Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL
2010

13. März 2010
25 Jahre Arbeitskreis Asyl Weiden
Die gesellschaftliche Bedeutung eines Arbeitskreises Asyl

Bericht

INHALT
Der "AK Asyl Weiden" ist eine Einrichtung, die als krisenfestes Erfolgsunternehmen bezeichnet werden kann. Es sind die hervorragenden schulischen Daten, aber auch die beispielhafte Zusammenarbeit mit allen einschlägigen Einrichtungen der Stadt Weiden. Dadurch wird der AK zu einer Vorzeigeeinrichtung für die Bundesrepublik.



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Mir wurde ein Ehrentitel verliehen, auf den ich als Single sehr stolz bin: „Opa". Verliehen wurde mir dieser Titel von jungen eritreischen Erwachsenen, die ich als kleine Flüchtlingskinder in der Kreisstadt Hofheim bei Frankfurt kennen gelernt hatte. Bei meinem 50-jährigen Priesterjubiläum im vergangenen Jahr, einem Fest, das mir die afrikanischen Familien von Hofheim und Umgebung ausgerichtet hatten, wurde ich von den jungen Leuten als ihr „deutscher Opa" adoptiert.

Hintergrund war meine Mitgliedschaft im „Solidaritätskreis Asyl" der Hofheimer Friedensgruppe PAX CHRISTI. Die jungen Leute hatten uns mit unseren vielseitigen Kontakten, mit den gemeinsamen Feiern, Ausflügen und Gottesdiensten, der Einrichtung eines eritreischen Sprachunterrichts, den aktuellen Hilfen, Aktionen und Beratungen, vor allem auch mit den viermaligen Urlaubswochen in Familiendörfern als ihre große Familie in Deutschland erlebt.

Frau Elias, Sprecherin bei meinem Fest, Mutter und mittlerweile Bilanzbuchhalterin in einem italienischen Konzern, bedankte sich an diesem Abend: Wir hätten ihnen seinerzeit ein Leben gleich dem deutscher Kindern ermöglicht. Und dabei wäre ich ihr Opa.

Am Beginn der 80er Jahre unterstützte ich als Migrationsreferent des Bischofs von Limburg die Entstehung diverser Asyl-Gruppen. Sie hatten Kontakte mit Flüchtlingen aufgenommen und sich ziemlich schnell zu Arbeitskreisen zusammengeschlossen. Dies spielte sich im Bereich zwischen Wiesbaden und Frankfurt ab und zwar im näheren Umfeld der Kreisstadt Hofheim, wo ich Büro und Wohnung hatte.

Nach einer Besprechung von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) mit den Regierungschefs der Länder im Juni 1980 entschied sich die Hessische Landesregierung für den Bau eines großem Flüchtlingslagers in Schwalbach bei Frankfurt. Es war als zentrale Anlaufstelle für alle Asylbewerber in Hessen gedacht. Wenn solche sich am Flughafen oder anderswo meldeten, wurden sie erst einmal dorthin verlegt. Später wurden sie dann von hier aus auf die Kommunen und Kreise verteilt.

Bereits in der Planungsphase des Lagers hatte sich der Arbeitskreis "Hilfe und Beratung für Asylbewerber Eschborn a. Ts." gebildet. Ihm gehörten an die katholischen und evangelischen Kirchengemeinden von Eschborn, Niederhöchstadt und Schwalbach, dann amnesty international, die Arbeiterwohlfahrt, der Frankfurter Rechtshilfefonds und der Initiativausschuss "Ausländische Mitbürger in Hessen". Nach und nach ist es dem Arbeitskreis  gelungen, eine gewisse Verbesserung des Lagerlebens bis hin zu einer professionellen Kinderbetreuung zu erreichen, Öffentlichkeit herzustellen und ein verstärktes Engagement der Kirchengemeinden in der Umgebung des Lagers zu bewirken.

Nicht weit von Eschborn liegt die Stadt Kelkheim. Im Mai 1983 berichtete dpa über einen Hungerstreik der dort lebenden Asylbewerber. Sie hätten aus Protest ihre Essensportionen auf die Straße gekippt. Hintergrund war die Entscheidung des Landrats, die Versorgung der Asylbewerber von Gutscheinen auf Gemeinschaftsverpflegung umzustellen. Hier schaltete sich unter der Leitung des evangelischen Pfarrers der Paulus-Gemeinde ein neugebildeter "Arbeitskreis zur Betreuung der Asylbewerber in Kelkheim" ein, der mit Eingaben und öffentlichen Erklärungen wenigstens wieder die Ausgabe von Gutscheinen erreichte. Von jetzt an sah der Arbeitskreis seine Aufgabe darin, die Begegnung zwischen Asylbewerbern und der Bevölkerung zu fördern.

