Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL 2006

Schizophrenie in der Flüchtlingspolitik

Redebeitrag für PRO ASYL auf der Demonstration gegen Hausverbote am Frankfurter Flughafen des "Aktionsbündnisses gegen Abschiebungen Rhein-Main"
am Samstag, den 14.01.2006 um 12.00 Uhr

INHALT

Die Ablehnung eines Bundesverdienstkreuzes offenbart die schizophrene Asylpolitik in Deutschland zwischen Abschottung und Abschiebung einerseits und der Anerkennung menschenrechtlichen Engagements andererseits.

Barbara Gladysch aus Düsseldorf hat dem Bundespräsidenten einen Weihnachtsbrief geschrieben, der es in sich hat. Es war vorgesehen, wie ihr das Büro des Oberbürgermeisters ihrer Heimatstadt mit geteilt hatte, ihr das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu überreichen. Damit sollte neben ihrem Einsatz für die Opfer der Tschernobylkatastrophe und ihrer Hilfe für kriegstraumatisierte Kinder in Tschetschenien das Engagement für Flüchtlinge und Asylsuchende gewürdigt werden.

Frau Gladysch teilt nun Horst Köhler mit, dass sie diese Auszeichnung nicht anzunehmen gedenke (Beifall).

Ihre Gründe:
Sie könne sich nicht für etwas ehren lassen, das im genauen Widerspruch zur vergangenen und gegenwärtigen bundesdeutschen Regierungspolitik stehe.

Die Zurückweisung des Verdienstordens betrachte sie als Protest gegen eine so genannte „Realpolitik". Gleichzeitig wolle sie damit ihre Solidarität bekunden

  • mit den (wie sie wörtlich formuliert) seit Jahren "kettengeduldeten" und nicht "anerkannten" Flüchtlingen;
  • mit den Kindern und Jugendlichen, die seit vielen Jahren in Deutschland wunderbar integriert sind, aber immer in der Angst leben, dass sie mit ihren Eltern ... in ein für sie fremdes Land abgeschoben werden;
  • mit "meinen" Kindern in Tschetschenien, die seit mehr als 10 Jahren nur Krieg und Angst kennen, weil wir (deutsche und EU-Politiker) sie im Stich lassen.

Der Brief ist ein drastischer Beleg für die kollektive Schizophrenie politischen Handelns in unserer Republik. Einerseits wird eine rigorose Abschottungs- und Abschiebungspolitik betrieben, andererseits zollt man hochoffiziell Anerkennung denen gegenüber, die sich mit allen zu Gebote stehenden friedlichen Mitteln dagegen zur Wehr setzen. Die schweren Menschenrechtsverletzungen, die sich Gesetzgeber, Regierungen und Behörden zuschulden kommen lassen, werden auf diese Weise zu vertuschen versucht. Dabei ist eine solche Ehrung doch eher das Eingeständnis, Flüchtlinge nicht mehr auf der Basis der Menschenrechte zu behandeln.

Hoffnungen auf die Große Koalition in unseren Anliegen, die brauchen wir uns nicht zu machen. Zwei Kostproben des neuen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble mögen dies belegen. Zum Thema geheimdienstliche Folter meinte er, dass man Informationen auch dann nutzen müsse, wenn man sich nicht sicher sei, dass sie unter vollkommen rechtsstaatlichen Bedingungen erlangt wurden. Im Klartext: Deutsche Geheimdienste sollen sich auch in Zukunft auf Informationen aus Ländern stützen können, in denen vermutlich gefoltert wird. Zum Thema Abschiebung sagte er bei der kürzlichen Vorstellung der niedrigsten Asylbewerberzahlen seit Änderung des Grundrechts auf Asyl im Jahre 1993:. In Zukunft werden wir vor allem bestrebt sein, die Ausreisepflicht bei nicht bleibeberechtigen Personen noch effektiver durchzusetzen.

Also Leute: Machen wir uns auf noch Schlimmeres gefasst!

Dabei führen bereits jetzt die gnadenlose Abschiebepolitik und die Kettenduldungen m.E. in Tausenden Fällen zu schwerwiegenden Traumatisierungen. Ich halte es u.a. für erforderlich, dass Anklage gegen die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erhoben wird.

Wir stehen hier im Sinne der Europäischen Menschenrechts-konvention, im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention, im Sinne nicht zuletzt des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Staat und Behörden dieses Landes sind auf diese Grundlagen verpflichtet. Und wenn diese Institutionen ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit nicht mehr tun, dann fällt den Bürgerinnen und Bürgern die Aufgabe zu, die Einhaltung der Menschenrechte mit allem Nachdruck einzufordern.

Wir wollen verhindern, dass der Respekt vor der Menschenwürde immer mehr verkommt. Das ist kein privates Hobby, das ist eine öffentliche Aufgabe sowohl gegenüber dem Bundespräsidenten wie auch gegenüber dem Flughafenbetreiber Fraport.