Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL
2006

Evangelische Akademie Iserlohn
9.12.2006
20 Jahre Flüchtlingsrat
Nordrhein-Westfalen
ERINNERUNGEN als FESTREDE

(Redemanuskript für die Jubiläumsveranstaltung, bei der der Verfasser frei geredet hat.)

INHALT
Der Flüchtlingsrat NRW als bedeutsames Element der Vernetzung in der Asylarbeit.

 

Manche werden sich gefragt haben: Lebt denn der alte Holzmichel noch, Holzmichel noch? Ja, er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch, stirbt nicht ! Bisweilen holzt er auch noch. Es gibt ja allerhand von innen verfaultes Holz in den hiesigen Wäldern, nicht nur in Bayern. Aber der alte Holzmichel ist auch ein echter deutscher Michel, nicht im Sinne einer nationalen Leitkultur, sondern im Sinne unserer Verfassung, genauer gesagt, der Verfassung, wie sie bis zum Mai 1993 galt.

Nun ein paar Erinnerungen, die mit NRW und seinem Flüchtlingsrat zu tun haben.

Mülheim, Evgl. Akademie, 1988

Im Juni 1988 fand in Mülheim eine Tagung zur Reform des Ausländerrechts unter der Leitung von Wolf-Dieter Just,

Er hat eine wichtige Rolle für die Ausländerarbeit, für die Koordinierung und Orientierung der Asylarbeit in NRW und dabei insbesondere für die Kirchenasylbewegung, gespielt

Ich sollte theologisch-sozialethische Überlegungen zur Reform des Ausländerrechts anstellen. Zum Asylbereich habe ich damals sagen können: Der konzertierten Aktion gegen Flüchtlinge habe sich in der Bundesrepublik eine Solidarisierung entgegengestellt, die vom Umgang und der Intensität her überraschen musste. Solidarität mit den Flüchtlingen als Inbegriff der Haltung ihnen gegenüber erweise sich dabei als sehr persönliches Engagement, bei dem Organisationen nur eine sekundäre und abgeleitete Funktion haben könnten. Ich habe sogar von einer Revitalisierung des Solidaritätsgedankens überhaupt gesprochen. Es zeige sich, daß in diesem auf Menschen bezogenen, moralischen Engagement eine große, gerade auch politische Kraft liege, die ich bei dem politischen Einsatz für die Arbeitsmigranten weitgehend vermisst habe. Ich wusste, wovon ich redete, ich war ja hauptamtlich seit 1972 20 Jahre lang Migrationsreferent des Bischofs von Limburg.

Düsseldorf 15. und 22. Januar 1990
Bettelmarsch der Roma

Tausend Roma hatten sich auf einen Bettelmarsch von Köln über Dormagen, Neuss, Düsseldorf, Ratingen, Duisburg, Oberhausen und Essen begeben. Es ging um ein Bleiberecht. In einer der größten Messehallen Düsseldorfs haben sie eine Woche Station gemacht. Ich habe dort eine Nacht auf dem Betonfußboden liegend verbracht. ohne eine Minute zu schlafen. Ich lag damals neben einer Kölner Familie.

Der Marsch der Roma von Düsseldorf aus beginnt im NIeselregen

Fotos: Günter Haverkamp

Diese Nacht mit dem Schreien kleiner Kinder und einem ständigen Hin und Her werde ich nicht vergessen. Günter Haverkamp vom Flüchtlingsrat NRW war damals mein Ansprechpartner. Eine Woche darauf bin ich wieder nach Düsseldorf gefahren. Ich begleitete die Roma ein Stück weit bei ihrem Fußmarsch vom Düsseldorfer Messegelände nach Ratingen im NieseIregen. Ein Brief, den ich an die Landesregierung gerichtet hatte, war mir einfachhin nicht genug.

Herbert Leuninger mit Rudko Kawczynski (r.), dem Sprecher der Roma

1992
Jahrbuch der Deutschen Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe

Für das Jahrbuch der Deutschen Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe 1992 habe ich versucht den Vernetzungsprozess der Asylszene, wie ich ihn erlebt habe, und die Funktion von PRO ASYL dabei zu beschreiben.

