geht um die Asylbewerber, die aus sogenann-

    ten sicheren Ländern einfliegen oder bei der Lan-

    dung über keine ausreichenden Einreisedokumente

    verfügen. Sie werden "exterritorial" festgehalten,

    um sie möglichst schnell wieder der Fluglinie, die

    sie gebracht hat, zum Rücktransport zuführen zu

    können.

    Formal gesehen werden die Flüchtlinge künftig noch einen Asylantrag stellen

    können. Werden sie von der Außenstelle des Bundesamtes im Turbo-Verfahren

    abgelehnt, müssen sie innerhalb von drei Tagen Rechtsmittel einlegen. Wer

    wird ihnen das vermitteln, wer wird ihnen beratend zur Seite stehen? Wie

    sollen sie Rechtsanwälte finden? "Exterritorial" - das gibt es juristisch

    überhaupt nicht - wird zu einem Synonym von "rechtsarmem", wenn nicht gar

    "rechtsfreiem Raum". Behördenhandeln läßt sich dort noch schwerer

    kontrollieren als bisher.

    Die Fluchthilfeorganisationen des Kalten Krieges - sind allemal cleverer als

    Bundesgrenzschutz und Bundesregierung. Letztere wird im Draufsatteln

    konsequent bleiben und Verschärfung über Verschärfung durchzusetzen

    versuchen. Dies geht, wie der Entwurf für Artikel 16a zeigt, längst auf

    Kosten jeglicher Rechtsstaatlichkeit. Damit ist ein Weg vorgezeichnet, der

    ins rechtliche und humane Nirgendwo führt. Das große Ziel ist die Abschottung

    der Bundesrepublik vor Flüchtlingen. Dieses Ziel ist angesichts wachsender

    Flüchtlingsnot nicht erreichbar. Die Menschen werden kommen, auch, aber nicht

    nur in die Bundesrepublik. Sie werden, überlassen sie sich Flucht-Profis,

    immer höhere Preise dafür zahlen und wegen der verschlechterten Rechtslage

    ihre Papier-Idenität weitgehend opfern müssen. Nur ohne Papiere, Tickets und

    Hinweise auf ihren Fluchtweg, ja auf ihr Heimatland, werden sie

    Aufnahmechancen sehen. Diese werden ihnen immer mehr genommen. Am Ende steht

    die Illegalität. Sie ist für alle Seiten die denkbar schlechteste Lösung des

    Flüchtlingsproblems. #Herbert Leuninger

    Sprecher von "Pro Asyl"

     


     

    Zwei Anhörungen im Deutschen Bundestag bleiben vermutlich folgenlos/

    UN-Flüchtlingskommissar befürchtet Verstoß gegen das Völkerrecht

    Bonn (taz) - Unermüdlich setzt die Gesetzesmaschinerie ihr Werk

    fort. Das neue Asylrecht stand gestern in Bonn bei zwei Anhörungen auf der

    Tagesordnung. Vor dem Innenausschuß des Bundestags nahmen Juristen und

    Verwaltungspraktiker zum künftigen Asylverfahrensrecht Stellung. Der

    Familienausschuß hörte Verbände und Kommunalpolitiker zum neuen

    Leistungsrecht für Asylbewerber an. Während Wohlfahrtsverbände und Kirchen

    die geplanten Sozalhilfekürzungen kritisierten, verlängerten vor dem

    Innenausschuß Gegner wie Befürworter die Mängelliste über die neuen Gesetze.

    Es ist fast schon Tradition, daß Walter Koisser bei den Asylanhörungen des

    Innenausschusses das erste Wort hat. Wie bei früheren Anhörungen läßt sich

    aber auch bei dieser mit einiger Sicherheit vorhersagen, daß folgenlos

    bleibt, was der Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars in der Bundesrepublik

    zu den neuen Asylverfahrensgesetzen zu sagen hat. "Vergeblich. Der

    Gesetzgeber hat sich hierzu nicht durchringen können. Ich will hierüber meine

    Enttäuschung nicht verhehlen."

    Koisser beklagte, daß er in fünf Anhörungen angemahnt hatte, die

    Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zur Grundlage

    der Asylgewährung zu machen. Daß die Verengung auf ausschließlich staatliche

    Verfolgung unzulänglich ist, machte Koisser am Beispiel deutlich. Wenn beim

    Zirndorfer Bundesamt "die aktuelle Anerkennungsquote von Flüchtlingen bei

    gerade einmal 0,9 Prozent liegt, dann", meinte Koisser, "stimmen die

    Kriterien für die Anerkennung eines Asylgesuchs nicht mehr."

    Der Flüchtlingsbegriff war indessen nur der zweite Einwand, den Koisser

    vorbrachte. Sein erster berührte den Kern des neuen Asylrechts, die

    Drittstaatenregelung. Mit der vorgesehenen Regelung drohe ein "Verstoß gegen

    das Völkerrecht".

    Doch nicht nur bei Koissers Votum kam der Eindruck auf, die Innen- und

    Rechtspolitiker von SPD, FDP und Union absolvierten auch diese Anhörung nur,

    weil sie eben unvermeidlich zur Prozedur gehört. Kritik kam wieder aus allen

    Richtungen, aber vermutlich wird sich nicht einmal bei den wenigen Punkten,

    die sowohl Kritiker wie Befürworter der Neuregelung bemängeln, noch etwas

    verändern. So befanden die Gäste fast einmütig, die vorgeschriebene

    Wochenfrist für die richterliche Entscheidung sei kontraproduktiv. Die

    Gastgeber schienen davon so ungerührt wie von grundlegenden Einwänden.

    Wenig Folgen wird etwa das Verlangen des Kölner Verwaltungsrichters Ernst

    Kutscheid haben, beim Abbau der Altverfahren energische Schritte zu gehen.

    Die ÖTV-Juristen lehnten das Drittstaaten-Prinzip ganz ab. Herbert Leuninger

    von Pro Asyl kritisierte, daß trotz des geplanten Status für Kriegs- und

    Bürgerkriegsflüchtlinge eine echte Bereitschaft zur Lastenteilung nicht zu

    spüren sei.

    Die größte Aufmerksamkeit hatte gestern der Gast aus Frankreich. Francis

    Lott, Chef des französischen Pendants zum Zirndorfer Bundesamt, konnte

    vorweisen, worauf das neue Recht in der Bundesrepublik erst hinzielt:

    drastisch gesunkene Asylbewerberzahlen. Allgemeine Heiterkeit kam auf, als

    Zott bemerkte, sein Amt in Frankreich operiere nicht mit dem Begriff der

    Länderlisten. Die hätten seine Mitarbeiter einfach im Kopf. Der Asylkompromiß

    zwischen SPD, FDP und Union, ausgehandelt im Dezember, hatte gestern seinen

    letzten Anhörungstermin. Der neue Verfassungstext war bereits vor zwei Wochen

    von Verfassungsrechtlern begutachtet worden.

    Vor der dritten Lesung, die nach dem Willen der beteiligten Parteien

    möglichst in der zweiten Aprilhälfte stattfinden soll, ist aber noch eine

    wichtige Hürde zu nehmen. Die Abkommen mit den Nicht-EG-Nachbarstaaten, in

    die als "sichere Drittstaaten" Flüchtlinge zurückgeschoben werden können,

    stehen aus. Vor allem eine Vereinbarung mit Polen gilt der SPD als

    Voraussetzung für die endgültige Zustimmung zum Gesetzespaket. Am Rande der

    Cebit- Messe in Hannover hat Helmut Kohl gestern gegenüber der polnischen

    Ministerpräsidentin die Bereitschaft zu einer "fairen Vereinbarung" erklärt.

    Tissy Bruns

     


     

    Hilfsorganisationen und migrationspolitisch erfahrene Institutionen

    wie der Europarat werden übergangen

    Der Eiserne Vorhang war noch nicht richtig gefallen, da gaben westeuropäische

    Politiker schon die Warnung vor einer "neuen Völkerwanderung" aus dem Osten

    aus. Hunderttausende in Ungarn, Bulgarien und Rumänien würden nur auf die

    Gelegenheit warten, sich nach Westen in Bewegung zu setzen, hieß es. Aus der

    ehemaligen Sowjetunion wurden bis zu vier Millionen Flüchtlinge

    prognostiziert. Horrorszenarios zeigten halb Europa auf der Flucht vor

    ethnischen, religiösen und politischen Konflikten oder vor ökonomischer und

    ökologischer Verelendung.

    Vier Jahre danach läßt die Massenflucht weiter auf sich warten. Die Sorge

    davor bewegt dennoch stärker als je zuvor die europäische Politik. Zusätzlich

    zu den bekannten Institutionen Europarat und UNO, die sich in Jahrzehnten

    Kompetenz und Fachpersonal zum Thema Migration zugelegt haben, gab es eine

    Fülle neuer Initiativen und Konferenzen. Ziel: die Zuwanderung begrenzen.

    Treibende Kräfte bei den gesamteuropäischen anti-migratorischen Bemühungen

    sind die beiden westeuropäischen Länder mit den längsten Landgrenzen zu

    Osteuropa: die Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Beide setzen

    darauf, daß eine multilaterale Zusammenarbeit die Zuwanderung leichter

    begrenzen kann als bilaterale Abkommen. Kein Wunder, daß in Wien und Berlin

    die beiden gegenwärtig entscheidendsten anti-migratorischen Prozesse Europas

    in die Wege geleitet wurden. In Wien trafen sich 1990 Wissenschaftler und

    Politiker, um Mechanismen zu erörtern, mit deren Hilfe Migrationen frühzeitig

    verhindert werden können. Das "Frühwarnsystem" der "Wiener Schiene" ist

    weiterhin in der Diskussion. In Berlin kamen im Herbst 1991 erstmals

    Innenminister aller europäischen Länder zusammen, um gemeinsame

    Polizeimaßnahmen gegen "illegale Immigranten" zu schaffen. Bei der

    Gelegenheit entstand die deutsch-österreichische Zusammenarbeit, deren

    Ergebnis auch die in Budapest verabschiedeten Vorschläge sind.

    Vertretern von Hilfsorganisationen, die sich um Flüchtlinge kümmern, fällt es

    schwer, bei dem schnellen Konferenzrhythmus der Regierungen mitzuhalten. Ganz

    abgesehen davon, daß ihre Anwesenheit bei Innenministertreffen wie dem in

    Budapest nicht nur unerwünscht, sondern ausgeschlossen ist. Lediglich das

    Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) durfte bei den

    Vorbereitungen für Budapest die Interessen der Flüchtlinge vertreten. In

    einem höflichen Brief an den gastgebenden ungarischen Innenminister schrieb

    UNHCR- Chefin Sadako Ogata Anfang Januar, sie hoffe, daß die "globalen

    Flüchtlings- und Migrationsthemen" von den Ministern berücksichtigt würden.

    Als beruhigend empfand sie, daß der Beschlußentwurf immerhin den Hinweis auf

    die Genfer Flüchtlingskonvention enthalte.

    Die meisten unabhängigen Hilfsorganisationen stehen der Polizeizusammenarbeit

    eindeutig ablehnend gegenüber. Zu stark ist ihnen die Diskussion über

    "Sicherheit" und "Abwehr" von Flüchtlingen in den Vordergrund getreten.

    Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für

    Flüchtlinge "Pro Asyl" , erklärte gestern, Budapest lasse "jeden humanitären

    Akzent vermissen". Weder spiele eine international notwendige Abstimmung über

    die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina eine Rolle noch der

    Schutz und die Rechte der Minderheiten in den Krisen-Ländern.

    Der Sprecher des in Brüssel ansässigen europäischen "Kirchenkomitees für

    Migranten in Europa", Jan Nissen, kritisiert, daß sich die Innenminister mit

    Separatkonferenzen der Kontrolle entziehen. "Sie treffen sich außerhalb von

    Institutionen wie dem Europarat, weil sie die Menschenrechtsverpflichtungen

    umgehen wollen", sagt er. Maßnahmen gegen Schlepperorganisationen hingegen

    sind auch bei Hilfsorganisationen erwünscht. Nur sei dafür die Budapester

    Konferenz Überflüssig. Nissen: "Schlepper sind Kriminelle. Gegen die gibt es

    Gesetze. Die braucht man nur anzuwenden." Dorothea Hahn

     


     

     

    Asyldebatte verschärft/ Spranger: Aidstest an Grenze

    Bonn/Hannover (taz/AP) - Das Bundesinnenministerium soll den

    Justizminister gebeten haben, zu prüfen, ob die Türkei in die Liste der

    sogenannten Nichtverfolgerstaaten aufgenommen werden könne. Nach Information

    der Frankfurter Rundschau soll der Nato-Partner neben Bulgarien,

    Ghana, Indien, Liberia, Nigeria, Pakistan, Togo und Zaire als "sicheres

    Herkunftsland" im Gespräch gewesen sein. Das Bundesinnenministerium wies

    diese Meldungen zurück.

    Gleichwohl reagierten amnesty international und die SPD mit scharfer Kritik.

    Allein eine Prüfung von Folterstaaten wie der Türkei, Liberia und Zaire als

    sichere Länder sei "skandalös", so amnesty. Seit dem Amtsantritt von

    Ministerpräsident Demirel hätten politische Morde wieder zugenommen. Die

    SPD-Sprecherin Sonntag warnte die Bundesregierung davor, eine Neuregelung des

    Asylrechts durch Vorstöße zu belasten, "die mit Geist und Ton der am

    6.Dezember getroffenen Vereinbarungen nicht im Einklang stehen".

    Wut zog auch Entwicklungshilfeminister Spranger auf sich, der in einem

    Bild-Interview verbreitet hatte, es sei ernsthaft zu prüfen, ob

    bei Asylbewerbern aus Ländern "mit hohem Durchseuchungsgrad regelmäßig ein

    Aidstest vorgenommen und die Asylverfahren beschleunigt werden sollten". Pro-

    Asyl -Sprecher Leuninger nannte Sprangers Vorschlag "rassistisch". Die SPD

    warf Spranger vor, dumpfen Vorurteilen Vorschub zu leisten. Und

    Regierungssprecher Vogel erklärte, Spranger habe seinen Vorschlag nicht im

    Auftrag der Regierung gemacht.

    Nach der Verhandlungsrunde zwischen dem Bundesinnenministerium und den

    Staatssekretären der Länderinnenministerien zeichnet sich ab, daß der Streit

    um die gesetzliche Umsetzung des Asylkompromisses noch nicht beendet ist. Der

    Staatssekretär aus dem Hause Seiters hatte sich am Donnerstag nur undeutlich

    ausgedrückt. Einerseits versprach er die Neuformulierung des Artikels16

    möglichst eng an den Text anzulehnen, den die Verhandlungskommissionen von

    Union, SPD und FDP am 6.Dezember in Bonn vereinbart hatten. Andererseits

    meinte er verfassungsrechtliche Probleme zu sehen. Damit sind jene

    Vorentwürfe aus dem Hause Seiters zur Änderung des Grundgesetzes, des

    Asylverfahrens- und des Ausländerrechts, gegen die der niedersächsische

    Ministerpräsident Schröder protestierte, noch nicht vom Tisch.

    Der Vorentwurf des Bundesinnenministeriums will über einen neuen Artikel16a

    den "Prüfungsumfang" in den Asylverfahren viel weiter einschränken, als es

    der Asylkompromiß vorsieht. Dieser hatte nur für Flüchtlinge aus sogenannten

    "verfolgungsfreien Staaten" eine eingeschränkte gerichtliche Überprüfung der

    Asylentscheidungen vorgesehen. Nach dem neuen Artikel16, Absatz4 aus dem

    ersten Vorentwurf dürfen nun alle "offensichtlich unbegründeten" Asylanträge

    sowohl vom Flüchtlings-Bundesamt als auch von den Gerichten nur eingeschränkt

    geprüft werden. Neu und abweichend vom Asylkompromiß will Seiters außerdem in

    das Grundgesetz einen Artikel aufnehmen, der die Ratifizierung der Abkommen

    von Schengen und Dublin ermöglichen würde. EG- Abkommen und völkerrechtlichen

    Verträgen, die "eine Harmonisierung des Asylrechts" zum Gegenstand haben,

    soll der Artikel16 nicht länger entgegenstehen.

    Mit der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes will das Innenministerium

    außerdem über den Asylkompromiß hinaus Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge

    schlechter stellen. So soll "ein Asylantrag" als "offensichtlich unbegründet"

    gelten, wenn er gestellt wurde, um einer "kriegerischen Auseinandersetzung zu

    entgehen". Um in den Genuß des Sonderstatus zu kommen, sollen

    Bürgerkriegsflüchtlinge nach Seiters Vorstellungen zudem bereits gestellte

    Asylanträge zurücknehmen müssen. Das Bundesinnenministerium will die

    Kriegsflüchtlinge also ganz aus dem Asylverfahren heraushalten. Im Bonner

    Kompromiß fand sich lediglich die Regelung, daß Bürgerkriegsflüchtlinge

    nach ihrer Aufnahme in den Sonderstatus keinen Asylantrag mehr

    stellen dürften. Der neue Paragraph32a des Ausländergesetzes, in dem das

    Bundesinnenministerium den Sonderstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge

    festschreiben will, ist nur ein Gnadenrecht. Die obersten Landesbehörden

    können danach im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister Ausländern aus

    Kriegsgebieten zur vorübergehenden Aufnahme eine Aufenthaltsbefugnis

    erteilen. Jürgen Voges

     


     

    Seiters will Grenze zu Polen und Tschechischer Republik verstärkt

    überwachen

    Berlin (taz) - Geht es nach dem Willen von Bundesinnenminister

    Rudolf Seiters (CDU), dann werden künftig die Grenzen zu Polen und zur

    tschechischen Republik mit Radar und Infrarot überwacht. Die elektronische

    Aufrüstung der Grenze soll dazu dienen, illegale Einwanderer und

    Schleuserbanden abzufangen. Das bestätigte am Wochenende der Sprecher des

    Innenministeriums Roland Bachmeier. Entsprechende Geräte sollen für eine

    Erprobung zunächst von der Bundeswehr ausgeliehen werden.

    Seiters hatte in den vergangenen Wochen immer wieder auf den Personalmangel

    beim Bundesgrenzschutz hingewiesen und Verteidigungsminister Volker Rühe

    (CDU) auch um personelle Unterstützung durch Bundeswehrsoldaten gebeten. Nach

    Zeitungsberichten soll Innenstaatssekretär Johannes Voecking den Chefs der

    Staats- und Senatskanzleien der Länder die neue Form von Grenzüberwachung

    bereits angekündigt haben. Vöcking habe einem internen Protokoll zufolge

    erklärt, personalsparende Technik, wie eine automatisierte Grenzkontrolle

    oder eine Grenzüberwachung mittels Radar und Wärmebildtechnik, werde

    eingeführt oder erprobt.

    Die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl hat unterdessen die Ankündigung, moderne

    Radar- und Infrarottechnik einzusetzen, scharf kritisiert: "Wer flüchtende

    Menschen ins Visier von Infrarot-Geräten nimmt, schafft ein neues Feindbild",

    erklärte der Sprecher von Pro Asyl Herbert Leuninger gestern in Frankfurt.

    Zum Beginn des neuen Jahres sei kein größerer Gegensatz denkbar als der

    zwischen millionenfachem Kerzenschein zum Schutz der Fremden und einer

    "Wärmebildüberwachung" von Flüchtlingen an Oder und Neiße. Statt

    "elektronische Fluchtabwehrkanonen" zu installieren und eine

    "Militarisierung" an der Ostgrenze einzuleiten, müsse die Bundesregierung bei

    künftigen Wirtschaftsverträgen mit osteuopäischen Ländern den unbedingten

    Schutz von Minderheiten einfordern. wg

     


     

    Wenn die Grenzen für Flüchtlinge dicht sind, ist nur noch die

    Einreise auf dem Luftweg möglich/ Auf einem Flugplatz bei Bremen wird

    der neue Artikel 16a schon mal ausprobiert Aus Karlshöfen

    Burkhard Straßmann

    Dienstag, 11.30 Uhr, Karlshöfen bei Bremen: Das Kaff am Rand des Teufelsmoors

    in einer Gegend, wo umgedrehte Besen vor der Tür noch als Abwehrzauber gegen

    Zigeuner gelten, erlebt einen nie dagewesenen Medienrummel. Auf dem kleinen

    Karlshöfener Flugplatz werden Asylbewerber erwartet. Sie sollen mit dem

    Fallschirm hier einschweben und somit eines der letzten Schlupflöcher

    benutzen, das ihnen demnächst das neue Asylrecht übrigläßt. Es ist kalt und

    neblig.

    Nicht nur Funk und Fernsehen haben Wind von der Sache bekommen: Die

    "Außenstelle Nordheide" des Bundesamtes in Zirndorf hat auf der grünen Wiese

    ein provisorisches Büro eingerichtet, mit Stempeln, Adventskranz und

    Thermoskanne. Und da brechen sie schon durchs Unterholz: drei unterkühlte

    Männer mit Fallschirmen unter dem Arm, in der Hand schwenken sie einen Lappen

    mit ihrem Begehr: "Asyl". "Wir haben Kerzen gesehen, Deutsche sind wieder gut

    zu Ausländern", stottert ein Bärtiger. Da haben sie aber die Adventskerzen

    gründlich mißverstanden: Kaltschnäuzig, unter den Augen der Öffentlichkeit,

    jagen die Zirndorfer Beamten die Fallschirmasylanten wieder ins Moor zurück.

    Die Landung der Schirmasylanten ist ein aktualisiertes Weihnachtsmärchen, in

    Szene gesetzt von Mitgliedern des Lüneburger Stadttheaters. Es handelt sich

    um den zweiten Streich eines neu und spontan entstandenen Bündnisses, das den

    provisorischen Namen "Büro für notwendige Einmischung" trägt. Bundesgrüne,

    Jungsozialisten in der SPD, Robin Wood, die "Gesellschaft für bedrohte

    Völker", "Pro Asyl" und Kulturschaffende aus dem Hamburger Raum haben alle

    Berührungsängste beiseite getan und machen gemeinsame Sache: Hände weg vom

    Artikel 16!

    "Was kann die Kultur machen, wenn die Politik versagt?" fragt Frank Eyssen

    vom zwei Wochen alten Bündnis auf der Pressekonferenz.

    Zum Beispiel Theaterspielen, wenn genug zuschauen. Oder, das war ihr erster

    Streich, eine Rüstungsfabrik besetzen, die Splittergranaten für die Türkei

    herstellt. Motto: "Deutsche Granaten finden ihr Ziel - für die Opfer kein

    Asyl?" Unterstützer: Rockmusiker gegen Rechts. Der dritte Streich wird am 30.

    Januar kommen, dem Jahrestag der "Machtergreifung" durch die Nazis. Mit einer

    Woche dezentraler und phantasievoller Aktionen zugunsten des Erinnerns.

    Für Jadranka Thiel vom Juso- Bundesvorstand ist indes der Zug noch nicht

    abgefahren: Sie setzt weiter auf den einzelnen Abgeordneten: "Druck machen,

    Stimmung umdrehen, Bündnisse schließen". Es sei eine Legende, daß die breite

    Parteibasis hinter SPD-Vorstand und -Parteirat stehe. "Die SPD spielt mit

    Menschenleben, um an Wählerstimmen zu kommen."

    Realistischer schätzen Renate Backhaus (Bundesvorstand Die Grünen) und

    Herbert Leuninger von der Vereinigung "Pro Asyl" die Lage ein - sie planen

    bereits den Gang nach Karlsruhe mittels eines abgelehnten Asylbewerbers.

    Tenor: Ein Grundrecht, das nicht erlangt werden kann, ist verfassungswidrig.

    Nicht nur Leuninger sieht dabei auch Artikel 1 ("Die Würde des Menschen ist

    unantastbar") berührt.

    Robin Wood leistet logistische Hilfe und spannt den Bogen über Ausbeutung der

    Dritten Welt, Umweltdreck und Verelendung zur Asylfrage. Am eindringlichsten,

    von großer persönlicher Betroffenheit bewegt, erläutert Tilman Zülch, warum

    die "Gesellschaft für bedrohte Völker" im Bündnis mittut.

    Er engagiert sich gerade besonders in Sachen Bürgerkrieg im ehemaligen

    Jugoslawien und hat die in KZs gefolterten und ermordeten Opfer vor Augen.

    Wer entrinnt, hat schon bei der jetzigen Gesetzeslage allergrößte

    Schwierigkeiten, sich in den Westen zu retten. Bei einer Asylrechtsänderung

    seien die Bürgerkriegsopfer vollends auf willkürliche Gnadenakte angewiesen.

    Horst Sarnoch, pensionierter Zahnarzt und Flugzeugbesitzer, sitzt im Tower

    des kleinen Zivilflughafens. "Im Krieg sind wir ja noch aus 80 Meter

    abgesprungen", sagt er und blickt nachdenklich in den Nebel. 800 Meter Sicht

    am Boden, das ist "null Sicht beim Fliegen".

    Die tollsten Bilder, die den Medien versprochen waren, müssen leider wegen

    Nebels ausfallen. "Vielleicht lassen wir Romeo India mal kurz an." Es hätten

    echte Menschen aus den Wolken fallen sollen, alles um der guten Sache willen.

    Aber die Profis aus den TV- Anstalten werden's schon richten- sie sind

    lichterkettengeübt.

     


     

    Drei Tage lang tagte ein Kongreß zu "Formen der Integration und

    Ausgrenzung" von Ausländern in Einwandererländern. Die Schlußdebatte

    war Skandal und Lehrstück zugleich Von Thomas Schmid

    Frankfurt (taz) - Man kann es drehen und wenden, wie man will, es

    ist eben ein echter Karl Valentin: "Fremd ist der Fremde nur in der Fremde".

    Das Diktum des Münchner Komikers zieht den logischen Schluß nach sich, daß im

    eigenen Land der Fremde kein Fremder ist - eine Tautologie. Doch wo ist das

    eigene Land? Da, wo man herkommt? Oder da, wo man aufgewachsen ist? Oder da,

    wo man arbeitet und lebt? Da, wo man eben kein Fremder ist. Aber wer bestimmt

    denn, wo jemand nicht fremd ist? Der Fremde selbst? Oder das deutsche Gesetz?

    Das Motto des dreitägigen Kongresses über "Formen der Integration und der

    Ausgrenzung in Einwanderungsländern", der am Sonntag in Frankfurt am Main zu

    Ende ging, war also zweifellos gut gewählt. Es regte an, über das Fremde im

    Eigenen, über Projektionen des Eigenen in den Fremden, über Imaginationen des

    andern nachzudenken. Der Kongreß war mit hochkarätigen Referenten bespickt,

    gab zu viel Reflexionen, doch wenig Streit Anlaß und endete in einem Eklat:

    Auf der abschließenden Podiumsdiskussion waren die westdeutschen Politiker

    unter sich.

    Und das kam so: Wilhelm von Sternburg, Chefredakteur des Hessischen

    Rundfunks, der die Schlußdebatte für sein eigenes Haus moderieren sollte,

    stellte eine Stunde vor Beginn derselben fest, daß neun Diskutanten ein

    bißchen viel sind für nur 55 Minuten Sendezeit. Lieber wären ihm nur fünf

    Personen auf dem Podium. Also lud er einige, die eingeladen waren, just dort

    zu sitzen, kurzerhand aus, oder er lud sie dazu ein, wenn man so will, sich

    nach 55 Minuten in einer zweiten Phase dem Gespräch anzuschließen.

    Eines der Opfer der reichlich späten Einsicht Sternburgs war der türkische

    Schriftsteller Zafer Senocak, als Gast eingeflogen aus Berlin, auf dem

    Programm angekündigt als Podiumsteilnehmer. Der nun sah nicht ein, weshalb

    bei der Diskussion über "Integration oder Ausgrenzung" just er, immerhin

    Angehöriger der größten ethnischen Minderheit in Deutschland, am Podiumstisch

    fehlen sollte. Schließlich gab Sternburg dem Protest nach und überredete

    statt dessen den iranischen Publizisten Bahman Nirumand, aufs Podium zu

    verzichten. Der war auch bereit dazu, doch Senocak ließ es sich nicht bieten,

    daß nur seinetwegen nun Nirumand fehlen sollte, und gab völlig entnervt

    bekannt, daß er unter diesen Bedingungen nicht mehr zur Verfügung stehe. Das

    wäre dem Moderator gerade recht gekommen - wenn nur Nirumand nun wieder zu

    gewinnen gewesen wäre. Doch der hatte jetzt die Schnauze von der

    widerwärtigen Kungelei ebenfalls voll. Er wolle nicht den Alibi-Ausländer

    spielen, erklärte er dem Publikum. Um die Situation zu retten, bot Sternburg

    nun beiden Fremden an, sich aufs Podium zu setzen. Er habe

    wirklich keine Hintergedanken gehabt, entschuldigte er sich öffentlich.