In der Kreisstadt Hofheim hatte sich zu dieser Zeit bereits ein "Arbeitskreis Asylbewerber" konstituiert, in dem engagierter Bürgerinnen und Bürger neben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Arbeiterwohlfahrt, des Caritasverbandes, des Roten Kreuzes, des Diakonischen Werkes und einer der evangelischen Gemeinden zusammengefunden hatten. Hier ging es um einen unmittelbaren, helfenden Einsatz in einzelnen Fällen, aber auch um eine bessere Information der Öffentlichkeit.

Erfolg gegen den Hochtaunuskreis hatte eine spontan gebildete Gruppe Königsteiner Bürgerinnen und Bürger, die die Verlegung von 30 afghanischen Asylbewerbern aus einer Unterkunft in Königstein in eine andere, im Hintertaunus gelegene, zu verhindern suchte. In diesem Konflikt erklärten sich einige Königsteiner bereit, eidesstattliche Erklärungen abzugeben, in denen sie auf die engen Beziehungen hinweisen wollten, die zwischen ihnen und den Asylbewerbern während der beiden letzten Jahre entstanden seien.

Eine wichtige Rolle spielte auch die „Ökumenische Initiative Gottesdienste mit Flüchtlingen" im Lager Schwalbach. Sie organisierte 14tägige Gottesdienste, aus denen sich vielfältige Kontakte und manch persönliches Engagement ergaben.

Die hier geschilderte Entwicklung der Verbundenheit mit Flüchtlingen darf auch aufgrund meiner späteren Erfahrungen als typisch angesehen werden.
Menschen diverser weltanschaulicher Prägung fanden sich auf lokaler Ebene in nachbarlicher Freundschaft mit Flüchtlingen zusammen. Ich habe als Sprecher von PRO ASYL Hunderte von sicher vielen Tausend in der ganzen Republik kennen gelernt.

Die Einlassung auf das Schicksal von Flüchtlingen geschah meiner Erfahrung nach auf sehr spontane und eigenverantwortliche Weise. Eine irgendwie geartete gesellschaftliche Anregung hierzu, öffentliche Aufrufe oder Kampagnen, die  ein persönliches und verstärktes Eingehen auf Flüchtlinge propagiert hätten, gab es anfangs wohl nicht. Dies sollte es erst im Zuge der wachsenden Fremdenfeindlichkeit ab dem 2.Halbjahr 1991 geben. Damals riefen die Gewerkschaften zu Patenschaften für Flüchtlingswohnheime auf.

Neben den Gruppen, Arbeitskreisen und Initiativen, die sich überall mit unterschiedlicher Zielsetzung bildeten, gab es natürlich auch die unzähligen Einzelpersonen, die auf die unmittelbare Not von Flüchtlingen aufmerksam geworden waren. Mit dem ersten Kontakt bekamen die meist vagen Vorstellungen über Asyl auf einmal eine sehr präzise Dimension.

Die einzelnen Gruppen und Kreise schlossen sich sehr bald mit anderen Initiativen zusammen. Es kam zur Bildung von Flüchtlingsräten zuerst auf Stadt- und auch auf Kreisebene, schließlich dann auf der Landesebene. Das war die Konsequenz aus einer Einstellung, die sich nicht nur für einzelne Menschen einsetzen wollte, sondern auf politische Veränderungen drängte.. Es entwickelte sich eine umfassende Form der Vernetzung, bei der nicht nur Gruppen, sondern Vereine, Wohlfahrts- und Menschenrechtsorganisationen, Anwältinnen und Anwälte, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, ja auch Behörden, Ämter, Schulen, Kindergärten, Ärzte, Beratungsdienste und nicht zuletzt die Gewerkschaften und Kirchen einbezogen waren.

Diese neue und neuartige Menschenrechtsbewegung war gesellschaftlich und politisch dringend erforderlich. Parteien und Regierungen haben sich in der Frage der Einhaltung der Menschenrechte Flüchtlingen gegenüber in einer Form versagt, die nach 1945 als einmalig zu betrachten ist.