Soweit ich das feststellen konnte, verlief die Solidarisierung mit Flüchtlingen auf spontane und ungesteuerte Weise. Eine irgendwie geartete Animation hierzu, öffentliche Aufrufe oder Kampagnen gab es anfangs wohl nicht. Sie sollte es erst im Zuge der wachsenden Fremdenfeindlichkeit im 2.Halbjahr 1991 durch die Gewerkschaften geben, in denen diese vor allem zu Patenschaften für Flüchtlingswohnheime aufriefen. Dabei setzten die Kirchen und Wohlfahrtsverbände von Anfang an ihre professionelle und gesellschaftliche Kompetenz ein.

Tausende Menschen hatten sich in Deutschland auf das Schicksal von Flüchtlingen eingelassen, gerade auch in den Städten und Kommunen von NRW. Oft stand am Anfang das Erschrecken über die Unterbringung von Flüchtlingen oder ihre Behandlung durch die Behörden. Daraus entstand eine unmittelbare Betroffenheit, die zu einer bis ins Emotionale reichenden Identifizierung mit fremden Menschen führte.

Diese Betroffenheit führte zu lokaler Gruppenbildung. Sie ist  vielfach bereits eine erste Stufe der Vernetzung, insofern dort agierende Individuen, Gruppen und vor allem auch Kirchengemeinden und Wohlfahrtsorganisationen informell oder formell zusammenfinden. Als weitere Ebene der Kooperation und Koordination bietet sich die Stadt, vor allem die Großstadt mit ihrem Umfeld an.

Ein für mich interessantes Beispiel hierfür war damals Köln.

(Wenn der Papst ein Teil seines Herzens in Ankara gelassen hat, so ich in Köln! Ich bin in Köln geboren. Meine Mutter war eine ehemalige Gastarbeiterin. Als junges Mädchen war sie mit zwei weiteren Schwestern Hausgehilfin in Holland. Mein Vater, als Jugendlicher Handlanger am Bau, hat mit Karl Arnold, dem ersten MP von NRW die Wirtschaftsschule in Düsseldorf besucht, war dann christlicher Gewerkschafter und ließ sich 33 als Gegner Hitlers nicht von der Deutschen Arbeitsfront übernehmen, sondern eröffnete ein Kolonialwarengeschäft in Köln-Ehrenfeld in der Piusstraße. Eigentlich wollte er nach Machtübernahme der Nazis emigrieren. Bei drei kleinen Kindern hat er es aber nicht gewagt. Wir sind nach dem 1. Tausendbomberangriff der Kriegsgeschichte in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 in den Westerwald, die Heimat unserer Eltern, geflüchtet. Ich bin also ein IDP (internally displaced person – ein Binnenflüchtling). Köln und der Westerwald haben mich geprägt. Ich bin ein Produkt sowohl Westerwälder Kirchlichkeit, die der des Sauerlandes in keiner Hinsicht nachsteht, als auch des rheinischen Sozialkatholizismus, von dem einige Leute in der CDU wieder träumen, vielleicht auch Euer derzeitiger Ministerpräsident).

Der Flüchtlingsrat Köln, so wie ich ihn seinerzeit aus meinen Unterlagen realisierte, verknüpfte die Initiativen, die es in den verschiedenen Stadtteilen wie Köln-Mitte, Agnesviertel, Ehrenfeld, Dellbrück, Deutz, Dünnwald, Kalk, Höhenhaus, Mülheim und Weidenpesch gibt. Dazu gab es aber auch schon die bereits lokal vernetzten Flüchtlingsräte aus dem Kölner Raum wie die von Bonn, Düren und Leverkusen. Weitere Gruppen kamen aus Forsbach-Rösrath, dem Rhein-Sieg- und dem Erftkreis hinzu.