    Logisch - wer keine Gedanken hat, kann auch keine Hintergedanken haben.

    Jedenfalls war es nun zu spät.

    Ebenfalls gedankenlos und nicht weniger gutwillig als Sternburg zeigte sich

    Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages.

    Feierlich kündigte sie an, sie werde nun zu Nirumand schreiten, um ihn an der

    Hand zu nehmen und aufs Podium zu führen. Was als Versöhnung gedacht war, kam

    als - frau verzeihe das Wort in diesem Zusammenhang, aber es trifft nun mal-

    paternalistischer Gestus daher. Nirumand lehnte ab. Auch die verzweifelte

    Offerte Sternburgs, die Moderation des Gesprächs an ihn abzugeben, wies der

    Iraner kopfschüttelnd zurück. Lehrstück zu Ende. Vorhang.

    Vorhang auf. Am Tisch sitzen vier Westdeutsche - der einzige eingeladene Gast

    aus Ostdeutschland, Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter von Bündnis90/

    Grüne, war ebenfalls vom Podium ins Publikum verwiesen worden. Vermutlich

    ohne Hintergedanken, sicher jedenfalls ohne Gedanken.

    Der erste von den vieren, Daniel Cohn-Bendit, ehrenamtlicher Stadtrat für

    multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt/M., redet Tacheles. Es

    geht um den sogenannten Asylkompromiß der CSUCDUFDPSPD. "Man kann doch nicht

    von Asylrecht sprechen, wo keiner mehr reinkommt", schreit der Grüne, und "es

    ist kaltherzig, wenn man in diesen historischen Tagen, wo die Bundesrepublik

    so erschüttert wird von rassistischen Angriffen, nicht in der Lage war, das

    rassistischste aller rassistischen Gesetze der Bundesrepublik, nämlich das

    Staatsangehörigkeitsrecht, das ein Blutsrecht ist, wenigstens jetzt zu

    verändern. Und deswegen sage ich, daß alle Personen, die bei diesem Kompromiß

    dabei waren und nicht schreiend rausgegangen sind, sich politisch schuldig

    gemacht haben für das, was passiert ist." Die Empörung ist nicht gespielt.

    Offenbar als einziger auf dem Podium hat Cohn-Bendit begriffen, welche

    historische Chance hier vertan wird. Der Kompromiß, der die Ausländer

    weiterhin ausgrenzt, so warnt er abschließend, setzt den sozialen Frieden

    aufs Spiel.

    Die zweite, Heidemarie Wieczorek-Zeul, von Cohn-Bendit frontal angegriffen,

    eiert herum, bis sie sich zur Aussage durchringt: "Ich werde diesen Kompromiß

    nicht mittragen." Aber welches Gewicht hat der späte Protest? Gestern tagte

    der SPD-Parteirat, heute entscheidet die Fraktion. Im Eiltempo soll der

    Beschluß des Sonderparteitages vor einem Monat nun hinweggefegt werden.

    Der dritte, Ignatz Bubis, Vorsitzender des Direktoriums des Zentralrats der

    Juden in Deutschland und FDP-Mitglied, spricht von einem "Wischiwaschi-Modell

    der erleichterten Einbürgerung" und mit Verweis auf den Populismus der

    Parteien davon, daß die Gewalttäter, die "letztlich eine andere Republik

    wollen", sich bereits durchsetzen. Doch einen systematischen Zusammenhang

    zwischen der sich immer weiter ausbreitenden rassistischen und

    antisemitischen Gewalt und der weiteren Ausgrenzung der Fremden, wie sie vom

    Asylkompromiß bestätigt wird, vermag er nicht herzustellen.

    Über den vierten, Ulf Fink, Vorsitzender der CDU Brandenburg, gibt es nichts

    Berichtenswertes zu reportieren.

    Vier Podiumsteilnehmer, vier Parteien. Eingeladen, aber aus erwähnten Gründen

    nicht auf dem Podium waren: zwei Fremde, ein Ostdeutscher, der

    Psychoanalytiker Mario Erdheim und Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl .

    Einen solchen Abschluß hat der Kongreß, der vom S. Fischer-Verlag und der

    Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, beide wohl unschuldig am

    Eklat vom Sonntag abend, umsichtig organisiert wurde, bei Gott nicht

    verdient. Wie gesagt, die Referenten waren hochkarätig, und ihre Beiträge

    regten zum Nachdenken an. Es sprachen der Politologe Claus Leggewie und der

    Zeithistoriker Dan Diner, der Theologe Johann Baptist Metz und der

    Verfassungsrechtler Günter Frankenberg, der Kulturanthropologe Werner

    Schiffauer (s. seinen Beitrag in der taz vom letzten Samstag) und die

    Schriftstellerin Saliha Scheinhardt, die Pariser Politologen Etienne Balibar,

    Gilles Kepel und Franois Dubet, aus den USA der Soziologe George Lipsitz, die

    Literaturwissenschaftlerin Elaine Scarry und die Schriftsteller Darryl

    Pinckney und Scott Monaday, der Frankfurter Publizist Thomas Schmid (nicht

    identisch mit dem Autor dieses Artikels) und die Schweizer Ethnologin Maja

    Nadig sowie der Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup. Viele kluge Worte sind

    gefallen. Doch nichts war so erhellend wie das Lehrstück vom Sonntag abend,

    die Parabel von den deutschen Politikern oben am Tisch und den zwei fremden

    Publizisten im Publikum. Fremd ist der Fremde auch in der Fremde in

    Frankfurt.

     


     

    Auch Parteilinke bäumt sich gegen Asylkompromiß auf

    Frankfurt a. M./Bonn (epd/dpa) - Die Arbeitsgemeinschaft für

    Flüchtlinge "Pro Asyl" hat an den heute tagenden SPD-Parteirat appelliert,

    sich von dem vorliegenden Asylkompromiß eindeutig zu distanzieren. In einem

    Offenen Brief forderte "Pro Asyl" -Sprecher Herbert Leuninger die Mitglieder

    des Parteirates auf, sich gegen eine "großräumige, militarisierte

    Flüchtlingsabwehr" in Europa zu wenden, wie sie am Ende der derzeit

    angestrebten Asylpolitik stehe. Der Artikel 16 des Grundgesetzes dürfe nicht

    verändert, die Genfer Flüchtlingskonvention müsse um eine

    Aufnahmeverpflichtung für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge erweitert

    werden. Der Begriff des Flüchtlings sei außerdem auf Opfer von Folter,

    Vergewaltigung und geschlechtsspezifischer Diskriminierung auszudehnen.

    In ganz anderem Sinn beschworen SPDler und Vertreter der Bonner

    Regierungskoalition die TeilnehmerInnen der Parteiratssitzung. Der

    Parteiratsvorsitzende Harald Ringstorff, der SPD-Abgeordnete Horst Niggemeier

    und führende Unionspolitiker wie der Parlamentarische Geschäftsführer der

    CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Rüttgers, und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe,

    Wolfgang Bötsch, warnten die SPD-Abgeordneten vor einer Glaubwürdigkeitskrise

    und öffentlichen Demontage ihres Fraktionschefs Klose, falls sie den

    Kompromiß ablehnten.

    Erneut erklärten jedoch verschiedene SPD-Gliederungen, daß für sie der

    Asylkompromiß ohne Nachbesserungen so nicht zustimmungsfähig sei. Die

    Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen betonte am Samstag, der

    Kompromiß entspreche in keiner Weise den Beschlüssen des SPD-

    Sonderparteitages. Ähnlich äußerte sich die SPD Hessen-Süd. Bei der

    SPD-Linken stößt vor allem die Absicht auf Ablehnung, Asylsuchenden, die über

    Polen und die CSFR einreisen, künftig den Aufnahmeanspruch zu entziehen.

     


    Interview

    Herbert Leuninger (Sprecher "Pro Asyl" ) zum Kompromiß

    taz: Herr Leuninger, wie bewerten Sie das Ergebnis

    der Verhandlungen zwischen den Altparteien - die Grünen waren ja von den

    Asylrunden ausgeschlossen - zur Änderung des Asylrechts?

    Herbert Leuninger: Das ist ein Sieg der Straße und eine Niederlage

    für unseren Rechtsstaat. Der Artikel 16 Grundgesetz soll durch einen Artikel

    16a ersetzt werden. Damit wird der 16er auf den Standard der Genfer

    Flüchtlingskommission verengt. Das heißt im Klartext, daß das individuell

    einklagbare Menschenrecht auf Asyl zur Disposition gestellt ist. Die

    flankierend dazu verabredeten Maßnahmen werden in letzter Konsequenz dazu

    führen, daß ein Flüchtling nur noch mit dem Fallschirm über Deutschland

    abspringen kann, wenn er hier Asyl beantragen will.

    Sie befürchten demnach, daß über Absprachen auch mit den

    östlichen Nachbarländern der Bundesrepublik eine neue Mauer um Deutschland

    herum aufgebaut werden soll - diesmal gegen Ein- und nicht gegen

    Ausreisewillige...

    Das wird eine Mauer um die Bundesrepublik herum werden. Und wenn man sich

    dazu noch die Beschlüsse der EG-Innenminister von der vergangenen Woche in

    London ansieht, wird klar, daß um die Außengrenzen der EG noch eine zweite

    Mauer hochgezogen werden wird. Die Innenminister haben auf dem Papier um die

    EG einen Ring von angeblich sicheren Durchreisestaaten gezogen. Sollte es

    also ein Flüchtling schaffen, in ein Land an der Peripherie der EG zu

    gelangen, kann er postwendend wieder über die Grenze in ein angebliches

    Nichtverfolgerland außerhalb der EG-Grenzen abgeschoben werden.

    Würden Sie denn der These zustimmen, daß mit dem

    Parteienkompromiß vom Sonntag zumindest die unselige Asyldebatte in den

    Zeiten des rechtsradikalen Terrors ein Ende gefunden hat?

    Wir gehen davon aus, daß dieser Streit nicht zu Ende ist, weil es um all die

    vielen Einzelpunkte noch ein Gezerre geben wird und wohl auch muß. Die

    Diskussion wird bis zu einer Verabschiedung im Bundestag weitergehen. Wir

    gehen mittelfristig auch davon aus, daß nach wie vor Flüchtlinge in die

    Bundesrepublik kommen werden - allerdings unter weit restriktiveren

    Bedingungen. Fest steht aber, daß die Frage der Zuwanderung in die

    Bundesrepublik mit dieser Vereinbarung noch nicht einmal im Ansatz gelöst

    wurde.

    Sehen Sie noch Chancen, die Bonner Asylbeschlüsse im Sinne

    einer Liberalisierung im Interesse der Flüchtlinge korrigieren zu können?

    Wir setzen nach wie vor auf eine Diskussion auch in der SPD, deren Parteitag

    den Verhandlungsführern eine größere Zurückhaltung bei der Veränderung des

    Artikels 16 Grundgesetz auferlegt hatte. Wir setzen darauf, daß die Menschen,

    die zu vielen Tausenden in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen

    sind und für den Erhalt des Asylrechts demonstriert haben, Einfluß auf ihre

    Abgeordneten im Bundestag nehmen und deren Gewissen schärfen, damit sie

    diesem faulen Kompromiß nicht zustimmen.

    Interview:

    Klaus-Peter Klingelschmitt

     


     

    Die großen Parteien einigten sich in der Revision des Asylrechts: Das

    Recht auf Asyl bleibt erhalten - auf dem Papier/ SPD verzichtet auf

    Einwanderungsgesetz/ CSU und Lafontaine zufrieden

    Berlin (taz) - Das Asylrecht bleibt erhalten, die Asylsuchenden

    verschwinden: das ist die Quintessenz des Kompromisses im Asylrecht, auf daß

    sich die Bonner Koalitionsparteien und die SPD in der Nacht zum Montag

    geeinigt haben. Für Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsregionen soll es

    einen Sonderstatus geben. Die Einreise von deutschstämmigen Aussiedlern wird

    zukünftig begrenzt.

    Als "Sieg der Vernunft" feierte CSU- Chef Waigel den Kompromiß. Auch andere

    Politiker von CSU bis SPD zeigten sich über die Einigung hoch erfreut.

    Kanzleramtsminister Bohl rechnet damit, daß Zuwanderung jetzt wirkungsvoll

    begrenzt werden kann. Oskar Lafontaine (SPD) sprach von einem "entscheidenden

    Schritt nach vorn". Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen übten

    hingegen scharfe Kritik an dem Entwurf für ein neues Asylrecht.

    "Ein "versöhnendes Signal" solle gesetzt werden, "denn Deutschland ist ein

    weltoffenes, tolerantes Land, und das soll so bleiben", heißt es auf Seite

    eins der gemeinsamen Erklärung. Die proklamierte Weltoffenheit findet indes

    für Asylsuchende schon auf der dritten Seite enge Grenzen. Zwar bleibt das

    Individualrecht auf Asyl nach Artikel 16 des Grundgesetzes im Prinzip

    erhalten. In einem neuen Artikel 16a wird jedoch festgelegt, daß kein

    Anspruch auf Asyl hat, wer aus einem Drittstaat einreist, "in dem die

    Anwendung der Genfer Konvention und der Europäischen

    Menschenrechts-Konvention sichergestellt ist". Darunter versteht die Bonner

    Asyl-Runde nicht nur die Länder der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch

    Polen, die CSFR, Österreich und die Schweiz - also sämtliche Nachbarstaaten

    Deutschlands. Flüchtlingen, die über den Landweg einreisen, wird damit das

    Recht auf Asyl in Deutschland prinzipiell abgesprochen, sie können sofort

    zurückgeschickt werden. Dies betrifft nicht nur Menschen etwa aus Polen oder

    der CSFR, sondern auch alle anderen Flüchtlinge, die im Transit über diese

    Länder eingereist sind. Damit wird der Landweg verschlossen und den

    Nachbarstaaten der Bundesrepublik das "Asylproblem" überlassen. Dafür bieten

    die Bonner Asylexperten diesen gnädig "administrative Hilfe zur Bewältigung

    der Flüchtlingsprobleme" an.

    Asyl beantragen darf in Zukunft nur, wer direkt - also über die Häfen oder

    Flughäfen in der Bundesrepublik - einreist. Da zur Einreise in aller Regel

    ein Visum benötigt wird, das immer schwieriger zu erhalten ist, dürften in

    der Tat kaum noch asylantragsberechtigte Personen den Boden der

    Bundesrepublik betreten.

    Flüchtlinge, die, etwa um ihre Einreise über Land zu verschleiern, ihre

    Reisepapiere vernichten, haben ebenfalls keine Chance auf Asyl. Als

    "offensichtlich unbegründete Asylanträge" werden nämlich unter anderem alle

    diejenigen eingestuft, bei denen die "Mitwirkungspflichten im Verfahren"

    verletzt werden. Die neue Regelung soll auch für alle bereits anhängigen

    "Altfälle" gelten, die man "beschleunigt abgearbeitet" sehen will. Ein

    Bleiberecht sollen bei diesem Personenkreis nur Flüchtlinge aus Ländern mit

    besonders hoher Anerkennungsquote im Asylverfahren erhalten, die schon länger

    als zwei Jahre in der Bundesrepublik leben.

    Ferner sieht der Asylkompromiß sogenannte Länderlisten vor. Wer aus diesen

    Ländern kommt, gilt nicht als politisch verfolgt, "es sei denn, er trägt

    Gründe vor, aus denen sich ergibt, daß er entgegen der Vermutung politisch

    verfolgt wird", heißt es in dem Papier. Da sich die Parteien offenbar nicht

    auf eine konkrete Liste haben einigen können, sollen nun Bundestag und

    Bundesrat ein Gesetz verabschieden, in dem all die Länder aufgelistet werden,

    in denen nach ihrer Meinung politische Verfolgung nicht existiert.

    "Offensichtlich unbegründete" Asylanträge sollen zur Verfahrensbeschleunigung

    nur noch von Einzelrichtern entschieden werden. Alle Asylsuchenden erhalten

    künftig nicht mehr analog zur deutschen Bevölkerung Sozialhilfe. Statt dessen

    soll der "Mindestunterhalt" durch ein eigenes Gesetz geregelt werden - mit

    dem Ziel einer "deutlichen Absenkung der bisherigen Leistungen".

    Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge erhalten einen Sonderstatus. Ihre

    Aufnahme erfolgt zeitlich befristet. Kein Wort findet sich im Asylkompromiß

    von dem von der SPD verlangten Einwanderungsgesetz. Statt dessen wird

    lediglich nebulös eine "Zuwanderungsregelung" auf europäischer Ebene in ferne

    Aussicht gestellt. Die Einbürgerung von in Deutschland lebenden Ausländern

    soll allerdings erleichtert werden.

    Der Zuzug deutschstämmiger Aussiedler soll in Zukunft auf den Durchschnitt

    der Einreisenden von 1991 und 1992 begrenzt werden. Das wären etwa 220.000

    Personen. Nur noch 100.000 Wanderarbeiter im Jahr erhalten eine

    Arbeitserlaubnis.

    In Bonn wurde der Asylkompromiß fast einhellig begrüßt. CSU-Chef Theo Waigel

    feierte das "gute Ergebnis". Die Führungsspitze der CSU stimmte dem

    ausgehandelten Papier bei einer Enthaltung zu. Kanzleramtsminister Bohl

    sagte, es sei ein tragfähiger Kompromiß erzielt worden, "bei dem naturgemäß

    unsere Wünsche und Forderungen nicht alle durchgesetzt wurden". Er sei mit

    den Erfahrungen aus dem Dritten Reich vereinbar und trage zugleich den

    geänderten Bedingungen Rechnung.

    Oskar Lafontaine sprach von einem "wirklichen Schritt nach vorne".

    Entscheidend sei die Vereinbarung, daß Asylbewerber, die aus sicheren

    Drittstaaten einreisen, zurückgewiesen werden könnten. Bundesjustizministerin

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte Gespräche mit den

    Nachbarstaaten Deutschlands an, über die bisher viele Asylsuchende in die

    Bundesrepublik gekommen sind.

    Scharfe Kritik am Kompromiß äußerten die Grünen. Deutschland umgebe sich

    "lückenlos" mit Drittländern wie "mit einem undurchdringlichen

    Palisadenzaun", die den Bedrohten aller Kontinente den Weg ins deutsche Asyl

    versperren. Diese Methode der Abschottung sei so effektiv wie ein

    Schießbefehl, auch wenn sie eleganter wirke. Politisch Verfolgte genießen

    nach der Änderung kein Asylrecht mehr, erklärten Grünen-Vorstandssprecher

    Christine Weiske und Ludger Volmer. Auch der Sprecher von Pro Asyl , Herbert

    Leuninger, sagte gegenüber der taz, daß "um Deutschland herum eine neue Mauer

    gebaut werden soll. Die Maßnahmen werden in letzter Konsequenz dazu führen,

    daß ein Flüchtling nur noch mit dem Fallschirm über Deutschland abspringen

    kann, wenn er hier Asyl beantragen will." Auch amnesty international

    kritisierte den Asylkompromiß. SPD-Vorstandsmitglied Peter von Oertzen

    meinte, möglicherweise habe die SPD sich über die Konsequenzen ihres

    Parteitagsbeschlusses zum Asyl getäuscht: "Tatsächlich bedeutet diese

    Vereinbarung, daß die Bundesrepublik praktisch so gut wie keine Asylbewerber

    mehr aufnehmen muß", meinte er zur taz. klh

     

     


     

    Interview tissy bruns

    Herbert Leuninger ist Pfarrer und Sprecher von Pro Asyl / Er plädiert

    für eine Flüchtlingspolitik auf internationaler Ebene/ Hinter der

    Asyldebatte steckt für ihn die Frage nach der

    Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land

    taz: Ist der Artikel 16 für die Zeit der

    Völkerwanderung noch die angemessene rechtliche Grundlage?

    Herbert Leuninger: Gerade! Mit dem Artikel 16 ist zum ersten Mal ein

    Menschenrecht deklariert worden, das es in der Form zuvor nicht gab, das auch

    die Genfer Flüchtlingskonvention nicht vorsieht. Eben ein Menschenrecht und

    nicht nur eine Institutionengarantie oder eine Verpflichtung des Staates,

    Flüchtlinge aufzunehmen. Dieses Menschenrecht wurde aus einer bestimmten

    historischen Situation heraus formuliert und deklariert. Wenn es einmal in

    der Welt ist, dann gibt es dahinter kein Zurück mehr. Es bedeutet, daß die

    Aufnahme von Flüchtlingen gesehen werden muß als ein individuelles Recht, das

    sich ableitet aus dem Schutz und der Wahrung der Menschenwürde. Das sollte in

    allen Ländern gelten.

    Der Artikel 16 schützt politisch, rassisch oder religiös

    Verfolgte. Ist das für die Fluchtbewegungen unserer Zeit nicht viel zu eng

    und ist nicht das Grundgesetz aus diesem Grunde reformbedürftig?

    Das ist natürlich ein anderer Gesichtspunkt. Für das, was Flucht heute

    bedeutet, werden der Artikel 16 - und übrigens auch die Genfer Konvention -

    zu eng ausgelegt. Wir fordern deshalb auch seit geraumer Zeit, den Begriff

    der politischen Flucht anders auszulegen. Immerhin ist es schon ein

    Fortschritt, daß als Ergebnis der Asyldiskussion ein eigener Status für

    Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge wahrscheinlicher geworden ist. Aber die

    Diskussion um eine erweiterte Definition des Verfolgten-Begriffes können wir

    uns derzeit überhaupt nicht erlauben.

    Warum nicht?

    Der Artikel 16 ist in seiner menschenrechtlichen Substanz bedroht, die wir

    verteidigen müssen. Es würde uns einfach als totaler Utopismus angelastet,

    wollten wir jetzt über einen erweiterten FLüchtlingsbegriff diskutieren. Vor

    dem Hintergrund der Pogrome kann man nur fordern: Schluß mit dieser

    entsetzlichen Asyldebatte, die im Grunde eine Stellvertreterdebatte für

    andere Probleme ist. Jeder weiß doch, daß eine Verfassungsänderung nichts an

    den Fluchtursachen und nichts an der Zuflucht in diese Republik ändert.

    Ist nicht an der gegenwärtigen Diskussion insofern ein wahrer

    Kern, als mit den großen Wanderungsbewegungen aus Osteuropa Menschen kommen,

    die den Schutz weniger nötig haben als andere? Alle aber gehen in den

    Rechtsweg des Artikel 16, der bekanntlich schwerfällig ist.

    Wenn es heute eine Gruppe gibt, die bei den ethnischen Auseinandersetzungen

    in Südosteuropa besonders bedroht ist, dann sind das die Roma. Unverkennbar

    sind sie insgesamt bedroht. Wenn wir unter vergleichbar wesentlich

    günstigeren Bedingungen diese Menschen kaum noch schützen können oder wollen:

    Wie muß es dann erst in anderen Ländern zugehen? Wir müssen zu einem neuen

    Verständnis diesen Menschen gegenüber finden und dürfen uns der

    Verpflichtung, sie zu schützen, nicht dadurch entziehen, daß wir sie von

    einem bestimmten Schutzrecht ausschließen.

    Im Sommer, als das Drama der bosnischen Flüchtlinge offenbar

    wurde, gab es in der Bevölkerung eine große Hilfsbereitschaft. Jetzt, im

    Herbst, ist das Land verfinstert. Reicht das Motto des "Hände weg vom Artikel

    16!" aus, um die geschwundene Akzeptanz wiederherzustellen?

    Wir hatten im Sommer die einmalige Chance, verständlich zu machen, was

    Flüchtlingsnot ist und daß daraus die Verpflichtung zur Aufnahme dieser

    Flüchtlinge erwächst. Damals ist allerdings eine schwerwiegende

    Weichenstellung vorgenommen worden: die Privatisierung der

    Flüchtlingsaufnahme. Wir haben das sehr kritisiert, weil das eine Aufgabe des

    Staates ist. Es war absehbar, daß private Initiativen mit dieser Aufgabe

    hoffnungslos überfordert sein würden, denn es ging um eine Aufnahme nicht

    über Wochen, sondern über Monate, vielleicht über Jahre. Außerdem hat die

    zweimalige Hilfe für je 5000 Menschen viele Menschen glauben gemacht, damit

    wäre es getan.

    Hochproblematisch ist aber auch: Wir führen eine metapolitische Debatte, die

    in Wahrheit gar nicht um den Artikel 16 geht. Hinter der Asyldebatte

    verbergen sich die Fragen nach der Verteilungsgerechtigkeit in unserem Land,

    nach dem drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch Osteuropas und seinen

    unabsehbaren Folgen und der ökologischen Globalkrise. Das alles wurde auf die

    Mühlen des Artikel 16 gelenkt, wobei wir uns in einer zwanghaften Diskussion

    befinden. Am liebsten würde ich von Stund an nicht mehr über den Artikel 16

    reden.

    Aber Sie wissen natürlich, daß das gar nicht geht. Die

    Mehrheitsmeinung droht abzugleiten in eine Abwehrhaltung. Müssen wir die

    Zuwanderung nicht wirklich steuerbarer machen?

    Vor zehn Jahren wurde bereits die gleiche Frage gestellt wie heute: Ist das

    Boot voll? Das ist eher eine politische Frage als eine der vorhandenen

    Ressourcen. Die Ressourcen sind eigentlich da. Schon vor Jahren hätte klar

    sein müssen, daß die Aufnahme von Flüchtlingen eine dauerhafte Regelaufgabe

    von Kommunen und Ländern ist. Man hat aber törichterweise immer auf die

    Abwehr gesetzt. Das ist der Grund für die Engpässe von heute. Heute kann die

    Forderung nur sein, daß Vorsorge für die künftigen Fluchtbewegungen getroffen

    wird. In welcher Größenordung, kann niemand sagen. Zweitens, und darin haben

    wir die Bundesregierung immer bestärkt: Es wäre sehr wünschenswert, wenn die

    Rechte der UN-Flüchtlingskommissarin gestärkt würden und sie den EG- Ländern

    beispielsweise Flüchtlinge zuweisen könnte. Flüchtlingspolitik kann man kaum

    mehr auf nationaler Ebene machen, auf einer Ebene, die sich im nächsten

    Wahlkampf legitimieren muß. Es handelt sich um eine internationale Aufgabe.

    Aber die vorhandenen Rechtsinstrumente der Vereinten Nationen reichen

    überhaupt nicht aus. Diese Mängel den Flüchtlingen anzulasten und sie der

    Aggression freizugeben - das geht einfach nicht!

    Im internationalen Kontext hätte die Bundesrepublik durchaus eine

    Lokomitivenfunktion. Die hat sie bisher im Sinne der Abwehr mit den Verträgen

    von Schengen und Dublin wahrgenommen, nicht aber im Sinne der Vorbereitung

    der Europäischen Gemeinschaft auf schwere, große Aufgaben der

    Flüchtlingsaufnahme.

    Für das nächste Jahrzehnt ist leicht vorstellbar, daß die

    Bundesrepublik jederzeit bereit sein muß, Flüchtlinge in großer Zahl

    aufzunehmen, Stichwort GUS. Muß sie in solchen Situationen nicht umgekehrt

    imstande sein, anderen die Tür zeitweilig zu verschließen?

    Das tut man schon, ohne es in der öffentlichen Diskussion zu sagen. Osteuropa

    ist noch eine andere Sache, aber zusammen mit der EG hat die Bundesrepublik

    100 Länder auf eine Liste gesetzt, die der Visapflicht unterliegen. Auf diese

    Weise werden schon jetzt hunderttausende Menschen, Flüchtlinge, abgehalten,

    in die westeuropäischen Länder zu kommen. Wir haben das seinerzeit

    kritisiert, was wir jetzt kaum aufrecht erhalten können, weil dann jeder

    Argumentationskonsens zusammenbräche. Aber ich betone: Es gibt diese Art der

    Abwehr, fragwürdig, aber erfolgreich. Außerdem hat unser Ausländergesetz von

    1991 einen enormen Selektions- und Abwehrmechanismus eingebaut.

    Wenn wir mögliche Einwanderungskonzeptionen ansprechen, dann vertrete ich die

    Meinung: Es gibt eine umfassende Einwanderung in die Bundesrepublik. Neben

    der Einwanderung im Rahmen der Europäischen Freizügigkeit und der der

    Aussiedler gemäß Artikel 116, haben wir ein kontinuierliches

    Nachzugspotential bei der Arbeitsmigration. Viele tausend Menschen aus

    Osteuropa mit einer zeitlich begrenzten Arbeitserlaubnis sind potentielle

    Einwanderer. Eine Gruppe, die in die Hunderttausende geht, sind Menschen, die

    ohne legalen Status bereits viele Jahre in der Bundesrepublik leben und

    arbeiten. Ähnlich steht es um die Mehrheit der nur geduldeten Flüchtlinge aus

    Kriegs- und Krisengebieten, die faktisch nicht merh zurückgehen können. Für

    all diese Gruppen ist eine rechtliche Regelung im Sinne einer Einwanderung

    erforderlich. Interview: Tissy Bruns

     


     

    Am 1. November tritt das zwischen Bonn und Bukarest ausgehandelte

    Abkommen in Kraft, das die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aus

    Rumänien, hauptsächlich Roma, beschleunigt.

