Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL
2009

Rede auf dem Empfang des Niedersächsischen Flüchtlingsrates
aus Anlass seines 25-jährigen Bestehens
am 2. Oktober 2009,
dem Tag des Flüchtlings,
in Hannover

INHALT

Der NIEDERSÄCHSISCHE FLÜCHTLINGSRAT hat mit seinen Analysen, Interventionen, Publikationen, Beratungen, Aktionen und Initiativen von Anfang an bis auf den heutigen Tag das Bild einer unerbittlichen, kritischen aber auch kooperativen Asylarbeit mitgeprägt hat.
Die Flüchtlingssolidarität vor Ort, die Flüchtlingsräte auf Landes- und PRO ASYL auf Bundesebene sind Teil der größeren, mittlerweile europäischen und internationalen Menschenrechtsbewegung.


Der NIEDERSÄCHSISCHE FLÜCHTLINGSRAT ist mit seinen 25 Jahren älter als PRO ASYL. Es sind zwar nur zwei Jahre Unterschied. Diese zwei Jahre sind aber ein Hinweis auf den Prozess, der sich im Asylbereich in der Bundesrepublik abgespielt hat. Die Solidarisierung mit Flüchtlingen ist in erster Linie ein Phänomen der Basis. Sie kam also nicht von oben, sondern von unten. So habe ich sie kennen gelernt, so bin ich ihr beigetreten und so durfte ich sie dann auch als Sprecher öffentlich vertreten.

Meine Erfahrungen mit diesem Prozess setzen mit Beginn der 80er Jahre ein. Durch das Verteilungsgesetz des Landes Hessen ergab es sich, dass in allen größeren Kommunen Flüchtlinge in signifikanter Anzahl lebten. Mit ihrer Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften stellten sie für entsprechend sensible Menschen und Gruppen eine Herausforderung dar, die in einem überschaubaren Kommunikationsfeld relativ schnell zu einer Solidarisierung führen konnte. Es kam durch die persönlichen Kontakte und die Konfrontierung mit einzelnen Flüchtlingsschicksalen zu einer Verstörung über ein politisches Abschreckungskonzept. Dies rührte an das eigene Selbstverständnis als Bürgerin und Bürger dieses Landes und löste nachhaltige Betroffenheit aus. Damals verfolgte und unterstützte ich als Migrationsreferent des Bischofs von Limburg die Entstehung diverser Gruppen, die Kontakte mit Flüchtlingen aufnahmen und sich zu Arbeitskreisen zusammen schlossen. Dies spielte sich im Bereich zwischen Wiesbaden und Frankfurt im näheren Umfeld der Kreisstadt Hofheim ab, wo ich Büro und Wohnung hatte.

Die Einlassung auf das Schicksal von Flüchtlingen geschah meiner Kenntnis nach auf sehr spontane und unterschiedliche Weise. Eine irgendwie geartete Animation hierzu, öffentliche Aufrufe oder Kampagnen, die  ein persönliches und verstärktes Eingehen auf Flüchtlinge propagiert hätten, gab es anfangs wohl nicht. Dies sollte es erst im Zuge der wachsenden Fremdenfeindlichkeit ab dem 2.Halbjahr 1991 vor allem durch die Gewerkschaften geben, als diese u.a. zu Patenschaften für Flüchtlingswohnheime aufriefen.

Tausende Menschen engagierten sich. Ich durfte Hunderte von ihnen kennen lernen. Neben den Gruppen, die sich überall bildeten, gab es die unzähligen Einzelpersonen, die auf die unmittelbare Not von Flüchtlingen aufmerksam geworden waren. Mit dem ersten Kontakt bekamen die meist vagen Vorstellungen über Asyl auf einmal eine sehr präzise Dimension. Daraus entwickelte sich eine Betroffenheit, die zu einer bis ins Emotionale reichenden Identifizierung mit fremden Menschen und ihren Schicksalen führte. Es kam zu Bindungen und Freundschaften, die Jahrzehnte überdauerten. Die Flüchtlingssolidarität, wie ich sie damals und später erlebte, bezeichne ich als Ruhmesblatt in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik angesichts eines ihrer dunklen Kapitel.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle über ein beglückendes Erlebnis zu sprechen. Im vergangenen Dezember stand das 50-jährige Jubiläum meiner Priesterweihe an. Das Fest richtete mir die große Gruppe ehemaliger eritreischer Flüchtlinge aus Hofheim und Umgebung aus, unter ihnen viele jungen Erwachsene, die ich als kleine Kinder kennen gelernt hatte. Sie statteten bei dieser Gelegenheit der PAX CHRISTI Gruppe und mir ihren besonderen Dank ab. Ihre Sprecherin, eine diplomierte Bilanzbuchhalterin:
Ohne unser Engagement hätten sie als Flüchtlingskinder nicht die Möglichkeit gehabt, eine Kindheit wie andere deutsche Kinder zu erleben. In Erinnerung seien ihnen die zahlreichen Grillfeste, die Ferienausflüge in den Schwarzwald, Odenwald und eine Schiffsfahrt auf dem Rhein, die wir mit ihnen unternommen hätten. Dazu seien die vielen Feiern von Ostern über Faschingsfeste bis Weihnachten gekommen. Dies alles sei für sie mit so vielen schönen Erinnerungen verbunden. Wörtlich sagte sie "Ihr wart für uns von damals bis heute mehr als Helfer und Freunde, sondern habt uns die Geborgenheit einer riesengroßen Familie gegeben und deshalb haben wir Euch alle lieb gewonnen". Zum Schluss wurde ich zu ihrem deutschen Opa kreiert, ein Ehrentitel besonderer Art.