Die nächst höhere Ebene ist dann der  Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen. Hier hatten sich 1992 bereits über 150 Flüchtlingsinitiativen zusammen geschlossen, und zwar nicht nur Flüchtlingsräte und Asylarbeitskreise sondern auch Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände, deren spezielle Dienste für Flüchtlinge, aber auch ai-Gruppen und 3.Welt-Initiativen. Wir haben es mit einer flächendeckenden, wenn sicher auch nicht vollständigen Vernetzung zu tun. Das wird nicht nur deutlich an der Mitgliedschaft der Flüchtlingsräte  von Bielefeld, Bottrop, Dortmund, Essen, Köln, Mülheim, Oberhausen und Solingen, der Kreise Coesfeld, Düren, Herford, Siegen-Wittgenstein Unna und des Märkischen Kreises, sondern auch der vieler einzelner Asylarbeitskreise in weiteren Städten und Gemeinden.

Der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen ist es gelungen, nicht ohne schwere menschliche und organisatorische Verwerfungen in einer für die Bundesrepublik typischen, aber auch vorbildlichen Weise   Initiativen und Organisationen zusammen zu fassen, die organisationssoziologisch, d.h. in ihrer Struktur und Zusammensetzung, aber auch in ihren Aktionsmustern sehr divergierten.

Mitte der 80er Jahre war die lokale und regionale Vernetzung bereits weit fort geschritten. Es fehlte aber so etwas, wie ein bundesweiter Flüchtlingsrat. PRO ASYL bot sich an, diese Rolle vorläufig zu übernehmen, bis von unten herauf über die Landesebene und auf demokratische Weise, eine Bundesvertretung der Flüchtlingsinitiativen entstehen würde.

Das war eine unglaubliche Anmaßung. Denn es war durchaus die Frage zu stellen, und sie wurde anfangs auch deutlich gestellt, mit welcher Legitimation PRO ASYL eigentlich angetreten ist. Die Frage war deswegen so delikat, weil das Selbstverständnis in der Flüchtlingssolidarität mindestens ebenso demokratisch und autonom geprägt war wie in anderen Bereichen der Neuen Sozialen Bewegungen. Daher war es anfangs noch keineswegs ausgemacht, daß die Solidaritätsgruppen PRO ASYL überhaupt akzeptieren würden. Über die Frage hinaus, ob die Verbände und Organisationen, die sich thematisch der Asylarbeit stellten, PRO ASYL nicht als eigentlich überflüssig ablehnen würden, war der Legitimationsdruck  für PRO ASYL gegenüber der Solidaritätsszene enorm.

Ich selbst habe anfangs als Sprecher mit einer speziellen Legitimation gelebt. Sie ergab sich aus meiner Mitgliedschaft in der Solidaritätsgruppe Asyl von Pax Christi in Hofheim bei Frankfurt. Hier bestanden menschlich sehr tiefe Bindungen an Flüchtlinge und ihre Familien. Hier und bei den ökumenischen Gottesdiensten im Hessischen Aufnahmelager Schwalbach bei Frankfurt erfuhr ich meine Bestätigung und Berechtigung für das, was ich zu sagen und zu fordern hatte.. Vor Jahren habe ich hier in Iserlohn, wo mein evangelischer Kollege Christoph Keienburg für Asyl zuständig war, in persönlicher Weise davon berichtet. Ich erinnere mich, dass ich das Plenum amüsiert habe, als ich darauf verweise, ich hätte in der Hofheimer Friedensgruppe als zölibatärer Single das Küssen gelernt. Bei den 68ern, einmal Wange an Wange, bei den Armeniern aus dem Iran zweimaliger Wangenkuss (neulich noch bei Anahid aus Australien, die uns nach 18 Jahren auf ihrem Europatrip besucht hat), und bei den Eritreern aus Ostafrika waren es drei bis fünf Küsse. Dabei wurde auch gelegentlich geschmatzt. Es waren ja überwiegend Schön- und keine „Schrowangen" („schro" ist im Westerwälder Dialekt gleich „hässlich). Die unmittelbare Legitimation durch die Flüchtlinge hat mir für den Anfang durchaus gereicht.