    Als am 24. September in Bukarest die "Vereinbarung über die Rückübernahme von

    deutschen und rumänischen Staatsangehörigen" unterzeichnet war und Rudolf

    Seiters (CDU) mit seinem rumänischen Amtskollegen Victor Babiuc Hände

    schüttelte, zeigte sich der deutsche Innenminister sehr "erleichtert" über den

    "wirkungsvollen Schritt zur Eindämmung der illegalen Einwanderung". Am 1.

    November tritt das Abkommen in Kraft. Es beschleunigt die Abschiebung

    abgelehnter AsylbewerberInnen aus Rumänien, von denen mehr als 60 Prozent

    Roma sind. Zum anderen will Bonn Roma abschrecken, die illegal einreisen.

    Davon will man im Innenministerium aber heute nichts mehr wissen: "Es gibt

    keinen Vertrag zur Abschiebung der Roma", spielt ein Sprecher die

    Vereinbarung herunter. Der Vertrag sei "auf rumänische Roma gerichtet", meint

    dagegen die Menschenrechtsorganisation "Helsinki Watch" in ihrem jüngsten

    Bericht über rechtsextremistische Gewalt in Deutschland.

    Besonders das Ausland hatte scharf reagiert. Englische, amerikanische und

    französische Zeitungen schrieben von einem "Deportationsvertrag". Zuletzt

    erinnerten Serge und Beate Klarsfeld und französische Juden in Rostock daran,

    daß gerade Deutschland sich mit Sondergesetzen für "Zigeuner" zurückhalten

    sollte. "Dieser Vertrag ist meines Wissens ein Novum", meint auch Herbert

    Leuninger, der Sprecher von Pro Asyl . Die Arbeitsgemeinschaft unterstützt die

    Forderung des Vorsitzenden der Rom & Cinti Union, Rudko Kawczynski, nach

    "internationaler Verurteilung des Bonn- Bukarester-Vertrages". Es sei zu

    befürchten, daß die rumänischen Behörden den ohne Pässe Zurückgekehrten neue

    Pässe verweigern und sie damit hindern könnten, das Land zu verlassen.

    KritikerInnen des Abkommens wie die Roma-Expertin der Gesellschaft für

    Bedrohte Völker, Katrin Reemtsma, fürchten außerdem, daß der Vertrag deutsche

    Behörden ermutige, schon auf frisch eingereiste RumänInnen und Roma

    zuzugreifen und sie zurückzuschaffen, noch bevor sie einen Asylantrag stellen

    konnten. Das wäre gegen das geltende Asylrecht, könnte aber kaum kontrolliert

    werden. In dem deutsch-rumänischen Abkommen verpflichten sich beide Seiten,

    StaatsbürgerInnen, "die sich illegal auf dem Hoheitsgebiet der jeweiligen

    anderen Vertragspartei aufhalten, d. h. die die geltenden Voraussetzungen für

    die Einreise oder den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen",

    zurückzunehmen (Artikel 1). Dies auch dann - und das ist das Wichtigste-,

    wenn die Betroffenen keine gültigen Pässe haben. Faktisch betrifft dies nur

    Rumänien. Denn allein von Januar bis August 1992 haben nach Auskunft des

    Bundesinnenministeriums 57.446 RumänInnen Asyl beantragt, das sind 21 Prozent

    aller BewerberInnen.

    Verläßliche Zeugenaussagen statt Ausweise

    Statt gültiger Papiere erlaubt das Seiters-Abkommen in Artikel 2

    Ersatznachweise für die rumänische Staatsbürgerschaft. So kann ein

    Führerschein genügen, ein abgelaufener Paß oder ein Seefahrerausweis. Sofern

    nichts Schriftliches vorliegt, sollen auch "verläßliche Zeugenaussagen"

    ausreichen, jemandes Staatsbürgerschaft glaubhaft zu machen. Nach dem am

    Mittwoch unterzeichneten Durchführungsprotokoll können die Ausländerbehörden

    der Städte und Kreise künftig durch eine/n Dolmetscher/in bezeugen lassen,

    daß diese oder jener Asylsuchende den Asylantrag in rumänischer Sprache

    gestellt und begründet habe und folglich Rumäne/in sei. Die Behörde schickt

    dann einen entsprechenden Brief an das nächstgelegene rumänische Konsulat.

    Erhebt dieses innerhalb von drei Tagen keinen Widerspruch, gilt die

    rumänische Staatsbürgerschaft als glaubhaft nachgewiesen, und die/der

    Betreffende kann unverzüglich abgeschoben werden. Bisher mußten die deutschen

    Behörden in Rumänien Paß-Ersatzpapiere für die Abzuschiebenden beantragen,

    andernfalls nahm Rumänien sie nicht auf. Für Abschiebungen zuständig sind die

    Bundesländer. Sie bezahlen die Flüge der Abgeschobenen bis Bukarest. Während

    man im nordrhein-westfälischen Innenministerium das Abkommen für eine

    "Luftblase" hält, rechnet man in Niedersachsen für Anfang November mit einer

    erheblich höheren Zahl abgeschobener RumänInnen.

    "Wir werden Gruppenabschiebungen haben", meint ein Sprecher des

    niedersächsischen Innenministeriums auf die oft gestellte Frage, "aber

    keinesfalls Massenabschiebungen." In den Länderbehörden herrscht insgesamt

    aber noch Unklarheit über die Umsetzung des Abkommens. Die Sprecherin des

    brandenburgischen Innenministeriums sagte der taz, die

    Durchführungsbestimmungen hätten keine rechtlich gesicherte Grundlage und

    seien mit dem geltenden Asylgesetz nicht vereinbar.

    Für den Vertragsabschluß sei kein Geld nach Rumänien geflossen, beteuert das

    Bundesinnenministerium. Doch hat das Ministerium im letzten Jahr ein

    sogenanntes "Rückkehrförderungs- und Reintegrationsprogramm Rumänien" in Gang

    gesetzt, für das bis 1996 30 Millionen DM fließen werden. In drei

    Ausbildungswerkstätten in Sibiu, Timisoara und im Kreis Arad sollen Männer in

    diversen Handwerksberufen ausgebildet werden. Voraussetzung ist die

    "freiwillige" Rückkehr. Dieses kostenintensive Programm dürfte die

    Verhandlungsfreudigkeit der rumänischen Regierung äußerst positiv beeinflußt

    haben.

    "Völkerrechtlich läßt sich dennoch gegen diesen Vertrag wenig sagen", urteilt

    Wolfgang Grenz von amnesty international. Er ermögliche keine zusätzlichen

    Abschiebungen. Politisch allerdings, so Grenz, "könnte die Botschaft

    rüberkommen, daß rumänische AsylbewerberInnen künftig ohne Einzelfallprüfung

    abgeschoben werden dürfen". Auch Katrin Reemtsma ist der Meinung, der Vertrag

    etabliere durch die Hintertür Rumänien als "Nichtverfolgerstaat" und dies

    ausgerechnet auf Kosten einer Minderheit, der Roma, die in Rumänien nach wie

    vor ständiger Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sei.

    Für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wurde das Abkommen "zur

    Stigmatisierung abgeschlossen und propagiert mit dem Zweck, Sinti und Roma zu

    ,Sündenböcken` für das herbeigeredete ,Asylproblem` abzustempeln und

    verantwortlich zu machen für die ungelösten sozialen Probleme in den neuen

    Bundesländern". Bettina Markmeyer

     


     

    ... von Gewerkschaft und Pro Asyl / Partei fährt weiter Schlingerkurs

    Frankfurt/Bonn (AP/AFP) - Gewerkschafter wollen gemeinsam mit der

    Menschenrechtsorganisation Pro Asyl mit allen Mitteln eine Asylrechtsänderung

    im Grundgesetz verhindern und setzen dabei auf die Sozialdemokraten. Am Rande

    einer Pressekonferenz in Frankfurt sagte Pro-Asyl - Sprecher Herbert

    Leuninger: "Wenn die Diskussion in der SPD wieder von der Kompromißlinie zur

    Sache zurückfindet und nicht die Frage im Vordergrund steht, wie die Partei

    eine solche Diskussion übersteht, ohne daß der Vorsitzende in Mitleidenschaft

    gezogen wird, dann besteht eine Chance."

    IG-Metall-Vorstandsmitglied Yilmaz Kaharasan, der auch Delegierter auf dem

    SPD-Sonderparteitag ist, bezeichnete eine mögliche Wendung der

    Sozialdemokraten hin zu einer Grundgesetzänderung als "historischen Fehler".

    Der für ausländische Arbeitnehmer zuständige DGB-Abteilungsleiter Karl-Heinz

    Goebels sprach von einer "widerwärtigen Scheindiskussion". Es seien Kräfte am

    Werk, die einen anderen Staat wollten. Die Haltung der SPD-Spitze kritisierte

    Goebels: Auch mit den zuletzt vorgelegten Kompromißvorschlägen wolle die

    Parteispitze nur "verdecken, daß man eigentlich schon auf Linie der CDU ist".

    Da liegt er nicht falsch: Gestern stellte der innenpolitische Sprecher der

    Partei, Gerd Wartenberg, Artikel 19 des Grundgesetzes in Frage, der

    Asylbewerbern das Einklagen ihres Rechtsanspruchs ermöglicht. SPD-Vize

    Thierse forderte Aufhebung des Fraktionszwangs bei der Asylabstimmung im

    Bundestag.

     


     

    Neuer Vorschlag des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard

    Schröder stößt auf Zustimmung und Skepsis gleichermaßen/ Vorschlag

    für Verfassungsartikel Von Jürgen Voges und Tissy Bruns

    Bonn (taz) - In der SPD wird emsig nach Kompromissen gesucht, ein

    Ende des Streits um das Asylrecht ist aber noch nicht absehbar.

    SPD-Sprecherin Dagmar Wiebusch bezeichnete den neuen Vorschlag des

    niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder gegenüber der taz als

    "wichtigen Schritt". Die Konfrontation in der SPD sei deutlich abgemildert,

    aber die endgültige Lösung sei die niedersächsische Initiative wahrscheinlich

    noch nicht.

    In einem Brief an seinen Parteivorsitzenden hatte Schröder sich erstmals auf

    einen konkreten Vorschlag zur Neuformulierung des Asylgrundrechts festgelegt.

    In dem am Montag verfaßten Schreiben kritisiert er die jüngsten Asyl-

    Beschlüsse des SPD-Parteivorstandes als "nur teilweise brauchbar" und schlägt

    für einen neuen Artikel 16 Absatz 3 des Grundgesetzes folgende Formulierung

    vor: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Politisch verfolgt ist, wer

    Flüchtling im Sinne von Kapitel I Art.1A der Genfer Konvention vom 28.Juli

    1951 ist. Asylrecht genießt nicht, wem in einem anderen europäischen

    Vertragsstaat der Genfer Konvention Asyl gewährt oder nach Überprüfung durch

    mindestens eine unabhängige Instanz verweigert wird. Durch Gesetz kann das

    Asylrecht für Flüchtlinge aus Kriegs- oder Bürgerkriegsgebieten, denen ein

    Bleiberecht bis zum Ablauf der kriegerischen Auseinandersetzungen gewährt

    wurde, ausgeschlossen werden."

    Die Aufnahme der Genfer Konvention in das Grundgesetz bezeichnet Schröder in

    dem Schreiben lediglich als Klarstellung darüber, "wer als politisch

    Verfolgter anzusehen ist". Eine materielle Änderung entstehe durch diese

    Klarstellung nicht, da sich die bundesdeutsche Asyl- Rechtsprechung ohnehin

    anhand der Genfer Konvention entwickelt habe. Bürgerkriegsflüchtlingen, die

    aus humanitären Gründen Aufnahme in der BRD gefunden haben, will es Schröder

    künftig versagen, "individuelle Verfolgungsgründe vorzutragen, die ein Recht

    auf Asyl begründen könnten".

    Die seit Petersberg von der SPD-Führung favorisierte Grundgesetzänderung

    zwecks Einführung von Länderlisten lehnt Schröder in seinem Engholm-Brief als

    nicht der Beschleunigung der Verfahren dienlich ab. Bereits jetzt existieren

    nach Auffassung von Schröder "Länderlisten im Kopf des Entscheiders", würden

    Asylanträge als offensichtlich unbegründet gelten, wenn ein Ausländer sich

    nur aus wirtschaftlichen Gründen in der Bundesrepublik aufhalte oder, um

    einer Not- oder Kriegssituation zu entgehen.

    Skepsis gegenüber dem Schröder-Vorschlag äußerte Parteivorstandsmitglied

    Norbert Gansel. Das Konzept greife zu kurz, meinte der Bundestagsabgeordnete.

    Ihm fehlen die "Wege, um die Zahl der Zuwanderer wirksam zu reduzieren", und

    die Einsicht, daß ein "Kompromiß, ja eine Verantwortungsgemeinschaft mit der

    CDU gesucht werden muß." Allerdings sieht Gansel in Schröders Papier

    Bewegung: "Er hat ja mit dem Antrag seines Bezirks Hannover sogar in drei

    Fällen eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen." Gansel erwartet von der

    Parteispitze vorrangig, daß sie für ihren Vorschlag zur Asylrechtsreform

    kämpft.

    Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing interpretierte in der

    Berliner Zeitung den Antrag als "Chance, daß jetzt endlich wieder

    über das Gesamtkonzept diskutiert wird und nicht nur isoliert über den

    Artikel16." Er riet davon ab, eine Formulierung des künftigen Artikel16 zu

    beschließen, weil diese "im Gespräch mit den anderen Parteien gefunden

    werden" müssen. Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl , kritisierte den

    Vorschlag aus Hannover als "Einstieg zum Ausstieg". Pro Asyl warnte die SPD

    vor einem Kompromiß, "der nur darauf abzielt, eine falsche Entscheidung der

    Führungsspitze um Engholm für die Gesamtpartei erträglicher zu machen." Der

    stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Johannes Gerster lehnte in einer

    Erklärung den Schröder-Vorschlag als "wortreich inszeniertes

    Täuschungsmanöver" ab, das keine greifbare Veränderung der Rechtsgrundlage

    bewirke.

     


     

    "Mindeststandards unterschritten"

    Bonn (AFP/epd/dpa) - Gegen den Asyl-Kompromiß der Koalition hat der

    Bonner Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats, Walter Koisser, "ernste

    Bedenken" angemeldet. Mit der sofortigen Abschiebung von Asylbewerbern bei

    offensichtlich unbegründeten Anträgen würden international vereinbarte

    Mindeststandards unterschritten. Koisser verwies in diesem Zusammenhang auf

    einen Beschluß des Exekutiv-Komitees des Flüchtlingskommissariats aus dem

    Jahr 1983 über verfahrensrechtliche Garantien bei der Überprüfung

    offensichtlich unbegründeter Anträge. Damals habe auch die Bundesrepublik

    zugestimmt. Danach müßte auch in diesen Fällen den Asylbewerbern die

    Möglichkeit gegeben werden, ihre Entscheidungen von einer unabhängigen

    Instanz überprüfen zu lassen, ehe sie an der Grenze zurückgewiesen oder

    abgeschoben werden. In dieser "verfahrensrechtlichen Kernfrage" hoffe er auf

    eine Änderung.

    Nach Ansicht des Sprechers der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl , Herbert

    Leuninger, hat sich die Koalition auf die "Abschaffung des Grundrechts auf

    Asyl" geeinigt. Dies und nicht die Rechtsverschlechterungen für Flüchtlinge

    sei Kern der Entschließung, über die am Donnerstag der Bundestag namentlich

    abstimmen wird.

    Die von den Regierungsfraktionen verabschiedete Entschließung umschreibt die

    Kernpunkte der angestrebten Änderung des Asylrechts. Auf der Grundlage der

    Genfer Flüchtlingskonvention bleibt das Asylrecht erhalten, verkürzte

    Verfahren und schnelle Abschiebungen werden möglich zum Beispiel für

    straffällig gewordene Asylbewerber und Flüchtlinge, die ihre

    Identitätspapiere zerstören.

    Die Entschließung wird von weiten Teilen der zerstrittenen SPD als "Schau"

    kritisiert und abgelehnt. Die Regierungsparteien bekräftigen, daß sie von der

    SPD als eine Aufforderung zu Verhandlungen verstanden werden soll.

     


     

    Kein Visum für Teilnehmer des Sternmarsches gegen Rassismus

    Berlin (AFP/epd/taz) - 90 TeilnehmerInnen des europaweiten

    "Sternmarsches für gleiche Rechte - gegen Rassismus" wurde gestern die

    Einreise nach Frankreich verwehrt. Da sich das französische Konsulat in Bonn

    weigerte, ein eintägiges Gruppenvisum auszustellen, war der Protestmarsch am

    Grenzübergang Kehl erst einmal zu Ende. Wie Aziz Kocyigit, ein Sprecher der

    Organisatoren mitteilte, hätte die Gruppe von Grenzbeamten erfahren, daß es

    einen Beschluß des französischen Innenministeriums gebe, die Marschierer

    nicht einreisen zu lassen. Auch an der schweizerisch-französischen Grenze sei

    einer 40köpfigen Gruppe des Sternmarsches die Einreise verweigert worden. Von

    der französischen Botschaft war gestern keine Stellungnahme zu erhalten.

    Der Präsident des American Jewish Commitee (AJC), Alfred Moses,

    hat vor neu aufkeimendem Antisemitismus in Deutschland gewarnt. Der

    Brandanschlag auf die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen dürfe nicht als

    "vorübergehendes einmaliges Ereignis" gewertet werden, sagte Moses, bei einem

    Kurzbesuch in Deutschland. "Wir sind sehr besorgt und bestürzt, denn wir

    haben die Vergangenheit nicht vergessen". Er habe "volles Vertrauen", daß

    Bundes- und Landesregierung gegen die Vorfälle vorgehe, sagte Moses. Er

    forderte die Bevölkerung und die Bundesregierung auf, sich an der

    Protestveranstaltung in Sachsenhausen am Sonntag zu beteiligen.

    Der Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats in Bonn, Walter Koisser,

    forderte gestern in Bonn ein breites Bündnis gegen Ausländerhaß. Die

    Verantwortlichen aus Politik und Gesellschaft müßten sich zusammenschließen,

    um dem "Wahn der Fremdenfeindlichkeit endlich Einhalt zu gebieten". Es gehe

    darum, die "großartige Asyl-Idee" zu bewahren. Eine große Koalition

    gesellschaftlicher Kräfte zur Sicherung des Asylgrundrechts forderte Herbert

    Leuninger von "Pro Asyl" . ja

     


     

    30.09.1992
    Die Rechte bombt- die Linke dividiert sich

    Deutschlands Linke im Beißkrampf: In diesen Tagen scheiterte der

    Versuch, auf die Welle rassistischer Gewalt mit einer gemeinsamen

    Großdemonstration gegen Ausländerfeindlichkeit zu reagieren. Jetzt

    wird in Frankfurt am Main gleich zweimal protestiert: Für den

    kommenden Freitag rufen Gewerkschaften und Sozialdemokraten zur

    Demonstration auf, für den Samstag, den "Tag der deutschen Einheit",

    Grüne und antirassistische Initiativen. Die Initiatoren schieben sich

    gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Unterdessn rufen auch

    Konservative wie Rita Süssmuth zu Aktionen gegen den Rassismus auf.

    -----

    Wir werden an diesem 3. Oktober - dem Tag der deutschen Einheit - der Welt

    zeigen, daß wir dieses Deutschland nicht den Rechtsradikalen, dem dumpfen

    Deutschland, überlassen." Mit diesen Worten rief der Frankfurter Dezernent

    für multikulturelle Angelegenheiten, Dany Cohn-Bendit (Die Grünen), am

    vergangenen Freitag in Wiesbaden zur ersten bundesweiten Demonstration gegen

    Fremdenfeindlichkeit am kommenden Sonnabend in Frankfurt/Main auf. Eine

    "machtvolle Demonstration" sollte es nach den Vorstellungen der Initiatoren -

    von den Grünen über zahlreiche Flüchtlingshilfegruppen bis hin zur

    Deutsch-Israelischen Gesellschaft und der Arbeitsgemeinschaft kritischer

    Polizistinnen und Polizisten - werden. "Wir haben die Schnauze voll", meinte

    auch Rupert von Plottnitz, Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag.

    Das "andere Deutschland" müsse endlich ein "Zeichen demokratischer

    Gegenöffentlichkeit setzen". Von Plottnitz richtete einen "dringenden Appell"

    an die Sozialdemokraten, diese Demonstration zu unterstützen, denn am Tag der

    deutschen Einheit sollten "alle Demokratinnen und Demokraten" auf der Straße

    ihren festen Willen bekunden, dieses Land "zu einem Land der Weltoffenheit

    und der Toleranz" zu machen.

    Nur vier Tage nach diesem Appell und nach zahlreichen Gesprächen zwischen

    Grünen und Sozialdemokraten auf Bundes- und Landesebene steht fest, daß es

    das angestrebte breite Bündnis gegen Rechts nicht geben wird. Weil der

    Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) seit Wochen für den 2. Oktober zu einer

    Massendemonstration gegen Sozialabbau in Frankfurt/Main aufruft, sieht er

    sich ebenso wie die Sozialdemokraten außerstande, seine Mitglieder nur einen

    Tag später erneut zu einer Demonstration in die Mainmetropole zu

    mobilisieren. Schließlich, so war aus dem Gewerkschaftshaus in der

    Wilhelm-Leuschner- Straße zu hören, habe man den Charakter dieser

    Demonstration gegen den schleichenden Sozialabbau aufgrund der aktuellen

    Entwicklungen kurzfristig um einen Aufruf auch gegen die grassierende

    Ausländerfeindlichkeit und das Wiederaufleben des Rechtsradikalismus

    erweitert. Was eine machtvolle Demonstration am symbolträchtigen Tag der

    deutschen Einheit all der Menschen aus dem linken und linksliberalen Spektrum

    hätte werden können, die nicht wollen, daß dieses Land zu einem "Hort für

    Rassisten, Ausländerfeinde, Neonazis und beifallklatschende ZuschauerInnen"

    (Cohn-Bendit) wird, geht so am Wochenende zweigeteilt über die Bühne: Am

    Freitag werden Gewerkschaften und Sozialdemokraten auf die Straße gehen - am

    Sonnabend die Grünen und die parteiunabhängigen Organisationen und

    Initiativen.

    Für Irene Katheeb vom Amt für multikulturelle Angelegenheiten, die noch

    gestern vergeblich mit dem DGB verhandelte, ist dieses Ergebnis ein "elendes

    Elend". Immerhin, so Katheeb, sei von den Gewerkschaften zugesichert worden,

    auf der Demonstration am 2.Oktober im Rahmen der Abschlußkundgebung zur

    Demonstration am 3. Oktober aufzurufen.

    Für Herbert Leuninger, den Sprecher von Pro Asyl , ist die Tatsache, daß das

    auch von ihm gewünschte "breiteste Bündnis" nicht zustande kam, dagegen "kein

    Beinbruch". Seine Organisation habe schließlich beide Aufrufe - den des

    "Frankfurter Kreises" für den 2. Oktober und den der Grünen für den 3.

    Oktober - gezeichnet. Leuninger: "Alles, was geschieht, ist von großer

    Bedeutung. Und vielleicht sind viele dezentrale Aktionen ja wichtiger als

    eine zentrale Demonstration." Allerdings bedauert Leuninger, daß nun der

    Eindruck entstanden sei, am Tag der deutschen Einheit demonstrierten nur noch

    die Grünen. Tatsächlich "haben doch zig Organisationen mit unterschrieben."

    "Stocksauer" auf die SPD ist dagegen Jürgen Frömmrich vom Landesvorstand der

    hessischen Grünen. Bereits vor drei Wochen, so Frömmrich zur taz, habe er

    sowohl mit Heidemarie Wieczorek- Zeul als auch mit dem hessischen

    SPD-Landesvorsitzenden Norbert Schmidt gesprochen und für ein breites Bündnis

    geworben - "und bis heute bin ich hingehalten worden". Die SPD solle offen

    sagen, daß sie sich einem solchen Bündnis aus parteitaktischen Gründen und

    mit Blick auf den Bundesparteitag verweigere. Dabei, so Frömmrich, gehe es

    bei der Demonstration nicht um den Artikel 16 Grundgesetz, sondern um den

    Artikel 1: "Die Würde des Menschen - und nicht nur des Deutschen - ist

    unantastbar."

    Gegenüber der taz wies Gernot Krumbach vom Bezirksvorstand der SPD Hessen-Süd

    die Vorwürfe zurück. Offiziell seien die Sozialdemokraten erst vor einer

    Woche von den Grünen schriftlich in Kenntnis gesetzt worden. Krumbach:

    "Unsere Position war die, daß wir sowohl den DGB als auch die Grünen

    aufgefordert haben, sich auf einen gemeinsamen Termin zu verständigen - doch

    das hat offenbar nicht geklappt." Im Bezirksvorstand gebe es jetzt

    Überlegungen, zu beiden Demonstrationen aufzurufen. Doch das wolle man zuerst

    mit dem DGB- Landesvorsitzenden Jungmann und mit Dany Cohn-Bendit besprechen.

    Möglich sei auch noch, so Krumbach, daß Jungmann auf der Kundgebung am

    Sonnabend rede - und im Gegenzug der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde,

    Ignaz Bubis, der von den Grünen als Redner gewonnen werden konnte, auf der

    Gewerkschaftsdemo spreche.

    Daß die Grünen in ihrem Aufruf allerdings explizit zum "Einsatz für den

    Erhalt des Artikels 16 GG" auffordern, ist schon Cohn-Bendit sauer

    aufgestoßen. Dem angestrebten Bündnis mit den Sozialdemokraten sei die

    Aufnahme dieser Passage in den Aufruf nicht "dienlich", meinte der

    Multikulti-Dezernent. Laut Frömmrich sei die Passage "dem Bundesvorstand

    geschuldet" gewesen. Aber die Sozialdemokraten hätten ja mit einem eigenen

    Aufruf zur gemeinsamen Demonstration mobilisieren können.

    Klaus-Peter Klingelschmitt,

    Frankfurt/Main

     


     

    Lafontaine bedenkt Abschaffung des Artikels 16 Grundgesetz und Ersatz

    durch Flüchtlingskonvention/ SPD-Fraktionschef Klose strikt dagegen/

    UNO-Flüchtlingskommissar begrüßt den Vorschlag der CDU Aus

    Bonn Tissy Bruns

    Als "verfassungsfeindliche Umtriebe" bezeichnete der Sprecher von Pro Asyl ,

    Herbert Leuninger, gestern die neuesten Vorschläge der CDU zum Asylrecht.

    Kritik und Bedenken meldete auch der Koalitionspartner FDP an. Politiker der

    SPD, beim Thema Asyl nicht anders zu erwarten, kritisierten die Vorschläge

    uneindeutig.

    Die CDU wird, wie Generalsekretär Peter Hintze am Dienstag angekündigt hatte,

    nunmehr ganz von Artikel 16 des Grundgesetzes abrücken. Ein Antrag zum

    CDU-Parteitag Ende Oktober sieht vor, die Verfassungsformel "Politisch

    Verfolgte genießen Asylrecht" aufzugeben. Hintze unmißverständlich: "Wir

    schlagen vor, daß künftig die Genfer Flüchtlingskonvention Grundlage für die

    Gewährung von Asyl in der Bundesrepublik sein soll und daß dies in der

    Verfassung anstelle des bisherigen Artikels 16 Absatz 2, Satz 2 verankert

    wird." Über eine große Zahl von Flüchtlingen soll dann in einem

    "vereinfachten, kursorischen Kurzverfahren" entschieden werden können.

    Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, der schon lange für

    eine Grundrechtsänderung eintritt, konnte eine gewisse Sympathie zu dem

    Vorschlag nicht verhehlen. Im Deutschlandfunk sagte Lafontaine:

    "Für die Genfer Flüchtlingskonvention votiert man, wenn man eine europäische

    Lösung will. Das Recht eines jeden Bürgers der Erde, bei uns ins Verfahren zu

    kommen, können wir praktisch nicht mehr garantieren. Da muß man sich zu der

    Erkenntnis durchringen im Kern, daß es eben Länder gibt, wo man sagen muß,

    hier ist keine politische Verfolgung mehr; hier greift auch nicht mehr der

    Anspruch eines einzelnen auf individuelle Prüfung." Die stellvertretende

    Parteivorsitzende Herta Däubler-Gmelin wies die CDU-Vorschläge zurück. Der

    ehemalige SPD-Vorsitzende Hans- Jochen Vogel wandte sich nach einem Besuch

    der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt scharf gegen

    die Absichten der CDU. In einem taz-Interview meinte SPD-Fraktionschef

    Hans-Ulrich Klose, die SPD werde das nicht mitmachen.

    Die FDP schickte ihren standhaftesten Verteidiger des Grundrechts auf Asyl

    vor. Burkkhard Hirsch wies die Union darauf hin, daß das Grundgesetz kein

    "Abreißkalender" sei, und erinnerte seine Koalitionspartner an frühere

    Versprechen: "Bisher hat die CDU/CSU jeden Verdacht empört zurückgewiesen,

    sie wolle das Asylrecht abschaffen. Bundeskanzler Helmut Kohl hat es heilig

    genannt." Hirsch vermißt eine klare Aussage darüber, ob die Union "jedem

    Flüchtling auch künftig das Recht geben will, individuell angehört zu werden

    oder ob er die Möglichkeit behalten soll, eine Kontrollinstanz anzurufen,

    bevor er abgeschoben wird".

    Die Bonner Vertretung des UN- Flüchtlingskommissars (UNHCR) begrüßte den

    Vorschlag, die Genfer Flüchtlingskonvention als Grundlage der Asylverfahren

    "wiedereinzuführen". Hans ten Feld, stellvertretender Leiter des Bonner

    Büros, wies jedoch darauf hin, daß die Konvention sich nicht eigne, "den

    Zugang zum Asylverfahren zu versperren". Der UNHCR hat auch bei früheren

    Gelegenheiten die enge Auslegung des Flüchtlingsbegriffs in der

    Bundesrepublik moniert.

    malzahn und jenssen

     


     

    Eine bosnische Mutter mit ihren beiden Kindern soll nach einer

    Entscheidung des Bundesamts für Asyl in ihre Heimat abgeschoben

    werden/ Asylrecht in Deutschland abgelehnt Von Malzahn und

    Jenssen

    Berlin (taz) - Das Bundesamt für Asyl in Zirndorf will eine

    41jährige bosnische Frau mit ihren beiden fünf und elf Jahre alten Kindern in

    den Bürgerkrieg abschieben. Die aus der bosnischen Industriestadt Zenica

    stammenden Flüchtlinge waren am 24. Juni nach Deutschland gekommen und hatten

    dort einen Antrag auf Asyl gestellt. In der der taz vorliegenden Entscheidung

    des Bundesamtes vom 1. September heißt es wörtlich: "Die Antragsteller werden

    aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe

    dieser Entscheidung zu verlassen. Sollten die Antragsteller die Ausreisefrist

    nicht einhalten, werden sie nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben." Die

    Asylbewerber sind Moslems, sie leben zur Zeit im Main-Taunus-Kreis in Hessen.

    In einer Presseerklärung der Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" , die den

    skandalösen Fall publik machte, bezeichnete der Sprecher der Organisation,

    Herbert Leuninger, den Vorgang als "schieren Zynismus". Menschen, die durch

    Völkermord bedroht seien, werden durch das Asylrecht nicht geschützt, sagte

    Leuninger. Der Frankfurter Rechtsanwalt Helmut Bäcker hat inzwischen Klage

    eingereicht.

    Die Stadt, aus der die Flüchtlinge kommen, liegt im Tal der Neretva. Dort

    haben serbische Truppen schon seit längerem Stellung bezogen. Zenica wurde in

    der Vergangenheit immer wieder durch serbische Artillerie beschossen. Die

    etwa 100.000 Einwohner große Stadt beherbergt zur Zeit noch einmal so viele

    Flüchtlinge. Zenica hat sich in den vergangenen Monaten zu einer Fluchtburg

    für Bosnier entwickelt, ein Entkommen aus der eingekesselten Stadt ist aber

    fast unmöglich.

    Das Bundesamt lehnte den Antrag der Flüchtlinge als "offensichtlich

    unbegründet" ab. Warum man der aus den Kriegswirren entkommenen Kleinfamilie

    nicht einmal ein Bleiberecht gewähren will, wollte in Zirndorf gestern

    niemand sagen. "Unser Pressesprecher ist heute nicht da", hieß es lapidar.

    Nach der Genfer Konvention, die auch die Bundesrepublik mit unterschrieben

    hat, dürfen Flüchtlinge nicht in Bürgerkriegsgebiete abgeschoben werden. "Das

    Asylrecht hat nicht die Aufgabe, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu schützen",

    heißt es in der Begründung der Entscheidung. Was das Bundesamt unter

    "allgemeinen Unglücksfolgen" versteht, wird ebenfalls genannt: "Krieg,

    Bürgerkrieg oder sonstige Unruhen".

    Die Abschiebungsentscheidung des Bundesamtes, so Herbert Leuninger, habe

    weder den hessischen Duldungserlaß für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina

    noch die Abschiebungshindernisse bei drohender Folter oder bei schweren

    Menschenrechtsverletzungen berücksichtigt.

     


     

    Für Kanzleramtsminister Bohl kann die Einschränkung des Asylrechts

    gar nicht schnell genug in Kraft treten/ Justizministerin hält

    Grundgesetzänderung noch in diesem Jahr für unrealistisch/ Position

    der SPD weiter ungeklärt/ Thierse fordert reduzierte

    Asylbewerberquoten für die neuen Länder

    Rostock wirkt - die Einschränkung des Asylrechtes scheint beschlossene Sache.

    In Bonn stritt die Regierungskoalition gestern nur noch darüber,

    wie schnell man die Sache über die parlamentarische Bühne bringen

    kann: "Es geht um Wochen, man kann nicht mit Monaten rechnen", verkündete

    Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) die Zeitvorstellungen der Union.

    Gebremst wurde er jedoch von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger,

    die eine Grundgesetzänderung in diesem Jahr für unrealistisch erklärte.

    Dem widersprach ihr Parteikollege Hermann Otto Solms: Die Asylrechtsänderung

    hänge allein daran, wieweit die SPD nun zu einer entscheidungsfähigen Vorlage

    komme. "Wir sind minütlich und stündlich bereit, mit der SPD über eine

    inhaltliche Ausgestaltung einer solchen Verfassungsänderung zu reden. Je

    schneller das machbar ist, desto besser", erklärte FDP-Fraktionschef Solms.

    "Wenn es geht, natürlich noch in diesem Jahr."

    Die Justizministerin forderte hingegen "endlich das von allen Parteien

    getragene, kürzlich verabschiedete Asylverfahren-Beschleunigungsgesetz in

    ausreichendem Umfang" umzusetzen. Die FDP sei jedoch grundsätzlich bereit, in

    Vorbereitung einer europäischen Regelung über eine Grundgesetzänderung zu

    reden. Die von der Union eingebrachten Vorschläge, so die Justizministerin,

    seien jedoch nicht konsensfähig.

    Bleibt der Dritte im Bunde, die SPD: Zumindest bei den Sozialdemokraten

    scheinen die Rostocker Ausschreitungen nicht umstandslos als Aufforderung zur

    schnellen Grundgesetzänderung interpretiert zu werden. Auch der am letzten

    Wochenende gefaßte Beschluß der Parteispitze, der Regierungskoalition mit

    einer Zustimmung zur Grundgesetzänderung entgegenzukommen, bleibt in der

    Partei umstritten. "Das ist noch längst nicht durch", erklärte gestern der

    SPD-Bundestagsabgeordnete Gerd Weisskirchen. Nach wie vor bestehe erheblicher

    Klärungsbedarf, was genau auf dem Petersberg beschlossen worden sei. Auch der

    innenpolitische Fraktionssprecher Wartenberg, der eine Grundgesetzänderung

    befürwortet, sieht noch erheblichen Diskussionsbedarf innerhalb der Fraktion.

    Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse forderte erneut, die

    Zuweisungsquote für Asylbewerber in den neuen Ländern zu senken. Es gelte

    mehr Behutsamkeit zu entwickeln, die Menschen im Osten nach und nach an die

    Begegnung mit Ausländern heranzuführen.

    Laut Kanzleramtsminister Bohl ist freilich die Stimmung gegen Asylbewerber in

    den alten Bundesländern "keineswegs besser" als in den neuen. Vor diesem

    Hintergrund dürfe die Grundgesetzänderung nicht "auf die lange Bank

    geschoben" werden. Sie werde einen wesentlichen Beitrag leisten, den

    "Nährboden für Gewalttäter auszutrocknen".

    Die Grünen warfen führenden Politikern der Bundesregierung und der SPD vor,

    für die Krawalle in Rostock mitverantwortlich zu sein und sie für die

    angestrebte Einschränkung des Asylrechts zu mißbrauchen. "Ihnen kommen die

    Ausschreitungen vielleicht nicht gelegen, aber Sie machen sie sich als

    Instrument für Ihre Abwehrpolitik gegen Ausländer zunutze", erklärte der

    Sprecher von "Pro Asyl" , Herbert Leuninger. "Das ist der eigentliche

    politische Skandal." Es gebe eine "gewisse Komplizenschaft" zwischen den

    rechtsradikalen Krawallmachern und Politikern, deren Ziel die Abschreckung

    weiterer Flüchtlinge sei.

    Die Organisationen riefen zu einer "großen Koalition für Flüchtlinge" und zu

    Demonstrationen auf, mit denen die Solidarität mit den in Deutschland

    lebenden Ausländern bekundet werden soll. eis/dpa

     


     

    Demos von Flüchtlingsgruppen, Grünen, Autonomen

    Frankfurt/Main (taz) - Nach drei Pogromnächten in Rostock ist

    endlich ein Teil der bundesdeutschen Öffentlichkeit aufgewacht. Der

    Bundesvorstand der Grünen unterbrach seine Sitzung und rief gestern in Berlin

    zu einem Autokonvoi nach Rostock auf. Gestern nachmittag um drei Uhr begann

    auch die erste größere Demonstration in Rostock gegen den rechten Mob und die

    Neonazis. Der DGB hatte zu einer Kundgebung vor dem Rathaus der Hansestadt

    aufgerufen. Auch in Frankfurt sollte am Abend demonstriert werden. Schon am

    Vorabend hatten in Berlin, Frankfurt und Bonn spontan Menschen gegen ein

    Wiederaufleben des Faschismus in Deutschland protestiert. Prominente

    Politiker wollen sich dagegen nicht vor die von Deutschen verfolgten

    Flüchtlinge stellen: Die taz bekam auf entsprechende Fragen bei den Herren

    von Weizsäcker, Kohl, Lambsdorff, Seiters und bei Frau Süssmuth keine

    Antwort.

    Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) beantragte bei der

    Staatsanwaltschaft Rostock Ermittlungen gegen den Chef des Schweriner

    Landeskriminalamtes Siegfried Kordus und den Schweriner Innenminister Lothar

    Kupfer (CDU) wegen unterlassener Hilfeleistung und Beihilfe zu

    Körperverletzung im Amt.

    In Frankfurt forderte der Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für

    Flüchtlinge, Pro Asyl , Herbert Leuninger, den sofortigen Stopp der

    Asylrechtsdebatte in der Bundesrepublik - und eine "große Koalition zum

    Schutz der Flüchtlinge". Es sei ein politischer Skandal, daß führende

    Politiker in dieser Situation erneut eine Änderung des Artikels 16 des

    Grundgesetzes forderten. Schwere Vorwürfe richtete Leuninger auch gegen die

    Polizeiführung. Leuninger: "Ich habe in Rostock den bayerischen Polizeikessel

    vermißt." Aus einem von Rechtsanwalt Victor Pfaff für Pro Asyl erstellten

    Gutachten geht hervor, daß die von den Regierungsparteien und jetzt auch von

    der SPD beabsichtigten Änderungen am Artikel 16 verfassungswidrig seien.

    kpk/ten

    Weitere Demonstrationen:

    Für heute 17Uhr hat der DGB zusammen mit den

    Kirchen und der Jüdischen Gemeinde vor der Paulskirche in

    Frankfurt zu einer Kundgebung aufgerufen. Sprechen soll auch

    Frankfurts Oberbürgermeister von Bülow (SPD). In Berlin

    versammeln sich Protestwillige heute um 17.30 Uhr am

    Breitscheidplatz. Am Freitag um 16 Uhr soll

    eine Kundgebung vor der Zast in Kielstattfinden. Für den

    Samstag um 13 Uhr ist außerdem eine Kundgebung auf dem

    Bonner Münsterplatz angekündigt. Die Berliner

    Unabhängigen Antifa- Gruppen und Grüne rufen für Samstag um 13

    Uhr zu einer Großdemonstration nach Rostock

    auf.

     


     

    Rassisten greifen an - Bonn weicht Volkes Stimme

    Nicht die Rassisten sind schuld, sondern die Ausländer. Das ist die

    Quintessenz der Aussagen von Politikern in Bonn und Schwerin nach dem

    versuchten Pogrom an Flüchtlingen in einem Asylbewerberheim in

    Rostock. Jetzt soll ganz schnell das Grundgesetz verändert werden.

    Schon seit dem vergangenen Mittwoch war in der Hansestadt bekannt,

    daß für das Wochenende ein Angriff auf die Flüchtlinge geplant wurde.

    Doch die Polizei zeigte sich auch in der zweiten Nacht des Überfalls

    vollkommen hilflos.

    Die rechtsradikalen Randalierer aus Rostock konnten sich gestern morgen

    gegenseitig auf die Schulter klopfen: Die Trümmer waren noch nicht von der

    Straße geräumt, als sich Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth in einer

    Stellungnahme zu den Krawallen für eine rasche Änderung der Asylpolitik

    aussprach. Die parlamentarischen Beratungen über eine "Neugestaltung" des

    Asylrechts und die Aufnahmepraxis von Flüchtlingen sollten "unverzüglich"

    beginnen, drängelte sie.

    Über 30 Stunden lang hatten sich Rostocker Bürger eine Straßenschlacht mit

    einer über lange Zeit hilflosen Polizei geliefert, hatten versucht, die

    zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge zu stürmen. Die schwersten

    rassistischen Ausschreitungen seit den Krawallen in Hoyerswerda im September

    letzten Jahres nötigte dem Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lothar

    Kupfer (CDU), lediglich die Floskel "betroffen" ab. Er hielt es nicht einmal

    für nötig, zwischen Immigranten und Flüchtlingen zu differenzieren, sondern

    forderte schlicht, "dem unkontrollierten Zustrom von Ausländern nach

    Mecklenburg-Vorpommern" einen Riegel vorzuschieben. Für die Reaktion der

    Anwohner des Flüchtlingsheims äußerte Kupfer "Verständnis". Die Grünen haben

    inzwischen seinen Rücktritt gefordert.

    Inzwischen wird immer deutlicher, daß die Ausschreitungen in Rostock hätten

    verhindert werden können. Der Rostocker Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter

    erhob schwere Vorwürfe gegen Kupfer und den Rostocker Innensenator Peter

    Magdanz. Den beiden seien Pläne zum Überfall auf das Flüchtlingsheim seit

    Mittwoch vergangener Woche bekannt gewesen. Er selbst habe beide Instanzen

    mehrmals informiert, nachdem er von anonymen Anrufen bei Rostocker

    Tageszeitungen erfahren habe, sagte Richter.

    Die Polizei stand den Randalierern stundenlang völlig hilflos gegenüber. Erst

    nachdem Verstärkung aus Hamburg und Schleswig-Holstein eintraf, konnten die

    etwa 600 Polizisten und Bundesgrenzschützer die Situation unter Kontrolle

    bringen. Die Polizei nahm rund 150 Menschen fest.

    Nach Informationen der taz befinden sich unter ihnen auch 60 linke

    DemonstrantInnen, die nach eigenem Bekunden nicht in gewalttätige

    Auseinandersetzungen verwickelt waren. 35 Polizeibeamte wurden verletzt;

    einer von ihnen schwer.

    Auch der stellvertretende SPD- Bundesvorsitzende Wolfgang Thierse hielt der

    Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern Versäumnisse vor. Sie habe seit

    Monaten gewußt, daß das Zentrale Aufnahmeheim für Asylbewerber des

    Bundeslandes in Rostock-Lichtenhagen an einem "höchst problematischen

    Standort" untergebracht sei. Thierse verurteilte in Berlin zugleich die

    "fürchterlichen Ausschreitungen". In Bonn verlangte CDU-Generalsekretär Peter

    Hintze eine harte Bestrafung der Gewalttäter.

    Obwohl der Sturm auf das Flüchtlingsheim offenbar von langer Hand geplant

    worden ist, war der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommers nach eigenen

    Angaben über die geplanten Krawalle nicht informiert. Der Leiter der

    Abteilung Verfassungsschutz, Norbert Seidel, erklärte dpa auf Anfrage: "Wir

    haben davon nichts gewußt, da wir noch keinen Zugang zu der Szene haben." Es

    sei eine "perverse Situation", daß sich rechtsradikale Kräfte als

    Ordnungsmacht aufspielten, und das von der Bevölkerung auch noch akzeptiert

    würde. Auf einer Pressekonferenz in Bonn hatten Verfassungsschützer vor

    kurzem darauf hingewiesen, daß rechtsradikale Übergriffe auf Ausländer in

    Ostdeutschland weiter zunehmen würden, während die Zahl der rassistischen

    Gewalttaten im Westen zurückgehen würde.

    Die Bewohner des Flüchtlingsheims werden seit gestern vormittag umquartiert.

    Sie sollen zunächst in Notunterkünfte nach Bad Doberan und - ausgerechnet -

    Greifswald gebracht werden. Von dort waren Asylbewerber in den vergangenen

    zwölf Monaten immer wieder nach Schleswig-Holstein geflüchtet, weil auch sie

    rechtsradikalen Angriffen ausgesetzt waren.

    Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl , Herbert Leuninger, forderte

    gestern ausreichenden Polizeischutz für gefährdete Flüchtlingsheime in

    Ostdeutschland. Eine solche zusätzliche Bewachung lehnten Sprecher der

    ostdeutschen Innenministerien und der Polizei bereits gestern ab. Ein

    verstärkter Schutz sei nur "im Bedarfsfall" vorgesehen, erklärte ein Sprecher

    des polizeilichen Lagezentrums in Schwerin.

    Allein im ersten Halbjahr 1992 wurden in Mecklenburg nach Polizeiangaben 30

    Überfälle auf Asylbewerberheime verübt. Im März wurde in Saal bei Rostock ein

    Rumäne auf offener Straße von 21 Männern zu Tode getreten. In dem knapp zwei

    Millionen Einwohner großen Mecklenburg müssen zur Zeit 11.300 Flüchtlinge

    leben. Über die Hälfte von ihnen kommt aus Rumänien, rund 12 Prozent stammen

    aus dem ehemaligen Jugoslawien. Insgesamt suchen Menschen aus 80 Nationen

    Zuflucht in dem neuen Bundesland.

    Bundesinnenminister Seiters, der gestern morgen nach Rostock flog,

    kommentierte den Pogromversuch mit den Worten, daß "große Teile der

    Bevölkerung besorgt über den massenhaften Zustrom von Asylbewerbern" seien.

    Der Christdemokrat gab vor Ort bekannt, er sei "sehr betroffen". Seiters

    begrüßte während seines Besuches in Rostock den Kurswechsel der SPD: Die

    Führungsspitze der Sozialdemokraten hatte am Samstag bekanntgegeben, daß sie

    nunmehr bereit sei, einer "Ergänzung" des Grundgesetzartikels 16 zuzustimmen.

    Eine "Asyl-Vereinbarung" der SPD mit den Koalitionsparteien hält der

    SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz bis zum Jahresende für möglich. Der

    Bundesgeschäftsführer der SPD, Karl Heinz Blessing, räumte in einem Interview

    ein, daß diese Entscheidung in seiner Partei "nicht unumstritten" sei. Es

    werde "noch viel Überzeugungsarbeit kosten, gegenüber der Partei deutlich zu

    machen, daß das eine vernünftige Linie ist". An dem Satz "politisch Verfolgte

    genießen Asylrecht" wolle die SPD "nicht fummeln". Blessing: "Es kommen aber

    einfach zu viele rein."

    Der erste Widerstand gegen den Vorstoß der SPD-Führung regte sich bei den

    Hamburger Genossen. Der SPD-Landesvorsitzende Helmut Frahm betonte, daß eine

    Abweichung von der bisherigen Position der SPD in dieser Frage einer

    sorgfältigen Beratung und Beschlußfassung im Parteirat und auf einem

    Bundesparteitag bedürfe. Der Kernsatz des Artikel 16 gehöre zum "Urgestein

    unserer Verfassung".

    Amnesty international hat auf das Einknicken der Sozialdemokraten gestern

    "enttäuscht und alarmiert" reagiert. Der Beschluß der SPD- Spitze, die

    Erarbeitung einer Liste "verfolgungsfreier Staaten" anzustreben, um

    Asylbewerber aus diesen Ländern künftig pauschal abweisen zu können, läute

    die Aufgabe des individuellen Asylrechts ein, heißt es in einer Erklärung.

    Claus Christian Malzahn

     


     

     

    Pro Asyl : Deutschland soll mehr Menschen aufnehmen

    Bonn/Frankfurt (dpa/epd/AFP) - Sechs Spezialzüge der Bundesbahn

    wurden gestern beziehungsweise werden heute über Zagreb in die etwa fünfzig

    Kilometer davon entfernte kroatische Stadt Karlovac fahren, um die dort

    wartenden Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufzunehmen. In den Zügen

    werden Sanitäter mitfahren. Mit dem Eintreffen der ersten Flüchtlinge - pro

    Zug etwa achthundert bis tausend Menschen - wird im Laufe des Sonntags

    gerechnet. Die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" hat an die Bundesregierung

    appelliert, weitere Vertriebene aus Bosnien-Herzegowina aufzunehmen und für

    sie geeigneten Wohnraum bereitzustellen. Die Zusage zur Aufnahme von

    fünftausend Bürgerkriegs-Flüchtlingen reiche nicht aus, betonte

    Pro-Asyl -Sprecher Herbert Leuninger am Freitag in Frankfurt am Main. Trotz

    der Welle privater Hilfsbereitschaft zur Aufnahme will die Bundesregierung

    vorerst jedoch nicht mehr als fünftausend Menschen kommen lassen.

     


     

    FDP-Bundestagsfraktion gegen Liste von Nichtverfolgerstaaten/

    Pro-Asyl übt harte Kritik

    Bonn (dpa) - Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich wie zuvor der

    Bundesvorstand bei vier Enthaltungen grundsätzlich mit einer

    Grundgesetzänderung beim Asylrecht auch vor einer europäischen Lösung

    einverstanden erklärt. Jedoch stimmte eine deutliche Mehrheit der

    Abgeordneten gegen die im Vorstandspaket vorgesehene Liste von

    Nichtverfolgerstaaten, bestätigte der Parlamentarische Geschäftsführer der

    FDP-Fraktion Werner Hoyer am Mittwoch vor Journalisten in Bonn. Einen

    Formulierungsvorschlag für die Änderung des Grundgesetzartikels 16 gebe es

    bei der FDP noch nicht.

    Die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" hat die Wende der FDP in

    der Asylfrage scharf kritisiert. Herbert Leuninger, Sprecher der

    Organisation, meinte, die FDP schiele damit "genauso populistisch nach rechts

    wie die CDU/CSU und maßgebliche Kreise der SPD". Nur tue sie es in einer

    "politischen Hinfälligkeit ohnegleichen", da es die Rechten kaum beeindrucken

    dürfte. Ohne daß es dafür neue Gründe gebe, seien die Liberalen nun zu einer

    Grundgesetzänderung noch vor einer europäischen Angleichung des Asylrechts

    bereit. "Es war zu befürchten, daß die FDP wieder umfällt. Umfallen gehört

    bei ihr wohl zum Überlebenstraining", schrieb Leuninger.

     


    Kommentar herbert leuninger

    GASTKOMMENTAR

    Innenminister von Bund und Ländern einigen sich: Für die meisten

    Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina bleibt die deutsche Grenze

    weiterhin geschlossen

    Ein Hammelsprung für Flüchtlinge an der deutschen Grenze, das ist eine neue

    Variante der Abwehr. Flüchtlinge, die serbischem Terror oder ethnischer

    Massakrierung entkommen sind, werden mit einem humanitären Touch aussortiert.

    Aufgenommen werden sollen die, die als Kranke oder Verwundete ohne

    medizinische Betreuung bleiben müßten, oder auch alle, die Kontakte zu

    Verwandten oder Bekannten in der Bundesrepublik haben. Sehr bedenklich ist

    dabei die deutliche Tendenz, die Aufnahmeverpflichtung der öffentlichen Hand

    durch eine neue Form der Privatisierung zu umgehen.

    Mit der nun auch von den Ländern abgesegneten Form der Selektion verbindet

    Bundesinnenminister Rudolf Seiters die Vorstellung, ungesteuerte und

    unkontrollierte Zuwanderung verhindern zu können. Es ist ein makabre

    Vorstellung, die Katastrophe einer Massenflucht im Sinne der

    Wohlstandsfestung Bundesrepublik steuern zu wollen. Diese Form von

    "Steuerung" läßt sich wohl kaum mit dem Geist der Genfer

    Flüchtlingskonvention noch mit dem des Grundgesetzes vereinbaren.

    Noch könnten sich alle Flüchtlinge den Zugang zur Bundesrepublik dadurch

    verschaffen, daß sie regulär Asyl begehren. Darauf sind sie aber bei ihrer

    Flucht, die sich Hals über Kopf vollzieht, nicht eingestellt. Was an der

    Grenze zu Österreich passiert, läßt ahnen, was droht, käme es zu einer

    Änderung von Artikel 16 des Grundgesetzes. Dann wäre Flüchtlingen selbst

    diese Möglichkeit genommen, eine individuelle Prüfung ihres Asylantrages

    innerhalb der Bundesrepublik zu erreichen. Sie verlören endgültig auch die

    Chance, im Falle einer Ablehnung ihres Antrages möglicherweise nicht

    abgeschoben zu werden, weil ihnen Gefahr für Leib und Leben droht, etwa auch

    die Gefahr, in einer Region mit Hunderttausenden von Flüchtlingen, die

    verhungern oder ohne medizinische Betreuung bleiben, umzukommen.

    Wenn Schweden derzeit in der Lage ist, täglich 1.000 Flüchtlinge aus dem

    Balkan aufzunehmen, könnten es in der Bundesrepublik - auf die Zahl der

    Bevölkerung bezogen - jeden Tag Tausende sein. Hierzu bedarf es nur des

    politischen Willens. Sollte, diesen vorausgesetzt, das normale behördliche

    Instrumentarium nicht ausreichen, wären Krisenstäbe zu bilden. Sie müßten,

    mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet, Flüchtlinge notfalls auch gegen den

    Widerstand von Bürgermeistern und plebejischen Aktionen in öffentlichen

    Gebäuden unterbringen. Herbert Leuninger

    Sprecher der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl"

     


     

    Die Innenminister der Länder beschlossen gestern, außer Verwundeten

    oder Kranken nur diejenigen Kriegsflüchtlinge aus Bosnien

    aufzunehmen, die Verwandte oder Bekannte in Deutschland haben ...

    Ein "falsches Signal" und "nicht verantwortbar", so Bundesinnenminister

    Rudolf Seiters zu der Forderung, die Visumpflicht für die Kriegsflüchtlinge

    aus Bosnien-Herzegowina aufzuheben. Seiters wußte sich einig mit allen

    Länderinnenministern, die gestern nach einer Konferenz in Bonn ihre

    Überlegungen zum Umgang mit der größten Fluchtbewegung in Europa seit dem

    Ende des Zweiten Weltkriegs präsentierten. Der saarländische Innenminister

    Friedel Läpple appellierte als Sprecher seiner Ministerkollegen zunächst an

    die Bundesregierung, auf das Ende der Kampfhandlungen hinzuwirken - dem wird

    niemand widersprechen wollen. "Flüchtlingshilfe vor Ort", insbesondere in

    Kroatien und Slowenien, soll der Schwerpunkt deutscher Hilfsmaßnahmen sein.

