Herbert Leuninger  
30. August 2004

Ansprache
zur Beisetzung von Frau Elfriede Stäcker in Wirges


 

 

Liebe Familie, liebe Gemeinde

Ich muß heute etwas nachholen, was ich 1983 versäumt habe (Um was es dabei geht, werde ich später erklären). Damals feierte Pfr. Jaeger in der Frankfurter Pfarrei St. Antonius ein Jubiläum: am 16. April des Jahres war er 25 Jahre Pfarrer in dieser Gemeinde. Ein Anlaß für Festgottesdienst und anschließender großer Feier im Gemeindehaus.

Als ehemaliger Kaplan war ich gebeten worden, die Festpredigt zu halten. Immerhin war ich in den 60er Jahren mehr als fünf Jahre als junger Priester in der Gemeinde tätig gewesen.

In meiner Ansprache ging es um die Gemeinde als Heimat. Ich habe sie zur Erinnerung inzwischen in das Internet gestellt mit einem Bild von der Herbergssuche Maria und Josefs aus der Weihnachtskrippe von Antonius (die Krippe war die elektrische Eisenbahn des Pfarrers, an dem sein Herz hing und bei der deren Herrichtung Elfriede Stäcker tatkräftig mitwirkte.

Kann es in einer Gemeinde wie St. Antonius so etwas wie Heimat geben, war meine Frage? Schließlich war es eine ungewöhnliche Pfarrei, zu der der Hauptbahnhof, das Rotlicht- und Bankenviertel, das vornehme Westend und das Messegelände und nicht zuletzt das Gutleutviertel mit einer sehr unterschiedlichen Wohnbevölkerung gehörten. Ich habe diese Gemeinde als die ungewöhnlichste Pfarrei des Bistums Limburg, wenn nicht sogar der ganzen Bundesrepublik, eingeschätzt.

Und hier sollten Menschen Heimat finden? Meine Erfahrung: Ja! Unzählige Menschen haben in dieser Gemeinde Heimat gefunden. Auch ich, der ich aus der – im Urteil des Bischofs – besten katholischen Gemeinde des Bistums, nämlich St. Martin in Lahnstein am Rhein nach St. Antonius versetzt worden war. Das war damals ein regelrechter Kulturschock, den ich aber bald überwunden habe.

Und das verdanke ich den vielen Gemeindemitgliedern, die mich freundlich aufnahmen und mit denen Gemeinde zu erbauen, große Freude bereitete und mich ganz und gar erfüllte.

Den größten Anteil daran, in Antonius Heimat finden zu können, hatte Pfarrer Jaeger und jetzt ergänze ich etwas, was ich bei meiner Jubiläumspredigt nicht erwähnt habe, auch Elfriede Stäcker. Sie war ja mit Pfr. Jaeger zusammen nach Frankfurt gekommen und auch für sie war das Jahr 1983 ein Jubiläum. Und ich habe es damals versäumt, ihren Anteil daran, daß diese Gemeinde Heimat werden konnte, gebührend zu erwähnen. Ich hole es hiermit nach!

Nicht nur die Pfarrei, auch das Pfarrhaus war ungewöhnlich. Ich habe mich dort in den Jahren daheim gefühlt. Dies hing mit der menschlichen und toleranten Art des Pfarrers zusammen, der selbst gern bei allem Stress ein gemütliches und gepflegtes Heim liebte und dies auch seinen Kaplänen zu bieten suchte, nicht zuletzt bei sonntäglichem Kanasterspiel und den vorzüglichsten Weinen. Und daß eine so gute Atmosphäre herrschen konnte, dafür steht auch die Persönlichkeit von Elfriede Stäcker. Sie hat diesen Haushalt in glänzender Weise geführt und damit einen entscheidenden Beitrag geleistet, daß wir uns wohl fühlen konnten Und das galt nicht für jedes Pfarrhaus. Wir kannten Geschichten, wo Kapläne nichts sehnlicher wünschten, als versetzt zu werden, weil sie das kühle Klima im Pfarrhaus belastete. Vergessen wir nicht, dass der hl. Georg scherzhaft als Schutzpatron der Pfarrer bezeichnet wurde, weil er den Drachen besiegt hatte (gemeint war der Hausdrache).

Die gute Atmosphäre im Pfarrhaus hatte ihre Ausstrahlung auch auf die Gemeinde. Wer selbst Heimat erfahren hatte, war auch in der Lage, anderen Heimat zu ermöglichen.

Das Pfarrhaus war mit Elfriede Stäcker so etwas wie eine Gemeinde im Kleinen, wo das zu verwirklichen war, was eine christliche Gemeinschaft ausmacht. Ein geschwisterliches Zusammenleben im Geist des gegenseitigen Respekts und einer hilfsbereiten Verbundenheit. Und wenn dazu noch eine ausgezeichnete Küche kam, hob dies die Stimmung beträchtlich und ließ nicht nur den guten Hausvater gedeihen. Von mir stammte damals der Spruch: „Immer lecker bei Tante Stäcker!"

