Nach dem Krieg


DiaReihe 3
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Die amerikanischen Militärkolonnen, die den Rhein überquert hatten, kamen von Elsoff her in den Ort. Was da an Panzern und Fahrzeugen vorbeirollte, das hatten wir im Leben noch nicht gesehen, vor allem auch die Soldaten, meistens Schwarze, die aufsaßen. Anneliese und Elfriede (Schilling, Nichten), die vorn im Ort in der Nähe der Halle wohnten und wegen der Bomben gefährdet waren, waren bisweilen bei uns. In der Halle, einem früheren Arbeitsdienstlager, war eine Unteroffiziersschule untergebracht.

Sie standen auch am Fenster . Die Leute hatten weiße Tücher aus den Fenstern gehängt. Die vorbeifahrenden Soldaten schauten auf die Leute an den Fenstern. Als Elfriede das bemerkte, ließ sie sich sofort auf die Erde fallen, erschrocken wegen der schwarzen Gesichter mit den weißen Augäpfeln.

Einer der amerikanischen Militärpolizisten, der an der Kreuzung Dienst tat, hat immer wieder Herbert zum Übersetzen geholt. Herbert konnte nur wenig Englisch, da wären andere besser geeignet gewesen, die vor dem Abitur standen. Der Militärpolizist stand unten am Garten und rief dann: "Ebert, come!" Die anderen waren neidisch darauf, weil Herbert für seine Dienste Schokolade und anderes bekam. Herbert hat den Amerikaner auch einmal mit ins Haus gebracht und ihm gesagt, die Mutter wolle ihm Kaffee kochen. Der Soldat hat nämlich Tag und Nacht an der Kreuzung gestanden. Einmal hatte ihm Herbert eine Matratze herausgebracht, damit er in einem Hausaufgang darauf schlafen konnte. Als ich ihm Kaffee kochen wollte, hat er erst das Wasser kontrolliert. Mit seinem Gewehr ist er zur Toilette gegangen, die außerhalb des Hauses im Hof war. Er fragte mich, warum ich weine. Daraufhin sagte ich ihm, wir wüßten nicht, wo unser Vater wäre und hätten Sorge, daß er nicht mehr leben würde. Auf Englisch sagte er, selbst noch ein ganz junger Mann, seine Mutter wisse auch nicht, wo er wäre. In Mengerskirchen einquartierte Amerikaner haben sich gelegentlich bei uns getroffen. Wir haben mit ihnen zusammen gesungen, manche von ihnen konnten etwas Deutsch. Es waren Juden unter ihnen, die perfekt Deutsch sprachen. Wir haben immer etwas von ihnen erhalten. Sie haben es geliebt, ein wenig familiäre Gesellschaft zu haben. Besonderen Spaß hatten sie an meinem alten Vater. Der saß majestätisch mit seinem gezwirbelten Bart im Sessel. Sie haben ihm manchmal etwas hingelegt. Der Opa hat da gesessen mit einem umgehängten, von mir genähten Beutel. Der war voller Wertsachen. Tante Susanne hatte ihren ganzen Schmuck und das Silberbesteck zu uns nach Mengerskirchen gebracht, um es vor der Vernichtung durch Bomben zu retten. Dem Opa ist keiner zu nahe gekommen. Die amerikanischen Soldaten haben nachts Hausdurchsuchungen gemacht. Wir hatten unseren Fotoapparat gleich abgegeben, der wurde auch einkassiert. Bei uns war nie eine Hausdurchsuchung. Nachts habe ich am Fenster gestanden und gesehen, wie die Soldaten mit ihren Taschenlampen die Häuser ableuchteten. Sie sind dann in die Häuser eingedrungen, haben zuerst die Leute in einen Raum eingesperrt und dann geplündert, was sie eigentlich nicht durften.

Zu der Zeit fuhren Lastkraftwagen voller deutscher Gefangener durch Mengerskirchen, die zurück transportiert wurden. Viele von ihnen haben Zettel abgeworfen, die wir an die Angehörigen weitergeleitet haben.