    Für die Flüchtlinge aus Bosnien, die nach Deutschland wollen, bleibt das

    erteilte oder nichterteilte Visum Steuerungsmittel, um eine "unkontrollierte

    Einreise" (Seiters) zu verhindern. Visa erhalten nun Verwundete und Kranke

    aus Bosnien-Herzegowina und Flüchtlinge, die von hier lebenden Verwandten und

    Bekannten, Wohlfahrtsorganisationen und Kirchen versorgt werden. Wie ein

    Flüchtling die Hilfe von Wohlfahrtsorganisationen beim bayerischen

    Grenzbeamten nachweisen soll, blieb indes unklar. Auch für die erklärte

    Absicht, Bürgerkriegsflüchtlinge nicht in das Asylverfahren zu drängen,

    konnten die Innenminister keine überzeugenden Maßnahmen nennen.

    Bereits hier lebende Bürgerkriegsflüchtlinge sollen ein Bleiberecht zunächst

    bis zum 30.September erhalten. "Darüber hinaus", so die Innenminister

    schließlich, "sind die Länder bereit, Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina

    aufzunehmen, sofern darüber eine europäische Kontingentvereinbarung getroffen

    wird."

    Denn bisher liegt die Bundesrepublik "an der Spitze der Staaten", betonte

    Seiters mehrfach. Er wies zurück, daß die Bundesrepublik sich abschotten

    würde. Diese Sicht teilte auch der nordrhein-westfälische Innenminister

    Herbert Schnoor (SPD), der, zwar nicht glücklich mit der Visumpflicht, auch

    findet, daß "nicht die übrigen europäischen Länder aus der Verantwortung"

    entlassen werden sollten. Auch deshalb brauche die Bundesrepublik die

    Visaerteilung als Steuerungsinstrument. Schnoor: "Ich kann Seiters nicht

    kritisieren."

    Im Vorfeld der Innenministerkonferenz hatte der rheinland-pfälzische

    Innenminister Walter Zuber (SPD) die Aufhebung der Visumpflicht gefordert.

    Der SPD-Parteivorstand wiederholte die Forderung nach einem befristeten

    Bleiberecht. "Seit vielen Monaten bilden Menschen aus dem zerbrechenden

    Jugoslawien die weitaus stärkste Gruppe in der Statistik der Asylsuchenden.

    Das müßte nicht sein, wenn ihnen ein vorübergehendes Bleiberecht ohne

    förmliches Asylverfahren gewährt würde." Ein "Notstandsprogramm für die

    menschenwürdige Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen" forderte der

    Bundestagsabgeordnete Konrad Weiß (Bündnis90/ Grüne).

    Die Wohlfahrtsverbände und die Flüchtlingshilfeorganisation "Pro Asyl"

    forderten eine Aufhebung des Visumszwangs. "Es dürfe keine ,Aussortierung`

    von Flüchtlingen nach Kriterien wie verwandtschaftliche Beziehungen oder Grad

    einer Verwundung geben", so der Sprecher von "Pro Asyl" , Herbert Leuninger.

    Die Wohlfahrtsverbände wiesen auf eine Bundestagsentschließung aus dem Jahre

    1979 hin. Danach muß Flüchtlingen aus Krisen- und Bürgerkriegsgebieten aus

    humanitären Gründen zumindest vorübergehend Schutz und Aufnahme in der

    Bundesrepublik gewährt werden. Das Deutsche Rote Kreuz gab an, daß

    gegenwärtig mehr als 1,3 Millionen Flüchtlinge im ehemaligen Jugoslawien zu

    versorgen sind. Tissy Bruns, Bonn

     

    Europäische Konferenz ohne Ergebnisse

    Die Wiener Hofburg war Schauplatz eines europäischen Schauspiels, das besser

    erst gar nicht initiiert worden wäre. Da trafen sich Vertreter aus zehn

    europäischen Ländern, um "Hilfestellung für die größte politische und

    menschliche Tragödie seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa", sprich das

    Flüchtlingselend in Bosnien, zu leisten. Das Ergebnis ist beschämend: Kein

    europäisches Land wird die Bürgerkriegsflüchtlinge ohne große Formalitäten

    aufnehmen, eine generelle Grenzöffnung ohne Aufnahmequoten für Flüchtlinge

    wird es nicht geben. Die Frage der Aufnahmequoten wurde erst gar nicht

    behandelt. Dafür hätten die Konferenzteilnehmer keine Befugnis gehabt,

    erklärte der österreichische Innenminister Franz Löschnak. "Hilfe vor Ort

    wird man aber leisten", meinte Michel Veuthey, Generaldelegierter des

    Internationalen Roten Kreuzes, und er listete auf: Kroatien werde Zelte für

    100.000 Flüchtlinge erhalten. Länder wie Deutschland, Frankreich und England

    werden sich um Kriegsverletzte kümmern und in ihren Ländern behandeln.

    Österreich und die Schweiz sind Initiatoren einer Kinderhilfe während der

    Sommerzeit.

    Die Delegierten aus Griechenland, Rumänien, Bulgarien und Ungarn und

    Slowenien führten Dutzende von Gründen an, warum sie leider gezwungen seien,

    ihre Grenzen für Flüchtlinge zu schließen.

    Dabei war man in den vornehmen Sälen der Wiener Hofburg bestens informiert

    über die dramatische Lage in Bosnien. Es lagen sehr detailliertes

    Zahlenmaterial, Fallbeispiele von willkürlichen Verhaftungen und

    Geiselnahmen, von Massakern an der Zivilbevölkerung und anderen

    Menschenrechtsverletzungen vor, die gegen die Genfer Kriegskonvention

    verstoßen. Auch der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg kam auf. Bewußt

    greife die jugoslawische Armee und serbische Freischärler Bevölkerungszentren

    an, zerstöre zivilen Wohnraum, einzig mit der Absicht, Menschen zu

    vertreiben. Derzeit sind demnach in Bosnien 700.000 Menschen auf der Flucht,

    wovon die Hälfte bereits in Kroatien Zuflucht fand.

    Roland Hofwiler,

    Wien

     

     

     

    Chaotische Zustände im Aufnahmelager Schwalbach/ "Pro Asyl"

    kritisiert rot-grüne Landesregierung Von Klaus-Peter

    Klingelschmitt

    Frankfurt/Main (taz) - "Diese Zelte sind sichtbare Zeichen für das

    politische Versagen dieser Landesregierung." Herbert Leuninger, Sprecher der

    Flüchtlingshilfevereinigung "Pro Asyl" , forderte gestern die rot-grüne

    Regierungskoalition in Hessen auf, mehr als hundert Flüchtlinge aus

    Bosnien-Herzegowina und Kroatien in Kasernen unterzubringen. Die

    Neuankömmlinge konnten in der Zentralen Aufnahmestelle für AsylbewerberInnen

    (HGU) in Schwalbach bei Frankfurt wegen Überbelegung nicht mehr aufgenommen

    werden. Die gestern auf Anordnung von Sozialministerin Iris Blaul (die

    Grünen) aufgestellten Zelte seien "Symbole der Flüchtlingsabschreckung" und

    maximal in einem akuten Katastrophenfall akzeptabel. Leuninger verlangt die

    Einrichtung eines "Krisenstabes" in Wiesbaden, denn die zuständige Ministerin

    sei "eindeutig überfordert". Leuninger: "Da müssen Sofortmaßnahmen eingeleitet

    und langfristig greifende Konzepte entwickelt werden." Bereits am Montag

    hatte der hessische Flüchtlingsbeirat nach einer Tagung in Mörfelden-Walldorf

    die Landesregierung aufgefordert, einen "Runden Tisch" zum Thema Asyl

    einzurichten.

    Vor dem Erstaufnahmelager herrschten am Wochenende und am Montag chaotische

    Zustände: Flüchtlinge kampierten in Gruppen vor dem Eingangsbereich des wegen

    Überfüllung geschlossenen Lagers - ohne ausreichende Versorgung mit

    Nahrungsmitteln und Getränken. Lediglich einige Kirchengemeinden kümmerten

    sich vor allem um Frauen und Kinder und boten Übernachtungsmöglichkeiten an.

    Erst am Montag wurde vor der HGU ein Container mit Toiletten und Waschbecken

    aufgestellt. Wegen der "unakzeptablen Lage" hat der Landrat des

    Main-Taunus-Kreises, Jochen Riebel (CDU), inzwischen den Rücktritt von

    Sozialministerin Blaul gefordert. Die Grüne, so Riebel, sei "offensichtlich

    unfähig, die Probleme in Schwalbach zu lösen". Besonders in Harnisch brachte

    den Landrat ein an die Flüchtlinge verteilter - inzwischen zurückgezogener -

    Handzettel, auf dem die potentiellen AylbewerberInnen, die eigentlich

    Konventionsflüchtlinge sind, aufgefordert wurden, sich wegen finanzieller

    Unterstützung an den Landkreis zu wenden. Der "Arbeitskreis für Beratung und

    Hilfe von Flüchtlingen" in Eschborn hatte schon letzte Woche Strafanzeige

    gegen die Ministerin erstattet.

    Ministeriumssprecherin Susanne Nöcker machte auf Nachfrage den Bund für die

    Engpässe in der HGU verantwortlich. Inzwischen stapelten sich in Zirndorf

    300.000 unerledigte "Fälle" - "und wir können deshalb die Flüchtlinge in der

    HGU nicht auf die Kommunen verteilen". Dazu komme, daß die Flüchtlinge aus

    Jugoslawien, deren Status als "De-facto-Flüchtlinge" inzwischen geklärt sei,

    noch immer in das Asylverfahren hineingedrängt würden, weil die Kommunen

    nicht bereit seien, für diese Flüchtlinge Sozialhilfe zu zahlen. Die

    Landesregierung, so Nöcker, arbeite inzwischen an einem Gesetzentwurf, mit

    dem sichergestellt werden soll, daß die Kommunen bei der Aufnahme der

    Konventionsflüchtlinge finanziell entlastet werden. Aus dem Entwurf soll dann

    eine hessische Bundesratsinitiative werden. Das Aufstellen der Zelte in

    Schwalbach sei notwendig geworden, weil die Verträge mit dem Bund zur Nutzung

    von leeren Kasernen in Hessen noch immer nicht unterzeichnet worden seien. kpk

     


     

    Frankfurt (ap) - Die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl hat kritisiert,

    daß Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und anderen Regionen des früheren

    Jugoslawiens an der deutschen Grenze zurückgewiesen würden. In einem am

    Donnerstag in Frankfurt veröffentlichten Brief an Bundesinnenminister Rudolf

    Seiters forderte die Organisation, die Grenzblockade sofort zu beenden und

    den Abschiebestopp für die Flüchtlinge zu verlängern. "Rufen Sie den

    Bundesgrenzschutz an der Grenze und die Behörden im Inland auf, alles nur

    Erdenkliche zu tun, um Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen", forderte

    Pro-Asyl - Sprecher Herbert Leuninger. Das diplomatische Versagen der

    Europäischen Gemeinschaft, den Krieg zu stoppen, dürfe nicht in einem

    inhumanen Desaster gegenüber Flüchtlingen enden. Eine Zurückweisung von

    Menschen aus "Terrorregionen" sei weder mit der Genfer Flüchtlingskonvention

    noch mit dem Grundgesetz vereinbar.

     


    Kommentar herbert leuninger

    GASTKOMMENTAR

    Das Asylthema beschäftigte am Wochenende Politiker von Kinkel bis

    Kronawitter

    In seiner jüngsten Studie Die globale Revolution befürchtet der

    'Club of Rome`, daß es in den Industrieländern des Nordens und des Westens zu

    einem deutlichen Anwachsen des Rassismus kommt. Sogar die Gefahr, daß durch

    demokratische Wahlen rechte Diktatoren an die Macht gelangen, schließt er

    nicht aus. Diese Entwicklung wäre die Folge immer größer werdender Flucht-

    und Wanderungsbewegungen, die durch die wachsende Bevölkerung, durch fehlende

    Chancengleichheit sowie Tyrannei und Unterdrückung ausgelöst würden. Gebührt

    dem Asylthema also nicht weiterhin höchste Priorität? Muß es nicht so weiter

    gehen wie jetzt am Wochenende, wo alle wichtigen PolitikerInnen, die noch

    nicht im Osterurlaub sind, Grundgesetzänderung, europäische

    Asylharmonisierung und den unsäglichen Asylkompromiß als Rettung vor den

    Flüchtlingen traktieren?

    Das Asylthema ist aber nicht das Spitzenthema des 'Club of Rome`. Flüchtlinge

    werden auch nicht als Gefahr für die Menschheit, die Welt oder irgendeine der

    großen Nationen aufgeführt. Sie sind höchstens die bedrückenden Anzeichen für

    die schwer gestörte Weltwirtschaft, für den bedenklichen Zustand der

    weltweiten Nahrungsmittelversorgung, die Gefahr einer Energieknappheit und

    die gravierenden Veränderungen des Weltklimas.

    Das Asylthema ist auch in der Bundesrepublik nicht das Thema. Es

    gibt höchstens die durch mangelnde Vorsorge, einen zusammengebrochenen

    Wohnungsmarkt und das irrationale Vertrauen auf die Wirkung von

    Abschreckungsmaßnahmen vorhandenen Engpässe bei der Unterbringung von

    Asylbewerbern. Es gibt den weitgehend selbstverschuldeten Leidensdruck von

    KommunalpolitikerInnen, Oberbürgermeistern und Oberstadtdirektoren, denen der

    abgewrackte Wohnraum ausgeht und die jetzt auf das Wohnraumangebot von

    Miethaien angewiesen sind. Die Spitzenthemen dieser Republik sind die Themen

    des römischen Klubs! Und dabei insbesondere die Aufgabe, die die Vereinigung

    Deutschland und der Zusammenbruch der osteuropäischen Volkswirtschaften

    stellt: nämlich die Summen in einer bislang unvorstellbaren Größenordnung zu

    verhindern, daß Ostdeutschland und die Weiten Osteuropas in einer Art

    kapitalistischen Morgenthau-Plans deindustrialisert werden. Hier dürfte den

    PolitikerInnen der Stoff in den nächsten Jahrzehnten eigentlich nicht mehr

    ausgehen. Hier werden die Fluchtbewegungen der Zukunft verhindert oder nicht

    verhindert. Die direkten Ausgaben für Flüchtlinge sind dagegen eher ein

    Klacks.

    Herbert Leuninger

    Der Autor ist Sprecher von ' Pro Asyl `

     


     

    CDU macht Flüchtlingspolitik zum zentralen Wahlkampfthema/ Streit

    nimmt trotz Bonner Einigung weiter an Schärfe zu/ Erneut

    Grundgesetzänderung verlangt/ Asyl-Kompromiß läßt Fragen offen

    Frankfurt (ap/taz) - Die CDU will die Asylpolitik zum zentralen

    Wahlkampfthema für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und

    Schleswig-Holstein machen. Ungeachtet der Bonner Einigung auf eine

    Beschleunigung der Asylverfahren nahm der Streit darüber am Wochenende weiter

    an Schärfe zu. Bundeskanzler Kohl und der Vorsitzende der Unionsfraktion im

    Bundestag, Schäuble, erneuerten ihre Forderung nach einer

    Grundgesetzänderung. SPD und FDP wiesen das Ansinnen postwendend zurück.

    Weiter kontrovers bleibt auch das Verlangen der SPD-regierten Länder, der

    Bund möge die Zuständigkeit für asylpolitische Entscheidungen übernehmen.

    Dieser Punkt war bei der Verständigung von CDU/CSU, FDP und SPD auf ein neues

    Asylverfahrensgesetz am Freitag abend als strittig ausgeklammert worden. Ohne

    diese Einigung ist allerdings der ganze "Asyl-Kompromiß" zwischen den

    Altparteien mehr als zweifelhaft. Einigkeit wurde dagegen in der Frage der

    radikalen Beschleunigung der Asylverfahren und bei Sammelunterkünften

    erzielt. Bundesinnenminister Seiters lehnte eine Übernahme aller

    Zuständigkeiten für asyl- und ausländerrechtliche Entscheidungen durch den

    Bund ab. Eine Übertragung der Entscheidungsbefugnisse in Sachen Asylrecht auf

    den Bund lehnten auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms und der

    stellvertretende Chef der Unionsfraktion, Johannes Gerster, ab. Die alleinige

    Zuständigkeit des Bundes hatte vor allem der niedersächsische

    Ministerpräsident Schröder (SPD) verlangt.

    Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms warf dem Koalitionspartner

    CDU am Sonntag vor, das Asylrecht als Wahlkampfthema zu mißbrauchen. Auch der

    Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Klose, bekräftigte, eine

    Grundgesetzänderung, wie sie sich die CDU vorstelle, werde es mit seiner

    Partei nicht geben. Ähnlich wie Solms fügte er aber hinzu, wenn es im Rahmen

    der Genfer Flüchtlingskonvention eine europäische Lösung gebe, die deutschen

    Standards an ein Individualrecht gerecht werde, sei eine andere Situation

    da.

    Die Hilfsorganisation "Pro Asyl" kritisierte am Samstag den Bonner

    Asylkompromiß massiv. Ihr Sprecher Herbert Leuninger erklärte: "Dieser

    Gesetzentwurf richtet sich gegen wirkliche Flüchtlinge." Der

    Parteienkompromiß bedeute in der Praxis, "daß Internierungslager geschaffen

    werden, in denen die Lagerverwaltung Polizeibefugnisse erhält". Flüchtlinge

    würden durch neue Haftgründe bei Ordnungswidrigkeiten kriminalisiert,

    außerdem werde eine Art Sonderjustiz eingeführt. "Pro Asyl" wende sich vor

    allem gegen die Bestimmung, daß Asylbewerber nach nur einer Anhörung

    abgeschoben werden könnten.

     


     

    Tamilische und afghanische Flüchtlinge sollen in Zukunft leichter

    abgeschoben werden

    Berlin (taz) - Während andere schon gute Wünsche für das neue Jahr

    auflisten, fragen sich Flüchtlinge aus Sri Lanka, Afghanistan und dem Irak

    seit Wochen, ob sie 1992 womöglich wieder im Bürgerkrieg, auf einem Minenfeld

    oder in Verstecken vor irakischen Truppen verbringen werden. Am 31. Dezember

    läuft die Abschiebestoppregelung für Kurden aus dem Irak, Tamilen aus Sri

    Lanka und Flüchtlinge aus Afghanistan aus. In einem Schreiben an die

    Innenminister der Länder hat Bundesinnenminister Seiters nun vorgeschlagen,

    den Abschiebestopp für irakische Kurden bis zum 30. Juni zu verlängern.

    Im Fall der Tamilen soll in Zukunft jedoch jeder einzelne nachweisen, daß ihm

    im Fall einer Abschiebung "Gefahr für Leib und Leben" droht. Paradoxerweise

    erkennt Seiters jedoch an, daß sich die Menschenrechtssituation in Sri Lanka

    verschlechtert habe. Flüchtlinge aus Afghanistan hätten nach Vorschlag von

    Seiters dann keine Chance mehr auf eine Duldung, wenn sie über Pakistan nach

    Deutschland gekommen sind.

    Zumindest in Nordrhein-Westfalen können die Betroffenen über die nächsten

    sechs Monate etwas ruhiger schlafen. Die Landesregierung signalisierte Bonn

    ihr Einverständnis mit den Seiters-Vorschlägen, will den Abschiebestopp

    jedoch für alle drei Flüchtlingsgruppen generell bis zum 30. Juni 1992

    verlängern, erklärte gestern Innenminister Schnoor. Eine längere Laufzeit als

    sechs Monate läßt das neue Ausländergesetz nicht mehr zu. Seinen Kollegen in

    den anderen Bundesländern empfahl er, genauso zu verfahren.

    Gleichzeitig forderte Schnoor Lageberichte des Auswärtigen Amtes zur

    Situation in Somalia, dem Süden des Sudan und Zaire an. Die aktuelle

    Situation lege die Frage nahe, ob nicht auch in solchen Fällen ein

    Abschiebestopp verhängt werden sollte.

    Kritik an den Seiters-Vorschlägen übten die "Gesellschaft für bedrohte Völker

    und die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Pro Asyl . Deren

    Sprecher Herbert Leuninger erklärte, das Vorhaben, afghanische und tamilische

    Flüchtlinge mit Beginn des neuen Jahres verstärkt abzuschieben, beweise, daß

    das "politische Klima für Flüchtlinge immer eisiger" werde. Pro Asyl fordert

    einen generellen Abschiebestopp für Flüchtlinge, die aus Krisen- und

    Kriegsgebieten kommen. Auch amnesty international hatte sich für eine

    uneingeschränkte Verlängerung der Abschiebestoppregelungen eingesetzt.

    Unklar ist bislang noch, ob einigen Bundesländern selbst die Seiters-

    Vorschläge nicht zu weit gehen. Vor allem Bayern hatte sich im Sommer dieses

    Jahres, als die Duldungsregelungen für Tausende von De-facto- Flüchtlingen

    ausliefen, für eine rigide Abschiebepolitik stark gemacht.

    Im bayerischen Innenministerium wollte man sich zu dem Schreiben Seiters'

    nicht weiter äußern, da man, so ein Sprecher, erst vor kurzem davon

    informiert worden sei. "Im Prinzip kann man aber davon ausgehen, daß wir dem

    zustimmen."

     


     

    Der 9. November ist bundesweiter Aktionstag für Ausländer und gegen

    Rassismus/ Forderungen nach Beendigung der Asyldebatte/ Mehr

    Polizeischutz für Asylsuchende verlangt

    Von Ferdos Forudastan

    Bonn (taz) - "Tagtäglich werden wir von Kurdinnen und Kurden

    angerufen, die Angst haben, noch länger hier zu leben." So etwa begründete

    gestern vor JournalistInnen in Bonn ein Vertreter der "Föderation der

    kurdischen Arbeitervereine in der BRD" (KOMKAR), weshalb seine Organisation

    den bundesweiten Aktionstag gegen Fremdenhaß am 9. November mitgestaltet. Ihm

    geht es auch im Hinblick auf diesen Tag vor allem darum, deutlich zu machen,

    "wie heuchlerisch" die laufende Asyldebatte und die Forderung deutscher

    Regierungspolitiker nach Bekämpfung der Fluchtursachen in den jeweiligen

    Ländern ist. Wenn Bonn Länder wie die Türkei unterstütze, in der die Rechte

    der Kurden ständig und massiv verletzt würden, könne es nicht gleichzeitig

    seine Grenzen für diese Menschen schließen und verlangen, daß die

    Fluchtursachen bekämpft würden.

    Ähnliche und andere Ziele des Aktionstages stellten auf der Pressekonferenz

    auch Vertreter anderer Organisationen dar, die Aktionen gegen Fremdenhaß am

    9. November in vielen Städten der Bundesrepublik organisieren. "Der Schock

    über die Angriffe auf Ausländer hat eine Solidarisierung ausgelöst. Es hat

    dieses Schocks aber auch bedurft." Mit diesen und anderen deutlichen Worten

    forderte Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Pro

    Asyl, viel mehr als bisher gegen die grassierende Ausländerfeindlichkeit zu

    unternehmen. Die Bürgerbewegung gegen den Rassismus sei notwendig, da der

    Staat und die Regierung derzeit "versagen, wie es seit 1945 einmalig ist".

    Was Leuninger von den sich mit angegriffenen und bedrohten AusländerInnen

    solidarisierenden Menschen und Organisationen erwartet: Sie müßten die

    taktische Verstrickung von CDU, CSU, FDP und SPD in die Asyldebatte deutlich

    machen. Diese Debatte sei entscheidend ursächlich für die Übergriffe. Sie

    bewirke außerdem, daß die AusländerInnen vom Staat nicht genügend geschützt

    würden. Der Pro-Asyl - Sprecher forderte außerdem einen besseren

    Polizeischutz, "der aber nicht in dem Umfang gewährleistet werden kann, wie

    er gewährleistet werden muß". Und deshalb "müssen auch die Bürgerbewegungen

    weiterhin mit für den Schutz der Ausländer sorgen". Seine besonders heftige

    Kritik an den vereinbarten Sammellagern unterstützte auch Manni Stänner vom

    Netzwerk Friedenskooperative: Schon heute käme es nicht zu so vielen

    Übergriffen, wenn die Asylbewerber dezentral und integriert in Wohnungen

    untergebracht würden. Ozan Ceyhun, einer der Sprecher des bundesweiten

    Netzwerkes SOS-Rassismus, rief die deutschen Politiker, allen voran Kanzler

    Kohl, dazu auf, am 9. November gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren.

    In milderer Form wandten sich gestern in Bonn Vertreterinnen des

    "Frauenbündnis 90" gegen die Asylpolitik. So verlangte das Bündnis, dem

    Politikerinnen aller Parteien und Vertreterinnen gesellschaftlicher Gruppen

    angehören, die "Asyldebatte nicht weiter in einem Stil zu führen, daß

    Fremdenfeindlichkeit weitere Nahrung erhält".

     

     


     

    Bundesweites Kirchenasyltreffen in Nürnberg fordert Schutzgarantien

    für Flüchtlinge/ Kirchenasyl als "letzte Möglichkeit"/ "Nürnberger

    Deklaration" fordert die Öffnung von Kirchen. Aus Nürnberg

    Bernd Siegler

    Unter dem Eindruck der zunehmenden Pogromstimmung gegen Ausländer forderte

    ein bundesweites Kirchenasyltreffen in Nürnberg die Kirchen auf, für die

    Flüchtlinge eindeutig Stellung zu beziehen. Den Auftrag der Kirche ernst zu

    nehmen, bedeutet für die etwa 100 Gemeindemitglieder und Pfarrer aus dem

    ganzen Bundesgebiet, die sich in Nürnberg versammelt haben, notfalls

    Flüchtlinge vor der Abschiebung zu schützen. Sie appellierten in einer

    "Nürnberger Deklaration" deshalb an Christen, Gemeinden, Kirchen,

    Gemeindehäuser und -wohnungen für Flüchtlinge zu öffnen und für die Bewahrung

    und Verwirklichung von Menschenrechten "mehr zu wagen" als bislang geschehen

    ist.

    Das bundesweite Treffen in Nürnberg kam auf Initiative der Freien

    Flüchtlingsstadt Nürnberg und der evangelischen Kirchengemeinde St.Jobst

    zustande. Mitglieder und Pfarrer dieser Gemeinde hatten 1990 einen Flüchtling

    aus Bangladesch ein halbes Jahr lang vor dem Zugriff der bayerischen Behörden

    versteckt. Bundesweit bisher einmalig ging die Staatsanwaltschaft auf Weisung

    des bayerischen Innenministeriums gegen die Kirchenasyl-Aktivisten wegen

    Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz vor. Gegen eine Zahlung von

    einer Geldbuße in Höhe von jeweils 250 DM wurde das Verfahren schließlich

    eingestellt. Bayerns Innenminister Edmund Stoiber ließ bislang keinen Zweifel

    offen, daß er Kirchenasyl als Rechtsbruch betrachtet und Kirchen keine

    rechtsfreien Räume seien. Ähnlich der in den USA erfolgreichen "Sanctuary-

    Bewegung" wollte nun die Kirchengemeinde St. Jobst einen Anstoß geben für

    einen Erfahrungsaustausch zwischen den am Kirchenasyl interessierten

    Gemeinden mit denen, die Kirchenasyl bislang schon praktiziert haben.

    Um die bisherige stark zurückhaltende Position der Kirchen in der Ausländer-

    und Asylfrage zu geißeln, schreckte der katholische Theologe Herbert

    Leuninger, seit fünf Jahren Sprecher von "Pro Asyl" , auch vor nahezu

    ketzerischen Tönen nicht zurück: "Die Kirche ist die Einrichtung, die es

    Menschen ermöglicht, sich als Christen zu fühlen, ohne es sein zu müssen."

    Leuninger forderte die Kirchen in der Bundesrepublik auf, endlich "Anwalt der

    Schwachen und Stimme der Stimmlosen" zu werden. Der Theologe gibt sich jedoch

    nicht der Illusion hin, daß sich die unbewegliche Großinstitution Kirche

    entscheidend verändern lasse. "Aus einem Elefanten kann man kein Rennpferd

    machen", die Gemeindemitglieder müßten jedoch von der Basis her versuchen,

    "den Elefanten auf Trab zu bringen", indem sie die Kirche an ihren

    "moralischen Wurzeln packen". Eine dieser Wurzeln ist für Leuninger das

    Eintreten für und der Schutz von Flüchtlingen. Sollte Gemeindemitgliedern vom

    Pfarrer die Kirche als Räumlichkeit verwehrt werden, sollten sie einfach

    einen "anderen Raum zum Kirchenasyl deklarieren".

    In der Kritik am offiziellen Verhalten der Kirchen waren sich die

    Kirchenasyl-Aktivisten einig. "Ich fühle mich von der Kirche verlassen",

    empörte sich Frau M. aus Königsbronn bei Heidenheim (Baden- Württemberg).

