Herbert Leuninger ARCHIV ASYL
2012

8. September 2012
Frankfurt/Main, "Haus am Dom"
Rede zur Verabschiedung
von Dr. Jürgen Micksch als Vorsitzender
des Fördervereins PRO ASYL

STRG+
FILM
(Film und Fotos: Jugendnetz Wetzlar)

Womit lässt sich PRO ASYL vergleichen? Nun, PRO ASYL ist wie eine köstliche Praline aus dem reichhaltigen und erlesenen Sortiment der Confiserie Micksch aus München, ehemals königlicher Hoflieferant. Ist nun PRO ASYL so etwas wie eine „Pistazie-Nougat-Praline“ oder ein „Arak-Marzipan-Krokant“? Ich glaube eher so etwas wie eine „Chilli-Butter-Trüffel“!


Herbert Leuninger

Und wer ist Jürgen Micksch?

Er ist – auf dem Fundament väterlicher Vererbung – der grandiose Hersteller von bislang nicht gekannten gesellschaftspolitischen Mixturen. Und der Höhepunkt seiner vielgestaltigen Lebensleistung? Er ist der, der mit dem Dalai Lama tanzte! Ein Bild, das leider im Internet nicht zu finden, aber auf meiner Bio-Festplatte im Kopf gesichert ist. Arm in Arm mit dem Dalai Lama und dem Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker legt Micksch auf dem Evangelischen Kirchentag 1993 in München auf der Bühne ein Tänzchen hin, so eine Art Männerballett.


(1.Reihe v.l.)Gergishu Yohannes, Menschenrechtspreisträgerin 2012 der STIFTUNG PRO ASYL; Andreas Lipsch, Nachfolger von Micksch; Dr. Jürgen Micksch; Dr. Michael Lindenbauer, Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in Deutschland und Österreich

Es ist der Höhepunkt seiner bisherigen Biografie, Höhepunkt vor allem seiner medial geprägten Kindheit und Jugend! Denn seine eigentliche Berufung schien doch diejenige eines Schauspielers zu sein.

Zu seinem 60. Geburtstag gab es eine Animation über ihn mit Standfotos aus dem Märchenfilm „Hänsel und Gretel“. Der satirische Text stammte von unserem Hauspoeten Bernd Mesovic. Ich war für die Präsentation verantwortlich. Sie ist noch im Internet zu sehen; allerdings läuft sie nicht unter Firefox. Dass der Hänsel-Darsteller nicht in Hollywood landete, sondern Theologe wurde, glaubt der Text mit dem Bild der beiden Kinder belegen zu können, die sich im Wald verirrt hatten und mit gefalteten Händen um den rechten Heimweg beteten.

Was wir damals noch nicht wussten und ich erst auf Wikipedia entdeckte, war, dass Jürgen Micksch seinerzeit als bayerischer Bua mit wohl gutem Hochdeutsch ein veritabler Medienstar war und in Filmen, auf der Bühne und im Rundfunk aufgetreten ist.

Von den immerhin sieben Filmen, in denen er mitspielte, erwähne ich nur den Film „Angst“ von 1954 nach der gleichnamigen Novelle von Stefan Zweig unter der Regie von Roberto Rossellini. Die Hauptrolle hatte Ingrid Bergman übernommen, Jürgen Micksch war ihr Sohn! Auf der Bühne brillierte er ebenfalls 1954 in „Warten auf Godot“. Dabei führte keine Geringerer als Fritz Kortner Regie. Mit von der Partie war Heinz Rühmann! Von den Hörspielen, an denen er beteiligt war, nenne ich wenigstens das über „Wilhelm Tell“. Dabei hatte er Tells Sohn Walter zu spielen.