Entscheidend dafür, dass PRO ASYL nie in eine Legitimationskrise geraten ist, war die Mitarbeit der Leute der ersten Stunde aus und in NRW. Heiko Kauffmann von terres des hommes, Wolfgang Grenz von AI, Rechtsanwalt Rainer Hofmann aus Aachen, Bernhard Döveling vom DRK, Herbert Becher, vom Kommissariat der Katholischen Bischöfe, Wolfgang Schuth von der Arbeiterwohlfahrt, Gustav Koch von der UNO-Flüchtlingshilfe, vor allem auch die Akzeptanz und Beratung durch René van Royen, dem UNHCR-Vertreter in Bonn, dann aber auch die MitarbeiterInnen der 2. Stunde wie Karin Asboe vom DW, Volker Maria Hügel und Harald Löhlein. Als Sprecher habe ich mich für die Presseerklärungen mit Grenz, Kauffmann, Hofmann und Hügel abgestimmt. Deren kompetente Einschätzungen und Analysen konnte ich jederzeit abrufen.

Die Flüchtlingssolidarität war ein Teil der größeren Bürgerrechtsbewegung. Unmittelbar zeigte es sich daran, daß PRO ASYL in die Vorhaben der Friedensbewegung, wie sie sich im Netzwerk Friedenskooperative organisiert hatte, einbezogen wurde, und sich die Kontakte z.B.  mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie und medico international, aber auch mit anderen Initiativen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verstärkten. Hinzu kam die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Frauenrat und nicht zuletzt, woran Heiko Kauffmann in besonderer Weise beteiligt war, die gemeinsamen Aktionen mit der National Coalition, dem Zusammenschluss der Kinderschutzorganisationen. Ihre gemeinsame Aufgabe bestand darin, die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in der Bundesrepublik zu fördern. Auch die Beteiligung bei ATTAC gehört zum Spektrum intensiv geförderter Zusammenarbeit. Eine besondere Rolle spielte für PRO ASYL die Kirchenasylbewegung, die nicht nur von der Bundesarbeitsgemeinschaft her in NRW ihren Schwerpunkt hatte.

An diese Stelle gehört auch die große Bedeutung, die die Zusammenarbeit neben der mit den Leuten der IG Metall mit dem DGB in Düsseldorf für PRO ASYL hatte. Und das war ein ganz und gar ungewöhnliches Phänomen. Dabei stellte diese mächtige Organisation ihre früheren Bedenken zurück, nicht mit Bürgerbewegungen, die vom Organisationsgrad, von der Struktur und den Mitgliederzahlen mit den Gewerkschaften so vergleichbar waren wie der Elefant und die Maus, zu kooperieren. Isabel Basterra wird dies sicher aus ihrer Mitarbeit bei PRO ASYL bestätigen können.

Das Schicksalsjahr 1993

Den Eingriff in das Grundrecht auf Asyl habt Ihr, habe ich nie akzeptiert. Ich habe sogar dem Bundestag das Recht abgesprochen selbst bei qualifizierter Mehrheit in dieses Basisrecht einzugreifen. Es war für mich ein Angriff auf die Menschenrechte. Der Artikel war eine Konsequenz nicht nur aus den Erfahrungen der Hitler-Diktatur sondern auch aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Dass die Eltern der Verfassung Asyl als einklagbares Grundrecht in die Verfassung übernommen haben, war epochal. Ein Menschenrecht mag ein Geschichte haben, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, dass es verfassungsmäßig zu verankern ist. Das ist mit dem Grundgesetz geschehen. Ein Menschenrecht wird nicht geschaffen oder eingeräumt, es wird in einem bestimmten Moment deklariert und gilt dann für immer. PRO ASYL ist auf der Basis von Artikel 16 Abs. 2 und nicht von Artikel 16a gegründet worden. Und das bleibt das Fundament für unseren gemeinsamen Einsatz.

Wir haben zusammen mit allen uns zur Verfügung stehenden friedlichen Mitteln gegen den drohenden massiven Eingriff in dieses Grundrecht gekämpft. Ihr vom Flüchtlingsrat NRW habt dabei eine bedeutende Rolle gespielt.