    Zusammen mit zwei weiteren Frauen versteckt sie einen 25jährigen Kurden vor

    der drohenden Abschiebung. M. will ihren Namen nicht genannt wissen, da ihr

    Eintreten für Flüchtlinge in der 6.000-Einwohner-Gemeinde nicht ohne Folgen

    geblieben ist. Ihr Freundeskreis hat sich stark verändert, sie verspürt

    Unsicherheit und Ablehnung bei den Anwohnern. Der Versuch von M., zusammen

    mit dem örtlichen Pfarrer für den Schutz von Flüchtlingen einzutreten, schlug

    auch nach einem Anschlag auf die örtliche Sammelunterkunft fehl. "Der Pfarrer

    meinte nur, er könne mit Fremden sowieso nicht umgehen." Von der in Nürnberg

    verabschiedeten "Deklaration" erhofft sie sich eine Signalwirkung und eine

    Erleichterung für ihre Arbeit vor Ort.

    Für Ulrike Voß von der Nürnberger Initiative "Freie Flüchtlingsstadt" ist es

    jetzt entscheidend, daß die Kirchen oder zumindest einzelne Gemeinden

    eindeutig Position beziehen. Sie hält es jedoch für falsch, "auf die

    Kirchenführung zu warten".

     


     

    WIDERSTAND GEGEN FREMDENHASS

    Nürnberg (taz) - Christen, Gemeinden und Kirchen sollen notfalls von

    Abschiebung bedrohten Flüchtlingen Asyl gewähren. Das forderten gestern die

    Teilnehmer eines bundesweiten Kirchenasyltreffens in Nürnberg. Der

    katholische Theologe Herbert Leuninger ging mit den "unbeweglichen

    Großinstitutionen Kirche" hart ins Gericht: Sie sollten sich endlich zum

    "Anwalt der Schwachen und Stimme der Stimmlosen" machen. Notfalls müßten die

    Gemeinden auch die eigenen Pfarrer unter Druck setzen. Unterdessen ging die

    Asyldebatte weiter. Der bayerische Innenminister Stoiber prognostizierte ein

    "Umfallen" der SPD in der Frage der Grundgesetzänderung.

     


     

    Bonn verurteilt natürlich die Anschläge, der Rest "ist Ländersache"/

    Hilfsorganisationen fordern: "Schluß mit der Asyldebatte!" und

    konzertierte Aktionen der Kommunen

    Bonn fühlt sich nicht zuständig. Diesen Eindruck vermittelt die

    Bundesregierung, auch jetzt noch, wo Deutsche hier lebende AusländerInnen

    immer zahlreicher, immer brutaler angreifen. Natürlich verurteilten alle

    politischen Kräfte die Anschläge, das müsse man doch nicht jeden Tag von

    neuem deutlich machen, außerdem sei der Schutz gefährdeter Ausländer vor

    allem Sache der Länder. So beschied Regierungssprecher Dieter Vogel gestern

    Bonner JournalistInnen zum Thema.

    Zwar stellte er in Aussicht, daß der Bundesgrenzschutz überall dort helfen

    werde, wo dies "möglich" sei. Über weitere Initiativen denkt die

    CDU/CSU/FDP-Regierung, so mußte man Vogel verstehen, jedoch nicht einmal

    nach.

    Und auch der Sprecher des Bonner Innenministeriums hielt sich deutlich

    zurück: Hinweise auf eine möglicherweise zentrale Steuerung der vornehmlich

    von Rechtsradikalen ausgeführten Anschläge auf Ausländerwohnheime lägen nicht

    vor, sagte er knapp. Außerdem war aus seinen Worten zu schließen, daß das

    Haus Schäuble sich, bisher jedenfalls, nicht bemüht zu erkunden, ob die

    Übergriffe teilweise von rechtsradikalen Gruppierungen organisiert werden.

    Ganz deutlich wurde er nur einmal: "Die ganze Sache ist Ländersache."

    Ganz anders sehen das jene, die sich um die Belange der immer stärker

    bedrohten Asylbewerber und anderen Ausländer hierzulande kümmern. So macht

    etwa Wolfgang Grenz, Flüchtlingsexperte der deutschen Sektion von amnesty

    international in Bonn gerade die Bundesregierung mitverantwortlich. Wer wie

    der Bundeskanzler am Tag der Einheit die Übergriffe zwar verurteile, im

    gleichen Atemzug aber den angeblichen Mißbrauch des Asylrechts verurteile,

    "der liefert im Namen der Politik eine billige Rechtfertigung dieser

    Vorfälle". Und: Wer die Asyldebatte in einem solchen Zusammenhang führe, "der

    braucht sich über keinen Angriff auf Ausländer mehr zu wundern."

    Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Flüchtlingshilfsorganisation Pro

    Asyl, fordert darum, mit der Diskussion um das Asylrecht jetzt sofort

    aufzuhören. Die Diskussion sei nicht nur mitverantwortlich, sondern

    entscheidend für die Übergriffe, "deshalb legitimiert die Menschenjagd, wer

    die Asyldebatte jetzt weiter führt." In diese Kritik schließt Leuninger die

    "hier ebenso doppelbödige" SPD-Opposition und den Bundespräsidenten ein.

    SPD-Fraktionsvorsitzender Hans-Jochen Vogel hatte gestern ebenfalls die

    Angriffe auf Ausländer mit der Asylpolitik verknüpft: Daß die Bundesregierung

    noch immer nicht auf die Vorschläge der Sozialdemokraten zur Verkürzung der

    Asylverfahren eingehe, "begünstigt das Anwachsen einer emotionalen

    Überfremdungsangst". Richard von Weizsäcker hatte sich gestern bei dem Besuch

    eines Asylbewerberwohnheims in Bochum auf das Allgemeinmenschliche

    beschränkt: Auch mit ausländischen Mitbürgern sei das Teilen zu lernen.

    Weizsäcker: "Ich möchte dazu beitragen, daß wir jeden Tag von neuem erfahren,

    daß Deutsche und Ausländer Mitmenschen sind." Er dankte "allen Deutschen, die

    sich offenherzig gegenüber Ausländern verhalten". Und: "Jeder Tag gibt uns

    Gelegenheit, sich den Schwächeren gegenüber als hilfreich zu erweisen."

    "Wachsweich und ohne jede ernst zu nehmende Wirkung", nennt der

    Pro-Asyl -Sprecher und Pfarrer Herbert Leuninger solche Worte, wenn der

    Bundespräsident nicht gleichzeitig eindringlich das sofortige Ende der

    Asyldebatte fordere.

    Daß Einzelpersonen und Organisationen sich bisher vor allem dezentral mit den

    bedrohten AusländerInnen solidarisiert haben, begrüßt Wolfgang Grenz von

    amnesty. Solche Aktionen bundesweit zu steuern sei nicht nur sehr schwierig.

    Gerade in dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung komme es auf Aktionen

    vor Ort, in den Kommunen etwa, an. Herbert Leuninger stimmt dem zu - fordert

    allerdings dennoch "konzertierte Aktionen". So müßten sich die Kommunen

    zusammenschließen. Weiteten sich die Übergriffe aus, so sei es neben einem

    umfassenden lokalen Widerstand notwendig, auch auf Bundesebene alle Kräfte zu

    konzentrieren -"so wie dies die Friedensbewegung in ihren besten Zeiten getan

    hat". Ferdos Forudastan, Bonn

     


     

    Mehr Aggressivität in Sammellagern befürchtet/ Emotionale

    Bundestagsdebatte

    Frankfurt/Bonn (ap/dpa) - Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl

    hat Bundeskanzler Helmut Kohl aufgefordert, zum Tag des Flüchtlings am 4.

    Oktober eine Asylbewerberunterkunft zu besuchen und sich damit auf die Seite

    der Schutzbedürftigen zu stellen.

    Der Sprecher des Vereins, Pfarrer Herbert Leuninger, äußerte am Mittwoch in

    Frankfurt/Main die Befürchtung, daß die Fremdenfeindlichkeit nicht mehr

    steuerbar die ganze Republik erfassen könne.

    Er forderte, die "verheerende Asyldiskussion" zu beenden, die er

    mitverantwortlich für Ausschreitungen gegen Ausländer machte.

    Rechtsextremisten fühlten sich zur Gewalt legitimiert, wenn sie nicht auf

    Widerstand in der Bevölkerung träfen. Die Vorschläge von Politikern,

    Sammellager für Asylbewerber einzurichten oder Ausländerwohnheime

    einzuzäunen, wies Pfarrer Leuninger zurück. Solche Maßnahmen würden die

    Aggressionsbereitschaft erhöhen. Asylverfahren könnten nach Ansicht der

    Organisation beschleunigt werden, indem die Flüchtlinge statt zwei- nur

    einmal angehört werden und die zuständigen Behörden rascher arbeiten.

    In einer emotionsgeladenen Debatte hat der Bundestag die Ausschreitungen der

    letzten Wochen verurteilt und vor Rechtsextremismus gewarnt. Der

    SPD-Abgeordnete Otmar Schreiner aus Saarlouis beschuldigte die CDU,

    "nationalistische Stimmung" zu schüren. Scharf griff er CDU-Generalsekretär

    Volker Rühe an und sagte, auch "Schreibtischtäter seien Täter". Um

    parteitaktischer Vorteile willen provoziere die CDU eine "Politik der

    verbrannten Erde".

    Die FDP-Generalsekretärin und designierte Ausländerbeauftragte Cornelia

    Schmalz-Jacobsen sagte unter Hinweis auf das negative Auslandsecho: "Wir

    bewegen uns 46 Jahre nach Adolf Hitler auf sehr dünnem Eis." Schmalz-Jacobsen

    bedauerte, daß die Ausschreitungen in Hoyerswerda "Volksfestcharakter" gehabt

    hätten.

     


     

    INTERVIEW

    Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Pro

    Asyl , zu den Asylvorschlägen der SPD

    taz: SPD-Chef Björn Engholm hat ein Liste von

    Vorschlägen zum künftigen Umgang mit dem Asylrecht vorgelegt. Erhebliche

    Verfahrensbeschleunigungen - dies ist die Devise der Sozialdemokraten, mit

    der sie am kommenden Freitag in das sogenannte Allparteiengespräch zum Thema

    Asyl mit dem Kanzler gehen. Ist dies der richtige Ansatz?

    Herbert Leuninger: Verfahrensbeschleunigungen, wie sie die SPD jetzt

    vorschlägt, halte ich für falsch und für rechtsstaatlich nicht akzeptabel.

    Würden die Ideen der SPD Realität, verlöre das Asylgrundrecht wieder einmal

    ein Stück von seiner Substanz.

    Natürlich könnten die Asylverfahren schneller durchgeführt werden, ohne daß

    hierfür Rechte der Asylbewerber beschnitten würden. Dazu müßte aber der

    Verwaltungs- und Gerichtsapparat besser funktionieren. Dazu müßte mehr

    entsprechendes Personal eingestellt, mehr Geld zur Verfügung gestellt werden.

    Daß Asylbewerber ein bis zwei Jahre auf ihre Anhörung warten, daß Bescheide

    des Bundesamtes für die Anerkennung politischer Flüchtlinge erst nach vielen

    Monaten zugestellt werden, daß Gerichtsverfahren oft Jahre dauern: all dies

    müßte nach der geltenden Verfahrensordnung nicht sein. Die schon jetzt mit

    dem Rechtsstaatsprinzip kaum mehr zu vereinbarende Verfahrensordnung noch

    restriktiver auszugestalten, würde nichts bringen. Den Asylbewerbern und

    Bewerberinnen würde es aber noch mehr schaden.

    Vor allem möchten die Sozialdemokraten, daß alles noch

    schneller gehen kann. So soll in vielen Fällen nach Tagen das

    Verwaltungsverfahren, nach einigen Wochen dann das gesamte Verfahren

    abgeschlossen sein. Ist es das, was sie mit dem Rechtsstaat als nicht mehr

    vereinbar betrachten?

    Ja. Nehmen Sie beispielsweise die erste Anhörung vor der Ausländerbehörde.

    Schon jetzt wird dem Bewerber viel zuwenig Zeit gelassen, wird er sofort nach

    seiner Flucht ausgefragt. Oft steht er noch unter dem Schock dieser Flucht.

    So kann er Angst haben, daß seine Aussagen andere Flüchtlinge, die noch

    unterwegs sind, gefährden. Oder er befürchtet, daß seine in der Heimat

    zurückgebliebene Familie den Repressionen staatlicher Stellen ausgesetzt

    wird, nachdem diese von seiner Flucht erfahren haben. In diesem Zustand macht

    er für sein Verfahren verhängnisvolle Fehler, erzählt weniger, als er

    eigentlich erzählen könnte. Hätte er noch weniger Zeit zur Vorbereitung - so

    wenig, wie die SPD sich das wünscht - würde dies den Druck auf ihn noch

    verstärken. Außerdem wären Bewerber und Bewerberinnen mit geringem

    Bildungsgrad, die oft nur wenig lesen und schreiben können, noch stärker

    benachteiligt, als dies jetzt schon der Fall ist. Eine Tatsache übrigens, die

    die SPD bei ihren ganzen Beschleunigungsideen nicht zu bedenken scheint.

    Und schließlich können bestimmte behördliche oder gerichtliche Entscheidungen

    gar nicht in wenigen Wochen getroffen werden. Zum Beispiel die Entscheidung

    darüber, ob jemandem, der zwar kein Flüchtling im Sinne des Artikel 16 oder

    der Genfer Menschenrechtskonvention ist, nicht doch ein Bleiberecht, aus

    anderen, humanitären und rechtlichen Gründen etwa, zusteht.

    Die Sozialdemokraten wollen eine Anhörung abschaffen.

    Beschneidet auch das die Rechte der Asylbewerber?

    Nein. Dies halten wir sogar für sinnvoll. Die verschiedenen Anhörungen

    zusammenzufassen, würde den Verwaltungsaufwand reduzieren. Es würde den

    Asylbewerber nicht in Widersprüche treiben, in die er oft gerät, wenn er

    einmal direkt nach der Flucht und ein zweites Mal Monate später angehört

    wird. Allerdings müßte er in dieser einen Anhörung bessere Bedingungen haben.

    Er bräuchte in jedem Fall eine vorherige rechtliche Beratung, kompetente

    Dolmetscher und so weiter.

    Björn Engholm preist auch Gemeinschaftsunterkünfte, die das

    Verfahren vereinfachen und beschleunigen würden...

    Ich denke, die Vergangenheit hat hinreichend gezeigt, wie unmenschlich solche

    Sammellager sind und wie viele Probleme sie sogar hervorbringen. Saarluis,

    Freiburg, Hoyerswerda - das spricht doch alles für sich.

    Interview:

    Ferdos Forudastan

     


     

    Die Genfer Flüchtlingskonvention wird 40 Jahre alt/ Doch beim Festakt

    in der Evangelischen Akademie Tutzing bei München wollte - mit Recht

    - keine Feierstimmung aufkommen/ Debatte um einen neuen

    Flüchtlingsbegriff Aus Tutzing Andrea Böhm

    Zu feiern gibt es eigentlich nichts - darin waren sich die FestrednerInnen

    einig. Folglich hatte der Festakt zum 40. Jahrestag der Genfer

    Flüchtlingskonvention (GFK) in der evangelischen Akademie Tutzing einen

    schalen Beigeschmack. Denn vierzig Jahre nach Unterzeichnung der GFK

    verwenden vor allem die westeuropäischen Staaten ausdauernd Energie und

    Phantasie darauf, Flüchtlingen die Inanspruchnahme der GFK zu verwehren. Uns

    in der Bundesrepublik ist das deutsche Pendant, der Asylartikel 16

    Grundgesetz ("Politisch Verfolgte genießen Asylrecht"), unter Druck geraten.

    "Wir waren", so Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgruppe

    "Pro Asyl" , "noch nie so sehr in der Defensive."

    Wie man da herauskommt, hätte man in Tutzing ausführlich erörtern können,

    schließlich war man unter sich. Hauptsächlich MitarbeiterInnen aus dem

    Flüchtlings- und ImmigrantInnenbereich waren zum Festakt und zur Tagung über

    Flüchtlings- und Migrationspolitik angereist. Über Fluchtursachen sollte

    debattiert werden, über Sinn oder Unsinn eines Einwanderungsgesetzes (siehe

    Kasten) - vor allem aber über die Frage, ob die vor vierzig Jahren

    formulierte Definition des Flüchtlingsbegriffs heute noch tauglich ist

    angesichts von immer mehr Menschen, die auf Grund von Kriegen, Bürgerkriegen,

    Armut oder ökologischen Katastrophen fliehen müssen. Doch angesichts der

    flüchtlingsfeindlichen Stimmung in der Öffentlichkeit war vielen

    TeilnehmerInnen von vornherein Lust und Courage vergangen, über die

    Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs zu diskutieren. Da half auch nicht, daß

    zu Beginn Herbert Leuninger den Versammelten eine Standpauke hielt gegen

    diese vorauseilende Kapitulation vor Volkes Stimme.

    In der öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik, so Leuninger, habe sich in

    Sachen Asylpolitik vom Stammtisch bis in die Staatskanzleien das "primitivste

    Diskursmodell" durchgesetzt: Wer kein politisches Asyl bekommt, ist nicht

    verfolgt - ergo sind bei einer gegenwärtigen Anerkennungsquote von fünf

    Prozent die restlichen 95 Prozent der Asylsuchenden Wirtschaftsflüchtlinge.

    Leuninger will die Debatte um eine Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs gerade

    wegen der herrschenden öffentlichen Meinung und machte dies am Beispiel der

    seit dem 1. Juli von Abschiebung bedrohten de-facto-Flüchtlinge deutlich:

    also zum Beispiel Tamilen, Palästinenser, Kurden oder Libanesen, die sowohl

    durch das Interpretationsraster des Artikel 16 als auch der GFK fallen, weil

    sie in der Regel nicht "individuell" verfolgt sind, sondern "nur" vor einem

    Krieg, Bürgerkrieg, einem ethnischen Konflikt oder, wie viele Frauen,

    aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung geflohen sind.

    Die GFK erkennt als Flüchtling an, wer "aus wohlbegründeter Furcht vor

    Verfolgung", wegen seiner politischen Überzeugung, Rasse, Religion,

    Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe fliehen

    mußte, Fluchtmotive wie Krieg oder Bürgerkrieg kommen nicht vor. "Wir werden

    diese Menschen bei drohender Abschiebung zu schützen versuchen", sagt

    Leuninger, "aber wir müssen der Öffentlichkeit auch erklären können, warum

    wir das tun." Humanitäre Prinzipien allein reichten da nicht aus, man müsse

    zumindest einen alternativen Flüchtlingsbegriff offensiv vertreten.

    Vorbilder gibt es genug. Für die Mitgliedsstaaten der "Organisation für

    afrikanische Einheit" (OAU) ist anerkannter Flüchtling, wer unter anderem

    aufgrund von "Ereignissen, welche die öffentliche Ordnung in einem Teil des

    Landes oder dem gesamten Land ernsthaft stören", fliehen mußte. Auf eine

    ähnlich umfassende Definition haben sich 1984 zehn lateinamerikanische

    Regierungen geeinigt; mit Hinweis auf die OAU hat auch das Europäische

    Parlament 1987 die EG aufgefordert, eine Neudefinition zu versuchen, die den

    realistischen Fluchtursachen entspricht.

    Vehementen Widerspruch erntete Leuninger ausgerechnet von einem Vertreter des

    Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR). Ein Flüchtlingsbegriff wie bei der

    OAU sei schön und gut, aber mangels politischem Willen nicht durchsetzbar,

    erklärte Peter Nicolaus, UNHCR- Vertreter beim Bundesamt für die Anerkennung

    ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf. Würden die Staaten Europas den

    Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention nur richtig anwenden, "dann wäre die

    ganze Debatte um Erweiterung überflüssig". Die sei schließlich vor vierzig

    Jahren nicht formuliert worden, um ausschließlich individuell Verfolgten

    Schutz zu gewähren, sondern unter dem Eindruck der Massenfluchtbewegungen in

    Europa.

    Ähnlich argumentierte Michel Moussalli, Direktor des UNHCR in Genf, in seiner

    Rede während des Festaktes. Hätte man 1956, als nach der Niederschlagung des

    Aufstands durch die Sowjets Tausende von Menschen aus Ungarn flohen, die

    heute herrschende Interpretation der GFK abgewandt, "wären sie, wie heute die

    Tamilen oder Libanesen, nicht anerkannt worden." In Anwesenheit von

    Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und der bayerischen Justizministerin

    Mathilde Berghofer-Weichner richtete Moussalli in einem für den UNHCR

    ungewöhnlich scharfen Ton die Aufforderung Richtung Bonn und München, "in

    keinem Fall Flüchtlinge in Krisengebiete abzuschieben". Den nötigen

    politischen Willen demonstrierte auf seiten der anwesenden Politikerinnen -

    in Tutzing waren es ausnahmslos Frauen - einzig und allein Rita Süssmuth.

    "Artikel 16 des Grundgesetzes muß in seiner gegenwärtigen Form bestehen

    bleiben", erklärte die Bundestagspräsidentin in einer Unmißverständlichkeit,

    zu der sich zum Beispiel SPD-Sprecherin Cornelie Sonntag-Wolgast nicht

    durchringen wollte. Das deutsche Asylrecht, so Süssmuth, dürfe man sich auch

    in der Diskussion um eine europäische Harmonisierung nicht nehmen lassen -

    ein Standpunkt, der bei den meisten ihrer Parteigenossen helles Entsetzen

    hervorrufen dürfte. Dem versammelten Publikum war es Balsam auf die Wunden -

    denn ansonsten kam festliche Stimmung nur beim folkloristischen

    Begleitprogramm auf. Das durften die bestreiten, über die den ganzen Tag

    geredet wurde: die Flüchtlinge.

     


     

    40 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention - kein Anlaß zum Feiern

    Tutzing (taz) - Zu feiern gab es eigentlich nichts - darin zumindest

    waren sich die FestrednerInnen einig. Denn vierzig Jahre nach Unterzeichnung

    der Genfer Flüchtlingskonvention verwenden vor allem die westeuropäischen

    Staaten viel Energie und Phantasie darauf, sich gegen die Anwendung der

    Konvention abzuschotten. "Wir waren", so Herbert Leuninger, Sprecher der

    bundesweiten Arbeitsgruppe "Pro Asyl" , "noch nie so sehr in der Defensive."

    Abhilfe hätte man in Tutzing ausführlich erörtern können, schließlich war man

    unter sich. Doch angesichts einer flüchtlingsfeindlichen Öffentlichkeit war

    vielen TeilnehmerInnen von vornherein Lust und Courage vergangen, über die

    Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs zu diskutieren.

     


     

    Am 30. Juni laufen die Duldungen für Flüchtlinge aus Krisenregionen

    aus

    Ab dem 1. Juli droht Zehntausenden hier lebenden Flüchtlingen die

    Abschiebung, wenn die von den Bundesländern erlassenen

    Abschiebestoppregelungen auslaufen und der Bundesinnenminister

    entscheidet, wer bleiben darf und wer nicht.

    Die Welle wird nicht hoch sein, aber lang. Sie wird sich nicht krachend

    überschlagen, aber sie wird immer wieder anrauschen." Wolfgang Grenz,

    Flüchtlingsreferent von der Menschenrechtsorganisation amnesty international

    (ai) in Bonn, skizziert für den kommenden 1. Juli ein zunächst überraschendes

    Bild. Daß die Bundesrepublik rein rechtlich ab diesem Tag nach ai-Schätzungen

    50.000 bis 100.000 Flüchtlinge ohne festen Aufenthaltsstatus abschieben

    könnte, hatte in der letzten Zeit für zum Teil dramatische Schlagzeilen

    gesorgt: "Massive Abschiebewelle am 1. Juli" und "Massenabschiebungen noch in

    diesem Sommer".

    Einem Teil von ihnen sind in den letzten Wochen bereits Briefe ins Haus

    geflattert, in denen die Ausländerbehörden die nach dem 1. Juli bevorstehende

    Abschiebung ankündigen. Im Juli aber, im Sommer überhaupt, meint Wolfgang

    Grenz, werde erst einmal nicht viel passieren. Vielleicht bleibe es auch im

    Herbst "recht ruhig". Wenn bis dahin allerdings "die Sachlage" noch so sei

    wie heute, dann würden regelmäßig, über Monate und Jahre hinweg, Zehntausende

    von sogenannten De-facto-Flüchtlingen aus der Bundesrepublik abgeschoben -

    Flüchtlinge, die seit vielen Jahren hier leben. Flüchtlinge, die in ihren

    Herkunftsländern von Folter und Todesstrafe, Krieg, Bürgerkrieg und

    Willkürjustiz bedroht sind.

    "Die Sachlage": Bisher durfte auch ein Teil jener Flüchtlinge bleiben, deren

    Asylbegehren die deutschen Richter abgelehnt hatten. Voraussetzung war eine

    bedrohliche Situation in den jeweiligen Heimatländern. Die einzelnen

    Bundesländer setzten die Abschiebung in bestimmte Staaten "aus humanitären

    Gründen" generell aus. So wurden Palästinenser nicht in den Libanon und

    Tamilen nicht nach Sri Lanka zurückgeschickt, weil dort zur Zeit Bürgerkrieg

    herrscht. Iraner durften hierbleiben, weil ihnen in der Heimat Willkürjustiz

    drohte. Allerdings bekamen nur wenige dieser sogenannten De-facto-

    Flüchtlinge eine Aufenthaltsbefugnis. Die meisten wurden von den deutschen

    Behörden lediglich jahrelang "geduldet" - ein aufenthaltsrechtliches

    Damoklesschwert, das lediglich die vorläufige Aussetzung der Abschiebung

    bedeutet.

    "Für Tamilen ist es weiterhin gefährlich, zurückzukehren"

    Seit dem 1. Januar hat sich die Lage dieser "Geduldeten" noch wesentlich

    verschlechtert: Nach §54 des seit dem 1. Januar geltenden neuen

    Ausländergesetzes können die Länder nurmehr einen sechs Monate kurzen

    Abschiebestopp erlassen. So laufen am 30. Juni die bisher üblichen Duldungen

    für Flüchtlinge aus Krisenregionen aus. Ab dem 1. Juli muß der

    Bundesinnenminister damit einverstanden sein, daß die Bundesländer

    De-facto-Flüchtlinge aus Krisenregionen weiter dulden. Und das ist nicht zu

    erwarten: Schon vor Wochen hat Wolfgang Schäuble den Innenministern der

    Bundesländer mitgeteilt, daß er "derzeit ... hinsichtlich keiner

    Ausländergruppe die Möglichkeit für eine generelle Abschiebestoppregelung für

    mehr als sechs Monate..." sehe. Der Grund: Die Lage in den meisten

    Herkunftsländern habe sich so verändert, daß man die De-facto- Flüchtlinge

    dorthin zurückschicken könne.

    "Entbehrt jeder Grundlage", sagt Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten

    Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl dazu. Für ihn gibt es derzeit kein Herkunftsland

    von De-facto- Flüchtlingen, in dem die Menschenrechtssituation den Standpunkt

    vom Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble rechtfertigt: "Für Tamilen etwa ist

    es weiterhin gefährlich, in ihre Heimat zurückzukehren, ebenso für Iraner

    oder Iraker." Der Bundesinnenminister läßt diese Kritik nicht gelten. Er

    verweist darauf, eine Reihe von De-facto-Flüchtlingen vorerst vor einer

    Abschiebung geschützt zu haben.

    Auch die Länder haben bisher nur wenig unternommen

    Tatsächlich trifft das aber nur auf kleine Gruppen von Betroffenen zu:

    Chinesische Wissenschaftler etwa und türkische Christen und Jeziden, die bis

    Ende 1989 eingereist sind, dürfen höchstens noch zwei Jahre bleiben. Weiter

    geduldet werden unter eng gefaßten Voraussetzungen einige Äthiopier und

    Afghanen. Iraner, Libanesen und Palästinenser sind nur geschützt, wenn sie

    mindestens seit Ende des Jahres 1985 hier leben - wobei gerade ab 1986

    besonders viele Menschen aus diesen Ländern in die Bundesrepublik geflüchtet

    sind.

    Allerdings haben auch die Innenminister der Bundesländer bislang nichts oder

    zu wenig unternommen, um die De-facto-Flüchtlinge vor der drohenden

    Abschiebung zu schützen. So sind auch die SPD-regierten Länder nicht

    geschlossen an den Bundesinnenminister mit der Bitte herangetreten, den

    generellen Abschiebestopp für bestimmte Gruppen von Flüchtlingen zu

    verlängern. Lediglich das Saarland hat von Schäuble verlangt, er solle die

    Bleiberechtsregelungen der Bundesländer übernehmen. Einen Vorstoß soll es

    demnächst auch von Hessen und Rheinland-Pfalz geben. Das rot-grüne

    Niedersachsen hat Ende 1990 22.000 De-facto- Flüchtlingen noch schnell ein

    festeres Aufenthaltsrecht verschafft.

