Köln


DiaReihe 1
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Barbara:
Wie seid Ihr denn darauf gekommen, ein Geschäft zu betreiben?

Wir waren gerade in Mengerskirchen, als der Umsturz kam. Dort haben wir das erste Mal Urlaub gemacht, weil der Großvater meinte: "Wir müssen 'mal raus!". Das Haus, wo meine Familie früher gelebt hat, war damals an einen Metzger vermietet. Der hatte so schöne Waren, z.B. Dauerwürste. Das hat den Grossvater auf eine Idee gebracht. Er meinte, wenn wir

die in Köln verkauften, böte uns das vielleicht eine gewisse Lebensgrundlage. Er hatte in Köln ja einen großen Bekanntenkreis. Nun hat er die Wurst von Mengerskirchen kommen lassen, die wir verwogen haben. Dann ist er zu den Bekannten gegangen und hat Bestellungen aufgenommen. Ich weiß es noch wie heute; das erste Mal habe ich furchtbar geweint. Er hatte eine Trommel, darin hatte er seine Proben, sein Messer und sein Brettchen. Damit ist er zu allen Bekannten gegangen. Die haben probiert und anschließend bestellt. Entsprechend haben wir die Würste zum Wochenende kommen lassen, die er dann mit einem Transportrad ausgefahen hat.

Das sollte aber nur ein Übergang sein. Wir haben uns sofort umgesehen, ob es eine Möglichkeit gab, ein Ladenlokal zu erhalten. Das war auch nicht so einfach. Wir hatten ja keinerlei Vorkenntnisse. Es hieß aber, es komme eine neue Verordnung, - bis jetzt durften auch Laien ein Geschäft eröffnen, die dies nicht gelernt hatten -. Da haben wir uns schnell besonnen und annonciert. Daraufhin haben sich einige gemeldet, u.a. die Oepens. Deren Laden war stark zurückgegangen, weil sie nicht fortschrittlich genug waren und sich keiner Genossenschaft angeschlossen hatten. Der Laden bot keine Existenzgrundlage mehr. Wir haben die Übernahme riskiert, zumal wir bereits die Außenkundschaft besaßen, die wir dann auch mit Kolonialwaren beliefern konnten. Die haben dann die verschiedensten Waren bei uns bestellt, die der Großvater dann zusammen mit der Wurst, die er weiterhin kommen ließ, ausgeliefert hat. Damit konnten wir bestehen, was mit den Ladenkunden allein nicht möglich gewesen wäre. Wir mußten ja Miete für die Wohnung und den Laden bezahlen und alles, was noch dazu kam. Es ging aber ganz gut.

Zuvor war Ernst noch in der Gravensteinerstrasse geboren worden. Am zehnten Tag nach seiner Geburt sind wir umgezogen. Ich darf gar nicht mehr daran denken, es war grauenhaft. Tante Susanne (Flick; sie wohnte in Frankfurt) war in dieser Zeit bei uns und ist fünf oder sechs Wochen – glaube ich – geblieben. Sie hat uns sehr zur Seite gestanden, Tag und Nacht. Wir haben einen ganz veralteten und dunklen Laden übernommen. Wir mußten alles abreißen: Abends haben wir die 500 Artikel heraus geschleppt und nachts renoviert. Der Laden sollte tagsüber geöffnet bleiben, weil alle meinten, die paar Kunden dürften sich nicht noch verlaufen. Wir hatten einen Bekannten, auch ein Gewerkschafter, der Schreiner war. Der hat die Schubladen, die bis oben hin reichten, zum Teil herausgenommen und alle Verzierungen entfernt. So haben wir modernisiert. Ein anderer Bekannter, ein Anstreicher, hat alles hell gestrichen. Während der Renovierung hat Tante Susanne fleißig Töpfe voll Essen gekocht.

Dann sind wir als Allererstes in eine Einkaufsgenossenschaft eingetreten, damit wir günstiger einkaufen konnten. Das war die REWE, die heute noch ganz groß im Geschäft ist. Es ist uns schwer gefallen, da wir ein paar hundert Mark einzahlen mußten, um Mitglied zu werden. Der Großvater hat sich später ein Dreirad angeschafft, so ein kleines Auto. Wir haben weiterhin die Außenkundschaft bedient, der Laden aber ging immer besser und es kamen immer mehr Leute. Wir haben noch Obst und Gemüse hinzu genommen. Das war sehr schwierig, weil unser Laden in der Nähe einer Hauptgeschäftsstraße lag, wo all die Filialbetriebe waren. Wir mußten sehr aufpassen. Der Großvater ist immer los gegangen und hat geschaut, wie die Preise waren. Die haben wir dann übernommen, obwohl uns dies nicht leicht gefallen ist. Wir konnten ja nicht so billig wie diese einkaufen. Aber dadurch, daß wir in der REWE waren, konnten wir schon etwas machen. Schließlich hat es sich ganz gut eingespielt.

Dann kam der Krieg. Der Großvater wurde eingezogen und mußte Soldat werden. Ich wollte das Geschäft weiterführen und habe zum Großvater gesagt: "Der Krieg ist bald aus. Und wenn Du nach Hause kommst, hast Du keine Existenz. Ich muß das aufrecht erhalten!" Eine Frau hat mir im Laden geholfen; denn ich mußte fast halbe Tage zur Großmarkthalle, um etwas, was rar war, wie etwa Spargel, zu bekommen. Um einen Korb Spargel zu ergattern, habe ich stundenlang an dem Stand gestanden und dabei manchmal geweint. Ich war doch keine Marktfrau wie die andern. Ich hatte dann ein Halbpfund Butter dabei und habe dieses heimlich übergeben, damit ich überhaupt etwas bekommen habe. Ein lieber Mensch, der auch ein Geschäft besaß, hat mich immer abgeholt und mitgenommen und mir die Kisten getragen. Schliesslich habe ich noch ein "Kontingent" von einem Geschäft erhalten, das um die Ecke war. Als der Inhaber eingezogen wurde, hat er mir sein Obstkontingent überlassen. Ich war sehr froh, wenn ich unter der Theke schöne Jaffa-Apfelsinen für unsere guten Kunden vorrätig hatte. Die habe ich für samstags aufgehoben. Die Kunden haben sich schon darauf gefreut und gefragt: "Frau Leuninger, gibt’s heute Spargel oder irgendwas?" Ich konnte ihnen dann von den Apfelsinen oder dem ergatterten Spargel abgeben...


Elisabeth L. mit Hannele vor dem Geschäft in der Pius- strasse. Im Schaufenster sind rechts die Auslagen des Obstes und Gemüses zu sehen.