Bonn, Demonstration
„Gegen Rassismus und für das Grundrecht auf Asyl"

Ihr wart bei der Mega-demo im Bonner Hofgarten gegen Rassismus und für das Grundrecht auf Asyl am 3. Oktober 1992 mit weit über 100.000 Menschen. Sie war organisiert worden von Mani Stenner vom Bonner Netzwerk Friedenskooperative. Mit von der Partie Volker Maria Hügel. U.a. traten die „Toten Hosen" aus Düsseldorf auf. Gerade von einer Welttournée zurück gekehrt, waren sie schockiert darüber, dass inzwischen Molotowcoktails und Baseballschläger das Verhältnis zu Ausländern und Flüchtlingen prägten. Mit den Toten Hosen hat sich übrigens im Laufe der Zeit eine ausgezeichnete Zusammenarbeit entwickelt bis zu einer gemeinsamen CD und einem Link auf deren homepage, über der das Logo des skelettierten Bundesadlers schwebte. Bei der Demo war mir das Schlusswort und das nach dem fulminanten Auftritt von Herbert Grönemeyer zugefallen. Was hätte ich danach noch sagen können? Mein sorgfältig ausgearbeitetes Konzept habe im Rock stecken lassen. Ich habe nur noch den bundesdeutschen Verfassungsschutz auf´s Korn genommen. Er kümmere sich um alles andere, nur nicht um die Verfassung. Deswegen seien wir als Bürgerinnen und Bürger unmittelbar aufgerufen. Stakkato habe ich ins Mikrofon gebrüllt: „Wir - sind – der – Verfassungsschutz!".

Das gehörte übrigens zu meiner Überzeugung, die sich aus der ganzen Auseinandersetzung ergeben hatte. Ich habe dies gelegentlich noch gesteigert, indem ich mich lange vor der Kampagne „Du bist Deutschland" zu der Aussage verstiegen habe, „Ich bin Bundespräsident" oder im kirchlichen Rahmen mit dem Slogan, der damals noch nicht in der Bild-Zetung stand: „Ich bin Papst!!" Viel mehr habe ich eigentlich über unsere Verantwortung in Gesellschaft und Kirche nicht zu sagen gehabt. Das geht natürlich haarscharf an der möglichen Einlieferung in eine psychiatrische Klinik vorbei.

Bonn
Außerordentlicher Bundesparteitag der SPD
vom 6.- 17.November 1992,

Bei diesem Parteitag ging es vor allem um die Änderung von Artikel 16 Abs. 2 GG. Eine Demonstration vor der Beethovenhalle fand am 14. November statt. Ihr sicher wieder dabei. Ich habe mir dann am 16. November einige Reden in der Beethovenhalle angehört, u.a. die von Erhard Eppler, dem langjährigen Vorsitzenden der Grundwertekommission der SPD (1973-1992). Was der in Sachen Flüchtlinge von sich gab, hat bei mir und anderen ratloses Kopfschütteln ausgelöst. Es sollte aber noch schlimmer kommen. Pressezentrum auf einem Rheinschiff. Ein Interview mit dem WDR: Frage, was ich denn wohl dazu sage, dass der Gründer von Cap Anamur, Rupert Neudeck sich auch für die Änderung des Grundrechts auf Asyl ausgesprochen habe. Mir verschlug es die Sprache und ich weiß nicht mehr, was ich daraufhin gestammelt habe. Jedenfalls hatte ich kein Verständnis dafür, dass der Repräsentant einer Menschenrechtsorganisation einer anderen in dieser Weise in den Rücken fällt.

Bonn
26. Mai 1993:

Tag der Grundgesetzänderung. Wieder wart Ihr dabei! Blockade des Bundestages, wozu PRO ASYL aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht aufgerufen hatte. Dafür hatten wir ein symbolisches Spektakel vorgesehen. Zwei Schauspieler sollten als Asylbewerber mit dem Fallschirm aus einem Kleinflugzeug abspringen und auf dem Flugplatzgelände Bonn-Hangelar vor einer dort fiktiv eingerichteten Außenstelle des BAFl (Bundesamtes für Flüchtlinge) einen Asylantrag stellen. Wir wollten den Medien etwas zur Veranschaulichung unserer Stellungnahme anbieten, die von der ZEIT unter die Worte des Jahres 1992 gerechnet worden war: Flüchtlinge könnten künftig in der Bundesrepublik nur noch einen Asylantrag stellen, wenn sie mit dem Fallschirm absprängen. Wir hatten für das Happening die behördliche Genehmigung. Offensichtlich war aber das BMI (Bundesinnenministerium) dagegen. Zwei Fahrzeuge des BGS (Bundesgrenzschutz) blockierten die Landebahn. Das war Rechtsstaatlichkeit „pur"!