    Viele Flüchtlinge haben bereits resigniert

    Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (s. Interview)

    tröstet die 28.000 Betroffenen in seinem Land mit dem winzigen Stückchen

    Spielraum, den das neue Ausländergesetz den einzelnen Bundesländern gelassen

    hat; demnach müßten die nordrhein-westfälischen Ausländerbehörden in jedem

    Einzelfall prüfen, ob ein Flüchtling in seiner Heimat "konkret" von Folter

    oder Todesstrafe oder Gefahr für Leib und Leben bedroht sei und deshalb

    hierbleiben dürfe. Kein allzu starker Trost: denn solcherlei für die eigene

    Person nachzuweisen, dürfte schwierig sein - sehr viel schwieriger als

    darzulegen, daß man Angehörige(r) einer gefährdeten Bevölkerung oder

    Bevölkerungsgruppe ist, die bisher in der BRD "generell" geduldet wurde.

    "Freilich", sagt Wolfgang Grenz, "werden nicht alle auf einmal gehen müssen."

    Der Flüchtlingsreferent von amnesty international glaubt, daß die

    Ausländerbehörden mit der Aussicht, demnächst Zehntausende von

    De-facto-Flüchtlingen abschieben zu müssen, vorerst überfordert sind.

    Allerdings befürchtet er auch, daß viele nicht ausreichend beraten sind, um

    die verbleibende Zeit zu nutzen - indem sie gegen die angekündigte

    Abschiebung Widerspruch bei der Ausländerbehörde, notfalls auch vor Gericht

    einlegen. "Diese Chance ergreift nur, wer nicht resigniert hat. Aber das

    haben inzwischen nicht wenige. Und genau das wollten die Bundesregierung und

    die meisten Länderregierungen erreichen." Ferdos Forudastan, Bonn

     


     

    Unzähligen Flüchtlingen droht Abschiebung

    Bonn (taz) - Vor einer "Eskalation" des Asylproblems ab 1. Juli

    warnte gestern in Bonn Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten

    Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" . Tausende sogenannter De-facto- Flüchtlinge -

    Menschen also, die hier kein Asyl bekommen haben und dennoch etwa aus

    humanitären Gründen bleiben durften - können nach dem neuen Ausländergesetz

    von diesem Tag an ausgewiesen werden. Der Grund: Der generelle Abschiebestopp

    für bestimmte Flüchtlingsgruppen gilt nicht mehr. Nun muß jeder Flüchtling,

    dem hierzulande kein Asyl gewährt wird, konkret nachweisen, daß er nach einer

    Abschiebung von der Situation in seinem Heimatland unmittelbar gefährdet

    wäre. Bisher konnten die Bundesländer generelle Abschiebestopps verhängen. Ab

    dem ersten Juli dürfen sie es nur noch für sechs Monate - falls das

    Bundesinnenministerium nicht mit einem längerfristigen Stopp einverstanden

    ist. Herbert Leuninger sowie Konrad Weiss, Abgeordneter der Gruppe Bündnis

    90/Grüne, appellierten deshalb gestern dringlich an Bundesinnenminister

    Schäuble sowie die Innenminister der Länder, sich auf eine Liste der Länder

    zu verständigen, in die generell nicht abgeschoben werden darf, bis ihre

    Regierungen die Menschenrechte einhalten. Daß Innenminister Schäuble sich

    darauf einlassen wird, ist wenig wahrscheinlich: Schon vor Wochen hat er

    intern kundgetan, daß es für keine Ausländergruppe mehr nötig sei,

    Abschiebestopps von mehr als sechs Monaten zu verhängen. Ferdos

    Forudastan

     


     

    Frankfurt/Main (taz) - Nach dem 1. Juli droht Tausenden von

    Flüchtlingen die Abschiebung. Die Menschen, die heute noch in der

    Bundesrepublik "geduldet" werden, könnten nach dem Ende 1990 verabschiedeten

    Ausländergesetz ausgewiesen werden. Darauf wies gestern in Frankfurt die

    bundesweite Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" hin. Zum Monatsende laufen alle

    vor dem 31.12.1990 von den Bundesländern aus humanitären oder politischen

    Gründen verhängten Abschiebestopp-Verfügungen aus. Das neue Gesetz befristete

    den Aufschub auf sechs Monate. Nur in Ausnahmefällen kann im Einvernehmen mit

    dem Bundesinnenministerium (BMI) eine Verlängerung gewährt werden.

    Flüchtlingen aus Sri Lanka, dem Libanon, Iran, Afghanistan und einer Reihe

    von afrikanischen Ländern müßten jetzt mit Abschiebeverfügungen in ihre

    kriegs- und krisengeschüttelten Heimatländer rechnen, erklärte "Pro

    Asyl"-Sprecher Leuninger. Das gelte auch für Kurden aus der Türkei. Die

    Arbeitsgemeinschaft will Rechtsberatungen für Flüchtlinge organisieren und

    prominente BürgerInnen für ein öffentliches Eintreten gegen die drohenden

    Abschiebungen mobilisieren. Leuninger: "Das neue Ausländergesetz greift die

    Substanz der Humanität an und führt politisch in die Sackgasse." Wenn nötig,

    werde "Pro Asyl" den Flüchtlingen Kirchenasyl gewähren. kpk

     


     

    INTERVIEW

     

    Herbert Leuninger, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl , zur

    Ost-West-Migration und den Folgen in Westeuropa

    taz: Herr Leuninger, welche Konsequenzen bringen die

    Veränderungen in Osteuropa für die Flüchtlingspolitik in der Bundesrepublik

    und in Westeuropa?

    Leuninger: Die Entwicklung in Osteuropa bedeutet in diesem

    Zusammenhang, daß das ganze Konzept, das mit den Regierungs-Abkommen von

    Schengen und Trevi ausgedacht wurde, zusammengebrochen ist. Denn dieses

    Konzept basierte auf der Vorstellung, daß man um die EG herum eine

    Festungsmauer errichtet. Dabei waren der Eiserne Vorhang und die Berliner

    Mauer als ein fester Bestandteilt eingebaut. Beides ist nun zusammengefallen.

    Die Region, die man in Analogie zu Amerika den Hinterhof Europas nennen kann,

    ist nun offen, und damit stellt sich für Europa die Frage völlig neu, wie man

    mit Zuflucht umgeht.

    Zur Zeit wird darüber spekuliert, daß in den nächsten Monaten

    Hunderttausende, wenn nicht Millionen Sowjetbürger in den Westen kommen

    könnten. Gibt es angesichts dieser Vision eine Idee, wie man mit diesem

    Problem menschlich und vernünftig umgehen kann?

    Nein, ich glaube eine solche Vorstellung gibt es nicht. Man bringt in diesem

    Zusammenhang den völlig diffusen und geschichtlich weit weg liegenden Begriff

    Völkerwanderung ins Spiel. Ich glaube, damit will man nicht nur die

    Größenordnung darlegen, sondern auch die Unfähigkeit, mit der neuen Situation

    politisch umzugehen. Ich denke, daß wir uns weltweit auf völlig neue

    Zusammenballungen von Menschen, von Minderheiten, von Völkern einrichten

    müssen. Die industrialisierten Zonen in der Welt - vor allem die der

    westlichen Hemisphäre - werden Zielgebiet einer in Zahlen nicht anzugebenden

    Flucht und Zuwanderung sein. Ich glaube, daß ein Modell künftig unsere

    Gesellschaften prägen wird: die - vielleicht illusionäre - Hoffnung von

    Millionen Menschen, in den Gebieten der Demokratie und der Hochindustrie noch

    eine Chance zum Überleben zu haben.

    Das würde aber kaum vorstellbare Veränderungen unserer

    Lebensbedingungen zur Folge haben. Ist nicht angesichts der möglichen

    Dimension der Fluchtbewegungen auch in den wohlmeinendsten Staaten eine

    Politik der Abschottung gerechtfertigt?

    Das ist eine rein theoretische Frage. Die Entwicklung wird über uns

    hinweggehen, sodaß wir nur noch versuchen können, mit der neuen Situation

    zurechtzukommen. Ich gehe davon aus, daß die Mentalität vom Leben auf einer

    privilegierten Insel, die gerade auch in der Bundesrepublik gepflegt worden

    ist, total aufgegeben werden muß. Schneller als wir es eigentlich gedacht

    haben, kommen wir in eine Situation des Teilens, die alles Bisherige in den

    Schatten stellen wird. Ich befürchte allerdings, daß wir dies kaum leisten

    werden.

    Die gegenwärtigen Veränderungen setzen aber auch ein Umdenken

    bei denen voraus, die sich bisher in dieser Frage engagiert haben. Wie müßte

    so ein Umdenken aussehen?

    Ja sicher. Ich denke wir müssen Politik künftig als Weltinnenpolitik

    betreiben. Das heißt, das, was auf uns zukommt, ist nicht mehr mit

    Kommunalpolitik, Landes- oder Bundespolitik zu bewältigen. Der Ruf der

    osteuropäischen Staaten, die KSZE-Konferenz für das Thema Ost-West-Migration

    in Anspruch zu nehmen, ist bereits ein Aufschrei, daß die einzelnen Nationen

    mit den auf sie zukommenden Fragen nicht mehr fertig werden.

    Ich glaube, daß die Frage der Zuwanderung und Zuflucht in die westlichen

    Länder einen politischen Rang hat wie die Frage der Bewältigung der

    Golf-Krise. Wir von "Pro Asyl" haben bisher immer versucht, die Bevölkerung

    hinsichtlich der Zufluchtszahlen zu beruhigen. Das war bis vor zwei, drei

    Jahren auch berechtigt. Aber wir müssen uns auf eine neue Lage einstellen,

    die ich von der politischen, menschlichen und psychologischen Leistung her

    vergleichen möchte mit der Zuflucht der 15 Millionen Menschen, die nach dem

    2. Weltkrieg aus den ehemaligen deutschen Ost-Gebieten in den Westen

    Deutschlands gekommen sind.

    Das bedeutet allerdings eine völlig neue Dimension von Politik und von

    Konfliktlösungsstrategien. Ich befürchte , daß wir auf längere Zeit einer

    ungeheuren Abwehr und Fremdenfeindlichkeit entgegen gehen werden. Die sich

    solidarisierenden Kräfte, Gruppen, Initiativen und Parteien könnten dabei

    selbst in eine Zerreißprobe geraten. Dabei müßten sie eine neue Dimension der

    Solidarisierung einleiten. Wir werden in Zukunft viel stärker auch als

    einzelne gefragt sein, die mit beispielhaften Solidarisierungen bis ins

    eigene Leben hinein Zeichen setzen. Ich selbst gehe allerdings davon aus, daß

    diejenigen, die sich mit zufluchtsuchenden Menschen solidarisieren, in eine

    Dissidentenrolle geraten könnten.

    Interview: Vera Gaserow

     


     

    "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" - so kurz und eindeutig

    stellt es das Grundgesetz der Bundesrepublik fest. Schon lange ist

    der Union der Artikel 16 ein Dorn im Auge. Mit einer Einschränkung

    des Rechts auf Asyl möchte sie die "Asylantenflut" eindämmen. Nun

    erhalten die Christdemokraten Schützenhilfe - von Lafontaine. Im

    Wahlkampf ist dem Kanzlerkandidaten der SPD das Thema der offenbar

    überzähligen Ausländer gerade recht.

    Lafontaine im Wahlkampf

    In Fischkuttern, Motorbooten und maroden Nußschalen setzen sie am frühen

    Morgen über - dort wo die Kluft zwischen Afrika und Europa am kleinsten ist:

    an der Straße von Gibraltar. Tausende klettern aus den Schiffen an Land. Nach

    einem wochenlangen Marsch durch den afrikanischen Kontinent haben sie ihr

    Ziel erreicht: Europa. Doch sie kommen nur wenige Meter weit. Am Fuße der

    Stadt empfängt sie eine Phalanx schwerbewaffneter Soldaten, die den

    Flüchtlingen nur einen Weg offenläßt: zurück ins Meer.

    Szenen aus dem BBC-Film Der Marsch, der vor kurzem über deutsche

    Fernsehschirme in Ost und West flimmerte. Die Flüchtlinge, je nach

    politischer Gemütslage Synonym für Schrecken oder Mitleid, standen plötzlich

    in den Wohnzimmern. Diese Horrorvision, kombiniert mit der Forderung nach

    Einschränkung des Artikels 16 Absatz 2 ("Politisch Verfolgte genießen

    Asylrecht") zählt längst zum Standardrepertoire bundesdeutscher Politiker -

    seit kurzem auch von Oskar Lafontaine, dem Kanzlerkandidaten der SPD, der

    sich nunmehr den Kampf gegen den "Asylmißbrauch" auf die Wahlkampffahne

    geschrieben hat.

    Lafontaine will demontieren, was die vielzitierten VerfasserInnen des

    Grundgesetzes 1949 - in Gedanken an die Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, vor

    allem an diejenigen, die an den Grenzen zum Ausland abgewiesen wurden

    eingeführt haben: Nur in der Bundesrepublik haben Flüchtlinge einen

    Rechtsanspruch darauf, bei der Einreise politisches Asyl zu

    beantragen.

    Das Argument, das Asylrecht werde zunehmend mißbraucht, scheint auf den

    ersten Blick einleuchtend, sind doch in den letzten Jahren die

    Anerkennungsquoten kontinuierlich in den Keller gesunken. Wurde 1985 noch 29

    Prozent aller AsylantragstellerInnen der Status eines politisch Verfolgten

    zuerkannt, waren es in den ersten Monaten diesen Jahres noch 3,3 Prozent.

    Doch nicht die Fluchtgründe waren "banaler" geworden, sondern die

    Rechtsprechung bundesdeutscher Gerichte wurde immer restriktiver.

    Symptomatisch für das Niveau der Asylrichter ist zum Beispiel die

    Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom August 1988.

    Nach Auffassung des Gerichts könne der Betroffene, in diesem Fall ein

    irakischer Wehrdienstverweigerer, durchaus in sein Heimatland zurückgeschickt

    werden - auch wenn dem Mann die Todesstrafe droht. Denn diese sahen die

    Richter in diesem Fall nicht als übermäßig hart an. Damit werde ein Verhalten

    geahndet, das besonders geeignet sei, "einen kriegsführenden Staat in seiner

    staatstragenden Struktur zu erschüttern". An der Zahl der Flüchtlinge in der

    Bundesrepublik ändert die Ablehnung von 95 Prozent der AsylantragstellerInnen

    wenig, denn die meisten dürfen entweder aufgrund der Genfer

    Flüchtlingskonvention oder aufgrund eines Abschiebestopps nicht

    zurückgeschickt werden. Doch in der Öffentlichkeit wird die immer enger

    gefaßte Definition des Asylberechtigten mit der des Flüchtlings bewußt

    verknüpft. Wer kein Asyl bekommt, steht automatisch im Ruch des

    "Scheinasylanten".

    Bis vors Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf

    oder gar vor ein bundesdeutsches Gericht kommen viele Flüchtlinge aus den

    außereuropäischen Ländern gar nicht mehr. Visumzwang und Sanktionen gegen

    Fluggesellschaften, die Flüchtlinge ohne erforderliche Papiere

    transportieren, machen die legale Einreise in die Bundesrepublik

    mittlerweile fast unmöglich. Wer es dennoch bis an die Grenze schafft, dem

    kann der Eintritt verweigert werden, wenn er bereits in einem anderen Staat

    Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Artikel 16,2 ist mit dieser simplen

    Strategie fast vollständig ausgehöhlt worden: je dichter die Grenze, desto

    weniger Asylanträge. Den Rest erledigen die Gerichte.

    Die Antragszahlen sind jedoch nicht gesunken - im Gegenteil: fast 19.000

    Menschen baten allein letzten Monat um politisches Asyl in der

    Bundesrepublik. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres stieg die Zahl

    damit auf 98.000. Darunter sind unter anderem über 6.000

    VertragsarbeiterInnen aus Vietnam, Mosambik und Angola. Aus Angst, frühzeitig

    nach Hause geschickt zu werden, sind sie aus der DDR nach West-Berlin

    geflohen und haben dort Asyl beantragt. Auf diesen Schritt hätten die meisten

    verzichtet, wäre ihnen in der DDR ein Bleiberecht zuerkannt worden. Statt

    dessen tauchen sie nun in den Statistiken des Bundesinnenministeriums auf und

    werden für die steigende Zahl von Asylanträgen verantwortlich gemacht. Dieses

    Schicksal blüht möglicherweise auch den 2.000 albanischen

    Botschaftsflüchtlingen, die nach dem Willen der CDU -regierten Bundesländer

    das Asylverfahren durchlaufen sollen. "Dabei ist völlig klar, daß diese Leute

    in jedem Fall hierbleiben dürfen", kritisiert Katja Krikowski-Martin von der

    Bonner Zentrale von amnesty international. Sämtliche aufenthaltsrechtlichen

    Probleme, so argwöhnt die Asylexpertin, werden "auf die Asylschiene"

    geschoben.

    Exemplarisch läßt sich dies am Beispiel der Polen verfolgen. "Herzlich

    willkommen", hieß es noch Anfang der achtziger Jahre auf Flugblättern in

    Westberliner und westdeutschen Behörden. In Warschau war gerade das

    Kriegsrecht ausgerufen worden, Polen galten als Freiheitskämpfer schlechthin.

    In West-Berlin ersparte man ihnen gar den Gang ins Asylverfahren und gewährte

    ihnen eine Duldung mit Anspruch auf Sozialhilfe. Die Zahl polnischer

    EmigrantInnen wuchs von 3.500 im Jahr 1979 auf fast 9.000 im Jahre 1982. Zwei

    Jahre später war die Gastfreundschaft bereits abgekühlt, die Sozialämter

    stellten die Unterstützung ein mit der Begründung, die Polen hätten ja keinen

    Asylantrag gestellt. Prompt kletterten die Zahlen in der Asylstatistik nach

    oben. Daß heute die allermeisten polnischen Asylantragsteller keine

    Verfolgungsgründe haben, ist auch in Flüchtlingsgruppen unbestritten. Herbert

    Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro

    Asyl", hat als Antwort auf Lafontaines Attacke gegen Artikel 16

    vorgeschlagen, die Zuwanderung polnischer StaatsbürgerInnen in Zukunft durch

    Kontingente zu regeln.

    Daß eine Einschränkung des Artikels 16 Absatz 2 Menschen daran hindert, ihre

    Heimat Richtung Deutschland zu verlassen, glaubt unter den Fachleuten ohnehin

    niemand. "Die Roma aus Rumänien zum Beispiel", sagt Katja Krikowski-Martin

    von amnesty international, "kommen so oder so" - zumindest, solange die

    Diskriminierung in ihrer Heimat anhält. Ihre Situation auch nur ansatzweise

    in der Öffentlichkeit zu vermitteln, ist in Wahlkampfzeiten ein

    hoffnungsloses Unterfangen. Die Bilder der Roma in den Aufnahmelagern bieten

    vielmehr gerade den Gegnern des Asylrechts eine visuelle Untermauerung ihrer

    Argumente. Nicht zufällig fand Lafontaines Kehrtwende in der Asylpolitik vor

    der Kulisse des überfüllten Aufnahmelagers im saarländischen Lebach statt, wo

    die einheimische Bevölkerung gegen das "Zigeunerlager" auf die Barrikaden

    ging. "Pro Asyl" -Sprecher Leuninger befürchtet nun das "große Umfallen der

    SPD" in Sachen Asyl. Unter Mißbrauch des Artikels 16 Absatz 2 versteht er im

    übrigen etwas anderes: "Wenn hier jemand das Asylrecht mißbraucht, dann die

    Bundesrepublik, weil sie es viel zu eingeschränkt gewährt."

    Andrea Böhm

     


     

    Saarbrücken (ap) - Die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" hat den

    Bundestag aufgefordert, das neue Ausländerrecht nicht wie geplant am 27.April

    zu verabschieden. Angesichts der dramatischen Veränderungen in Europa sei die

    Zeit "noch nicht reif" für ein neues Ausländerrecht, betonte Pfarrer Herbert

    Leuninger für "Pro Asyl" . Die Bundesrepublik müßte gemeinsam mit der DDR

    überlegen, welche Ausländergesetze ein "geeintes Deutschland im Kontext

    Europas" bräuchte. Für "Pro Asyl" bringt das neue Ausländerrecht zudem keine

    Erleichterungen bei der Integration von Ausländern. "Absolut nicht

    ausreichend" sei auch der Datenschutz. Wenn sich alle Behörden beim Ausländer

    -Zentralregister bedienen könnten, seien die Menschenrechte ausländischer

    Flüchtlinge gefährdet.

     


     

    Amt in Zirndorf richtet Außenstelle auf dem Frankfurter Flughafen ein

    / Kritik und Sorge bei Hilfsorganisationen Aus Frankfurt

    Heide Platen

    Vier Beamte des Zirndorfer Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer

    Flüchtlinge sollen künftig ihren Arbeitsplatz, zumindest teilweise, auf den

    Frankfurter Rhein-Main -Flughafen verlegen. Die neue Behörde wurde am Montag

    vom Bundesinnenministerium angekündigt. Der Direktor des Amtes, Norbert von

    Nieding, sagte gestern gegenüber der taz, die sogenannten "Entscheider und

    Entscheiderinnen" kämen aus der schon eingerichteten Dependance des

    Bundesamtes im hessischen Auffanglager Schwalbach. Er schilderte den Weg der

    Asylbewerber für die Zukunft als kürzer als bisher, aber dennoch "dem Gesetz

    entsprechend". Sie würden vom Bundesgrenzschutz in Empfang genommen, dann

    schon auf dem Flughafen zur Bundesbehörde gebracht, statt wie bisher vom

    Lager Schwalbach aus in andere Bundesländer weitergeleitet zu werden.

    "Formell", wie im Ausländergesetz vorgeschrieben, sei noch ein Beamter der

    Landesbehörde anwesend, da nur dieser berechtigt sei, Asylanträge anzunehmen.

    Kritiker hatten gestern heftig reagiert, als das Bundesinnenministerium die

    Einrichtung der seit längerem befürchteten Zweigstelle "noch in diesem

    Frühjahr" bekannt gab. Sie nannten die schnelle Abfertigung vor Ort, die laut

    Ministerium vorerst auf Flüchtlinge aus der Türkei konzentriert werden soll,

    ein "Aussieben". Pfarrer Herbert Leuninger von der Arbeitsgemeinschaft Pro

    Asyl sagte dazu, die Menschen hätten keine Möglichkeit, sich an

    Hilfsorganisationen oder Rechtsanwälte zu wenden. Sie seien jetzt schon in

    der auf dem Flughafen errichteten Sammelstelle des Bundesgrenzschutzes ein

    bis zwei Wochen eingepfercht und orientierungslos gehalten "wie in einem

    Gefängnis", statt zügig in die Bundesländer weitergeleitet zu werden. Von

    Nieding erklärte dagegen, daß seine Beamten streng nach dem Gesetz verfahren

    wollten. Würden die Asylbewerber "einen Rechtsanwalt benennen, dann rufen wir

    den an". Der Aufenthalt der Asylbewerber auf dem Flughafen werde sich

    jedenfalls nicht verlängern.

    Inzwischen wird über die Finanzierung der Dienststelle noch gestritten. Sie

    ist ein Dreh- und Angelpunkt anderer Rechtsstreitigkeiten der Flughafen AG

    (FAG), die bisher die Kosten für die Unterbringung von Asylbewerbern auf

    ihrem Gelände getragen hatte. Sie prozessierte gegen Fluggesellschaften, weil

    die Unterbringung der Menschen von denen getragen werden solle, die sie in

    die Bundesrepublik transportiert hätten. Die Grünen im Landtag warfen der

    Landesregierung und dem Bund Stimmungsmache vor. Durch die

    Flughafenaußenstelle solle das Asylrecht "auf kaltem Wege ausgehebelt"

    werden.


     

    Vehemente Kritik an dem Entwurf zum Ausländergesetz / Kirchen,

    Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsorganisationen und DGB lehnen

    Einzelvorschriften und Geist des Gesetzes ab / "Übereinstimmung mit

    dem Programm der Republikaner" / Ablehnung auch von rechts

    Aus Bonn Ferdos Forudastan

    "Nicht ohne wesentliche Änderungen", so erklärte Bayerns Innensminister

    Stoiber Ende letzter Woche, werde die CSU den Entwurf des

    Bundesinnenministeriums für ein neues Ausländergesetz akzeptieren.

    Andernfalls sei die für den 23. November vorgesehene Verabschiedung des

    Mammutwerkes im Bundeskabinett äußerst fraglich. Währenddessen wächst auch

    auf der anderen Seite der Stapel der Ablehnungen: Kirchen und

    Wohlfahrtsverbände, DGB, "Pro Asyl" und "amnesty international", der Hohe

    Flüchtlingskommissar, Ausländerbeauftragte, die Grünen und die Berliner AL -

    sie alle lehnen den Gesetzentwurf kategorisch ab. Auf einer von den grünen

    Bundestagsabgeordneten Erika Trenz und Herman Meneses veranstalteten Anhörung

    kamen letzte Woche diese Kritiker aus verschiedenen Organisationen und

    Verbänden zusammen und ließen kein einziges gutes Haar an den 300seitigen

    Opus aus dem Haus Schäuble.

    Der Gesetzentwurf wirke eher ablehnend als integrierend, hatte die

    Ausländerbeauftragte Liselotte Funcke schon Ende Oktober, geurteilt. Er lasse

    die Ausländer im Unklaren über ihre rechtliche Situation, die sich außerdem

    verschlechtern würde, kritisierte die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD).

    Ihn zu verhindern sei unumgänglich, befand auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO)

    bei der Anhörung.

    Tatsächlich sieht der Entwurf mit seinen engen Aufenthaltsbestimmungen und

    erweiterten Ausweisungsregelungen eine Reihe von Schlechterstellungen für

    AusländerInnen vor: Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis soll es

    etwa erst nach fünf Jahren geben - und dies auch nur dann, wenn die

    Betroffenen unter anderem "ausreichenden Wohnraum" nachweisen können und in

    einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen. "Erhebliche Rechtsunsicherheit"

    schafft nach Ansicht der EKD auch die Bestimmung, wonach eine unbefristete

    Aufenthaltserlaubnis wieder entzogen werden kann, wenn der/die AusländerIn

    arbeitslos wird und auf Sozialhilfe angewiesen ist.

    "Enorme Probleme, überhaupt eine Aufenthaltsberechtigung zu

    erlangen", sieht die Verteterin der Ausländerbeauftragten: Diese stärkste

    Verfestigung des Aufenthaltsrechts soll künftig erst nach acht statt wie

    bisher nach fünf Jahren erteilt werden und unter den gleichen absurden

    Bedingungen wie die Aufenthaltserlaubnis. An ähnliche, von den meisten

    Betroffenen kaum erfüllbare Voraussetzungen gebunden sollen auch der Anspruch

    auf Nachzug der Familie und ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehegatten

    sein. Fast jede dieser Einzelregelungen stößt auf vehementen Protest: Daß

    Kinder nur noch bis zum 16. Lebensjahr nachziehen dürfen, widerspricht nach

    Ansicht von Liselotte Funcke der Verantwortung der Eltern für ihre

    minderjährigen Kinder. Als "inakzeptabel, weil absolut nicht zu

    verwirklichen", bezeichnete auf der Anhörung in Bonn ein Vertreter des DGB

    die Voraussetzungen einer Wiederkehroption für ausländische

    Jugendliche, die sich nach einer Rückkehr in ihre ursprüngliche Heimat nicht

    mehr zurechtfinden und wieder in die Bundesrepublik zurückziehen möchten:

    Nach den Regierungsplänen dürfen diese Jugendlichen der zweiten und dritten

    Generation nur dann zurückkommen, wenn sie ihren gesamten Lebensunterhalt

    selbst bestreiten können und mindestens sechs Jahre hier zur Schule gegangen

    sind.

    "Eine Farce" nennen Experten die geplanten Einbürgerungsregelungen.

    Abgesehen von, marginalen Verbesserungen, hält man daran fest, daß

    eingebürgert nur der wird, der vorher seine alte Staatsangehörigkeit aufgibt.

    Auf massive Kritik der Fachleute stoßen auch die geplanten, sehr viel

    schärferen Ausweisungsbestimmungen. Wer wegen

    Geschwindigkeitsübertretungen mehrfach mit einem Bußgeld belegt wird, wer

    drogensüchtig ist oder aidskrank, wer Sozialhilfe braucht oder ganz allgemein

    die "öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen

    ... gefährdet" darf ausgewiesen werden, auch wenn er schon seit vielen Jahren

    hier lebt.