Nun könnte man sagen, Jürgen Micksch habe es immer verstanden, sich auf sympathische Weise in Szene zu setzen. Der Tagesspiegel von Berlin bezeichnet ihn in einem Artikel über PRO ASYL im Jahr 2008 als charmanten Dynamiker mit silbernem Haarschopf und Bart, dem seine – seinerzeit – 67 Jahre kaum anzumerken seien. In wissenschaftlicher Einschätzung der Schauspielkunst wird darauf verwiesen, dass Schauspieler aufgrund ihrer emotionalen Flexibilität gleichsam „nicht zu Ende sozialisierte“ Individuen seien, die eine „dynamische Persönlichkeitsstruktur“ beibehielten. Auf jeden Fall hat ihn die „emotionale Flexibilität“ nicht nur dazu befähigt, mit Persönlichkeiten unterschiedlichster Couleur in Verbindung zu treten, sondern sie sogar an einen Tisch zu bringen und auf gemeinsames Tun hin zu motivieren. Das kam auch PRO ASYL mit seinen hochkompetenten, aber auch eigenständigen Persönlichkeiten sehr zugute.

Ich habe Jürgen Micksch bereits vor Jahrzehnten als Ausländerreferenten und Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche Deutschlands in Frankfurt kennen gelernt, genauer als Initiator und Vorsitzenden des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses zum Tag des ausländischen Mitbürgers, später umbenannt zur Woche der ausländischen Mitbürger und schließlich zur Interkulturellen Woche. Hier brachte er Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Menschenrechtsorganisationen und nicht zuletzt die Gewerkschaften zu einer höchst effektiven Zusammenarbeit in Sachen Integration zusammen. 1980 verfasste er die zehn Thesen (man denke an die 10 Gebote!) zur Bundesrepublik als multikultureller Gesellschaft. Da er damit in seiner Kirche gehörige Schwierigkeiten bekam, überließ er es mir, sie im Dominikanerkloster Frankfurt – intern „Domklo“ genannt – der Öffentlichkeit vorzustellen. Schließlich ist Geschmeidigkeit, ohne die eigentlichen Ziele aufzugeben, eine seiner charakteristischen Eigenschaften.

Der Theologe und Soziologe Jürgen Micksch war ab 1984 Studienleiter der evangelischen Denkfabrik am Starnberger See, der Akademie Tutzing. Dort fungierte er auch als stellvertretender Direktor. Er hat dazu beigetragen, dass das Thema Migration und Asyl zu einem wichtigen Thema der Akademiearbeit in der Bundesrepublik wurde. Dem

Selbstverständnis der Akademien entsprach es - und hier konnte sich Jürgen Micksch voll entfalten – „die Toleranz der Weltoffenheit zu erproben und zu pflegen, unterschiedlichstes Denken und Handeln in Streitgesprächen zusammenzuführen, um zu erkunden, wo es zu produktiven Möglichkeiten lebendiger Kompromisse und verantwortlichen Zusammengehens kommen kann“. In Tutzing verfügte Jürgen Micksch über die besten Kontaktmöglichkeiten, was er bis heute extensiv und intensiv zu nutzen wusste.

So entwickelte er auf einer Tagung der Akademie im oberfränkischen Hof zusammen mit dem unvergessenen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in Deutschland, René van Royen die Idee einer bundesweiten Flüchtlingsorganisation. Gedacht war an einen Zusammenschluss aller im Asylbereich agierenden Organisationen. Vorgespräche und eine Konsultation in Tutzing selbst ergaben aber, dass sich wichtige Organisationen nicht zur Mitgliedschaft in der geplanten Vereinigung verstehen konnten. Micksch, der auch über einen großen Einfallsreichtum verfügt, ließ sich dadurch nicht von der Gründung eines bundesweiten Asylvereins abhalten. Sie erfolgte dann heute vor 26 Jahren in Frankfurt auf eine reichlich unkonventionelle Art, nämlich als eine Vereinigung von Personen, die in den maßgeblichen gesellschaftlichen Einrichtungen für die Asylarbeit zuständig waren, aber bei PRO ASYL nicht ihre Organisation vertraten. Auf diese Weise konnte auch die gewerkschaftliche Seite hinzu gewonnen werden, nicht zuletzt die IG-Metall, deren Beteiligung ich auf einem IG-Metall Kongress als die Zusammenarbeit von Elefant und Maus bezeichnet habe. Die entscheidende zweite Säule von PRO ASYL waren dann die Landesflüchtlingsräte. Sie vor allem verschafften PRO ASYL von der Basis her die Legitimation, Stimme der Flüchtlingssolidarität zu sein. Dazu kamen dann 1988 der Förderverein PRO ASYL und schließlich die STIFTUNG PRO ASYL. Hier, in der Arbeitsgemeinschaft und im Vorstand, ist Jürgen Micksch der geborene Vorsitzende, in Krisenlagen sogar mit einem gewissen autoritären Touch.