Bonn
27. Mai 1993

An diesem Termin sollte die Sitzung von PRO ASYL im Kommissariat der Katholischen Bischöfe, der Verbindungsstelle der Katholischen Kirche zur Bundesregierung, stattfinden. Ohne jegliche Absprache mit den anderen weigere ich mich wie ein störrischer Esel das Haus, in dem ich jahrelang als Limburger Ausländerreferent ein- und ausgegangen war, zu betreten. Gebe vor dem Eingang eine Erklärung ab, dass ich das Kommissariat, das zusammen mit der Verbindungsstelle der EKD zur Bundesregierung dem Asylkompromiss vom Nikolaustag 1992 beflissen zugestimmt hatte, nun eher als einen Vorhof der Macht denn als eine Stätte des Asyls betrachte. Daraufhin wurde die Sitzung in die Fraktionsräume der Grünen im Bundestag verlegt.

Solingen
Samstag, 5. Juni 1993

Kundgebung nach dem Brandanschlag, dem fünf türkische Frauen und Mädchen zum Opfer gefallen waren.

"Die Flammen von Solingen beleuchten gespenstisch eine gescheiterte Ausländer- und Asylpolitik!" hatten Heiko Kauffmann, damals noch Inlandsreferent des Kinderhilfswerks terre des hommes und PRO ASYL in einer gemeinsamen Stellungnahme zum Solinger Mord- und Brandanschlag erklärt und gemeint: Es sei zu befürchten gewesen, daß der jüngste Asylbeschluß des Bundestages in der rechten Szene als Signal für eine `ethnische Säuberung' Deutschlands verstanden wurde".

Solingen wirkt wie ausgestorben, die Schaufenster sind mit Bohlen und Brettern verrammelt aus Angst vor Randale. Die Medien sind international vertreten. Größtes Polizeiaufgebot in martialischem Outfit. Ich muss, ich meine, es war die BBC, mit meinem Englisch, das nur um Nuancen besser ist als das von Helmut Kohl, ein Interview geben. Da zerrt mich auch schon der Veranstalter in höchster Not auf den Demo-Karren. Es droht die Eskalation zwischen Polizei und linken Türken. Man rückt schon gegeneinander vor. Ich soll das noch verhindern! Vergebliche Liebesmühe. Die Veranstaltung versinkt im Chaos.

1994-1998
Europareferent

Ab 1994 habe ich dann als Europareferent von PRO ASYL und Mitglied des Europäischen Flüchtlingsrates (ECRE) auf Veranstaltungen in mehreren Städten von NRW versucht, die Bedeutung der EU für unsere gemeinsame Arbeit zu erläutern.

Düsseldorf
Mahnwache am 23.06.2005 um 11.00 Uhr
auf dem Flughafen, Parkplatz vor der "Alten Fracht"

„Bleiberecht jetzt! Keine Abschiebung von Minderheiten in den Kosovo!" Die Mahnwache war vom Flüchtlingsrat NRW organisiert. Mit dabei Andrea Genten, Gudrun Duda-Heinzke, Isabel Basterra. Ich sollte reden, dabei hatte ich noch mit meinen Emotionen zu kämpfen. Der Bus mit den Menschen, die abgeschoben wurden, fuhr langsam an uns vorbei. Im Rückfenster sahen wir, wie einer der Abschiebegefangenen seine mit Handschellen gefesselten Hände nach oben streckte, um uns auf sein Schicksal aufmerksam zu machen. Diese Mahnwache steht für einen ungewöhnlichen, zumeist aussichtslosen Kampf zahlreicher Menschen, Gruppen und Organisationen in NRW um das Bleiberecht von Menschen, die in die Bundesrepublik geflüchtet waren.