    "Der Abschreckungsgedanke des Asylrechts wird übertragen auf alle Ausländer."

    So kommentiert der Frankfurter Ausländeranwalt Victor Pfaff die geplanten

    Regelungen für neueinreisende AusländerInnen. Tatsächlich sollen die

    deutschen Auslandsvertretungen künftig nicht mehr verpflichtet sein zu

    begründen, weshalb sie ein Visums ablehnen. "Der eiserne Vorhang zur Zweiten

    Welt ist inzwischen hochgezogen, gleichzeitig rasselt der eiserne Vorhang zur

    Dritten Welt herunter", meint Herbert Leuninger, Pfarrer und Sprecher der

    Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" zu diesem Abschottungsinstrumentarium.

    "Eine Konstruktion, die mit dem Programm der Republikaner übereinstimmt",

    nannte ein Vertreter der AWO in seiner Stellungnahme die vom

    Ausländergesetzentwurf geplante Rotation ausländischer

    Arbeitskräfte. Um einem etwaigen zukünftigen Arbeitskräftemangel abzuhelfen,

    soll der Innenminister demnächst per Rechtsverordnung festlegen können,

    welche Personen einreisen und länger als drei Monate bleiben dürfen -

    freilich ohne daß sie einen Anspruch darauf erhalten, hier zu bleiben. Vor

    allem die Gewerkschaften laufen Sturm gegen "diese familienfeindliche

    Regelung, mit der eine industrielle Reservearmee aufgebaut werden soll", so

    Siggi Müller von der IG Metall.

    Auch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen rief der

    Schäuble-Entwurf auf den Plan. Er kritisierte in harschen Worten, daß die

    Bundesrepublik ihren Flüchtlingen auch weiterhin nicht nach den Kriterien der

    Genfer Flüchtlingskonvention Asyl gewähren will und daß den sogenannten

    De-facto-Flüchtlinge erst nach vielen Jahren ein Daueraufenthaltsrecht gewährt

    werde - Jahre, in denen sie ständig die Abschiebung in ihre Heimat befürchten

    müssen.

    "Populistisch und pessimistisch" nannten die katholischen Bischöfe den

    Schäuble-Entwurf und fragen öffentlich, "ob man all dem mit der Änderung von

    Details überhaupt begegnen kann". So unterschiedlich die Formulierungen auch

    sein mögen: Abgelehnt wird das geplante Gesetz bisher von allen.

    Entsprechende Hirtenbriefe zu verfassen, ihn zum Inhalt rot -grüner Gespräche

    zu machen, noch weitaus umfassender dagegen zu agitieren - all das gehört zu

    den Vorschlägen, die derzeit diskutiert werden, um den Entwurf noch zu Fall

    zu bringen. Aber vielleicht besorgt das - aus ganz anderen Motiven - ja noch

    die CSU.

     


     

    Zum "Tag des Flüchtlings" forderten Gruppen Gleichbehandlung von

    Asylsuchenden und DDRlern

    Berlin (taz) - Anläßlich des "Tags des Flüchtlings" am vergangenen Samstag

    haben verschiedene Organisationen die ungleiche Behandlung von Flüchtlingen

    aus der DDR und Asylsuchenden aus anderen Staaten kritisiert. "Die großzügige

    Aufnahme der Flüchtlinge aus der DDR setzt Maßstäbe für eine humanere

    Asylpolitik", erklärte die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" , die neben dem

    UN -Flüchtlingskommissar, Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden zu

    den Initiatoren des vor drei Jahren ins Leben gerufenen "Tags des

    Flüchtlings" gehört. Die Aufnahme der Flüchtlinge aus der DDR zeige deutlich,

    daß das Boot Bundesrepublik nicht voll ist, wie in Hinblick auf Asylsuchende

    behauptet wird, heißt es in einer Erklärung von Pro Asyl . "Keinem Politiker",

    so Pro-Asyl -Sprecher Leuninger, "würde es einfallen, DDR-Flüchtlinge davon

    abzuschrecken, in die Bundesrepublik zu kommen, ihnen auf Jahre das Arbeiten

    zu verbieten, ihre freie Bewegung in der Bundesrepublik einzuschränken, sie

    als Wirtschaftsflüchtlinge zu brandmarken oder über die innerdeutsche Grenze

    zurückzuschicken, weil sie kein von Honecker unterschriebenes

    Verfolgungsdokument vorweisen können. Man kann nicht den Flüchtlingen aus der

    DDR die Grenzen öffnen und sie vor den anderen aus den Kriegs- und

    Krisengebieten der Welt verschließen."

    Auch IG-Metall-Vorstandsmitglied Willi Sturm warnte davor, Asylsuchende zu

    Flüchtlingen zweiter Klasse zu machen. Die Bevorzugung von Flüchtlingen aus

    ehemals deutschen Ostgebieten und aus der DDR drohe Asylsuchende aus anderen

    Teilen der Welt weiter ins Abseits zu drängen.

    Ve.

     


     

    Verwaltungsgerichtshof entscheidet: keine Flüchtlinge in "reine "

    Wohngebiete / Weil die Unterbringung von Flüchtlingen nicht als

    Wohnen bezeichnet werden kann, dürfen sie in Wohngebieten auch nicht

    wohnen / Gericht plädiert für "Nachbarschutz" Von Wolfgang

    Gast

    Berlin (taz) - Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge in "reinen

    Wohngebieten" können juristisch untersagt werden. Der Verwaltungsgerichtshof

    Baden-Württemberg (VGH) hat der Beschwerde von Anwohnern stattgegeben und

    einer Stuttgarter Baufirma untersagt, in einem geplanten Neubau sechs von

    zwölf Mietwohnungen als Sammelunterkunft für AsylbewerberInnen auszubauen. In

    erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart das Bauvorhaben am 16.

    Januar aber gebilligt.

    Bei den sechs Mietwohnungen, in den bis zu 49 Flüchtlinge eingepfercht werden

    sollten, "dürfte es sich um eine Anlage für soziale Zwecke handeln, die zwar

    in einem allgemeinen nicht aber in einem reinen - Wohngebiet allgemein

    zulässig ist", erklärte der Achte Senat des VGH in seiner jetzt

    veröffentlichten achtseitigen Begründung zu einem Urteil vom 19. Mai.

    So formal das Urteil abgefaßt ist, so zynisch beschreibt es die

    Lebensumstände von Asylsuchenden. Völlig korrekt errechneten die Richter über

    die geplante Gemeinschaftsunterkunft, daß auf jeden der Asylbewerber nach den

    Bauplänen insgesamt nur eine Fläche von knapp acht Quadratmetern entfalle.

    "Angesichts der beschriebenen räumliche Enge wird ein 'Wohnen` ... schon

    objektiv nicht möglich sein." Bei der im Neubau vorgesehen Nutzung müsse

    daher eher von einer "Unterbringung" als von einem "Wohnen" die Rede sein.

    Und weil im genannten Sinn kein Wohnen möglich ist, dürfen in "reinen

    Wohngebieten" keine Asylbewerber wohnen, folgert das Gericht.

    In der Urteilsbegründung heißt es unter Verweis auf das Asylverfahrensgesetz

    weiter, "die Verhältnisse sind dabei so, daß ein Asylbewerber neben seinem

    Bett noch einen Stuhl oder ein Schrankteil beanspruchen kann". Daraus folgert

    der VGH, daß es sich bei einer Sammelunterkunft auch "nicht um Anlagen, die

    zum dauernden Wohnen geeignet und bestimmt sind" handeln könne. Wohnen setze

    nach der Bauordnung für den einzelnen oder eine Familie "eine auf Dauer

    gerichtete Haushaltsführung" voraus. Und weil Flüchtlinge prinzipiell von den

    Behörden in die Sammellager und Gemeinschaftsbehausungen eingewiesen werden,

    fehle es darüber hinaus auch "an der für die Begründung eines

    Wohnverhältnisses kennzeichnenden Freiwilligkeit".

    Die drei Richter haben unter dem Aktenzeichen "8 S 555/89" auch nicht

    versäumt darauf hinzuweisen, daß "die Vorschriften über die zulässige Nutzung

    im reinen Wohngebiet nachbarschützenden Charakter haben".

    Gemeinschaftsunterkünfte mit einer hohen Belegungsdichte wiesen dagegen

    "tatsächliche und rechtliche Eigentümlichkeiten auf, die im Rahmen des

    Planungsrechts nicht vernachlässigt werden dürfen". Die "Zusammensetzung aus

    verschiedenen Nationalitäten, Religionen und Kulturkreisen birgt

    Konfliktpotential in sich, das durch die extreme räumliche Enge und die

    teilweise zwangsauferlegten Lebensumstände noch erhöht wird, und sich

    durchaus in Auseinandersetzungen entladen kann, die nach außen sichtbar und

    hörbar werden".

    Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" kommentierte

    entsetzt den Spruch des Verwaltungsgerichtshofes: "Ein Urteil, das sich

    selbst und die Asylpolitik richtet." Der Mannheimer Urteilspruch mache die

    weithin praktizierte Unterbringung von Asylbewerber fernab von Wohngebieten

    hoffähig und leiste damit allen rechtsextremen und fremdenfeindlichen

    Einstellungen in der Bevölkerung Vorschub. Es mache "sich die prinzipielle

    Diskriminierung und Deklassierung von Menschen zu eigen", erklärte ihr

    Sprecher Herbert Leuninger. Angesichts der unwürdigen Lebensbedingungen von

    Flüchtlingen, wie sie auch im Urteil beschrieben würden, hätte es

    nahegelegen, "diese Praxis als unmenschlich anzuprangern, statt sie als

    rechtens vorauszusetzen".

    Die CDU-Sozialausschüsse (CDA) kündigten für den Fall, daß sich das

    Mannheimer Urteil zwingend aus dem Baugesetz ableiten lasse, an, umgehend

    eine Gesetzesnovelle anstreben zu wollen. Die Konsequenz einer durchgängigen

    Rechtsprechung, wie sie der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof vorgezeichnet

    hat, wäre "eine Gettoisierung von Minderheiten in unserer Gesellschaft. Ein

    Stück Apartheid, die Menschen in zwei Klassen einteilt: Leistungsfähige und

    Hilfsbedürftige." Der CDA -Hauptgeschäftsführer Heinz-Adolf Hörsken nannte

    das Mannheimer Urteil kurz und bündig eine "Schande für den Rechtsstaat".

    Der selbe Senat hatte schon Anfang Juli ein Urteil gefällt, das für negative

    Schlagzeilen und massive Kritik sorgte. Mit einer ähnlichen Argumentation

    hatten die Richter entschieden, daß Altenpflegeheime in reinen Wohngebieten

    störend wirken könnten.

    In einer Pressemitteilung der Arbeiterwohlfahrt hieß es, die öffentliche

    Empörung sei "kaum darüber verraucht, daß ältere pflegebedürftige Menschen

    nichts in Wohngebieten zu suchen haben, da trifft eine ähnliche

    Gerichtsentscheidung Flüchtlinge und politisch Verfolgte". Die Bundesrepublik

    sei in ihrem 40. Jahr "auf dem Wege zu einem reinen Wohngebiet". Es mache

    deshalb wenig Sinn, Kläger oder Richter zu schelten. Auf die Anklagebank

    gehörten diejenigen, die sich an der Not anderer eine goldene Nase verdienen

    wollten.

     


     

    Der CDU-Wahlverlierer will von seinem Wahlkampf nichts mehr wissen /

    SPD: Mit der Gleichsetzung von NPD und Grünen werde die

    Schlammschlacht fortgesetzt / Neue Demonstration gegen Neofaschisten

    Frankfurt (taz) - Der noch amtierende Frankfurter Oberbürgermeister Wolfram

    Brück (CDU) hat dem Wahlsieger Volker Hauff (SPD) gestern die Bildung einer

    großen Koalition im Römer vorgeschlagen. Damit, so Brück, könnten die

    "radikalen Kräfte" aus dem Magistrat herausgehalten werden.

    Was vor den Kommunalwahlen alles gesagt und geschrieben worden sei, dürfe

    jetzt - "angesichts der Wahlerfolge von NPD und Grünen" (Brück) - nicht mehr

    zählen. Im Falle eines Eingehens der SPD auf seinen Vorschlag werde er sofort

    sein Amt an Hauff abtreten. Das "Angebot große Koalition" gelte allerdings

    nur dann, wenn Hauff darauf verzichte, Grüne in den Magistrat aufzunehmen.

    Hauff selbst kündigte für heute erste Gespräche sowohl mit den Grünen als

    auch mit den Christdemokraten an. Der Sozialdemokrat hält weiter an seiner

    vor der Wahl geäußerten Absicht fest, CDU-Dezernenten im neuen Magistrat zu

    belassen.

    SPD-Sprecher Wenz warf Brück unterdessen vor, mit der Gleichsetzung der

    Grünen mit der NPD, die "Wahlkampf-Schlammschacht" der CDU fortzusetzen. Wenz

    forderte die CDU zu einer differenzierten Betrachtung auf.

    Nach der spontanen Demonstration am Wahlabend in Frankfurt protestierten am

    Montag Nachmittag noch einmal 8.000 Menschen gegen den Einzug der NPD in den

    Römer. Auch der CDU -Stadtverordnete Michael Friedmann war im Nieselregen auf

    dem Weg zum Rathaus dabei.

    Als erster Redner warnte der frühere Probst von Frankfurt, Dieter Trautwein,

    vor dem Versuch, mit Ausländerzahlen zu schrecken, als handle es sich bei

    Ausländern um einen "Bazillus", einen "gefährlichen Krankheitserreger". In

    seiner Kritik an der "zynischen und menschenverachtenden" Wahlkampagne der

    CDU war er sich mit allen Rednern einig.

    Als "Knebelung der Demokratie mit dem Geldsack" bezeichnete Trautwein die

    Einschüchterungsversuche der Wirtschaft gegenüber der rot-grünen Koalition in

    Berlin.

    Großen Beifall erntete der DGB-Landesvorsitzende Karl-Heinz Jungmann, der die

    sofortige Wiedereinstellung der beiden hungerstreikenden Gewerkschafter der

    Frankfurter Meßgerätefirma VDO forderte. Er nannte als Gründe für den

    Aufschwung der Naziparteien "Sozialabbau" und "Verschlechterung der

    Lebensbedingungen und der Zukunftsperspektiven" und trat für ein sofortiges

    Verbot von NPD, DVU und FAP ein.

    "Diese Kundgebung kommt sechs Wochen zu spät", sagte zum Abschluß Pfarrer

    Herbert Leuninger von "Pro Asyl" . Er warf der Katholischen Kirche und Teilen

    der Intellektuellen vor, sich nicht rechtzeitig mit "allerschärfstem Protest"

    gegen die "gespenstische Sündenbocksuche" der CDU gewandt zu haben.

    kpk/Miriam Carbe

     


     

    Bundesweite Demo gegen NPD und Ausländerhetze wanderte im

    Polizeikessel durch Frankfurt / Sechs Festnahmen / Gezielte

    Polizeiprovokationen wurden ignoriert / Verbot der rechtsextremen FAP

    gefordert Aus Frankfurt Blum und Platen

    Eine bundesweite Demonstration gegen ein geplantes und dann kurzfristig

    abgesagtes NPD-Treffen in Frankfurt bewegte sich am Samstag als mobiler

    Kessel durch die Stadt. Zu dem Protestmarsch ab Friedberger Platz hatten

    unter anderem Antifaschistische und Autonome Gruppen aufgerufen. Insgesamt

    1.000 Polizisten verwandelten die Demo in einen mobilen Gefangenentransport.

    Über eine halbe Stunde benötigten die 2.000 TeilnehmerInnen für den ersten

    Demo-Kilometer, immer wieder mußte der Marsch angehalten werden.

    Verhandlungen über einen Abzug der aus mehreren Bundesländern herbeigekarrten

    Polizisten blieben erfolglos - lediglich ein Wasserwerfer an der Spitze des

    Zuges verschwand.

    Bereits im Vorfeld kam es zu sechs Festnahmen: Die Menschen sollen nach

    Polizeiangaben Schlagstöcke und Tränengas mitgeführt haben. Am Sonntag morgen

    waren sie wieder auf freiem Fuß. Auf der Konstabler Wache hielten die

    DemonstrantInnen eine Zwischenkundgebung ab. In den Redebeiträgen wurde gegen

    Ausländerhetze, Faschismus und Rassismus protestiert. "Ausländer bleiben -

    Nazis vertreiben" war eine der Parolen, mit der sich der Marsch nach über

    einer Stunde wieder in Bewegung setzte. Das Ziel, die Polizei zum Abzug zu

    zwingen, wurde nicht erreicht. Dafür schlossen sich dem Zug nunmehr die

    TeilnehmerInnen einer weiteren Protestveranstaltung an: Jüdische Gemeinde,

    Gewerkschaften, evangelische und katholische Kirche und Jugendverbände hatten

    auf der Hauptwache zu einer eigenen Kundgebung aufgerufen. Als Sprecher

    dieses "Römerbergbündnisses" forderte der hessische DGB-Vorsitzende Jungmann

    ein Verbot der rechtsextremen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP),

    die entgegen ihrer Ankündigung nicht in Erscheinung trat. Pfarrer Herbert

    Leuninger wandte sich für "Pro Asyl" gegen die NPD -Forderung, Frankfurt

    solle eine "deutsche Stadt" werden. Im weiteren Demoverlauf versuchten

    Polizeibeamte vor dem Merianplatz einzelne Vermummte aus dem in geschlossenen

    Ketten marschierenden Autonomen Block von annähernd 1.000 Menschen

    herauszugreifen, was durch das entschiedene Auftreten der DemonstrantInnen

    unmöglich gemacht wurde.

     


     

    Im hessischen Mühlheim trafen sich 8.000 Exil-Eritreer / Gemeinsamer

    Erfahrungsaustausch und Folklore-Programm / Kritik an

    bundesrepublikanischer Abschiebepraxis / Nur wenige Mühlheimer kamen

    Aus Mühlheim Michael Blum

    Aus dem Ghettoblaster tönt laute amerikanische Disco-Musik, die umstehenden

    Kids im modischen Sommerdress sind vergnügt. Wenige Schritte weiter bietet

    eine in weißes Tuch gehüllte ältere Eritreerin selbstgeschnitzte afrikanische

    Skulpturen feil.

    Das Areal um das Bürgerhaus der 25.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt

    Mühlheim war am Wochenende Treffunkt für eritreische Flüchlinge. Aus ganz

    Westeuropa sind rund 8.000 Exil-EritreerInnen in die zwischen Frankfurt und

    Hanau gelegene hessische Stadt gekommen. Die bundesdeutsche Sektion der

    "Eritreanischen Demokratischen Jugendunion" hatte zum dritten

    "Eritreer-Treffen" in eine Gemeinde des Landkreises Offenbach geladen.

    "Durch die Militärherrschaft Äthiopiens sowie durch die Naturkatastrophen

    wurden viele Eritreer gezwungen, ihr Land zu verlassen. Rund eine Million der

    vier Millionen EinwohnerInnen Eritreas leben im Ausland, 10.000 davon alleine

    in der Bundesrepublik", berichtet der Sprecher des Auswärtigen Amtes der

    eritreischen Befreiungsfront ELF, Gherzghiher Tewelde auf einer der

    zahlreichen Veranstaltungen.

    Auf Vorträgen und Diskussionen zur aktuellen Lage in Eritrea und vor allem

    auf dem großen Fest mit Musik und kulinarischen Spezialitäten herrscht

    Wiedersehensfreude: "Viele Familien und deren Mitglieder haben sich seit

    ihrer Flucht aus Eritrea nicht mehr gesehen - zum Teil seit mehr als 20

    Jahren", sagt Sahle Tesfei. Der Vorsitzende der "Eritreanischen

    Demokratischen Jugendunion" in der Bundesrepublik ist mit dem Treffen

    zufrieden: "Es sind viel mehr Menschen gekommen, als je zuvor." Mit

    regelmäßigen Treffen dieser Art will er die "Isolierung politischer

    Flüchtlinge" überwinden und die "Identitätsfindung der Eritreer erleichtern."

    Einfach wird das nicht sein: Die Jugendlichen sind "europäisiert", nur wenige

    beachten die Ausstellung über die Geschichte ihres Landes und Volkes im Foyer

    des mit der bundesdeutschen und der eritreischen Fahne beflaggten

    Bürgerhauses. Auf den Wiesen um das Gebäude hören sie westliche Musik. Die

    verbindet sie trotz der Sprachbarrieren - je nach Aufenthaltsland sprechen

    sie Niederländisch, Französisch, Englisch oder Deutsch. Währenddessen

    versorgen sich die Älteren mit Lesematerial und diskutieren in Gruppen.

    "Die Asylpraxis in der Bundesrepublik wird für mein Volk immer schlechter:

    1984 lag die Anerkennungsquote für Eritreer als politische Flüchlinge noch

    bei 87 Prozent, 1987 nur noch bei viereinhalb Promille", erklärt Tesfei. Das

    ist nur möglich, weil die Menschen in der Bundesrepublik zu wenig über uns

    und den Krieg in Eritrea wissen."

    Die Abschiebung aus der Bundesrepublik wird nach Tesfels Informationen

    hauptsächlich damit begründet, daß die eritreischen Flüchtlinge in den

    befreiten Teilen ihres Landes bleiben könnten. Dort aber herrscht Krieg.

    Entscheiden sich die EritreerInnen zur Flucht, müssen sie auf dem Landweg in

    den Sudan einreisen: 350.000 von ihnen leben dort bereits, meist illegal, wie

    Tewelde berichtet. Der Sudan aber könne kaum seine eigene Bevölkerung

    ernähren. So blieb den EritreerInnen nichts anderes übrig, als dorthin zu

    gehen, wo sie überleben können.

    Die Fraktionen der im Mühlheimer Parlament vertretenen Parteien (SPD, CDU und

    Grüne) hatten einstimmig zur Unterstützung der Veranstaltung votiert. Bei den

    Mühlheimern aber findet das Treffen der EritreerInnen nur wenig Resonanz: Die

    Einheimischen verlieren sich auf ihrem Rundgang durch die Essenszelte, in

    denen eritreische Speisen erhältlich sind, um dann doch vor der Gulaschkanone

    des Deutschen Roten Kreuzes in der Schlange Gleichgesinnter zu stehen. Das

    Geschäft ihres Lebens wittern Anlieger: ein Gebrauchtwarenhändler in direkter

    Nachbarschaft zum Veranstaltungsort hat eigens einen Biertresen aufgebaut,

    eine Tankstelle meldet bereits am Samstag nachmittag den Ausverkauf von

    Getränkedosen. Er herrscht jedoch jeden an, der die Tür zur Gastwirtschaft

    auch nur versehentlich öffnet - "geschlossene Gesellschaft."

    "Wir sind keine geschlossene Gesellschaft", sagt Tesfel. "Jeder, der sich für

    unsere Lage interessiert, ist uns willkommen." Drinnen im Saal informieren

    eine Rechtsanwältin, Pfarrer und VertreterInnen anderer Organisationen über

    die Rechte von Asylanten. Der Sprecher von "Pro Asyl" , der Hofheimer Pfarrer

    Leuninger, fordert von der Bundesregierung, "Flüchtlingen die gleichen

    Chancen einzuräumen wie Aussiedlern." Die BRD dürfe ihre Grenzen nicht für

    Menschen aus Kriegs- und Notstandsgebieten verschließen, sagt er umjubelt;

    und überläßt für den Rest der Nacht die Bühne der Kultur.

     


     

    Frankfurt (dpa) - Ein "schwarzes Jahr" für Flüchtlinge hat die bundesweite

    Flüchtlings-Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" für 1988 vorausgesagt. Aussagen

    von Bundesinnenminister Zimmermann (CSU) über die angeblichen Hintergründe

    der Asylsuche ließen eine zusätzliche Verschärfung der ohnehin schon

    restriktiven Anerkennungspraxis erwarten, heißt es in einer am Montag in

    Frankfurt veröffentlichten Mitteilung. Die Darstellung des Innenministers,

    wonach 90 Prozent der Asylanten aus wirtschaftlichen Gründen in die

    Bundesrepublik kommen, sei eindeutig falsch, betonte der Vorsitzende von "Pro

    Asyl", Leuninger.

     


     

     

    Frankfurt (taz) - Rund 20 Gruppen rufen für den kommenden Samstag in der

    Frankfurter Innenstadt zur Demonstration "Für uneingeschränktes Asylrecht"

    auf. Ab zehn Uhr werden Informationsstände vor der Katharinenkirche

    errichtet, vor der dann um elf Uhr die Demonstration beginnt. Dort und auch

    bei der Abschlußkundgebung werden unter anderem der katholische Geistliche

    Leuninger , der Landesvorsitzende der Jusos, Grumbach, und die Grüne

    Stadtverordnete Sellach reden. Außerdem werden zwei Flüchtlinge berichten,

    deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. Die Demonstration endet am Opernplatz.

     


     

    Von U. Sieber und M. Miersch

    Heute ist "Tag des Flüchtlings" / "Lobby für Flüchtlinge" gefordert /

    Appell an Bundeskanzler / Kirchen und Pro Asyl weisen auf verfälschte

    offizielle Statistiken hin

    Bonn/Frankfurt (taz) - Mit über 200 Veranstaltungen wird heute erstmals ein

    "Tag des Flüchtlings" im Rahmen der seit Jahren stattfindenden "Woche der

    ausländischen Mitbürger" begangen. Die Gefangenenhilfsorganisation amnesty

    international sprach gestern in Bonn von der Möglichkeit, "so etwas wie eine

    Lobby für Flüchtlinge" zu schaffen. Gleichzeitig forderte die

    Generalsekretärin von amnesty, Brigitte Erler, die politisch Verantwortlichen

    auf zu erklären, wie politische Flüchtlinge künftig noch die BRD erreichen

    könnten. Ein Brief mit einer entsprechenden Aufforderung sei, so Brigitte

    Erler, am Mittwoch auch Bundeskanzler Kohl zugegangen. Die DDR hatte erst vor

    kurzem zugesagt, nur noch solchen Flüchtlingen den Transit zu gestatten, die

    über ein Anschlußvisum für ein westeuropäisches Land verfügen. Politisch

    Verfolgte seien aber nicht in der Lage, angesichts drohender Inhaftierung

    oder Folter "die langen Wartezeiten einer Visumserteilung durch die deutschen

    Auslandsvertretungen in Kauf zu nehmen". Zudem habe das Auswärtige Amt

    Auslandsvertretungen angewiesen, nur bei "drohender physischer

    Existenzvernichtung" eine Einreiseerlaubnis auszustellen. Auf

    Pressekonferenzen in Frankfurt und Berlin kritisierten Vertreter der Kirchen

    und der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Pro-Asyl die Flüchtlings-Statistik der Bundesregierung. Pfarrer Herbert Leuninger und Rechtsanwalt Victor Pfaff

    haben nachgerechnet und festgestellt, daß die offiziellen Zahlen über

    Asylbewerber ein falsches Bild ergeben. Offiziell werden lediglich 16 Prozent

    der Bewerber als politisch verfolgt anerkannt. Das soll, so die beiden

    Asyl-Experten, implizieren, daß 84 Prozent nicht verfolgt, also

    "Wirtschaftsasylanten" sind. Allerdings werden dabei auch diejenigen

    mitgezählt, die in ein anderes Land weiterwandern, in ihre Heimat

    zurückkehren oder einfach ihren Antrag zurückziehen. Die Ehefrauen und Kinder

    anerkannter Verfolgter werden ebenfalls unter "abgelehnt" geführt. Ist die

    Statistik um diese verfälschenden Faktoren bereinigt, ergebe sich eine

    Anerkennungsquote von 55 Prozent.

     


    Schwalbach (dpa) - Der Ausländerpfarrer des Bistums Limburg, Herbert

    Leuninger , hat am Donnerstagnachmittag sein Hungerfasten im Lager Schwalbach

    am fünften Tag abgebrochen, nachdem allen in Zelten untergebrachten

    Flüchtlingen noch am gleichen Tag feste Unterkünfte zugesichert wurden.

    Leuninger zeigte sich beeindruckt von der Solidarität, die sich im

    Zusammenhang mit dieser Aktion gezeigt hatte.

     


     

    Frankfurt/Schwalbach (dpa) - Mit einer unbefristeten Fastenaktion aus Protest

    gegen die Zustände in der hessischen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge

    in Schwalbach bei Frankfurt hat der Ausländerpfarrer des Bistums Limburg,

    Herbert Leuninger , am Sonntag begonnen. In einem offenen Brief an den

    hessischen Sozialminister Armin Clauss (SPD) kündigte Leuninger an, er wolle

    solange in der Ausländerunterkunft bleiben, bis die Zelte für die dort

    lebenden Flüchtlinge abgebaut seien.