Wenn ich dies hier erwähne, soll es als Beispiel dafür stehen, zu welch persönlicher Verbundenheit der Einsatz für Menschen aus den verschiedensten Ländern, Kulturen und Religionen führen konnte und welche Kraft und Dynamik für einen gesellschaftspolitischen Einsatz daraus erwuchs. Hier lagen wichtige Wurzeln für die weitere und sehr erfolgreiche Vernetzung auf Landes- und Bundesebene.

Die einzelnen Gruppen schlossen sich nun ihrerseits mit anderen Initiativen zusammen. Es kam zur Bildung von Flüchtlingsräten zuerst auf Stadt- und auch auf Kreisebene, schließlich dann auf der Landesebene. Das war die Konsequenz aus einer Einstellung, die sich nicht nur für einzelne Menschen einsetzen wollte, sondern auf politische Veränderungen drängte.. Es entwickelte sich eine umfassende Form der Vernetzung, bei der nicht nur Gruppen, sondern Vereine, Wohlfahrts- und Menschenrechtsorganisationen, Anwältinnen und Anwälte, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, ja auch Behörden, Ämter und nicht zuletzt die Gewerkschaften und Kirchen einbezogen waren.

So habe ich als Sprecher von PRO ASYL auch den NIEDERSÄCHSISCHEN FLÜCHTLINGSRAT kennen und schätzen gelernt, der mit seinen Analysen, Interventionen, Publikationen, Beratungen, Aktionen und Initiativen von Anfang an bis auf den heutigen Tag das Bild einer unerbittlichen, kritischen aber auch kooperativen Asylarbeit mitgeprägt hat. Er versteht sich, so die Mitteilung auf der homepage als ein unabhängiges Netzwerk von rund 500 (!) Flüchtlingsinitiativen, Kirchengemeinden, Gewerkschaften und Einzelpersonen, die mit der vorherrschenden Diskriminierung von Flüchtlingen in Niedersachsen nicht einverstanden sind.

Mitte der 80er Jahre war die lokale und regionale Vernetzung bereits weit fort geschritten. Es fehlte aber so etwas, wie ein bundesweiter Flüchtlingsrat. PRO ASYL bot sich an, diese Rolle vorläufig zu übernehmen, bis von unten herauf über die Landesebene und auf demokratische Weise, eine Bundesvertretung der Flüchtlingsinitiativen entstehen würde.

Die Gründung von PRO ASYL 1986 war damals eine ziemliche Anmaßung. Denn es war durchaus die Frage zu stellen, und sie wurde anfangs auch deutlich gestellt, mit welcher Legitimation PRO ASYL eigentlich antreten wollte. Die Frage war deswegen so delikat, weil das Selbstverständnis in der Flüchtlingssolidarität mindestens ebenso demokratisch und autonom geprägt war wie in anderen Bereichen der Neuen Sozialen Bewegungen. Daher war es anfangs noch keineswegs ausgemacht, dass die Solidaritätsgruppen und Flüchtlingsräte PRO ASYL überhaupt akzeptieren würden. Bereits die Frage, ob die Verbände und Organisationen, die sich inhaltlich der Asylarbeit stellten, PRO ASYL nicht als eigentlich überflüssig ablehnen würden, was übrigens anfangs der Fall war, war brisant genug. Der wirkliche Legitimationsdruck  für PRO ASYL bestand aber gegenüber der Solidaritätsszene.