Diese anspruchsvolle Tätigkeit bei PRO ASYL konnte Jürgen Micksch indes nicht davon abhalten 1994 den „Interkulturellen Rat“ zu gründen und den Vorsitz zu übernehmen. Nach bewährtem Muster arbeiten hier Persönlichkeiten unterschiedlicher Herkunft und Nationalität sowie aus diversen gesellschaftlichen Gruppen wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Religionsgemeinschaften, Migranten- und Menschenrechtsorganisationen, Kommunen und staatlichen Stellen, Medien, Wissenschaft und Sport zusammen. Gemeinsam mit mehr als 70 bundesweiten Organisationen und Einrichtungen verantwortet der Interkulturelle Rat die Durchführung der Internationalen Wochen gegen Rassismus, einer wichtigen Ergänzung zur Asylarbeit im engeren Sinn.

Aber damit nicht genug: 2001 ist das Gründungsjahr des Abrahamischen Forums in Deutschland, wo Jürgen Micksch die Aufgabe des Moderators hat. In diesem Dialog-Forum wirken Personen mit, die durch Projekte zu einer Verständigung zwischen Christentum, Judentum und Islam, der sich auf Abraham beziehenden Religionen, beitragen wollen. Dazu kommt dann 2002 noch das Deutsche Islamforum; auch hier ist Jürgen Micksch Initiator und Moderator.

2011 fand die zehnjährige Jubiläumsveranstaltung des Abrahamischen Forums in Frankfurt statt. Für das Land Hessen nahm der stellvertretende Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn (FDP) teil. Ich traute meinen Augen nicht, als ich als Ehrengast den langjährigen bayerischen Innenminister und späteren Ministerpräsidenten Günter Beckstein (CSU) ausmachte. Für mich war seine Asylpolitik Inbegriff der Abwehr und Abwertung von Flüchtlingen. Dieses Erlebnis war ein Beispiel dafür, wie weit Jürgen Micksch zu gehen bereit war, wenn es sich um die Erreichung eines wichtigen Vorhabens handelte.

Ich musste allerdings im Nachhinein daran denken, dass ich irgendwann einmal über ihn gesagt hatte, er sei gegebenenfalls willens und in der Lage, den Papst mit des Teufels Großmutter zu verkuppeln. Für seinen geplanten Rombesuch mit seiner Tochter habe ich ihm übrigens einen Limburger Reiseprospekt gemailt, der auch eine Papstaudienz vorsieht, allerdings nur eine Generalaudienz.

Ich habe überlegt, wie ich die Tätigkeit von Jürgen Micksch auf einen Begriff bringen könnte. Besonders markant sind natürlich seine vielfachen Präsidentschaften. Aber er war ja auch Moderator, Mediator, Koordinator, Kommunikator und Initiator.

Am vergangenen Samstag hat die Frankfurter Rundschau eine mir besonders passend erscheinende Benennung geliefert. Es ging um die turnusmäßige Übernahme des Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat durch die Bundesrepublik Deutschland. Ihr renommierter Vertreter wurde in dem Bericht als „Netzwerker“ bezeichnet, wohl vom englischen „networker“ abgeleitet. Ich könnte diese Benennung übernehmen, zumal sich PRO ASYL ja ausdrücklich als Netzwerk versteht. Ich tue dies allerdings mit einer kleinen Vokaländerung, indem ich Jürgen Micksch statt als „Netzwerker“ eher als „Netzwirker“ bezeichne, als „bestrickenden Netzwirker“.