Familie Leuninger


20. Juli 2004 - 60 Jahre Attentat auf Hitler

HESSISCHER RUNDFUNK

Interview von Barthel Pester
mit Ernst und Herbert Leuninger



20. Juli 1944: Franz Leuninger und der Widerstand gegen Hitler
Gehofft, dass das Urteil nicht vollstreckt wird
Die Neffen Dr. Ernst und Herbert Leuninger über ihren Onkel, seine Besuche und die Familie

Johannes Laubach

NNP-Artikel


Das Attentat am 20. Juli 1944 missglückte, Hitler überlebte leicht verletzt. Über Radio und Zeitungen wurde dies als Erfolgsmeldung verbreitet...

Ernst Leuninge:r Die Meldung im Reichsfunk über das missglückte At­tentat wurde von Hasstiraden be­gleitet. Wir haben damals jedoch zu keiner Sekunde daran gedacht, dass unser Onkel in das Geschehen ein­gebunden ist. Wir ahnten seine Gegnerschaft zum Nazi-Regime, die entschiedener als bei den anderen Familienmitgliedern war.

Blieb das Tun und Wirken ihres Onkels der Familie verborgen?

Ernst Leuninger: Unsere Familien wussten nicht, wie stark Onkel Franz in die Widerstandsbewegung eingebunden war. Wir als Kinder wussten nur, dass er ein Gegner von Hitler, ein Gegner der Diktatur war.

Herbert Leuninger: Der Onkel kam immer mit dem Auto von Breslau nach Köln gefahren, wo wir bis Juni 1942 wohnten. Köln war ja das Zentrum des katholischen Widerstands gegen Hitler und für uns ist später klar geworden, dass unser Onkel Kurierfahrten machte.

Ernst Leuninger: Er kam mit einem großen Opel, sechs Zylinder. Ich durfte dann zwar mit ihm im Auto durch die Stadt fahren, aber bei seinen Besuchen in verschiedenen Wohnungen musste ich im Auto bleiben. Als Kinder haben wir in den beengten Wohnverhältnissen die Ohren natürlich immer ganz weit aufgemacht, wenn der Onkel zu Besuch war, er und unsere Eltern abends und nachts lange miteinander sprachen.

Hat sich daran etwas geändert, nach­dem sie von Juni 1942 an in Mengerskirchen wohnten?

Ernst Leuninger Für unsere Familie war der Umzug schon eine einschneidende Veränderung. Wir waren in Köln geboren und aufgewachsen, von der Großstadt ging es in ein kleines Dorf im Westerwald. Wir lebten plötzlich in einem ganz anderen Milieu, in einem katholischen Ort, der gegenüber dem Nationalsozialismus eine spürbare Distanz hatte.

Herbert Leuninger: Unser Onkel hat seine Eltern regelmäßig besucht. Nach unserem Umzug war er noch zwei oder drei Mal in Mengerskirchen gewesen. Der Urlaub ist übrigens von allen Kindern und Enkeln bei den Großeltern verbracht worden.

Wie haben Sie diese Zeit und den Krieg als Kinder erlebt?

Herbert Leuninger: Köln war zerbombt worden, unser Vater war als Soldat im Krieg. Wir haben darauf gewartet, dass der Krieg als verloren zu Ende geht. Und wir wussten auch, dass einige aus Mengerskirchen im Konzentrationslager waren. Nach ihrer Entlassung haben sie jedoch nichts erzählt.

Die aktive Mitarbeit Ihres Onkels im Widerstand. Wann haben Sie davon erfahren?

Herbert Leuninger: Erst durch sei­ne Verhaftung wenige Wochen nach dem 20. Juli. Seine Frau hat uns das mitgeteilt. Sie ist nach der Verhaftung zunächst in Breslau geblieben und später geflohen. Sie hat sich nach Mengerskirchen durchgeschlagen, wo sie nach meiner Erinnerung Anfang 1945 ankam.

Ernst Leuninger: Wir Kinder hofften auf ein schnelles Kriegsende und darauf, dass es gegen ihn kein Urteil mehr gibt, beziehungsweise das Urteil nicht vollstreckt wird. Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Am 26. Februar wurde er zum Tode verurteilt, am 1. März wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Als sein Bruder Josef, dem er das Urteil noch in einem Brief mitteilen konnte, ein paar Tage später im Gefängnis eintraf, da lebte er schon nicht mehr. Josef war es dann auch, der die Familie nach seiner Heimkehr als Soldat aus dem Krieg von der Vollstreckung des Urteils informierte.

Der christliche Widerstand hat sich vor allem im sogenannten Kreisauer-Kreis oder auch Moltke-Kreis organisiert. War Ihr Onkel auch dabei?.

Ernst Leuninger: Das glaube ich nicht. Er hat zum politisch-militärischen Widerstand gehört, zu den Leuten, die von den Gewerkschaften und von links zu diesem stießen. Franz Leuninger kam vom Zentrum und war ein, in heutiger Sprache, linker Katholik. Ein Katholik, der den Tyrannenmord für gerechtfertigt hielt. Das war damals im katholischen Widerstand und in der Kirche eine sehr kontrovers geführte Diskussion.

Wie war die Zeit nach dem Krieg, die Konfrontation mit den Verbrechen der Deutschen?

Herbert Leuninger: Nachdem die Sorgen über die, die noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt waren, verflogen waren, gab es die ersten Informationen über den entsetzlichen Holocaust. Ich konnte damit umgehen, weil wir aus dem katholischen Milieu kamen, unsere Familien nie ein Teil des Regimes waren.

Ernst Leuninger: Wir sahen in den Schulen die Filmaufnahmen der Amis von den Konzentrationslagern. Ich habe mich geschämt, Deutscher zu sein. Gleichzeitig entwickelte sich ein Stolz auf die Familie und auf den Onkel. Eine neue Identifikation war möglich, denn es gab auch in der Zeit von 1933 bis 1945 das andere Deutschland.

Das Erlebte war prägend für Ihr weiteres Leben?

Herbert Leuninger: Wir sind absolute Demokraten geworden und haben versucht, dies auch auf die Kirche zu übertragen. Ich habe Freiheit und Toleranz immer hochgehalten. Natürlich hat die Familiengeschichte meine Arbeit für „Pro Asyl" maßgeblich beeinflusst. Heute sehe ich den Verfall der Demokratie, der die wirtschaftliche Diktatur droht.

Ernst Leuninger: Ich habe mich stets für Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Ein Einsatz, der sich immer lohnt.

Das Gespräch mit den Gebrüdern Leuninger führte NNP-Redakteur Johannes Laubach