Die Martha des Evangeliums (Lk 10, 38-42) ist die Patronin der Pfarrhaushälterinnen. Sie war die Gastgeberin, und wollte, dass ihre Schwester in der Küche helfen sollte. Die aber wollte lieber eine Jüngerin Jesu sein und aufmerksam auf dessen Worte lauschen. Elfriede Stäcker wusste beides miteinander zu verbinden. Sie war Martha und zugleich auch Maria

Schließlich war sie eine Frau, die von der Frömmigkeit des Westerwaldes, wie sie in Wirges lebendig war, geprägt war. So war sie bei den Gottesdiensten eine aufmerksame, aber auch durchaus kritische Hörerin des Wortes. Sie saß vor allem gern zu den Füßen ihres väterlichen Meisters, des Pfarrers. Dabei zählte sie zu den vielen Frauen, die diesen Priester verehrten. Er war damals Frauenseelsorger von Frankfurt und hatte den völlig unpassenden, aber lustigen Spitznamen „ Frauenjäger" . Beim Mittagstisch, wo so vieles verhandelt wurde, was wir in der Seelsorge erlebt hatten, konnte es dann durchaus auch Kritik von Frau Stäcker geben: „Herr Pfarrer, sie haben wieder zu lange gepredigt!" „So, so", quittierte Pfr. Jaeger solche Kritik in aller Demut annehmend.

Es war eine ungewöhnliche Zeit, die wir damals miteinander erlebten. Die Zeit der großen Bischofsversammlung in Rom, des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965). Es sollte eine Revolution in der Kirche einleiten, wenigstens, was die Feier der Messe anbetraf. Jetzt wurde die Messe nicht mehr in Latein sondern in Deutsch gehalten. Auch stand der Priester nicht mehr mit dem Rücken zur Gemeinde, sondern feierte die Eucharistie der Gemeinde direkt zugewandt. All diese und weitere Veränderungen, die wir als Kapläne begeistert aufnahmen, hat auch Elfriede Stäcker voll akzeptiert. Sie war dabei so etwas wie die Stimme der Gemeinde. Von ihr konnten wir erfahren, was die Gemeinde bewegte, zumal sie nicht nur an den Gottesdiensten, sondern auch an allen sonstigen Gemeindeveranstaltungen, nicht zuletzt auch bei den Festen aktiv teilnahm.

Heimat schenken kann , wer selbst Heimat erfahren hat. Elfriede Stäckers Beziehung zu ihrer Heimat und ihrer Familie waren sehr ausgeprägt. Und so kamen ihre Angehörigen gern zu Besuch ins Frankfurter Pfarrhaus, sie waren zumindest zeitweise Teil dieser Pfarrhausgemeinde. Den Kontakt mit ihrer Familie hat Elfriede Stäcker bis zuletzt in intensiver Weise gepflegt. Und so ist es eigentlich selbstverständlich, dass sie nach ihrem Tod in ihrer Heimat beigesetzt werden wollte.

Dabei war sie ja mit Pfarrer Jaeger zusammen nach dessen Pensionierung in Frankfurt und auch in der Gemeinde, die für sie im besten Sinne des Wortes Heimat geworden war, geblieben. Sie pflegte die Kontakte mit den dort lieb gewonnen Menschen. So sehen Sie, ein Mensch hat nicht nur eine Heimat, sondern er erlebt Heimat in unterschiedlichen Situationen und Phasen seines Lebens . Ich habe es bei der Predigt 1983 so formuliert: ein Mensch findet überall Heimat findet, wo er sich angenommen fühlt.

Diese Heimat habe ich in Antonius, vor allem auch im Pfarrhaus durch Pfr. Jaeger und Elfriede Stäcker erfahren dürfen. Und es hat mich 1992 tief erschüttert, als ich an meinem 60. Geburtstag am Grab von Pfr. Jaeger stehen musste und mich die Erinnerungen überwältigten.


v.l. E.Stäcker, A.Weiler,
M.Euler, P.Schöbinger

Es war aber auch eine besondere Erfahrung, als ich nach fast vierzig Jahren von der kleinen Frauengruppe, der Elfriede Stäcker angehörte, nach Frankfurt eingeladen wurde. Sie können sich nicht vorstellen, was wir da an früher Erlebtem ausgetauscht haben. Ich habe gestaunt, was Elfriede Stäcker aus unserer gemeinsamen Zeit noch alles wusste. Jetzt nach ihrem Tod erst wird mir deutlich, was ich ihr zu verdanken habe und wofür ich ihr über den Tod hinaus dankbar sein will. Vielleicht darf ich in diesen Dank auch für alle Kapläne, die in den 30 Jahren in St. Antonius waren, und die Gemeinde von St. Antonius abstatten.

Pfarrei kommt aus dem Griechischen und heißt dort: Paroikia. Gemeint sind Menschen, die in der Fremde leben und sich nach der Heimat sehnen. Christen sind hier auf dieser Erde noch nicht endgültig daheim. Die letzte Heimat erwarten Christen in der Ewigkeit. Diese Heimat möge der lieben Elfriede Stäcker von Gott gewährt werden.