Wuppertal
März 2006 beim DW in Wuppertal

Zeugnisvergabe an die TeilnehmerInnen der Qualifizierung zum Sprach- und Kulturmittler (SpraKuM)
Hier habe ich eine Beamer-Präsentation über die Entwicklung des Asylrechts von 1949-2006 vorgeführt. Es war im Ganzen eine für mich sehr gemütsintensive Begegnung mit Frauen und Männern, die seit Jahr und Tag ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben mussten und sich durch diesen Kurs als Menschen ernst genommen fühlten. Politisch gesehen empfand ich die Situation als äußerst bizarr. Die Bundesrepublik mit ihrem verkommenen Asyl- und Bleiberecht lässt sich von der EU Maßnahmen für Menschen finanzieren, die sie selbst ins Abseits gestellt hat.

Schluss

Wir haben in den 20 Jahren und davor einen beispiellosen Abbau der Rechte für Flüchtlinge erlebt und uns dagegen gestemmt. Die weitere Aushöhlung des Asylrechts und der Menschenrechte überhaupt scheint unaufhaltsam zu sein. Wir können jedenfalls nicht absehen, wo das alles – auch, was Europa betrifft – enden wird. Werden wir es in Zukunft fast nur noch mit Menschen ohne Rechtsstatus, mit Dokumentenlosen zu tun haben?

Am Schluss einer Veranstaltung zu „20 Jahre PRO ASYL" wurde ich kürzlich in Frankfurt gefragt, was denn der Einzelne angesichts der ganzen Entwicklung noch tun könne. Meine Antwort: Unbedingt festhalten an dem, was wir für richtig erachten. Das sei bereits eine große Leistung und koste enorme seelische Energie. Dabei gehe es darum, der immer wieder drohenden Depression standzuhalten. Dies wiederum sei nur möglich durch eine starke Vernetzung mit anderen. Diese Vernetzung hat der Flüchtlingsrat 20 Jahre in beispielhafter Weise geleistet. Und das ist seine Aufgabe in den nächsten 20 Jahren!


Katholische Nachrichtenagentur (KNA)
vom 27. Mai 1993

Pro-Asyl-Chef will das Katholische Büro nicht mehr betreten

Bonn, 27.5.93 (KNA) Aus Protest gegen die Haltung der katholischen Kirche zum Asylrecht will der Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl", Pfarrer Herbert: Leuninger, nicht mehr das Kommissariat der deutschen Bischöfe in Bonn betreten, Die Kirche habe Mitschuld am Beschluß des Bundestags vom Mittwoch, durch den das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft worden sei. Jetzt drohe ein Zusammenbruch des Internationalen Rechtsschutzes für Flüchtlinge, sagte Leuninger am Donnerstag in Bonn. Eine ursprünglich im Katholischen Büro geplante Sitzung von "Pro Asyl" wurde in Bundestagsräumen der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen abgehalten.

Der Leiter des Kommissariats, Prälat Paul Bocklet. äußerte sein Bedauern über den Schritt Leuningers, nannte dessen Vorwürfe zugleich aber auch °nicht. berechtigt", Bocklet unterstrich, des Katholische Büro habe immer die Linie vertreten, die in der gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche zum Thema Asyl vorgegeben worden sei.

Booklet: Leuninger widerspricht der Wirklichkeit

Leuninger kritisierte einen Brief Bocklets und des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Prälat Hartmut Löwe, an den Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Rüttgers, vom vergangenen Freitag. Dle beiden Prälaten hatten in ihrem Schreiben unter anderem Kritik von kirchlichen Gegnern an der Aeylrechtsänderung als "unseriös und agitatorisch" bezeichnet. Damit hätten die Kirchen aufgehört, Anwalt der Flüchtlinge zu sein, so Leuninger. Das Katholische Büro, in dem er 20 Jahre lang an Konferenzen zu Ausländer- und Flüchtlingsfragen teilgenommen habe, sei. eher "ein Vorhof der Macht als eine Stätte des Asyls". Bocklet sagte dazu, diese Aussage widerspreche der Wirklichkeit. Das Katholische Büro werde sich nach wie vor für Aussiedler, Aueländer und Asylbewerber einsetzen. Der Prälat nannte auch die Äußerung Leuningers unseriös, daß am Mittwoch im Bundestag das Asylrecht abgeschafft worden sei. Zugleich würdigte Bocklet den Einsatz Leuningers für Asylbewerber und äußerte die Hoffnung, daß der Pro Asyl-Sprecher seinen Schritt überdenken werde, das Katholische Büro nicht mehr zu betreten.