Vom Großvater wußten wir nicht, ob er noch lebte. Eines Samstags hatte ich einen Kuchen gebacken. In der Backstube hat eine Frau Hannele, deine Mutter, gefragt: "Hei, Ihr backt ja Kuchen!" Das war damals eine Seltenheit. Darauf hat Hannele gesagt: "Ja, unser Papa kommt morgen!" Die Frau hat das für einen Scherz gehalten. Am Sonntag Morgen, ich bin noch im Stall, um Schwein und Ziegen zu füttern, auf einmal kommen die Kinder gelaufen, sie hatten sich bereits für die Frühmesse fertig gemacht: "Der Papa, der Papa kommt!" Er war in amerikanische Gefangenschaft gekommen. Als (im Gefangenenlager) die Handwerker aufgerufen wurden, hat er sich auch dazu gestellt. Der Verantwortliche sagte ihm aber, er sei doch gar kein Handwerker. Der Großvater erwiderte, er sei Gewerkschaftssekretär gewesen. "Gut, dann stell dich mal dazu!" Die Kommission (die über die Entlassungen zu entscheiden hatte) hat auch darauf verwiesen, daß er kein Handwerker sei. Er wiederholte, daß er bei den Gewerkschaften gewesen sei. Die Reaktion, die der Dolmetscher übersetzte, war: "Dann wissen sie ja, was los war". Der Großvater: "Und ob ich das weiß!" Er ist daraufhin mit den anderen (Handwerkern) entlassen worden. Zu Fuß hat er sich auf den Weg gemacht und ist bis Steinbach gekommen. Mittlerweile war die Sperrstunde eingetreten, nach der keiner mehr, außer in Ausnahmefällen wie etwa Ärzte, auf der Straße sein durfte. In Steinbach wohnte eine Cousine von mir im Forsthaus, ihr Mann war Förster. Dort hat er übernachtet und ist dann morgens aufgebrochen. In Waldernbach (Nachbarort) hat er sich bei Tante Gertrud (der Frau des Bruders Georg ) ein Fahrrad geliehen und ist damit nach Mengerskirchen gekommen.

Wie ist meine Mutter auf die Idee gekommen, daß der Vater kommt?

Das weiß kein Mensch

Hat sie das geträumt oder?

Sie hat es einfach so gesagt. (Längere Pause)

Wir sind dann (nach dem Krieg) in Mengerskirchen geblieben. Der Großvater wurde Leiter des Wirtschaftsamtes (mit der Aufgabe der Mangelverteilung) in Weilburg (Kreisstadt), was sehr ungünstig war. Alle Leute wollten etwas haben. Es war aber kaum etwas da. Nun gab es damals die vielen Heimatvertriebenen. Wenn der Großvater abends heim kam, war die Stube schon voller Leute, die als Fliegergeschädigte nach Mengerskirchen evakuiert worden waren. Die sagten: "Wir sind auch an erster Stelle!" Der Großvater hat aber darauf bestanden: "Die Heimatvertriebenen haben ihre Heimat verloren und besitzen nichts mehr ." ...Die Evakuierten erwiderten: "Wir haben auch alles verloren!" Das war eine schwierige Situation, vor allem, wenn die Leute regelrecht böse wurden.

Später ist der Großvater zur Arbeitsgerichtsbarkeit gekommen, obwohl er keine juristische Ausbildung hatte. Es fehlte damals an den entsprechenden (auch unbelasteten) Juristen. Dafür wurden dann Gewerkschafter genommen. Im Laufe der Jahre wurden diese dann wieder durch akademisch ausgebildete Juristen ersetzt. Der Großvater war als Leiter des Arbeitsgerichtes in Wetzlar, Gießen, Fulda (und schließlich in Limburg.)

Deine Mutter wollte auch gern (wie ihre beiden Brüder die (weiterführende) Schule besuchen. Sie ist dann mit dem Vater nach Fulda gegangen, hat dort die (von kath. Schwestern geleitete) Schule besucht und die Mittlere Reife gemacht. Die Famlie, wo derGroßvater und Hannele wohnten, hatten keine Kinder. Der Mann war bei der Firma Mehler, die Valmeline-Stoffe und Zelte herstellte, Geschäftsführer. Er hat Hannele angeboten, in der Näherei eine Ausbildung zu machen. Als der Großvater von Fulda wegkam, blieb sie bei den Leuten, die sehr nett zu ihr waren und hat ihre Prüfung gemacht. Das war später die Voraussetzung dafür, daß sie die Umschulung (zur Berufsberaterin) machen konnte.

Dann haben wir noch groß gebaut. Zuerst wurde das alte Haus renoviert , dann haben wir einen Neubau errichtet. Wir hatten einen Bausparvertrag, haben aber auch Kurgäste gehalten, weil ich Sorge hatte, das Geld würde uns nicht reichen...

(Ende)


Die Famlie blieb nach dem Krieg im Westerwald und baute sich das "Franz"-Haus, benannt nach Fanz von Assisi und im Gedenken an den Widerstands- kämpfer Franz Leuninger
 
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