Der Höhe- oder besser gesagt der Tiefpunkt schien 1993 erreicht. Damals wurde das Grundrecht auf Asyl mit einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages drastisch eingeschränkt. Gleichzeitig wurde ein Versorgungsgesetz für Asylbewerber geschaffen, mit dem die Leistungen unter die geltende Armutsgrenze abgesenkt wurden. Außerdem hat die Bundesrepublik auf europäischer Ebene alles nur Erdenkliche versucht und erreicht, um Flüchtlinge vom eigenen Staatsgebiet fern zu halten.

Die Asyl-Arbeitskreise und ihre Zusammenschlüsse hatten sich auf eine gesellschaftlich äußerst schwierige Aufgabe eingelassen. Ihnen vielen Aufgaben der Begleitung und Unterstützung zu, der sich die öffentliche Hand bewusst versagte. Der politische Einsatz für die Reche von Asylbewerbern nahm bisweilen den Charakter der Konfrontation an. Der oft verzweifelte Kampf zur Verhinderung unmenschlicher Abschiebungen ist ein Charakteristikum der Flüchtlingssolidarität..

Letztlich ging und geht es bei dem Einsatz für Flüchtlinge um nichts Geringeres als um die Verteidigung der vom Grundgesetz garantierten Menschenwürde Es geht um die Grundlagen des sozialen Rechtsstaates, die Einhaltung der UN-Menschenrechtskonvention, der Genfer Flüchtlingskonvention, weiterer Konventionen zum Schutz von Minderheiten, Frauen und Kindern, um das Recht auf Bildung, Arbeit es geht um die Einhaltung all der Internationalen Instrumente gegen Diskriminierung und Rassismus und nicht zuletzt auch um die Europäische Menschenrechtskonvention.

Menschen, Gruppierungen und Organisationen, die an dem international geltenden Werte-Kanon festhalten, erlebten sich in dieser Auseinandersetzung in einer Minderheitenposition. Allerdings ist die Flüchtlingssolidarität, wie sie sich auf örtlicher Basis entwickelt hat, national und international eingebunden in die globalen Menschenrechtsbewegung. Dabei agiert sie aus einer ganz spezifischen Kompetenz. Sie rührt her aus dem direkten Kontakt mit Flüchtlingen und ihren Hoffnungen auf eine lebenswerte Zukunft.

Die westlichen Demokratien sind den neoliberalen Wirtschaftsvorstellungen in blindem Glauben gefolgt. Dieses System kennt keine Rücksicht auf Menschenrechte. Nun haben sie schneller abgewirtschaftet, als wir alle es ahnen konnten. Der globale Kapitalismus hat sich mit dem Anspruch eine neue Weltordnung zu schaffen, verabschieden müssen. Zumindest hat er seine scheinbare moralische Rechtfertigung völlig verspielt. Bessere Strukturen zeichnen sich noch nicht ab. Auch der Respekt vor den Menschenrechten ist noch nicht gewachsen.
Allerdings wird die Finanzkrise mittlerweile durchaus als Wertekrise verstanden. Das wurde gerade auch auf dem letzten Weltwirtschaftsforum in Davos deutlich. Damit kommen alle neu ins Spiel, die bis heute gegen alle Depressionen und Rückschläge in ihren Vorstellungen von den Menschenrechten und der Menschenwürde durchgehalten, die sich auf keinerlei Abstriche eingelassen haben, wie etwa auch der Arbeitskreis Asyl Weiden.

Er ist entstanden aus dem Geist der Kinderrechtsbewegung terre des hommes
und war nicht zuletzt über die Vorstandstätigkeit von Jost Hess fest mit PRO ASYL verbunden. Er ist eine Einrichtung, die ich als krisenfestes Erfolgsunternehmen bezeichnen möchte. Es sind die hervorragenden schulischen Daten, aber auch die beispielhafte Zusammenarbeit mit allen einschlägigen Einrichtungen der Stadt Weiden. Dadurch wird der AK zu einer Vorzeigeeinrichtung für die Bundesrepublik und PISA. Ich gratuliere in Hochachtung allen, die am AK ASYL Weiden und seinen Bildungsbemühungen mitgewirkt haben und mitwirken, vor allem auch dem Betreuungsteam. Ich habe den AK nicht nur als Erfolgsunternehmen kennen gelernt , sondern vor allem auch als eine neue Art multikultureller Familie mit Opa Jost und – ich darf so sprechen – mit Oma Ursula!

Auf dieser Basis und auf der Basis derer, die sich für die Menschenrechte vor Ort und weltweit einsetzen, beruht die Hoffnung auf einer bessere Welt.