Die 15 Gründungsmitglieder von PRO ASYL, die sich am 8.September 1986 in Frankfurt als Geburtshelfer zusammen gefunden hatten, kamen alle aus der Asyl-, Menschenrechts- oder Migrationsarbeit, und waren die Experten in ihren Organisationen. Das Besondere: Jede und jeder brachte sich nur als Person in die Neugründung ein, vertrat also nicht seine Organisation. UNHCR war Gast und Beobachter.

Meine anfängliche Legitimation als Sprecher bezog ich aus meiner Mitgliedschaft in der Solidaritätsgruppe von Pax Christi in Hofheim. Hierdurch und durch die Flüchtlinge bei den ökumenischen Gottesdiensten im Hessischen Aufnahmelager Schwalbach bei Frankfurt glaubte ich die Rechtfertigung für das zu haben, was ich in der Öffentlichkeit sagte und forderte. Entscheidend dafür, dass PRO ASYL aber nie in eine Legitimationskrise geraten ist, war die Akzeptanz durch die Flüchtlingsräte, die bald nach der Gründung Mitglieder wurden. Ihre basisdemokratische Legitimation hat PRO ASYL unterfüttert. Es entwickelte sich eine großartige, mit hohem Sachverstand und politischer Kompetenz geprägte Zusammenarbeit. Und dazu zählten dann für mich nicht zuletzt die Leute von Niedersachsen wie Matthias Lange, Kai Weber, Sigrid Ebritsch, Norbert Grehl-Schmidt und Andrea Kothen.

Die Flüchtlingssolidarität vor Ort, die Flüchtlingsräte auf Landes- und PRO ASYL auf Bundesebne wurden Teil der größeren, mittlerweile europäischen und internationalen Menschenrechtsbewegung: Dazu gehörte die Mitarbeit im Europäischen Flüchtlingsrat die Zusammenarbeit mit dem Forum Menschenrechte, mit dem Deutschen Frauenrat und mit der National Coalition, dem Zusammenschluss der Kinderschutzorganisationen. Auch die Beteiligung bei ATTAC gehörte zum Spektrum intensiv gepflegter Zusammenarbeit. Eine ganz besondere Rolle spielte für PRO ASYL naturgemäß die Kirchenasylbewegung. Die ungewöhnlichste Zusammenarbeit war sicher die mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der IG Metall. Letztere habe ich auf einem IG Metall-Kongress als Kooperation von Maus und Elefant beschrieben. Diese komplexe Vernetzung haben die Flüchtlingsräte nicht nur mitgetragen sondern auf ihre Weise gefördert.

Am 5. September hat PRO ASYL seinen Menschenrechtspreis 2009 in Frankfurt an eine staatenlose Kurdin und einen äthiopischen Flüchtling verliehen. Zwei Flüchtlinge, die nach sechs bzw. neun Jahren noch keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben und in Lagern leben müssen, wurden für ihren politischen Einsatz u.a. im Bayerischen Landtag öffentlich geehrt. Dies geschah in Anwesenheit wichtiger Bundestagsabgeordneter wie Andrea Nahles und Tom Königs. Die Bedeutung dieses Vorgangs wurde noch dadurch gesteigert, dass die beiden Geehrten sich als authentische Stimmen geflüchteter Menschen artikulierten, und die anschließende  Podiumsdiskussion sich als ein  deutliches, geradezu reuevolles Einschwenken der Politik auf die Positionen von PRO ASYL erwies. Höhepunkt war dann schließlich die Laudatio einer ehemaligen Bundesjustizministerin. Frau Däubler-Gmelin hielt eine geradezu emphatische Rede und mahnte die Rückkehr zu den ursprünglichen Werten unserer Verfassung an. Angesichts der herrschenden Asylpolitik war das Ganze aus meiner Sicht eine seltsam bizarre, aber unter Umständen doch zukunftsweisende Veranstaltung!

Könnte es nicht sein, dass die globale Finanz- und Wirtschaftskrise unvorstellbaren Ausmaßes eine neue Ära für die Achtung der Menschenrechte eingeläutet hat? Dem Neoliberalismus ist jegliche Legitimation, hoffentlich auf immer, abhanden gekommen, auch wenn die Ackermänner und Westerwelles es immer noch wagen können auf der politischen Bühne zu agieren. Es scheint eine neue Chance für den Respekt vor den Grundwerten unserer Verfassung und den Menschenrechten der UN-Charta zu geben. Nur weil der NIEDERSÄCHSISCHE FLÜCHTLINGSRAT 25 Jahre mit der großen und breiten Menschenrechtsbewegung zusammen durchgehalten, tiefste Frustrationen ausgehalten und das Grundrecht auf Asyl hochgehalten hat, versinken wir vielleicht doch nicht in einem wertelosen Morast.

Gratulation!